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Full text of "Erwin von Steinbach. Ein Roman. 3 Bde"

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A 1-45 — 


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Erwin von Steinbach. 


Ein Roman. 


Zweiter Theil. 





Hamburg, 
Verlag von Friedrich Perthes. 
1834. 
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Druck und Papier 
von &r. Vleweg nd Sohn 
in Braunſchweig. 


— — 


Erwin von Steinbach. 


Drittes Buch. 


Digitized by Google 


Erſtes Kapitel. 


— — — mn 


Wir finden unſern Freund auf dem Wege nach 
Bielbo wieder, indem wir Alles uͤbergehen, was ihn 
in ven letzten Tagen zu Upſala noch beſchaͤftigte. — 
Bonnevil hatte ihn eine gute Strecke zu Pferde 
begleitet, und war dann mit herzlicher Umarmung von 
ihm geſchieden, indem ſeine letzten Worte lauteten: 
»Bruder, wenn Du mich brauchſt, ſo kannſt Du auf 
mich rechnen!« — Dieſe Worte und fein ſchnelles 
Wegwenden, um eine Thraͤne zu verbergen, lagen noch 
Erwin im Sinne und erfüllten feine Seele mit weh— 
müthiger Sehnſucht, ald der begleitende Neitfnecht ihm 
fihon von einer Anhöhe herab das Schloß zeigte, wel: 
ched der alte Stammfig des Birger-Jarl war. 
Das Pferd, welches der Herzog mit dem Stallfnedhte 
zur Abholung ihm gefandt hatte, wieherte beim An: 
bli® der Burg hell auf und feßte rafcher an. — Uns 
fer Freund dagegen wünfchte Verzögerung, und wußte 
nicht warum. — Er hielt dad Roß mehrere Male 
unwillkuͤhrlich zurüd, fo daß der Reitknecht, welcher 
den Weg zeigen follte, weit voran eilte, meinend, er 
folge ihm. — 


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Es war ein ftiller, ſchwuͤler Sommerabend; die 
. Sonne fenfte fih hinter dunkelblauem Gewoͤlke und 
vergoldete die Ränder deſſelben. Ein dfteres Leuchten 
zeigte ſich ſchon in Suͤdweſt, und ferne Donner roll: 
ten durch die waldigen Thaͤler. — 

Da lag das alte graue Schloß jenfeits eines Sees 
unter hoben Eichen ftill und ehrwürdig, indem es feine 
Mauern und Binnen in dem dunfeln Gewäfler fpie- 
gelte, als wenn es fchon viele Jahrhunderte in die 
feuchte Welle hinabgefehen hätte. — Die Metallfpigen 
feiner Thuͤrme glühten im Scheidelichte und warfen 
goldene Sterne auf die zitternde Fluth, welche von 
folgen Schwänen durdfchnitten wurde. — Erwin 
fühlte fich fo ruhig und ahnungsreich, fo genuͤgſam und 
dankbar, daß er hier hätte weilen mögen, bis die Nacht 
hereingebrochen wäre. — Es dünfte ihm, ald gehe ein 
neues Leben vor ihm auf, welches mit feinen unbes 
kannten Kreifen, wie jene Waflerfurchen der rudern- 
den Schwäne, in einander floß, wenn er es fich deut: 
lich machen wollte, und mit einem füßen Schauer 
ihn erfüllte. — ' 

Der große, fanfte Bogen des Sees, an deſſen jen: 
feitigem Ufer das alte Stammfchloß lag, war mit wal: 
digen Hügeln umgeben und zog fic) malerifch in einer 
Ellipfe bis zu einer Waffermühle hin, wo er fich dies— 
ſeits ummandte und von frifchen Wieſen begränzt 
wurde. — An ihn flieg ein anderer elliptifcher See, 
welcher durch einen Kanal mit demfelben verbunden 
war, und durch den dad Maffer in den erfieren fich 
leiten ließ, wenn diefer von den MWaldbächen anges 


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fchwellt worden. Weber den Kanal und den niedrigen Wie- 
fengrund führte eine lange fteinerne Brüde mit vielen ho- 
ben Arkaden zu dem Schloffe Bi elbo hin. — Da unfer fin: 
niger Freund über diefe Brüde ritt, und ein friſchek See⸗ 
hauch ihm eben Fühlend entgegen wehete, indem er 
feine Augen über die anmuthigen Gewäfler der fchilf- 
reichen Seen und ihre reichen, blühenden Ufer wan— 
dern ließ, dachte er mit lebhaften Verlangen an Hil- 
degard und ihren Water, von denen er fo lange Peine 
Nachricht empfangen hatte. — Auch feine Eltern und, 
Konrad waren ihm im Beifte nahe, und fchienen ihn 
mit ihren guten Wünfchen und brünftigen Gebeten in 
diefe ganz fremde Lebensbahn zu begleiten. — 

»Mie wirft du einft über diefe Brüde zuruͤckkeh— 
ren,« forach er zu fich felbft, » mit welchen Empfindun: 
gen und Erfahrungen bereichert oder befchwert, erfreut 
oder betrübt,; wird vielleicht eben dieſes Roß dich aus 
diefen ehrwürdigen Mauern hinwegführen, welde dir 
nun noch fo unbekannt find? Kannft du für dich 
einftehen, da bein Herz fo ſchwach iſt, daß es bald 
auflodert im unbefonnenen Zorne, bald von dem Anz 
blide eines fremden Weibes weh und wund gemacht 
wurde? Wo ift deine gepriefene Feftigkeit und Nuͤch— 
ternheit, als Meifter der freien Maurerzunft, geblie= 
ben? — Und welchen Fürfprecher, welchen Freund in 
der Roth wirft du finden, feit der edle Serenius 
nicht mehr bei dir ift? — Du trittft in ein vorneh- 
ned Haus, wo du jedes deiner Worte bedenfen, jeden 
deiner Schritte bewachen mußt, um nicht anzufloßen. 
Du haft ed mit Menfchen zu thun, die dich nicht ken⸗ 


* 


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— 


nen, auch durch Stand und Bildung über dich erhas 
ben find, und fchwerlich dich gleich verftehen und jo 
aufnehmen werben, ald deine Gönner zu Lund. — 
Wohlan tenn, fo halte dich um fo fefter an dem treue— 
ften Freunde, welcher bis dahin fo gnädig dich führte 
und über Land und Meer mit dir gezogen ift! Sein 
Rame ift auch hier befannt, fein Geift wird auch in 
diefen Mauern wohnen, um dir eine ebene Bahn zu 
machen. Wo nicht, fo befenne ihn wider Fleifch und 
Blut und wider alle Gewalten unter dem Himmel, 
und demüthige dich, damit er dich zu feiner Zeit erhoͤ— 
ben mögel«e — | 

Erwin war unter dieſem Selbftgefpräche unver: 
merkt bis an die Zugbrüde des Schloßgrabens gelangt, 
wo er fi) das flarfe Gebau der Burgmauer und ihrer 
Thuͤrme mit Muße befehen Eonnte, während der Thür: 
mer mit dem Neitfnechte redete und die Ketten nie— 
bergelaffen wurden. — Es war im alten byzanfini- 
fhen Style mit Rundbogen und Zonnengewölben fehr 
dauerhaft erbaut, und der dunkelgrüne Epheu ranfte 
fih an den grauen Granitplatten von unten bis oben 
in dichten Gewinden empor, als wenn er ein Orna⸗ 
ment des Gefteins fey und mit demfelben zugleich 
entftanden wäre, indem er fich malerifch an den Zin— 
nen im dunkeln Schloßgraben fpiegelte. An der an: 
dern Seite wurden die Mauern von dem tiefen See 
begranzt, und fo lag die Burg auf einer Fünftlichen 
Inſel da. — 

Noch fand Erwin in Betrachtungen vertieft, ald 
die Zugbrüde ſank und der Reitfnecht ihn mahnte, 


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N 

den Borritt zu nehmen, wie ed einem Herrn gebühre. 
— Er trieb alfo fein Pferd an, welches fchon ungeduls 
dig geworden war und mit großen Säben durchs fin— 
jtere Burgthor fprengte, fo daß die Gewölbe vom 
Hufichlag dumpf wiederhallten. — 

Da hielt er nun auf dem geräumigen Hofe vor 
dem Portale des alten Schloffed, indem er dem Shore 
gegenüber fchon das neue Gebäude auffteigen ſah. — 
Er wurde froh, fogleich fein Tagewerk zu erbliden, und 
ein Steinmeß nahm ihm das Pferd ab, indem verfelbe 
ehrerbietig feine Müge 309g. — »Meifter Steinbach, « 
fprach er, »Ihr feyd fchon längft erwartet, und wir 
dürfen nicht weiter bauen, bis Ihr den Riß gemacht 
habt.“ 

Erwin gab ihm das Wort und den Handſchenk, 
und folgte dann einem Diener die Schloßtreppe hin— 
auf, welcher feinen Mantelfad vorantrug, während 
der Stallfnccht die Pferde wegführte. 

»Iſt der Herzog zu Haufe?« fragte Erwin mit 
beflommener Bruft. — »Er ift noch beim Deere, aber 
wird nach einigen Zagen erwartet,« verfeßte der Die— 
ner, und öffnete ihm das Zimmer, wo er wohnen 
folte, indem er die Sachen ablud und ordnete, dann 
aber ſich ſchnell entfernte. 

E3 war eine Erferfiube nach Morgen im dritten 
Stockwerk, mit einer fhönen Ausficht nach dem See. 
Deiter, doch einfach geordnet, ftand ein großer Arbeitd- 
tiſch am Bogenfenfter, welcher mit Büchern und Bau: 
riflen bedeft war; auch auf Reißbrettern ftanden auf- 
gefpannte Pergamente an den Wänden herr. — »Das 


— — nn 


heißt: Ich bin in der Arbeit erwartet! und ich will 
friſch die Haͤnde anlegen,« ſprach Erwin laͤchelnd, 
waͤhrend er ſich reinigte und den Staub von den Klei— 
dern buͤrſtete. 

Da trat ein Diener mit Wein und Fruͤchten ein, 
welche er auf ein Tiſchchen vor ihm hinſtellte und im 
Namen ſeiner Herrſchaft ſich daran zu erquicken bat. 
— Ihm folgte auf dem Fuße ein aͤlllicher Mann, der 
fihb Emund nannte und unferm Freunde fich als der 
DBaumeifter des neuen Schloffes vorftellte. — »Ihr 
feyd mit Ungeduld von dem Herzoge erwartet,« fprach 
er nach den erften zunftgerechten Begrüßungen. » Der 
gnädige Herr will Euch nothmwendig ſprechen, ehe er 
ins Feld zieht, und hat Euch eine unbedingte Vol: 
macht ausgeftellt, um den ganzen Schloßbau zu leiten 
und nach Belieben zu ändern. — Alſo trete ich von 
heute an ab und bringe Euch meine KRiffe, nach mel: 
chen wir bisher verfahren find.« Mit diefen Worten 
rollte er vor ihm die Zeichnungen auf, welche im by- 
zantinifchen Style, verbunden mitdem altrömifchen, ein= 
fihtig und genau entworfen waren. — Er wollte ſich 
fofort mit einer folgen Befcheidenheit entfernen, indem 
er Faum feine Empfindlichkeit unterdrüden konnte; doch 
Ermin faßte feine Hand, und bat ihn herzlich, bei 
dem Schloßbau als Werfmeifter ihn zu unterftügen 
und in feinem Amte zu bleiben, da er nur unter die— 
fer: Bedingung tem Herzoge dienen koͤnne. Was fie 
Beide ald Baumeifter unter einander audmachen mür: 
den, dad müffe gelten, und fo nur könnte dad begon- 
nene Werk zu Stande fommen. Wo nicht, fo würde 


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— — — —— 


er auf der Stelle wieder abreiſen, da er hier nicht er— 
ſchienen ſey, um den verdienteren Meiſter zu ver— 
draͤngen.« — 

Der treue und entſchiedene Ton dieſer Worte that 
dem Aten wohl und ftillte fo ganz feine Empfindlich: 
feit, daß er Erwin verſprach, nicht auszutreten, fon= 
dern mit feinen Kräften und Erfahrungen bei biefer 
Arbeit zu dienen, wie abweichend auch ihre Anfichten 
feyn möchten; »denn,« feßte er lächelnd hinzu, »die 
großen Herren wollen einmal ihren Willen haben.« 
Zugleih füllte Emund die Becher und zerlegte das 
Dbft, indem er ihn, als den Saft, zuvorfommend be= 
wirthete, und nach der heißen Reife zum ftärfenden Ge— 
nufle einlud. — Dann wurden wieder die Bauriffe 
durchgegangen, und Erwin freute fich über die gruͤnd— 
liche Kunft des Alten, fo wie er fi) mande feiner bes 
deutenden Erfahrungen im Steinfchnitte bemerkte. — 

Noch waren fie im lebhaften Gefpräce, ald des 
Herzogs Kammerdiener eintrat und Erwin mit 
Emund entbot, zum Besperbrote bei der Frau Her: 
zogin fich einzuflellen, da fie den deutfchen Baumeifter 
noch heute zu fprechen wuͤnſche. — Zugleich üffnete 
er die Thüren und winfte, ihm zu folgen, indem er 
fie über einen langen Korridor die Treppe hinabführte, 
und dann durch mehrere Säle, wo Waffen und alte 
Familiengemälde hingen; die Wandfelder, von buntge= 
wirkten, aber fehr verfchiedenen Zapeten, waren mit 
Fünftlichen Leiften eingelegt und zeigten halbverlofchene 
geichichtliche Darftellungen mythifcher und vaterländi= 
fcher Begebenheiten. Es war wie eine Pracht früherer 


Sahrhunderte, und das ganze alte Schweden, mit ſei— 
nen Eddafagen und Heldenkriegen, fpiegelte fich darin 
wie ein dunkles Traumbild. 

Höher Elopfte unferm Freunde das Herz, und er 
fühlte fibh auf eine feltfame Weife verlegen, fo daß er 
gern umgekehrt wäre, wenn ed der Anftand erlaubt 
hätte. Doc ließ ihm der Diener feine Zeit, um die— 
fen Empfindungen Raum zu geben, denn fchnell und 
unaufhaltfam eilte er voraus, und öffnete ſchon die 
legte Flügelthüre, weldhe in das Gefellfchaftszimmer 
führte. — 

Erwin nahm fihb zufammen und wurde von 
Emund zum VBortritt genöthigt, wie gern er ihm 
auch gefolgt wäre. — 

Da ftand er nun im hochgewölbten Raume, und 
erkannte fofort die Herzogin Ingeborg an der edlen 
Geftalt als Schwefter ded Königs Erik. Sie ſaß am 
runden Porphyrtiſche auf einem eibnen, mit purpurs 
nen Sammetpolftern bededten Sefjel, und neigte fich 
feinem Gruße mit der ihr angeflammten huldreichen 
Freundlichkeit, welche ihre Würde noch erhöhte und je— 
des Herz gewinnen mußte. — 

Erwin fühlte ſich fchon freier bei ihrem Anblide, 
und da fie ihn nun näher zu fich heranwinfte, fprach 
er befcheiden: 

»Nur meine Pflicht und mein gegebenes Verſpre— 
chen Fonnten mich fo lange in Upfala zurüdhalten; 
mein Herz eilte fchon längft hieher, um den Willen 
Eures hohen Gemahls zu erfüllen, und meine geringen 
Kräfte, fürftliche Frau, in Euren Dienſt zu geben. « 


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»Shr kommt mit Eurer edeln Kunft uns immer 
willftommen,« erwiederte die Herzogin, »und mein 
Birger wird fih freuen, Euch vorzufinden, da er 
fhon anfing, ungeduldig zu werden. Seht Euch unter: 
deſſen ald unfer Hausgenoffe an und laßt es Euch hier 
wohl feyn, da Ihr eine gute Zeit bei uns verweilen 
müßt; denn, wie auch unfer Freund Serenius Euch 
entbehren möge, fo gönnt er ed dem Herzoge doch ges 
wiß, Eure tiefe Wiffenfchaft zu benußen, davon die 
Anfharkirche Zeugniß giebt.« — 

» Geben follte,« verfegte Erwin, »denn faum erft 
ift der Anfang gemacht, und das Ende muß den Mei: 
fier loben!« — 

»Und wird eö,« fprach ein junger Mann, welcher 
in einer Fenfterblende ftand, und herbeieilte, um Er: 
win zu begrüßen. Es war der Rath des Herzogs, und 
hieß Lido. Man wußte nicht, woher er ftammte; zu 
Bologna und Rom hatte er feine erſte Bildung 
empfangen, und war dann mit dem Herzoge ganz Eus 
ropa durchreisſst. Er redete faft alle lebendigen Spra— 
chen, und war, bei einer empfehlenden Geftalt, von 
den feinflen Sitten. »Euer Glaube ift gut,« verfeßte 
Erwin, welcher angenehm überrafcht wurde, »und da 
Ales am Ende auf den Glauben doch ankommt, fo 
fol ed mir eine günftige Vorbedeutung feyn, um fröb: 
lich mein Tagewerk anzufangen.« — 

»Und es zu befchließen,« fagte Lido, » denn der 
Herzog ift ganz von Euch eingenommen, und wird 
den Schloßbau keinem Andern anvertrauen wollen. « 

Erwin verneigte fih, wie bei einer leichten 


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Schmeichelrede, und erwiederte: »Ich weiß nicht, ob 
ih mir zu diefem großen Vertrauen Gluͤck wünfchen 
darf, da die Verantwortung um fo größer wird, und 
ih ungerne den XUelteren und VBerdienten, meinen 
wadern Zunftbruder Emund, durch meine Gegen- 
wart verdrängen möchte. Doch hoffe ich, es wird der 
Herzog nun erft feinen Werth recht erkennen lernen, 
wenn wir im Bunde mit einander arbeiten, und ihm 
um fo mehr vertrauen, wenn ich nicht mehr da bin.« 

Emund läcelte behaglih und forah: „Herr 
Rath, Ihr habt es mit einem Deutfchen zu thun, der 
immer gerade heraus geht!« 

»Das merke ich,« erwiederte Lido, „weil der 
Dbermeifter fo befcheiden auftritt, wie man ed allein 
bei dieſem edlen Wolfe findet, und in Schweden vers 
geblich fuchen dürfte. « 

Mit diefen Worten wandte er fich fihnell zur Der: 
zogin und berichtete, daß, nach der letzten Botfchaft, 
die Gefchäfte beim Heere fo fehnell beendet worden, 
dag man noch am Abend dem gnädigen Herrn entge= 
genfehen koͤnne, und er faft glauben möchte, er wolle 
überrafchen, da er feine Vorboten gefandt habe. 

»Ich möchte ed doch bezweifeln,« fagte die Herzo⸗ 
gin, »wenn es gleich in feiner Art ift, denn meine 
Kinder würden mir einen Winf gegeben haben, da 
er mit einem großen Gefolge kommen wird. * 

Lido erzählte der Herzogin nun Manches aus der 
Stafette, und Erwin, welcher mit Emund zum 
Sitzen genöthigt war, erfundigte fich leife bei ihm 
nach) den Kindern der Herzoain, und erfuhr, daß fie 


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mit ihrem Gemahl drei Söhne und eine Tochter habe, 
welhe dem Water nachgereiöt wären, um noch die 
legten Tage vor dem Aufbruche zum Deere bei ihm 


zu feyn. 
»Die Tochter,« fagte er, »fey das nächfljüngfte 
Kind und der Liebling des Vaters. — Man nenne 


fie Braut des norwegifchen Könige Haͤkan; da fie 
aber fchon manche fürftliche Freier, welche durch ihre 
Schönheit angezogen worden, von ſich gewiefen habe, 
fo zweifle man auch hieran, wenn gleich der Herzog es 
fehr zu wuͤnſchen fcheine, um die beiden Reiche 
Schweden und Norwegen zu einem dauernden 
Frieden zu verbinden. Diefed liege ihm um fo mehr 
am Herzen, da wahrfcheinlich fein ältefter Sohn Wal: 
demar nah dem ſchon abnehmenden alten Könige 
Thronfolger würde, wenn Birger-Jarl felbft nicht 
das Heft in Händen behalte, welches er bisher fo. glor- 
reich geführt habe. — Das Volk dagegen ziehe die 
jüngeren Söhne, Magnus und Erif, dem älteften 
vor, weil fie freundlicher und Iebhafter, auch mit groͤ— 
ßeren Verſtandesgaben ausgerüftet feyen und fich des 
Bauernftandes mehr annähmen. Keiner jedoch komme 
dem : Vater an Weidheit und Heldenfinn gleich, und 
offenbar würde das Land am beften fahren, wenn 
Birger felbft an feines Schwagerd Stelle einft Koͤ— 
nig würde.« — 

So redete der Alte noch manches bei Seite, zur 
Kenntniß der hohen Familie und zum Lobe feines 
Deren, welches unfer Freund aber nur halb hörte, theils 
weil es in einer fremden Sprache war, theild weil der 


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glänzende Kreis von Männern und Frauen feine Auf: 
merffamfeit anzog. — E8 duͤnkte ihm, er fey nun 
erft in Schweden, fo abgelchloffen und fchroff erfchien 
ibm bier die bedeutende Gigenthümlichkeit des nordi— 
fhen National: Charakters in Geftalten, Geberden und 
Trachten; ja e5 war ihm, ald wenn er eine neue Ka— 
tegorie der Menfchheit in diefem merkwürdigen Volke 
für fich aufgefchloffen fehe; doch fühlte er fih nun auch 
auf der andern Seite ganz abgetrennt von allem beut- 
fchen und weltbürgerlichen Leben, welches ihm in Lund 
noch fo tröftlich und belebend entgegengefommen war 
und das geiftige Band mit Straßburg und Köln 
fortgefeßt hatte. — Selbft zwifchen ihm und Emund 
lag es wie eine große Kluft in feinem Bewußtſeyn befes 
ftigt, welche menfchlich nicht ausgefüllt werden Fonnte, 
wenn fie gleich fich über diefelbe brüderlich die Hände 
bieten mochten. Er merkte, daß der Alte, wie gut er 
ed auch mit ihm meine, doch in feinem Innerſten ihn 
nicht verftehen würde, wenn er es nicht gleichlam ſchwe⸗ 
diſch erft ihm überfegen könne, fo wie er bei Sere— 
nius dagegen von dem volllommenften Einverftänd: 
niffe fogleich begeiftert wurde. — 

Konrads Worte kamen ihm wieder in Gedan- 
fen, und er mußte zugeben, daß der Freund nicht Une 
recht gehabt habe, wenn er die deutſche Gemüthlichkeit 
in diefem Eifenlande entbehrte, welches in Natur und 
Menfchenfinn fo ganz entfchieden if. — 

Unterbeffen hatte fih nah dem ſchwuͤlen Tage 
dad Gewitter zufammengezogen, und man fah ed durch 
die Glasthüren des Zimmers, welche zum Balfone 


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führten, drohend und finfternd über den angrenzenden 
Garten auffteigen. — Schon fielen einige ſtarke Don: 
nerfchläge nach blendenden Bligen, fo daß die Damen 
erfhroden auffprangen und durch die Säle irrten, in- 
dem ihnen die Kavaliere folgten und. fie zu beruhigen 
fuchten, oder mit ihrer Furt fie nedten. Nur die 
Herzogin blieb ruhig in ihrem Seffel, und Zido res 
dete ungeftört fort, indem er nur bei den heftigften Don: 
nerfchlägen einhielt, weil fie feine Stimme übertönten. — 

»Gewiß feyd auch Ihr meiner Meinung,« ſprach 
“er zu Erwin, welden er ins Gefpräh zu ziehen 
fuchte, »daß jedes außerordentliche Verhaͤngniß, es fey 
wohl oder wehe, zu dem Menfchen fomme, wie das 
eherne Glied in einer langen, feften, zufammenhängen- 
den Kette, und fomit die Furcht ein ganz thörichtes 
Ding ift, wenn wir gethan haben, was wir zu thun 
fhuldig find. — Der Blis 3.3. ſchlaͤgt in diefen 
Saal ein und tödtet mich auf der Stelle, fo ift es 
kein Zufall, dem ich entfliehen koͤnnte oder davor ich 
mich fürchten müßte, fondern es ift, wie die Kraft des 
Magnets, wie die Bahn der Planeten, welche fich 
nicht ummwenden, noch aus ihren Kreifen rüden laſſen. 
— Daß ich nun eben hier ftehe, ift mein unabmwendbares 
Verhaͤngniß, und eine höhere Hand lenkt den Blig, 
der mich trifft, und den, der vorüberfährt. — Wohl 
mir, daß ich getroffen werde, und wohl mir auch, daß 
ih unberührt bleibe! Es ift Alles eins, wenn ich 
nur nicht vormwigig mich in Gefahr flürze, oder durch 
eine feige Flucht in die Schlinge gerathe, und fo meis 
nem Charakter als Menfch ungetreu werde. Dann freilich 

Erwin von Steinbach. II, 2 


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ift Alles verloren, denn ich bin moralifch geſunken; 
fonft aber ift Alles gewonnen, denn ich bin moralifch 
erhalten! — Nennen wir ed nun Natur, nennen wir 
ed Vorfehung, nennen wir es Vater, was unfere Wege 
lenkt: es kommt auf eind hinaus; ed ift etwas Hei— 
liaed und Nothwendiges, darin wir leben, weben und 
find, und mit welhem wir auch fleigen und fallen 
müffen. Das Gute ift von Haufe aus frei; das Böfe 
ift von Haufe aus gebunden, weil jenes in der Har— 
monie, dieles im Bwiefpalt mit jenem Ewigen und 
Nothwendigen ficht. — Das ift die Verdammniß der 
Sottlofen, und dad ift der Friede der Gerechten, darauf 
gründet fich unfere Hoffnung und unfere Furcht; von 
einem - andern Glauben weiß ich nicht, welcher Name 
ihn auch ſchmuͤcken moͤchte.“ — 

„Ich daͤchte doch,« verfehte Erwin, »daß ein 
fchwered Verhaͤngniß durch Gebet fich abwenden ließe, 
weil wir einen Vater im Himmel haben, der unfer 
Schreien erhöret, und bei dem fein Ding unmöglich 
if. — Sein gütiger Wille fteht weit über alle noch 
(0 heilige Naturnothwendigfeit erhaben. Er fendet oft 
auch eine Furcht ind Herz und einen Schreden in die 
Gebeine, dag wir und fcheuen follen und nicht ins 
Verderben rennen. Freilich ift es eine andere Furcht, 
alö jene vor dem Gewitter, und ein anderer Schreden, 
ald vom Blisftrahl getroffen zu werden; doch wem der 
Kopf nicht feft ift, der bleibe weg von ber Thurmzinne, 
und wer da meinet, er ftehe, der fehe wohl zu, daß er 
nicht falle! Denn wir Menfchen find fhwah. — Das 
ift mein Glaube, welchen Niemand mir nehmen fol, 


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denn in dieſer Schwachheit kann ich nur ftarf bleiben!« — 

Die Herzogin ſah fehr freundlich den offenen 
Süngling an und fprach: »Ihr erinnert mich mit Die: 
fen Worten an eine alte vergängliche Zeit, da ich noch 
im Haufe meines Baterd war und in diefem Finbli- 
chen Glauben mandye harmlofe Freude genoß. — Nun 
aber ift die Welt fo Hug geworden, daß fie von einem 
perfönlichen Gott nichts mehr wiffen will, fondern ihn 
dem einfältigen Volke überläßt, und Alles aus ewigen 
Naturkräften herleitet. Auch mir find leider die Au- 
gen geöffnet, aber ich möchte gern in Euer Paradies 
der Kindheit mit verbundenen Augen surüdfehren und 
des Vaters mich freuen.« — 

Lido verfegte lächelnd: »Das ift das Gefpenft 
der alten Kirche, was auch die Weifen bange macht 
und die Mündigen mit Ammenmährchen erfchredt. — 
Ein ganzer Menfch zu feyn, ift noch immer vor den 
Göttern ein Verbrechen, wie ed dem Prometheud 
einft angerechnet wurde. — Doch wie liebenswürdig 
ift ſelbſt dieſer Irrthum, wenn er von fo reinen Lippen 
fließt und aus fo fhönem Herzen fommt!« — 

»Shr möget nur fpotten,« erwiederte die Herzo— 
gin mit Würde, »es kommt eine Stunde, wo wir 
genöthigt werben, den perfünlichen Gott anzurufen, und 
diefed jungen Mannes Glaube den Sieg davonträgt. « 

Unter folhen Gefprächen hatte fi) dad Gewitter 
verzogen und die Herzogin Ingeborg trat mit ber 
Gefellfchaft auf ven Balkon hinaus, wo nach dem war: 
men Regen eine labende Frifche aus den Gefträuchen 
ded Gartens ihnen entgegen duftete und Alle im In« 

2* 


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nerften erquicte. Ein duntelblaues Gewoͤlk, ald Reſt 
des Gewitters, fand noch über Wald und See, aber 
die Luft war ftil geworden und die Bäume flaunten 
frifh und feiernd, wie an einem Sabbath in der Na: 


tur. — Ale wurden weich, und felbft in Lido's 
Augen ſah Erwin eine Thräne beben, die ihm fehr 
wohl that. 


Da erfhallten Waldhörner jenfeitd des Sees, und 
ein glänzender Zug von geharnifchten Rittern kam von 
der Anhöhe herab und wieder aus den Tannen hervor, 
indem fie auf fhäumenden Roffen nach der Brüde zus 
fprengten. — Es überrafchte die Herzogin, denn es 
war ihr Gemahl mit ihren Kindern. — Mehrere 
Feldhauptleute und Oberften folgten dem Herzoge, und 
man nannte ſchon Alle bei Namen, fo wie fie jenfeits 
des Waſſers vorüberritten und den großen Bogen am 
See befchrieben. 

»Da ift Freya,« fprach die Herzogin freudig, 
»ſie reitet zwifchen Magnus und Erik hinter dem 
Bater, und Waldemar neben ihm; nun aber ruft 
er fie heran und hält fie an feiner rechten Seite, in 
dem Waldemar voranfprengt, um und Nachricht zu 
bringen. — Wie Fühn fie auf ihrem Zelter fist, als 
wenn fie weite Kriegsfahrten gemacht hätte, und das 
Mädchen fängt erft an zu reitenie — »Es ift des 
Vaters Blut,« verfeßte die Oberhofmeifterin, »fie weiß 
von Feiner Gefahr, wenn fie an feiner Seite ift.« 
Erwin wollte eben binfehen, doch die hohen Eichen 
verdeckten ihre Geftalt, und der Zug verlor fich hinter 
dem Garten dieſſeits der Bruͤcke. — Da aber warb 


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——— — 


es bald lebendig auf dem Schloßhofe; der Thuͤrmer 
blies, und man hoͤrte ſchon das Burgthor eroͤffnen und 
die Zugbruͤcke fallen. — »Da find ſie!« rief die Her— 
zogin, und wehte freudig mit ihrem weißen Taſchen⸗ 
tudhe vom Balkon hinab. Der Hofraum warb nad 
und nach mit Männern und Roſſen angefüllt, und 
Erwin fah den Herzog Birger, wie er mit feinen 
Söhnen abſaß und fie die fleinernen Zreppen hinauf: 
ftiegen. 

Auch ein Fleiner budliger Menſch, mit buntem 
Rode und rother Schellenfappe,, flieg von einem mas 
gern Klepper und drängte fich zu ihnen heran. Da 
Erwin fragte, wer das fey, ſprach Emund: »Es ift 
unfer Joͤns, der Narr, welcher viel Spaß machen 
tann;« und in ber That waren feine Bewegungen fo 
fragenhaft und gewandt, daß man gleich den Charakter 
erkennen konnte, ohne daß er genannt wäre. — 

Die Herzogin war unterdeffen ihrem Gemahle 
entgegengeeilt, und empfing ihn fhon im erften Saale 
mit inniger Umarmung; doch wie erflaunte unfer 
Freund, ald die Flügelthüren fich öffneten und die Ger: 
zogin am Arme ihres Gemahls hereintrat, aber an 
feine rechte Seite fih die wunderbare Unbekannte 
lehnte, welche er vom Bären errettet hatte, und die, 
ihn wiedererkennend, das Auge fenfend, wie mit Blut 
übergoffen wurde, denn e8 war feine Andere, als die 
Ihöne Freya, Herzog Birgers Tochter. — 

Nach ven erften Fragen und Begrüßungen wandte 
fi der Herzog zu Erwin, welcher befheiden zurüd- 
getreten war, und ſprach: »Nun habt Ihr mich den- 


22 


noch überrajcht, jo lauge ich Euch auch vergeblich er: 
wartete. Seyb mir denn eben fo fehr willfommen, als 
Euer Ausbleiben und Zögern mir mißfällig warl« — 

Erwin wiederholte auf diefes entfchiedene Wort 
etwas betroffen, was er der Herzogin fihon zur Ent: 
fhuldigung gefagt hatte, welches Birger-Jarl aber 
lächelnd von fich wies, indem er verficherte, daß man 
dem Künftler Alles außer der Ordnung zu Gute hal- 
ten müffe, weil eben fein ganzes Leben und Wirken 
etwas Außerordentliches fey, welches nicht nach dem 
gewöhnlichen Maßftabe gemeflen werden fünne. — 

Die fchöne Freya hatte fich unterdeffen geſam— 
melt und wandte fich zu ihrem Water hin, indem fie, 
dad Gewicht des Augenblids fühlend, mit ernfter Be— 
fonnenheit ſprach: »Und eben jened Zögern, mein ges 
liebter Vater, welches Euer Mißfallen erregte, ift zum 
Heil Eures Kindes geworden, denn biefer junge Mann 
war ed, welcher mich durch Muth und Gefchidlichkeit 
aus den Klauen des wilden Bären errettete und mir 
dad Leben erhielt, nachdem das Unthier ſchon mein 
Roß zerriffen hatte. — Mein Vorwitz, im Voruͤber— 
reifen der Jagd beizumohnen und dann meinen koͤnig—⸗ 
lihen Oheim zu begrüßen, ward fcharf beftrafl. — 
Doch Ihr, werther Meifter,« fuhr fie fort, indem fie 
fich mit Würde zu Erwin hinwandte, »Ihr waret mir 
ein Engel, von Gott gefandt, der mit feinem Speere 
den fihern Wurf that, und ich fpreche Euch jest alfo 
meinen Dank vor allen Edlen des Hofes aus, welchen 
ih auf. der Stelle Euch audzufprechen zu ſchwach 
war.« — 


X 


23 


»So loͤſet ſich alſo das Raͤthſel,« rief der Herzog 
gerührt und erfreut aus: »Ihr wart alſo der unbe— 
kannte Waidmann, und Euch fol ich das Leben mei- 
ner Zochter danken! Gott wolle es Euch lohnen, was 
Ihr mit männlicher Entfchloffenheit vollbracht habt, wie 
fein Ritter ed befjer vermöchte. — Sch habe keinen 
Lohn dafür, doch nehmt dieſes zum geringen Andenken 
meiner Danfbarkeit.«e — Er zog einen Foftbaren Ring 
vom Finger und fiedte ihn an Erwins Hand. — 
»Auch nehmt,« ſprach er weiter, »dad Roß, welches 
Euch hertrug; es ift von echter Art, und mag Euch 
auf Euren Heifen in Schweden nuͤtzlich feyn fünnen. 
— Uebrigenö werde id) ewig Euer Schuldner bleiben, 
denn Shr habt mir das theuerfie Kleinod erhalten.« — 

Mit diefen Worten umarmte. der Herzog den be= 
wegten und tiefbefhämten Süngling, auf welchen alle 
Blide ſich Ienkten und der Feine Rede finden Eonnte. 
Aud die Herzogin bot ihm die Hand zum Kuffe, und 
die ſchoͤne Freya blidte ihn fanft durchdringend an, 
indem fie fi) mit den jüngeren Damen entfernte und 
in den Garten begab. — 

Die Waldhörner ließen fich von neuem vernehmen, 
und der Abend warb bei Hofe mit einem Bankett 
und Reigen befchlofien, dazu Freya zuerfi Erwin 
aufnahm, und ihn fo ald ihren Retter öffentlich ehrte.« — 


24 


Zweites Kapitel. 


——u 


Erſt ſpaͤt ward unſer Freund von der hereintretenden 
Sonne geweckt, da er durch die Ermuͤdung des geſtri— 
gen Tages zu feſt geſchlafen hatte. Faſt erſchrak er 
uͤber die große Helle, warf ſich ſchnell in die Kleider 
und eilte mit dem alten Riſſe zur Bauſtelle. Schon 
wartete man auf ihn, und nach ſeinen Befehlen ging 
die Arbeit munter fort, indem er ſich gleich uͤberzeugt 
hatte, daß im Erdgeſchoſſe, bei welchem gemauert 
wurde, keine Verbeſſerung mehr zu machen ſey. Auch 
Emund fand ſich bald ein, und die Meiſter gingen 
auf der Bauſtelle mit einander zu Rathe, welche Form 
dem neuen Schloſſe, nach Beſtimmung und Lage, die 
guͤnſtigſte ſey. 

»Ich weiß es wohl,« ſagte Emund unter An— 
dern, »ich weiß es wohl, daß dieſes Schloß nicht wie 
eine gewoͤhnliche Ritterburg gebaut werden muͤſſe, da 
Perſonen aus koͤniglichem Stamme darin wohnen fol- 
len; doch ſchickt es fich auch nicht, Daß es wie ein Re— 
fivenzichloß aufgeführt werde, welches in einer Haupt- 
fladt an einem freien Orte liegt, und deßwegen mit 
feinen Hintergebäuden einen quadratiihen Hofraum 
einfchließt; denn da ift ein Eleines Neich für fih und 
zeigt dem Volke die impofante Fronte. — Die Burg 


25 


aber, mit ihren Gräben, Mauern und Thuͤrmen, ift 
ihon an ſich ein ſolches Reich im platten Lande, wel: 
ches infonderheit mit feinem großen Wachtthurme, dar: 
in auch dad Thor ift, etwas ſehr Abgefchloflenes und 
Gebietended gewinnt, und alfo nur eines Wohnhaufes 
bedarf, darin die Bedürfniffe des Ritters, fammt feiner 
Familie und feines Gefindes, aufd zwedmäßigfte und 
vollfommenfte befriedigt werden koͤnnen. So ift fein 
Hauptcharafter Feftigkeit und Bequemlichkeit, mit der 
möglichften Anmuth verbunden, und ich wählte deßwe— 
gen den römifchebyzantinifchen Styl, welcher vor allen 
Bauftylen das Dauerhafte und Solide ausdrüdt. Der 
deutfche Styl, daß id es Euch gerade heraus fage, 
fheint mir zu kuͤnſtlich, und der antike wieder zu eins 
fach. Der Rundbogen des neugriechifhen Stylö da= 
gegen hält, wie mir dünft, die glüdliche Mitte, wo 
ein behaglicher Lebendgenug, nah Schlachten und 
Abenteuern, fi einfinden möchte. In diefen rundge- 
mwölbten: Hallen ſchmauſet und bankettirt e3 fi um fo 
vergnüglicher, ald fie an dad Rundgewölbe des blauen 
Himmel5 erinnern, unter weldhem oft Mann und Roß 
die Nächte zubringen mußten und vergeblich in Sturm 
und Schneegeftöber ein Obdach fuchten.« 

»Bravo!« verfeßte Erwin, »Ihr habt Euer Wert 
trefflich vertheidigt und ih muß Euch in der Haupt: 
ſache Recht geben, daß eine Nitterwohnung in der 
Burg. fein Refidenzfchloß feyn fol. Daher ift ihr ger 
tingerer Umfang und der Bau ohne Flügel und einges 
beten Schloßhof ganz in der Ordnung; — doch merfet 
nun auch, wo unfere Wege fi fcheiden! ES ift der 


26 


byzantinifhe Rundbogen, welchen ich durchaus nicht, 
wie Ihr, fo im Ganzen als eine edle Form gelten 
Yaffen Kann, wie fehr er auch das Himmelsgewoͤlbe 
nachahmt. Der Rundbogen giebt dem Gebaude immer 
etwas Kellerartiges, und ſchickte fich daher nur für das 
Erdgefihog in einem Schloſſe. Das Zonnengemwölbe 
bat Feine Form, weil es die allgemeinfte nur hat. 
Das Auge findet Feinen Haltpunft, denn die Linie des 
Kreifes hat Feinen Anfang und Fein Ende. Das blaue 
Himmelögewölbe und der funkelnde Sternendom wer: 
ben nur erhaben, weil fie fo fehr groß find. Könnten 
wir ein Rundgemwölbe von fünfhundert Schuhen hoc) 
aufrichten, fo würde es vielleicht ſchon einen ähnlichen 
Eindrud nachbilden; dann thut ed aber nicht das Er- 
habene in der Form, fondern nur das Große in der 
Unform, fo wie auch fihon ein Saal mit platter Dede _ 
von diefer Höhe eine außerordentliche Wirkung hervor: 
bringen müßte, ahnlich, wie jene Koloffe im Sande 
Egyptens; doch dann ift die Kunft zu Ende, denn fie foll 
in der Eleinften Form, wie in der größeften, das Edle und 
Erhabene auöfprechen. Euer Tonnengewölbe alfo Laffe 
ih nur gelten in dem Schloßbau für den Keller und 
höchftens für das Erdgefhoß, fo weit nun eben dieſe 
Arbeit gediehen ift. Für das zweite Stockwerk aber, 
wo der Nitterfaal und die Prunkzimmer feyn follen, 
muß ich den deutfchen Spisbogen, wenn gleich in ei— 
nem fehr abgeftumpften Winkel, anwenden und das 
abgeflachte Kreuzgewoͤlbe fpannen; denn diefe Form, 
welche Mannichfaltigkeit zur Einheit aufs vollfommenfte 
verbindet, ift die ebelfte und großartigfte. Alles Schöne 


27 


und Prächtige, alles Starke und Erhabene Fann fich 
darin nur begrenzen, und jedes Mobil, jedes Ornament 
findet darin feine Stelle; felbft die flachen Kappen bie= 
ten die beften Räume zu Wandgemälden für die Dede 
dar, und die eingemauerten fünffeitigen Pfeilerpros 
file unterbrechen die langen Wandflächen auf anmuthige 
Weife. Die Ampeln und Glaskronen hängen bedeut= 
fam aus den Schlußfteinen der Gurten bis auf die 
Zafel herab, und die Zhüren des Ritterſaales mit ih- 
ren fanften Spisbogen ahmen dieſe Form übereinflims 
mend nah. Da mag in den Wandfeldern der einhei= : 
mifhe Marmor und Porphyr in fehönen Mifchungen 
leuchten und durch ein reizended Farbenfpiel dad Auge 
erfreuen, indem der Geift durch die Form des Ganzen 
befriedigt wird. Im dritten Stodwerk dagegen, wo 
die Wohnzimmer des Ritters und feiner Familie find, 
nehme ich die römifchzantife Form auf und laffe oben 
eine flache Gypsdecke legen, welche fih nur an der 
Wandſeite abwölbt, um den fcharfen Winkel dur ei 
nen Bogenfchlag zu vermitteln. « 

»Ich glaube Euch zu verftehen, « erwieberte Emund, 
und wenn Eure Gedanken mir auch ganz neu find, 
fo haben fie doch eine Klarheit, die mir wohl thut. 
Mas fagt Ihr aber von dem Dache ded Schlofies? 
Soll ed, wie mein Riß, ganz flach feyn, und mit eis 
ner Brüftung umgeben, oder, gut nordiſch, im hohen 
Giebel aufgeführt werden? « 

»Keines von beiden,« verfebte Erwin, »fondern 
eine fanft geneigte Zläche von Granitplatten ſey es, 
damit es gehörig untermölbt werben koͤnne und das 


— 
Regenwaſſer einen Abfluß finde, indem es, mit einem 
Geländer umgeben, die Annehmlichkeit eines orientali— 
fchen Daches behalte. « 

»Gut,« erwiederte Emund, »dem ftimme ich bei. 
Doch was fagt Ihr von den vier Edthürmen ; werdet 
Ihr ihnen, wenn fie überhaupt noch gelten follen, die 
runde Form laflen, oder eine andere geben?« Erwin 
entgegnete: »Bis zur Höhe ded Erdgefchoffed mögen 
fie rund bleiben, wie Ihr fie fhon angelegt habt, denn 
ed ſtimmt mit den Rundbogen und Tonnengewölben 
dieſes ganzen Gefchoffes überein. Doch von da an 
müffen fie ein Siebened bilden, von dem vier Seiten 
im Lichte ftehen, welches ich freilich lieber gleich von 
unten auf aus dem Fundamente aufgeführt hätte; denn 
wiewohl der runde Thurm mit dem Rundbogen der 
Thuͤren- und Fenfterfturze flimmt, fo gehört doch das 
Septagon der Thürme dem ganzen Gebäude an, und 
giebt ihm mit den vier Eden im Lichten eine beſon— 
dere Feftigkeit und Würde. Mag der Herzog entfchei: 
ben, wie es feyn fol. — Es würde viel Zeit- und 
Geldverluft feyn, wenn das Runde abgebrochen werden 
folte; auch kann man es ald einen hohen Sodel be: 
trachten, auf welchem der eigentlihe Thurm ſich erft 
im zweiten Gefchoffe erhebt. Ebenfo müffen auch die 
Thürens und Fenfterfturze, fo wie alle Gewände und 
Verzierungen in den beiden oberen Stockwerken nad) 
diefen Hauptformen fich ummodeln, und deshalb erhal: 
ten die Fenfterluchten des Prunfgefchoffes den abge— 
fiumpften Spigbogen; bie höheren des Wohngefchofles 
dagegen den antiken römifchen Giebel. So, denke ich, 


29 


tommt Sinn und Uebereinftimmung in das Ganze, daß 
es das Auge leicht überfehen kann, indem doch zugleich 
das Eintönige vermieden wird. « 

»Ich merke,« fagte Emund,« daß Eure Anfic- 
ten dem Herzoge gefallen werben, denn fie find’ ver- 
ftandig und eigenthümlich-geiftvol, wie es der Vitruv 
uns nicht lehren kann. So wuͤnſche ih Euch Gluͤck! 
Macht nur, daß Ihr den neuen Riß vollendet, ehe er 
abreifet, damit er nicht verdrießlich werde! Bor allen 
Dingen gebt ihm kurze und Elare Antworten, wenn er 
Euch heute befragt, damit er fogleich eine deutliche 
Ueberficht befomme, denn das wünfht er vorzüglich. 
Wir reden dann mit Muße weiter über das Einzelne, 
und die Arbeit kann ungehindert ihren Fortgang neh— 
men. An Händen und Material wird es und nicht 
fehlen, und fo mag der große Bau in furzem vollen- 
bet daftehen. « 

»Gott gebe ed,« verfeßte Erwin, „denn meines 
Bleibens ift nicht lange hier und eine theure Pflicht 
ruft mih nah Lund zurüd.e Mit diefen Morten 
eilte er auf feine Stube und fing mit Eifer auf einem 
großen Pergamentbogen den neuen Riß zu zeichnen 
an, während Emund bei den Arbeitern blieb und 
nad) wie vor ald Merfmeifter fchaltete. 

Der Herzog hatte unterdeffen auf einer weiten 
Ebene, in der Nähe des Schloffes, die Truppen ge- 
muftert und fie mehrere Bewegungen mathen Laffen, 
welches die DObriften und Hauptleute zu feiner befon= 
dern Zufriedenheit auöführten. Er war bei der hei« 
terften Laune, da er mit ihnen und feinen Söhnen in 


30 


den Burghof zurüdritt, und eine Friegerifche Muſik ver- 
kündigte von fern fchon feine Ankunft. Die lauten 
Hörner und fehmetternden Zrompeten zogen auch Er— 
win von feiner emfigen Arbeit unwillführlich zum Fen= 
fier bin, und er bemerkte mit Vergnügen die Söhne 
des Herzogs ald die fehönften Reiter in der ganzen 
Schaar, indem fie mit großer Leichtigkeit und Behen— 
digfeit ihre muthigen Roſſe tummelten und an ber 
Seite des Vaters fich hielten. Waldemar, der äl- 
tefte, erfchien größer und ftattlicher zu Pferde, als 
feine Brüder; doch ritt Magnus Funftgerechter und 
Erifs Anftand war der anmuthigfte. Die Aehnlich- 
feit diefes Süngften mit feiner Mutter war in Haltung 
und Geberde nicht zu verfennen. Seine zarte, fchlanfe 
Geftalt fchien auf dem Sattel gleihfam nur zu ſchwe— 
ben, wenn Magnus dagegen mit feinem Rofje wie 
aus einem Guffe war und Waldemar durch feften 
Schluß und ftarfe Schenkelfraft ſich als feinen Herrn 
zeigte, ba er das Feuchende und fhäumende Pferd ge- 
waltfam unterjochte. Birger dagegen faß bewegungs= 
los in filberner Rüftung auf feinem ftarfen Rappen, 
wie ein eherner Mann, und nur feine Augen neigten 
fich freundlich nach den ftreitbaren Söhnen hin. Die 
Grafen und Ritter in ihren blißenden Rüftungen um— 
ringten ihn vor dem Schloffe in einem großen Halb— 
freife und machten eine fo imponirende Gruppe um ih 
ren Serrfcher her, daß Erwin in diefem Schaufpiele 
Friegerifcher Pracht ganz wie verfunfen war. Der junge 
Erik fah ihn am Fenfter ftehen und nidte ihm freund: 
lich zu, da er ſich am geftrigen Abend lange mit ihm 


31 


unterhalten hatte und manche ragen über deutſche— 
Sitte und Kunft an ihn gethan. Er fchien ſchon ein 
techtes Vertrauen zu unferm Freunde gewonnen zu 
haben, und eilte aldbald zu ihm hinauf, ald der Herzog 
mit feinen Begleitern abgefeflen war und die Schloß: 
treppe hinanftieg, indem die Söhne ihm auf dem Fuße 
folgten. 

»Da bin ich,* rief Erik, eintretend, »und komme, 
wie id es Dir geftern verfprochen abe: um Deinen 
fhönen Riß zu befehen. « 

» Shr werdet, Prinz, noch nicht viel fehen Fönnen, « 
verfeßte Erwin freundlich,« denn es ift diefen Morgen 
erſt der Anfang gemacht, und ein folhes Ding will 
feine Zeit haben. « 

»Doch, doch, erwiederte Erik mit feiner freundli⸗ 
hen Offenheit, »da fteigen ſchon die fchönen Spiß- 
bogen auf, von denen Ihr mir erzählt habt, und die 
edigen Thürme mit ihren hohen Fenfterrofen. Ich 
mag daS lieber, ald jenes Runde, dabei mir ſchwindlig 
werden Fönnte.«e So redete er weiter, in einem fort, 
und that manche unbefangene Frage, welche Erwin 
um fo lieber beantwortete, ald auch feine Stimme lieb— 
lich, wie ein Echo aus der Ferne, tönte. Unterdeſſen 
wurden fie zur Tafel gerufen, der junge Prinz faßte 
Erwin fröhlich unter den Arm und führte ihn in den 
Speifefaal. 

»Da fommt die Jugend mit der Baufunft,« rief der 
Narr, »was wird das für eine Ehe geben?« — » Eine 
befiere, Joͤns,« verfegte Erik lachend, »als Du mit 
Deinen Bachftelzen, welche Deine Meifter find. « 


32 


Der Herzog begrüßte unfern Freund mit offener 
Güte; er reichte ihm die Hand wie einem Hausgenof- 
fen und fragte ihn, wie ed mit feiner Arbeit ftehe? 

»Der Anfang ift gemacht,« verfekte Erwin, »und 
ich hoffe, Euch, gnädiger Herr, noch heute Abend das 
Allgemeinfte des Aufriffes vorlegen zu koͤnnen, um 
meine Anficht deutlih zu madhen.« Er wollte weiter 
reden, aber der Herzog wandte fi) von ihm zu den 
Damen, welche eben mit der Herzogin und feiner Toch— 
ter eintraten, und denen alle Anweſende mit tiefer Ber- 
beugung ehrerbietigft Raum madıten, um fid zur Ta— 
fel niederzulaffen. Erwin fand feinen Plab unten 
am Zifche neben Lido und? Emund, und war mit 
feiner Stelle ganz wohl zufrieden, da er mit dieſen 
Männern, welche ihn beide eigenthümlich anzogen, fich 
ungezwungen unterhalten Fonnte. Unter den vornehm— 
ften Gäften, welche heute die Gefellfchaft vermehrten, bes 
merkte er mit Vergnügen mehrere der Folkunger mit 
ihren Frauen, bie er gleich anfangs fchon in Lund an 
dem Zifche des Erzbifchofs gefchen hatte; Doch erfchie- 
nen fie ihm bier viel flolzer und wilder, wie Pflanzen 
auf einheimifchem Boden, wenn gleich die höfifche Sitte 
fie in ihren feften Schranken hielt. Es war, als wenn 
fie ihn nicht mehr fannten, obgleich er öfter bei Se— 
renius mit ihnen geredet und manchen Rath für ihre 
Bauwerke ihnen ertheilt hatte. Worzüglich aber er— 
weckte ein Eleiner, altliher Mann in fchwarzer Nord— 
land3tracht, welcher mit goldenen Ketten überladen 
war und neben dem Herzoge faß, feine befondere Auf- 
merffamfeit, da Birger-Jarl fich angelegentlihfi mit 


33 


ihm allein unterhielt. Yon Lido erfuhr er bald, daß 
ed der norwegiſche Gefandte ſey, welcher mit wichti- 
gen Aufträgen heute angelangt wäre und nad) ber Ta⸗ 
fel mit. dem Herzoge eine geheime Konferenz haben 
würde: Er fey des Königs Haͤkan rechter Arm, heiße 
Thorlag und regiere eigentlich die Normannen. 

Noch fiel ihm die adelige Schönheit eines jungen 
Mannes auf, welcher neben des Herzogs Tochter faß 
und fie mit großer Lebhaftigkeit unterhielt. Emund 
nannte ihm denfelben, als aus dem dälteften Gefchlechte 
ver ſchwediſchen Grafen und einen Better der Herzo: 
gin, Arel Bande »So if ein Bauer denn in 
Schweden der ältefte Edelmann, wie auch billig,« feßte 
Emund lähelnd ‚hinzu. Doch Erwin fühlte feinen 
Bufen gepreßt und konnte den harmlofen Scherz; we: 
der aufnehmen, noch erwiedern. Es duͤnkte ihm, als 
ftehe der junge Graf ihr zu nahe und als fey etwas Un: 
reines, ja Berführendes in feinen Blicken und. Reden, 
welches diefe Wunderblume, Freya, beflede und dem 
Herzoge mißfällig feyn müfle. Er hätte fie auf der 
Stelle mit: Gefahr feines Lebens. von diefem Beiſitzer 
befreien mögen, fo wie früher fein Arm von dem Baͤ⸗ 
ren fie befreit hatte. 

‘Unter dieſen ernften —— rief ihm uͤber 
Tafel ein Folkunger zu, welcher ihn fruͤher nicht zu 
kennen ſchien, dem nun aber der Wein die Zunge geloͤ⸗ 
fet und das Verſtaͤndniß geöffnet hatte: »Wo habt Ihr 
denn ‚Euren fangfertigen und liederkundigen Freund; 
den Maler Hubert, gelaflen?« Erwin erzählte, daß 
er noh in Sfenninge fey, um dem Karbinal ein 

Erwin von Steinbach. II. F 3 


34 ’ 


— “ 2— 





großes Gemaͤlde der Kirchenverſammlung anzufertigen, 
aber nach Vollendung deſſelben ihm nachfolgen wuͤrde. 

„Nun,« verſetzte jener, »es waͤre geſcheuter gewe—⸗ 
ſen, daß er Euch gleich begleitet haͤtte, um uns ſtatt 
deſſen ein Trinklied anzufertigen; denn jene fluchwuͤrdi— 
gen Thaten der Kirchenverſammlung, als Aufhebung 
der Naturgeſetze, verdienen kein Andenken von dem Mei— 
ſterpinſel eines Malers. Sie ſollten an die Wand mit 
Kohle geſchmiert werden.« 

Der Narr ſprach: »Es iſt ſchade, Daß Euer Gna— 
den nicht dort waren; Sie haͤtten ihnen die Naturge— 
ſetze in Erinnerung bringen koͤnnen, und aus der Fin— 
ſterniß des Pfaffenthums mit Ihrer rubinrothen Naſe 
zur wahren Aufklaͤrung ihnen den Weg zeigen follen. « 

»Bravo, Joͤns!« rief der Herzog. Alle lachten, 
und felbft der alte ernfte Gefandte verzog den Mund 
zu einem Lächeln, welches aber wie ein Sonnenblid 
durch eine Gewitterwolke ausfahb und glei) wieder in 
einen noch ftrengeren Ernft zurüdfanl. Erwin be— 
merkte, wie die Prinzeffin denfelben öfter aͤngſtlich ans 
blickte, als wolle fie aus feinen düftern Mienen etwas 
Verhaͤngnißvolles lefen, und die Farbe dann ſchnell wech: 
felte, indem es ihr fehr nahe anzugehen fhien. Auch 
diefes beunruhigte ihn fehr, und fo wurde fein Herz 
und Gemüth, während die Gäfte beim guten Weine 
der harmlofen Fröhlichkeit Raum gaben, mannichfaltig 
und fchmerzuoll bewegt. Unterdefien ftimmte die Zafel- 
mufif an, welche aus Hoboen und Klarinetten beftand, 
als, nach alter Sitte, der wilde Eberskopf mit ber 3i- 
trone im Maule aufgetragen wurde, und zwei Sfalden 


35 


— — — — — — 


hereintraten, um den Sagemund ertoͤnen zu laſſen. 
Ihre Lieder galten diesmal den Siegeszuͤgen der Schwe— 
den gegen die Finnen, welche als Zauberer verrufen 
waren, und ſie ſchilderten mit ſtarken Farben, wie das 
unverzagte Heldenthum der Nordlandsmaͤnner alle ihre 
Teufelskuͤnſte uͤberwunden habe. Die Blasinſtrumente 
begleiteten ſanft ihre großartig-klagenden Stimmen, fo . 
daß es faft Tautete, wie dad Gefchrei der Tauchervoͤgel 
im Spätherbft, und einen fehr ernften, ja feierlichen 
Eindrud zurüdließ. Zuletzt wurden noch launige und 
fröhliche Trinklieder angeftimmt, darin die mehrften 
Ritter mit einfielen, fo daß es einen raufchenden Chor 
gab, welcher durch die ganze Kraft der Blasmuſik ver: 
ftärkt, faft fchmetternd wurde. Im fauteften Zubel er: 
hoben fi der Herzog und feine Gemahlin von ber 
Tafel, und Alle folgten ihnen mit gemeßnen Schritten 
in die Nebenzimmer. Die Muſik fhwieg, die Skalden 
traten ab, und es fiel plößlich ein fo firenger Ernft und 
eine fo tiefe Stille ein, ald wenn nie eine Freude das 
gewefen ſey. Erwin mußte wieder feined Freundes 
Konrad gedenken, welder den Charakter dieſes Volks 
mit einem Knalle verglichen hatte. Wirklich waren 
feine Ohren gewaltfam erfchüttert, doch ließ es Feine 
Spur der Fröhlichkeit in feinem Gemüthe zurüd, 

Der Herzog begab fich fofort mit dem normegi: 
fhen Gefandten zur geheimen Konferenz in fein Kabi- 
net, die Gefellfchaft zerfireuete fih, und Erwin ging 
auf fein Zimmer, um, wo möglich, den Aufriß des 
Schloſſes in feinen Hauptverhältniffen bis Abend zu 
vollenden, wenn etwa der Herzog ihn noch zu ſehen 

3* 


36 


wünfchen follte. Er fuchte ſich alle Gedanken an Die 
fhöne Iduna, wie Öfters der fürfiliche Water fie bei 
ihrem zweiten Namen nannte, aus dem Sinne zu ſchla— 
gen, und arbeitete um fo emfiger an feinem Bauriffe, 
ald er darin das einzige Mittel fand, fein tief aufge: 
regted Gemüth zu beruhigen. Er wußte nicht, was er 
von ſich felbft denken follte, da er Hildegard fo in: 
nig liebte; diefe hohe Fremde aber durch Stand, Volk 
und Beruf, wie Durch eine unendliche Kluft, von ihm 
gefhieden war, und er auch niemals hoffen- durfte, ihr 
näher zu kommen. Er fchalt fih bitter über diefen 
thörichten Wankelmuth und es dünfte ihm, ald wenn 
ein verfuchender Geift aus dem Boden diefed fremden 
Landes vor ihm auffleige, um ihn zum Abfalle von 
feiner erften Liebe zu verleiten, und dann elend zu ma= 
chen. Er glaubte, wenn er nur erft wieder auf Deut: 
fcher Erde ftehe, fo würden auch die deutfchen Em— 
pfindungen in ihm Raum finden und alles Ausländifche 
mit feinen magifchen Reizungen verdrängen. 

Unter folhen Betrachtungen und Selbftgefprächen, 
dabei feine Arbeit jedoch nicht verfäumt wurde, fondern 
um fo rafcheren Fortgang nahm, war es Abend ge— 
worden. Schon fanden die edlen Fenfterbogen und 
MWandfelder im Prunfgefchoffe, fauber gezeichnet, da; 
fhon fliegen die fiebenedigen Thuͤrme mit zarten Durch— 
brechungen und fchönem Laubwerk Fühn in die Höhe; 
felbft die Flachbilder an den ehernen Thüren der präch- 
tigen Portale waren geiftreich angedeutet, und die Hel— 
denftatuen auf der gegiebelten Fronte des Daches nicht 
veraeflen. — Da war die Sonne gefunfen und im ret- 


37 


nen Abendrothe dünfte es ihm, als fähe er Hilde: 
gards edle Geftalt vorüber ſchweben; fie winkte ihm 
mit der Hand nad) Deutfhland hin, und eine fanfte 
Thraͤne des reinften Mitleids fchien in ihren Flaren und 
ernften Augen zu beben. Sie ſchwebte immer höher nach 
Süden zu über Land und Meer, und immer ernfter und 
verklärter firahlten ihre Blide zu ihm nieder. — Es 
war eine Bifion der gefpannten Sinne. — Er. öffnete 
weit die Augen und blidte flaunend noch einmal bin; 
da war alles verfehmunden ; aber die Stubenthüre oͤff— 
nete fich ftatt deſſen, und der Lieblihe Prinz Erik 
trat herein, und lud ihn ein, einen Spaßierritt mit 
feinem Water zu machen, da derfelbe fo eben erft feine 
Gefhäfte mit dem Gefandten beendet habe, und über 
den Schloßbau ihn noch heute ungeftört zu fprechen 
wuͤnſche. 

»Niemand reitet mit, als ich und meine Schwe— 
ſter,“ ſagte Erik, »ſo kannſt Du Alles zum Vater 
frei heraus reden, denn wir find Deine Freunde.« 

Erwin war wie im Traume, und eilte die Schloß - 
treppe hinunter, ohne die Stufen zu bemerfen. Es war 
ihm, als. wenn fein Leib Flügel empfangen hätte, und 
feine Seele die Gabe, das Unbegreifliche leicht und na 
türlich zu verknüpfen. Schon ftand er unten am Por- 
tale des alten Schloffed, und ein Stalllnedht hielt fein 
Dferd für ihn bereit, der Herzog ſchwang fich fo eben 
auf feinen Rothfchimmel, und die fhöne Iduna bielt 
Schon neben dem Bater auf ihrem Zelter, unbeweglich, 
wie ein Bild aus alter Zeit der ritterlichen Minne, 
Erik eilte ihm nach, und beftieg ein leichtes Rößlein, 


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wahrend Er win ſchon im Sattel ſaß und den Herzog 
begrüßte. 

»So ift der Tag verftrichen,« fagte der Herzog, 
»und ich habe Feines Augenblides Meifter werben koͤn— 
nen, um über den Bau ungeftört mit Euch zu reden. 
Stark drängen ficy die Begebenheiten, taufend Dinge 
find zu beachten, und es ift fürd erfte an feine Ruhe 
zu denfen. Doch auch im Fluge fol ed und gelingen, 
das Nothmwendigfte vor meiner Reife abzufprechen, und 
fo habe ich mich eigentli) von dem Gefandten und den 
Damen weggefchlichen, um mit Euch einmal allein zu 
feyn.« 

Der Herzog Birger gab nach diefen Worten fei- 
nem Pferde Die Sporen und Erwin, wie bie fürftli- 
chen Kinder, mußten fo ſchnell ihm folgen, daß fie ſchon 
in wenigen Minuten dad Schloß Bielbo mit feinen 
Umgebungen aus den Augen verloren hatten und, von 
einem hoben Waldrüden verbedt, an dem Ufer bes 
großen, flilen Sees fich befanden; doc auf der entge= 
gengefegten Seite des Wegs, welden Erwin gefom- 
men war. E8 bildete eine ungemein ruhige Landfchaft. 
Der ftille, gelbe Abend flieg über dad hohe dunkle 
MWaldgebirge fo ahnungsvoll auf; die Wellen fpielten 
und plätfcherten fo harmlos am Seerande, wie vie 
Freuden der Kindheit, und liefen, wo der Weg dicht 
neben dem Waſſer hinführte, bis an die Hufe der Pferde. 
Der Herzog rief Erwin an feine Seite, indem er 
Freya und Erik voranreiten ließ, ‚wo der Weg 
fhmäler wurde. Er ſprach zu ihm vertraulih: »Nun 
faget mir, werther Meifter, in Elaren, bündigen Wor: 


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ten, wie Shr den Bauplan angelegt habt, und was Ihr 
an Emunds KRiffe verändern wollt. Ihr habt volle 
Sreiheit, Alles umzumerfen.« 

Erwin nahm fid) zufammen, und wiederholte furz 
und beutlih, was er fhon mit Emund bdurchgefpro: 
hen hatte, und berief fih auf feinen Riß zu Haufe, 
welcher Alles anſchaulich mahen würde. Auch vergaß 
er nicht der Edthürme zu erwähnen, und über die ſchon 
aufgemauerte Rundung des Herzogs Entiheidung zu 
verlangen, indem er fie eine hohe Baſe nannte, welche 
fehr wohl mit dem Siebened beftehen könne. 

» Gut,« verfegte der Herzog, »Ihr nehmt ed wie 
aus meiner Seele, denn die langweiligen Rundbogen 
waren mir verhaßt; fie gehören in den Keller und in 
das Erdgefchoß, diefe Zonnengewölbe. Das Großartige 
der Form bewegt ſich allerdings nur im Spisbogen, fo 
wie dad Starke und Wohnlihe im römischen Sturz; 
auch das Siebeneck der Thürme ift fehr nach meinem 
Sinne, und wird, mit den vier Seiten im Lichten, eine 
würdige und bedeutende Erſcheinung machen. Nur eins 
babe ich wider Euh: Die Prunkgemäcer mit dem 
Kitterfaal müffen nicht im zweiten Gefchoß, fondern im 
dritten feyn, nach der alten Sitte, welche auch einen 
guten Grund hat. Die Mutter mit dem Kindlein darf 
nicht fo hoch alle Tage fteigen, ift auch näher bei ihrem 
Gefinde und ihrer Wirthfchaft, kann ein fchärferes Auge 
auf ihre Vorraͤthe haben, und der Ritter wohnt beque— 
mer mit feiner Familie. Gilt ed einmal ein Feft und 
tommen Gäfte, fo kann man ja immer eine Treppe hoͤ— 
ber fteigen, um eine ſchoͤnere Auöficht zu genießen, und 


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— — — 





nach vergnuͤglicher Tafel durch die hohen Bogenfenſter 
über Land und Gewaͤſſer hinwegblicken. Das alfo müfs 
fet Ihr ändern!« — 

Erwin warb von der Richtigkeit diefer Anficht 
getroffen, und geftand auch hier, daß in der Baukunft 
immer das Nüslihe dem Schönen vorangehen müfle. 
So verfprad er, den Riß umzuzeichnen, und die Spiß- 
bogenform ind oberftie Stodwerf zu bringen; im mitt- 
leren Dagegen, ald dem bewohnten, den graden Fenſter— 
ſturz und die platte Dede anzuwenden. Der Herzog 
fragte nun nad) feinem Plane über die innere Einrich- 
tung und Folge der Zimmer, welche, wie er äußerte, 
nach dem alten Riffe noch immer etwas Unbeguemes 
habe. Erwin hatte dieſes erwartet, und ließ fich fol- 
gendermaßen vernehmen. 

»Um alle Bedürfniffe der Schloßbewohner zu be- 
friedigen, und das Schöne mit dem Nüblichen zu ver: 
binden, fo ift vielerlei zu bedenken, und doch muß eine 
einfache Hauptidee immer vorwalten. Es ift der Stand, 
die Stellung und ganze Lebensweiſe des Ritterd, fo wie 
feine äußeren VBerhältniffe zum Staate und zur Gefell- 
fchaft. Zwar Eönnen fich diefe WBerhältniffe leicht än- 
bern, doch ich baue immer nur für denjenigen, welcher 
zunächft darin wohnen fol. Euer Stamm ift ein koͤ— 
niglicher, Könige find daraus hervorgegangen und wer- 
den daraus hervorblühen. So muß diefed Gebäude ei- 
nen fehr großen und hohen Ritterfaal haben, wenn gleich 
ed nicht ald ein Refidenzfchlog behandelt werden darf, 
da es nur der Theil einer Burg if. Diefer Saal muß 
die Mitte zu einer Reihe von Gemächern ſeyn, melde 


4 

alle mit ihm zufammenhangen, ohne über die Flur zu 
führen, wenn gleich einzelne Ausgänge von jedem Ge- 
mache nach der Vorhalle gehen müflen. Ein großes, 
Fönigliches Feft muß allen Gäften Raum geben, um die 
heiterfte Freude aufd mwürdigfte und bequemfte zu ge= 
nießen, wie auch, um nach Beendigung befjelben, in 
entfernteren Gemächern der ungeftörten Ruhe zu pflegen. 
Diefe Schlafgemächer der älteren Perfonen müffen alfo 
in den Flügeln liegen, und nach dem Garten hinausſe— 
ben, damit, wenn die Jugend noch in fpäter Stunde 
froh beifammen ift, die würdigen Alten dadurch nicht in 
ihrer Ruhe geftört werden. Jedes Gemach hat nach fei- 
nem Zwecke auch feine befonderen architektonifchen Wand» 
felder und Berzierungen, doch in allen wiederholt fich 
für das Prunfgefchoß die grandiofe abgeplattete Spiß- 
bogenform, welche gleihfam die Tonart angiebt, darin 
gelebt werden fol. Da mögen heitere und prächtige Mo: 
faifbilder die Dielen verzieren ; da prange an den Wand: 
feldern der Marmor, Jaspis und Porphyr in gefchliffnen 
Platten, zu mannichfaltiger Anmuth gemifcht; da werde 
in den gewoͤlbten Deden auf dem naflen Gyps die ebelfte 
Malerei dargeftellt, und jedes Mobil, jedes Ornament 
zeuge von der Würde und dem Reichthum der Bewohner! 
— Selbft die Fenfter im Ritterfaale mögen uns mit lieb- 
lihen Gemälden erfreuen, wenn gleich die mehrften 
Slaöfcheiben Elar bleiben, und einen freien Durchblid 
in die fchöne Gegend gewähren müffen. « 

» Anders ift es mit dem Wohngefchoß ; da ordne ich 
Alles um die Familienftube her, wie dort um den Rit- 
terfaal. Die Töchter wohnen links in den weiblichen 


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Gemaͤchern, nahe ihrer Mutter; die Söhne rechts in 
den männlichen, nahe ihrem Bater und ihren Erziehern! 
Hier ift nur eine einfeitige Folge der Zimmer, da die 
Haudflur mit dem Portale die Fronte des Schloſſes 
zertheilet, und fo auch die Verbindung der weiblichen 
und männlichen Gemächer durchfchneidet, bis fie fich wie— 
der in der Familienftube, welche am Ende der obern 
Flur dem Portale gegenüber liegt, freundlich vereini= 
gen. Sie fieht nach dem Garten über den Kleinen See 
und liegt nad) Morgen, fo wie der Ritterfaal nach Abend 
über den Burghof nad) der Straße und dem größeren 
See blidt; denn die Familienftube muß ein flilles Hei- 
ligthum bleiben, welches mit der Straße und der lauten 
Melt nichts gemein hat! — Möge der Thürmer auf 
feiner hohen Warte wachen, und der Ritter aus feinem 
Gemache die Signale beobachten; möge er die Roſſe 
auf dem Schloßhofe tummeln fehen, und feiner Knap— 
pen und Reiſigen, feiner Jäger und Hunde fich freuen: 
— die Hausfrau mit den Kindern werde dadurch nicht 
beunruhigt, fondern erziehe die Kleinen am Worte des 
Lebens, und pflege ungeftört ihres Hauswefens. « 

»So verfchieden müffen denn auch die architeftoni- 
fhen Berzierungen in dieſen Wohngemäcern feyn, 
wenn gleich alle nur die. einfache römifche Form der 
horizontalen und lothrechten Linie audfprechen follen. 
Dad mag Euch die Zeichnung deutlicher fagen, als 
meine Worte ed Finnen. Alle Vorräthe endlich find 
für die Keller. Auch das Dienftperfonal, fo wie die 
Küche und die Beamtenftuben, find im Erdgeſchoſſe 
anzubringen, wo denn die Rundbogenform in allen 


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— — — — — — 


Verhaͤltniſſen vorwaltet, wie es ſchon dafteht.« — 

»Und die Waffenkammer,« fragte Birger Jarl, 
»und die Kapelle und das Burgverließ, habt Ihr ganz 
ſie vergeſſen?« 

»Nein,“« verſetzte Erwin ſchnell, »die Waffenkam— 
mer ſey in dem ſuͤdlichen Thurme, damit der Stahl 
nicht rofte; dad Burgverließ aber in dem nördlichen, 
damit die Sonne den Berbrecher nicht befcheine; die 
ehrenvolle, ritterlihe Daft aber fey im den weftlichen 
und öftlichen Thuͤrmen, oder in den angrenzenden Fluͤ— 
gelgemächern des dritten Geſchoſſes. Die Kapelle endlich 
ließe fih dem Schloffe nah Dften im Halbkreife an, 
und made eine würdige Erfcheinung, wie es einem 
Gotteshaufe gebührt und zur Andacht erfordert wird.« 

»Wohl,« ſprach der Herzog fehr vergnügt, »Ihr 
habt mir Alles klar gemacht, und ich freue mich auf 
den ausgezeichneten Schloßriß ganz befonders, um ihn 
meiner Ingeborg vorlegen zu fönnen. Aber num 
laßt und nad) Haufe eilen, da die Gefellfhaft auf uns 
warten wird. « 

Mit diefen Worten gab er dem Pferde die Sporen 
und fprengte fo fchnell davon, dag nur Erwin ihm 
zu folgen vermochte; Erik und Freya aber weit zu— 
rüdblieben. Wie gern hätte unfer Freund bei ihnen 
verweilet; aber der Herzog gebot ihm, zu folgen, und 
führte ihn felbft am Arm zur Gefellihaft, wo man 
wirklich ſchon mit Sorge auf den hohen Hausherrn ge— 
wartet hatte. 


44 » 


— — —— — — nn 


Drittes Kapitel. 


— — — —— 


Mehrere Tage hatte unfer Freund fehr einfam verlebt, 
da er felbft nicht bei Zafel erfihien und fi) die Spei- 
fen aufs Zimmer tragen ließ, um bei feiner dringenden 
Arbeit nicht unterbrochen zu werben ; denn er gedachte 
fie vor der Abreife des Herzogs noch zu vollenden. — 
Niemanden fah er, ad Emund und Prinz Erik, 
welche ihn in der Dämmerftunde zu befuchen pflegten, 
um fich über die Zagöbegebenheiten mit ihm zu unter= 
halten. — Bon Erif erfuhr er denn auch, daß der 
fehr befchäftigte Water fich öfter bei ihm nach dem 
Fortgange des Riſſes erfundiget habe, und begierig 
fey, ihn fertig zu fehen, ehe er ins Feld rüde. — 
Der größte Theil der Truppen war fchon nach 
Tawaſtland aufgebrochen; nur der Generalftab mit 
den Leibwachen ‚und den Scharffchüßen weilten noch 
beim Herzoge, und waren in der Umgegend einquartirt. 
— Das Schloß füllte fi) immer mehr mit hoben &ä- 
fien, und das Ganze gab unferem Freunde, wenn er 
aus feinem Erferftübchen auf den Burghof nieder: 
blidte, eine heitere und prächtige Erfheinung, welche 
den ftrengen Ernft in einem leichten Spiele zu verhuͤl— 
len fchien. — Er fah, wie die jungen Ritter fi) mit 
Zurniren beluftigten, und auf dem weiten Plane man: 
che Lanze brachen. Er hoͤrte am Abend die lieblichen 


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Waldhörner, wenn der Herzog mit feinem Gefolge von 
der Heerfchau und ben Kriegsübungen zurüdkehtte ; 
dann fah er die unteren Säle ſtark erleuchtet, dahin 
fih die jungen Ritter und Damen der Umgegend zum 
Tanze verfammelten. Die fröhliche Blasmuſik ertönte ; 
die fehönen männlichen Geftalten in ihren Prunfge- 
wändern, wie fie die Schloßtreppe hinaufeilten, zogen 
ihn an; Alles fchien Luft und Wonne zu feyn, und 
der nahe blutige Krieg ganz vergeflen. — 

Defter fehnte fih Erwin hinunter in Die erleuch- 
teten Kreife und zur belebenden Mufit hin, und das 
Herz ward ihm groß im Verlangen, die fchöne Freya 
tanzen zu fehen, fo daß er kaum den Findlichen Bitten 
des Prinzen Erik widerſtehen konnte, welcher ihn oft 
mit fich führen wollte. Aber feine Arbeit hielt ihn zu— 
ruf, und der ernfte Zweck, dem Herzoge gefällig zu 
ſeyn, ftärfte ihn, wider feine Neigung zu Eämpfen, 
fo daß er dann feinen Fleiß noch verdoppelte. — 

Selbft Emund war über die fchnellen Fortfchritte 
der Zeichnung verwundert, und verficherte, daß er in 
eben fo viel Wochen, als Erwin age dazu brauche, 
fie nicht beenden könnte. — So war es denh unferem 
Freunde gelungen, ded Morgens am lebten Tage vor 
des Herzogs Abreife, die großen, fhön= ausgeführten 
Bauriffe vem Birger Jarl vorlegen zu koͤnnen, da 
diefer eben eine rubige Stunde hatte. Der Herzog 
war überrafcht, indem er ſchon den Wunſch aufgege— 
ben hatte, fie zu fehen, und freute ſich ausnehmend, da 
die Elaren, großen und fauberen Zeichnungen von dem 
Baumeifter ihm entrollt und erflärt wurden. 


„Nein,« rief er aus, »Fommt mit mir zu Inge: 
borg, fie muß es fehen und auch ihre Luft daran ha— 
ben! Was wird fie fagen, daß Alles ſchon fertig ift, 
da fie geftern noch zweifelte, Ihr würdet e$ in einem 
Monate vollenden Fönnen.« — 

Mit diefen Worten 309 ihn Birger Jarl in 
das Gemach ſeiner Gemahlin, in welchem Ingeborg 
mit ihrer Tochter an einer kuͤnſtlichen Stickerei arbeites 
ten und tiber das rafche, ungemeldete Eintreten des 
Herzogs mit dem deutfchen Baumeifter, nicht wenig er= 
ftaunten. Der Herzog bielt die Zeichnungen hoch in 
feiner Hand und rollte fie fofort auf einem fleinernen 
Tiſche aus: »Da feht,« rief er, »Alles ift fertig und 
der fleißige Künftler hat fich felbft übertroffen. « 

Ingeborg und Freya eilten herbei, und be- 
wunderten die zarte Arbeit, indem Birger die Perga: 
mente erklärte. — 

Erwin war befcheiden zurüdgetreten, und ließ: die 
Arbeit für den Meifter reden. 

»Mie Schön ift das Portal und die Treppe, rief 
die Herzogin, »wie herrlich iſt der Ritterſaal, und wie 
zwedmäßig find die angrenzenden Gemäcer geordnet! « 

»Mir gefallen befonders die Thuͤrme amd Spibge: 
wölbe,« fagte der Herzog, »das Starke und Große hat 
darin eine herrfchende Form gewonnen. Und was fagft 
Du, Freya?e fragte er lächelnd, »haft Du nichts zu 
rühmen oder zu tabeln?« 

Die. Prinzeflin erröthete und ſprach: »Das Ganze 
ift fo edel gedacht und fo Eunftvoll ausgeführt, daß ich 
ein Einzelnes nicht hervorzuheben wüßte, wenn es 


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nicht die fehöne Kapelle wäre, deren zarte edle Bauart 
mich ungewöhnlich anzieht, fo daß ich nicht wüßte, et- 
was Aehnlihes jemals gefehen zu haben. Die fchlan- 
ken Säulen und hohen Chorfenfter, die Fühnen Kreuz: 
gewölbe und großartigen Spißbogen, die zarten Durch— 
brehungen der Thuͤrme, und die anmuthigen Gemwände 
der Thüren und Fenfterrofen, Alles erinnert an ein ftil« 
les Heiligthum, wo die arme Seele zu ihrem Gott 
koͤmmt, und ihr Innerfted vor ihm ausfchiitten darf! 
Alle Pracht und Kunft des großen Bauwerks fchwindet 
mir in diefem Einen.«e — 

»Da feht mir die fromme Nonne, welcde immer 
ind Klofter will!« rief der Herzog lächelnd. — » Dann 
hat die Stumme Mund und Weisheit, wo nur von ei: 
ner Kirche die Rede ift! Doch Du haft Recht, Idu— 
na, die Kapelle ift von befonderer Schönheit, und fu: 
chet ihres Gleichen im Schmwedenlande!« — 

Erwin fühlte fich über das Lob der edlen Freya 
hoch beglüdt, fein Auge bligte mit einer Thräne unter 
den langen Wimpern, und er fah unverrüdt auf feine 
Riſſe hin. 

„Nun denn,« fprah Ingeborg, »was fagt der 
Meifter felbft zu feiner Arbeit? Ich wünfchte fie von 
ihm auch erklärt zu hören, da ich fie dann erft meine 
verftehen zu fünnen. « 

„O, erkläret fie und, verehrter Meifter,« ſagte 
Freya mit einem fo bittenden Blife und mit «ifter 
fo lieblihen SHinneigung, daß unferem Freunde das 
Herz woallte und dad Blut in die Wangen flieg. 

» Gern ,« verfeßte er, »mag ed doch zu meiner eig⸗ 


48 


— 


nen Belehrung dienen, mich dem Wuͤrdigſten deutlich 
zu macen.« 

Nun wiederholte er kurz, was er fehon dem Der- 
zoge auf dem Spaßierritte vorgetragen hatte, doch ge— 
wannen feine Worte unbewußt eine eigene tropifche 
Figurlichkeit und Lebendigkeit den hohen Frauen ge= 
genüber, fo daß die Befchreibung nicht nur diefen fehr 
anziehend wurde, fondern auh Birger Jarl mit Ver— 
gnügen zuhörte, als fey ed etwas ihm ganz Neues, 
und endlich lachend ausrief: 

»Shr ſeyd ein verzauberter Zauberer in Euren 
Merken und Worten, Meifter; nur hütet Euch, daß 
fi) die hohen Geifter der Steine, weldhe Ihr fo maͤch— 
tig beberrfchet, nicht einft noch wider Euch felbft keh— 
ren, und den zu fühnen Meifter feindlich anfallen!« — 

Erwin fühlte fi von dieſen geheimnißvollen 
Morten getroffen, doch wußte er nicht warum. — 
Nach einem kurzen Nachdenken fuhr er alfo fort, da 
der Herzog dad Geſprochene felbft nicht zu verftehen 
fchien: . 

»Was dieſem Schloffe zur befonderen Zierde die— 
nen foll, ift die hohe Treppe, welche über das Erdge- 
ſchoß zum Hauptportale führet, und in fanfter Nei— 
gung mit dreißig marmornen Stufen unmittelbar zum 
Wohngeſchoſſe leitet. Der Styl diefer Treppe ift alt: 
griehifch, und dieſer zeichnet fih durd großartige Ein- 
fachheit aus; ihre Seitenwände und Verkleidungen find 
wie; die Stufen, von dem heimifchen graugriünen Mar— 
nor, welcher gute Politur annimmt und der Näffe wi: 
derfieht. Sie erhebt fich ganz über die Rundbogen— 


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form des Erdgefchoffes, und fol in ihrer Struftur 
eine ungemeine Stille und Feftigfeit ausfprechen, gleich 
wie daS Leben des Ritterd mit feiner Familie fih rus 
big und ſtark über das raftlofe Treiber feiner Dienft- 
männer, Beamten und Knechte erhebt. Hier ift das . 
Antike an feiner Stelle, und wird durch dad Säulen- 
portal über die röthlich=marmorne, breite Flur bis 
zur Samilienftube fortgeleitet. Eine heitere Wirklichkeit 
der Form empfange hier die edlen Bewohner ; alle Vers 
hältniffe find Teicht zu überfehen, die grablinigten Wand: 
felder mit flachworfpringenden Pilaftern und hohen Ela: 
ren Benfterluchten erfrifchen dad Auge, ohne es zu be= 
ſchaͤftigen. Es ift eine Vorhalle und ein Durchgang in 
die Wohnzimmer des häuslichen Lebens. — Unter die— 
fer hohen Treppe aber führen Eingänge mit Rundge- 
wölben in die Stuben der Dienftmannen, fo wie in 
den Seitenwänden Nifchen angebracht find, welche das 
Eintönige der großen Flächen unterbrechen und Sta= 
tuen aufbewahren follen. — Noch hat, jeder Flügel des 
Scloffes zwei Fleinere Portale, welche aber auf weni- 
gen fteinernen Stufen in das Erdgefhoß zu den Beam⸗ 
tenftuben führen, aber nicht den Rundbogen, wie dad 
Hauptgebäude, fondern den graden Sturz der Thüren 
und Fenfter erhalten, auch ohne Frontons find. Die 
beiden Flügelgebäude fpringen zurüd und lehnen ſich an 
die Thuͤrme des Hauptgebaͤudes, jedoch fo, daß diefe 
mit vier Seiten frei bleiben. — Das zweite Geſchoß 
der Flügel hat in feinen Fenftern die gleiche Giebelung 
wie das Mohngefhoß ded Hauptgebäudes, und es 
führt durch daflelbe aus den Wohnftuben der männ- 
Erwin von Gteinbach, II. 4 


50 


lichen und‘ weiblichen Glieder der Familie ein lan- 
ger Korrivor, welcher eine öftliche und eine weſtliche 
Zimmerreihe bildet. — Diefe Zimmer in den Flügeln 
find für zahlreiche Gäfte und entferntere Mitglieder ber 
Familie beftimmt, jedoch fo, daß der weibliche Theil 
den füdlichen Flügel, der männliche aber den nördlichen 
einnimmt, und dem männlichen und weiblichen Perfo« 
nale der Familie fi anfchließt. — Im dritten Ge— 
fchofle ift die Struktur der Flügel wie im zweiten, 
und nimmt nicht die Spikbogenform der Prunkgemaͤ— 
cher auf, fondern behält den flachen römifchen Sturz 
der Fenfter. — Diefes Geſchoß ift auch viel niedriger 
als das Prunfgefchog mit dem Nitterfaal, da ed nur 
zu Schlafzimmern angefehener Gäfte dienen foll, und 
hat ftatt ded platten Daches im Hauptgebäude ein ab— 
geftumpftes Giebeldach, deſſen Forſt mit jenem in der 
Fläche gleichlaufend ift, auch wird es vom Korribor, 
eben wie das zweite Gefchoß, durchfchnitten, und bil- 
det eine Reihe öftlicher und weftlicher Stuben, welche 
in den Schloßhof und in den Garten hinabfehen. « 
»Um mich aber nicht länger bei Einzelheiten auf: 
zuhalten,« fuhr Erwin fort, »welched nur für die Da— 
men ermüdend ſeyn dürfte, fo wenden wir und endlich 
zur Kapelle,« indem er ſich mit lebhafterer Stimme 
zu Sreya wandte. — »Man fiehbt hier im Kleinen 
eine Kirche deutfchen Stylö, deren Schiff fi unmits 
telbar dem Schloßgebäude anfchließt, und in ein fie- 
benediged hohes Chor führt. Die Seitenhallen des 
Schiffs fallen hier natürlich weg, auch hat ed nur eine 
gemauerte Schäfte, welche dad Kreuzgewölbe fpannen 


51 


und dur den großen Scheibbogen mit dem Heptagon 
des Chors in Verbindung ftehen. — In diefes Chor 
fällt das Licht aus einer Kuppel durch eine farbige Fen- 
fterrofe gerade von oben ein, indem die Wände mit hel—⸗ 
len geichliffenen Porphyrplatten bekleidet werden follen, 
welche jedoch für ein Gemälde über dem Hochaltar eis 
nen länglichen Spigbogenraum frei laffen. Möge da— 
rin die Verklärung, oder die Himmelfahrt unferes 
Herrn, von Meifterhand dargeftellt werben, dazu ich 
meinen Freund Hubert empfehlen kann. — Einfach 
ift nur die Konftruftion diefer Kapelle, weil fie auf ei— 
nen größeren Tempel mit feinen Ornamenten feinen 
Anfpruch machen darf; doc, hoffe ich, in diefe Einfach— 
heit einen tieferen Sinn zu legen, und in jeder Geftal- 
tung an die ftille häusliche Andacht zu erinnern, welche 
eine andere ift, ald die der großen Gemeine. — Das 
Familienleben fol fi) hier mit dem Firchlichen gleich: 
fam durchdringen und, wenn ich das fchöne Wort wies 
derholen darf, eine arme Seele aus dem engen Leben 
zu ihrem Gott kommen laſſen, um dad Innerfte unges 
ftört vor ihm auszufhütten. Dahin weife Alles in die- 
fen ſtillen Räumen, und Altar, Zaufftein und Predigt: 
ſtuhl machen Eeine weitere Anfprüche, als durch eine 
bedeutfame Einfachheit und Heiterkeit den Geiſt von 
feinen irdifchen Banden zu befreien, und zu einem kind— 
lichen Abba:Rufe zu ermuntern. — Sa, daß ich meine 
Abficht mit einem Worte fage, es fey auch hier eine 
Samilienftube, wo Eltern und Kinder um den himmli= 
fhen Vater ſich verfammeln mögen! Selbft im firen- 
gen und langen Winter habe ich für das gemüthvolle 
4* | 


52 


Zufammenfeyn bier geforgt; metallene Röhren führen 
durch verdedte Deffnungen im Fußboden und in ben 
Seitenwänden die erwärmte Luft zu dieſem heiligen 
Raume; fo daß auch der. Leib, indem die Seele fich 
auffchwingt, einer angenehmen Wärme ſich erfreuen kann, 
und vor dem Bilde der Gnadenreichen ein immerwäh- 
render Flor der fchönften Blumen und Gewächfe fich 
entfalte. — Die farbigen Fenfterfcheiben gewähren kei— 
nen Blick nad außen hin, doch ein warmes und ern=- 
fies Licht erfülle durch fie die Hallen und lode den 
Geift des Erdbewohners in das ewige, himmlifche Pas 
radies, das Fein Auge gefehen hat, aber geoffenbaret ift 
durch das Wort Gottes!« — 

Unfer Freund ſchwieg gerührt, denn es hatte ihn 
ber fromme Ausdrud feiner Rede felbft überrafcht. Der 
Herzog war fehr ernfl geworden, die Herzogin danfte 
ihm für feine anfchauliche Befchreibung mit den freund 
lichſten Worten, Freya aber war tief in ſich verfunfen 
und große Thränen drängten fich aus ihren ftillen Aus 
gen und floffen über die blühenden Wangen hin. 

» Gut,« fagte der Herzog, welcher mit einiger Un: 
ruhe feine Zochter beobachtet hatte, »ich danke Euch, 
wie wir Alle, und der befte Dank für den edlen Künft- 
ler ift unfere warme Theilnahme an feinem Werke. — 
Legt die Hand an und vollendet, was Ihr gedacht 
hbabt!« — 

»Doch jest laßt und zur Tafel gehen, da die Gäfte 
Ihon warten und die Morgenftunden zu fchnell uns 
verfloffen find.«— Zugleich rührte er eine filberne Glocke 
und die Flügelthüren öffneten fich zum Speifefaal, in 


93 


welchen zuerft die Herzogin mit Freya zu den Frem- 
den eintrat, und dann der Herzog mit Erwin, nad): 
folgte. — Nach den erften Begrüßungen ſetzte man fich 
und Erwin erhielt feinen Plaß bei Rath Lido und 
Prinz Erik, da der liebliche Knabe fich zu ihm drängte 
und Emund heute nicht bei Zifche war. — 

Es hatte fih der gefellige Kreis in den letzten 
Tagen bedeutend verändert, wie unfer Freund nun erft 
bemerfte, da er feither nicht daran Xheil genommen, 
und ein einfiedlerifches Leben geführt hatte. — Der 
norwegifche Gefandte war mit feinem Gefolge abge 
reift; auch mehrere Häuptlinge der Folkunger waren 
verfchmunden und, wie Lido ihm anvertraute, nicht 
aus den beften Gründen, weil fie vergeblich verfucht 
hätten, den Birger Jarl vom alten Könige abzu— 
ziehen, und nun deshalb zu Holmgeir, dem Sohne 
Knuths, fih begeben hätten. — Auch den jungen 
Grafen Arel Bonde fand er nicht mehr, und fühlte 
fein Herz dadurch erleichtert. — Statt deffen war, zu 
feiner Verwunderung, der Gefandte des gebannten rör 
mifchen Kaiferd, Friedrich des zweiten, aus It a— 
lien angelangt, und unter dem Namen Parifius 
eingeführt. Der König Erik hatte ihn eiligft zum 
Herzoge Birger gefandt, denn er war gefommen, um, 
im Auftrage des großen, Doch unglüdlihen Fried- 
rich, Berbindungen mit Schweden, gegen ben 
Papft und Wilhelm von Holland, für das alte 
Kaiferhaus der Hohenftaufen anzufnüpfen und Huͤlfs⸗ 
völfer aus den Nordlanden für feinen Sohn Kon: 
rad herbeizufchaffen. ! 


54 


Birger Sarl nahm ihn ehrenvoll auf, und feßte 
ihn bei Zafel an feine Seite, indem er fi) genau nach 
den Kriegsläufen in Deutfchland erfundigte, und das 
Unglüd des großen Friedrich theilnehmend bedauer- 
te. — Parifius war ein ftattlicher, heitrer Mann, 
von klugem und vorfichtigem Benehmen, fo daß er ſich 
allgemeine Achtung in Schweden erwarb, und des 
Herzogs ganzen Beifall gewann. — Nur der Krieg mit 
den Zamaftern, und die innern Unruhen Schwe— 
dens, wo Holmgeir noch immer einen flarfen An— 
bang hatte, verhinderten den Herzog, wie er ihm ver- 
fiherte, der gerechten Sache der Hohenftaufen mit 
einem Kriegsheere zu Hülfe zu eilen; doch verfprach er 
feinen Beiftand auf beffere Zeiten. — Der Gefandte 
erging fi) mit geläufiger Zunge über die wichtigften 
Melthändel, indem er theild Yateinifch, theils ſchwediſch 
redete, und zeigte fo viel gründliche Einfiht mit leich- 
ter Ueberficht verbunden, daß er alle Aufmerkfamkeit 
der Gefelfchaft an ſich zog, und von der Lebenöweife 
feines Faiferlihen Herrn manches zu erzählen aufgefor- 
dert wurde. — Er befchrieb mit lebhaften Farben Fried- 
rich8 Liebe für die Wiffenfchaften und Künfte, fo wie 
für alles Große, Schöne und Gute, welches bei ihm 
noch in Bologna die wärmfte Aufnahme finde, wie 
er denn bort einen Kreis der erften Künftler, Dichter 
und Gelehrten um fich verfammelt halte, unter denen 
er noch immer, durch feine feltenen Kenntniffe und ſchoͤ— 
nen Gaben, ald ein Stern erfter Größe hervorleuchte, 
und, nachdem er von der politifchen Höhe herabgefun- ' 


55 


fen ſey, um fo höher ald Menfch zu einem Gipfel der 
geiftigen Größe fih aufgefehwungen habe. — 

Erwin freute fi, in dem Gefandten einen Lands⸗ 
mann zu finden, obgleih Parifius wenig Deutfches 
in feiner Art und Weife bliden ließ, und flatt deſſen 
die pifante, etwas übertreibende italienifhe Manier 
angenommen hatte. — Der Herzog machte unferen 
Freund bald mit ihm bekannt, indem er ihn demfelben 
als einen vorzüglichen Baumeifter aus der Kölner Schule 
vorftelte, und zog ihn lebhaft mit ins Geſpraͤch. — 
Der Gefandte redete ihn nun deutfch an, bezeugte ſich 
fehr überrafcht, einen Landsmann im hohen Norden zu 
finden, und fprach manches über vaterländifche Baus 
kunſt, welches allerlei Kenntniffe verrieth, indem er zu— 
legt beiläufig erwähnte, daß er noch Fürzlich den gro— 
gen Meifter Dieterih zu Köln gefprochen und 
in gutem Wohlfeyn gefunden habe. Erwin Flopfte 
Das Herz, es waren die erften Nachrichten aus der Hei— 
math. So gern hätte er auh nah Hildegard ge— 
fragt, aber er wagte ed nicht. — Der Gefandte Fam 
ihm entgegen, indem er von einer Waflerfahrt erzählte, 
Die er mit mehreren Freunden nad dem Landgute des 
Architekten unternommen habe, wo er denn auch das 
feltene Vergnügen genoffen, die fchöne Tochter deffelben 
zu fehen, welche feit der Abreife eined Freundes, wie 
man fage, fih ganz in die Einfamkfeit zurüdgezogen 
habe. Ich glaube, fie heißt Hildegard, fehte er 
hinzu, und ift eines fo berühmten Vaters würdiged und: 
einziges Kind. Wohl werdet Ihr fie kennen, wenn 
Ihr unter Dieterich gearbeitet habt, denn wer fie 


56 


einmal fah, kann fie fehmwerlich wieder vergeflen. Er— 
win erröthete, und der Gefanbte fuhr ſcherzend fort: 
»Ja, ja, ich fehe ihre Augenpfeile find auch in Euer 
Herz geflogen, und Ihr dürft Euch deſſen nicht ſchaͤ— 
men, da fie fehon viele der edelften Juͤnglinge Kölns 
bi8 auf den Tod verwundet haben. — Doch ift fie 
firenge und Eeufch, wie die heilige Drachentreterin Mar« 
garetha, und Niemand darf fi einer Gunft von ihr 
rühmen. Gie lebt ganz für ihren Vater und bebarf 
der Welt nicht, wie man fagt.« — | 

»Ich kenne fie wohl,« verfeßte Erwin, ber fich 
nun zufammengenommen hatte, und ihres Lobes froh 
ward; »auch theile ich Eure gute Meinung von diefer 
fehr achtbaren Familie, und bin dem Meifter Diete- 
rich fo viel Dank fchuldig, daß ich es ihm niemals ab- 
tragen kann. Daher find Eure Nachrichten mir ein 
unerwarteter Laut aus dem lieben Waterlande, welcher 
mich nicht unbewegt laſſen Eonnte.e — 

»Und der Euch näher angeht, ald wir ed wiſſen 
follen,« erwiederte der Gefandte mit einem freundlich 
durchdringenden Blide; » doch ein Jeder hat feine Ge— 
heimniſſe und muß fie haben, damit dad Leben feine 
Würze behalte. — 

Unterdeffen war man aufgeftanden, und der Her: 
z09 feßte mit Erwin und dem Gefandten dad Ges 
fpräch über Deutfchland fort, indem auch Lido hinzu- 
getreten war, welcher die treffendflen Bemerkungen 
über Volk und Sitten mit einftreuete, wenn gleich die 
Kunftbildung der Deutfchen ihm unbekannter fchien. 

»Was foll man von diefem merkwürdigen Volke 


57 


denken,« fprach er unter Anderem, »in welchem ein Se: 
der fich feine eigene Rede- und Lebensweiſe bildet, ald 
jey er ein zweiter Adam, und fo eben aus des Schöp- 
fers Dand hervorgegangen. So ift ihre Kunft und 
Biffenfchaft immer ein Werk der innerften Perfönlich- 
feit, und gewinnt dadurch ein ganz eigenthümliches Le— 
ben. — Keine Sprache in der Welt ift deshalb für den 
Ausländer ſchwerer zu erlernen, ald die deutfhe, da 
jeder Schriftfteller feine eigene Zunge hat, die von 
neuem ftudirt werden muß. Ich achte daher die Deut: 
ſchen für ein Urvolf, welches mit den romaniſchen 
Stämmen nichts gemein hat. Das beweifen auch 
ihre uralten eligionsbegriffe und Geſetze, melde ei- 
gentlich immer noch durhbliden, und dad Fundament 
ihre Charafterd ausmachen, wie fehr auch die Päpfte 
und römifchen Priefter mit morgenländifchen Mythen 
und Tropen fie zu verbrämen, oder zu verdrängen füs 
chen. Es ift noch immer der Allfader und die Heilig- 
feit der Ehe, und ber Friegerifche Ruhm, und die Treue 
des Volks, die Grundlage aller ihrer Tugenden; fo 
wie der Trunk und das Spiel aller ihrer Laſter. — 
Wohl und, daß wir Skandinapier mit diefem Urvolfe 
aus einer Wurzel entfproffen find, wenn gleich unfere 
Sitten fich viel nördlicher, eintöniger und firenger aus⸗ 
gebildet haben.« — 

Diefes Gefpräh ward durch die Nachricht unter: 
brochen, daß der alte König komme. — Alle eilten ihm 
entgegen. — 


58 


Biertes Kapitel. 


—— —— — — 


Mit den gebuͤhrenden kriegeriſchen Ehren ward von 
Birger Jarl der koͤnigliche Schwager empfangen, in⸗— 
dem er eiligſt die anweſenden Truppen eine Gaſſe ma: 
chen ließ, und mit einer auderlefenen Schaar von Be: 
fehlöhabern und Stabsoffizieren ihm entgegenritt. Mit 
lautem Hörnerfchall holten fie ihn ein, und viel Volks 
aus ber umliegenden Gegend verfammelte fih um den 
alten milden Derrfcher, indem fie ihm die Stiefel füß- 
ten und ein fortwährendes jubelndes Lebehoch zubrach— 
ten. Mit geſenktem Haupte ritt er unter ihnen durch; 
das wenige, weiße Haar fpielte im Abendwinde unter 
dem grünfammtnen Barette, und fein freundlicher Blick, 
in den ſchon gefhwächten Gefichtözügen, welcher auf 
ihnen ruhete, als wären fie alle feine Kinder, zeugte - 
von früheren glüdlichen Tagen. 

»Ein Bild der Vergangenheit, dad auch fir die 
Zufunft meisfagend und maßgebend ift,« ſprach Lido 
zu dem Prinzen Waldemar. Diefer aber warf mit 
einem verächtlihen Blicke den Kopf in die Höhe und 
gab dem Pferde die Sporen, daß ed einige große Säße 
voraus that und gewaltfam ſich baumte, dann aber dem 
“ Könige vorüberflog. 

»Dein Sohn reitet gut, Birger,« fagte Erik 


59 


der -Alte, »aber er greift ohne Noth das ſtarke Pferd 
an, und würde auf einem langen Wege mit diefer Ma— 
nier nicht am beften fortkommen. Leife muß man an= 
fangen, verftändig die Kräfte des Roffes zu Rathe hals 
ten, nahe am GSieger:Ziele mag mai folche Künfte ma 
hen. Beſſer gefällt mir das Reiten Deines Magnus, 
welcher mit feinem Pferde wie zufammengewachfen ift, 
und feinen Kräften noch zu Hülfe fommt. Der kann 
ed weit bringen, und nicht allein im Reiten.« 


»Habe ich ed dem Xelteften doch oft verwiefen, « 
verfeßte der Herzog; »in allen Dingen ift er zu ge= 
waltfam und läßt bald wieder nach. Nicht das ift die 
Kraft des Mannes, fondern leife anzuheben und, wie 
eine Schraube, immer ftärfer zu fpannen, und immer 
fefter zu beharren, bis alle Hinderniffe überwunden find. 
Darin hat allerdings der jüngere Bruder große Vorzüge, 
wenn er gleich auch eigenfinniger und unverfühnlicher 
ift, ald mein Waldemar. Möge der Herrgott Al: 
les zum Beften Fehren!« 


»Ja, möge der heilige Wächter mein Wolf be- 
fhüßen, wenn ich bald nicht mehr da bin, und ihm 
ein ſtarkes, befonnenes Oberhaupt geben!« fprach der 
alte König. gerührt, indem fie über die Schloßbrüde 
einritten. 


Prinz Waldemar war fihon abgefeflen, und half 
am Portale dem hohen Oheim vom Pferde, indem er 
Lido ind Ohr raunte: »Das Abfigen des Alten ift 
die Weisfagung der Zukunft, im Bilde der Vergan⸗ 
genheit, wie Ihr meintet, nicht wahr?« — »Nur nicht 


60 


der ganzen Zukunft, mein Prinz,« verfegte Lido tro— 
den und kalt. | 

Unterdefien war Waldemarsd Pferd zaumlos ge= 
worden und im Begriff davon zu rennen, welches viel 
Unordnung und Getümmel gegeben haben würde. Doch 
Prinz Magnus, welder eben audy abjaß, ergriff es 
noch zur rechten Zeit am Gebiffe mit feiter Hand und 
gab e8 einem Knappen zum Wegführen, während Wal- 
demar den Oheim die fteile Schloßtreppe hinauflei= 
tete, indem Birger Jarl ihn an der andern Geite 
unterftüßte. Die Herzogin empfing ihren geliebten 
Bruder fhon auf der Flur und umarmte ihn mit 
Thränen der Freude. Er reichte ihr freundlich den 
Arm und fagte feherzend: »So follte es mir doch nicht 
gelingen Euch zu überrafchen, geliebte Ingeborg, und 
ich habe nun alles in Aufruhr gebracht, obgleich ich fo 
unerwartet einzutreten gedachte, wie in früheren Zagen. 
Aber die fteifen Beine wollen nicht mehr fort, und das 
Feuer auf dem Heerde ift dem Erlöfchen nahe. Der 
alte Einfiedler im Bruftgewölbe kuͤndet und den Ab— 
fhied. — Ja, ich bin bereit, nur daß ich leben möge, 
fo lange ich lebe! Aber wo ift Deine Tochter Freya, 
das liebliche NRathfel, welches der mannhafte Baumei- 
fler vom Bären erlöfete? Mo ift der ſchweigſame Rit— 
ter, welcher mich zun Narren hatte, und ruhig zufehen 
konnte, als ich meinen filbernen Becher in den Mälar 
warf? Beide wünfche ich zu fehen, um fie recht nach 
Würden ausfchmälen zu Fönnen.« 

Freya eilte ihrem Föniglichen Oheime entgegen, 
und füßte ihm ehrerbietigft die Hände. Er fchloß. fie 


⁊ 


61 


innig an feine Bruft, und Füßte lebhaft ihre Lippen 
und Wangen, fo daß die Schöne hoch erroͤthete. — 
»Das fol Deine Strafe feyn,« rief der alte König 
lachend, „ weil Du nicht nach der Erlöfung vom grime 
men Bären zu mir gefommen, fondern wie ein böfes 
Gewiſſen heimlich abgezogen bift.« 

Freya wollte fi mit dem großen Schreden und 
ihrem angegriffenen Zuftande entfchuldigen, auch mit 
dem Auffehen, das diefe Begebenheit erregt haben 
würde, wenn fie bei der Jagd geblieben wäre; doch der 
König ließ Feinen ihrer Gründe gelten, fondern wider: 
legte einen Ieden auf eine fehr launige und feherz- 
hafte Weife, fo daß ed unter Allen die fröhlichfte Stim- 
mung verbreitete, und ein Seder fich in feiner Nähe 
wohl! fühlte. 

»Mo ift denn der Paladin!« rief er nochmals, da 
fie im Ritterfaale angelangt waren, »wo ift der unbe- 
Fannte Bärentödter? Er komme, daß er feine Strafe 
empfange!« | 

Der Herzog winkte, Erwin trat vor, und neigte 
fi) vor dem Könige mit fichtlicher Verwirrung. »Nei- 
get Euch tiefer,« rief der König, »und beuget das Knie, 
denn Ihr folt Eure Strafe empfangen, weil Ihr mir 
die Wahrheit verfchwiegen und um meinen Becher mid) 
gebracht habt. « 

Erwin hatte fich ehrerbietig auf dieſes emphati:- 
fhe Wort vor dem grauen Herrſcher mit gebeugtem 
Knie niedergelaflen, und ahnte nit, was mit ihm ge— 
heben folte. Da 309 der König das Schwert aus 
und fprach feierlich: »Weil Ihr Euch erbreiftet habt, 


62 


eine: Prinzeffin von dem Bären zu erlöfen, und das 
Unthier mit einem Speere zu fällen; weil Ihr Euch 
ferner erfühnt habt, diefe That zu verfchweigen, wider 
mein Gebot, und allen Lohn von Euch abzumweifen, ja, 
felbft den filbernen Becher ald Ehrenpreis zu verfchmä= 
ben, fo ſchlage ih Tuch mit eigner, hoher Hand, und 
mit diefem guten Nordlandsfchwerte — nit zu Tode 
— fondern zum Ritter vor diefer adeligen Verſamm— 
lung; denn Shr habt es verdient ein Edler zü hei— 
gen durch Tapferkeit, Entfchloffenheit und Demuth. « 
Der alte König berührte ihm zu dreien Malen 
die Schulter gefreuzt mit der leuchtenden Klinge, und 
ſah mit Wohlgefallen auf den befcheidnen und fehr über- 
rafchten Süngling hin. »Stehe auf, Ritter Erwin 
von Steinbach,« ſprach der Fünigliche Greis und 
übergab ihm das breite Schwert mit goldnem Hefte. — 
»Fuͤhre dieſes Schwert zur Ehre Gottes, zum Schuße 
der Unfhuld, zur Rache gegen die Böfen; halte die 
heiligen Gefege ded Ritterthums; ſey fromm, tapfer, 
keuſch, barmherzig, und gedenke bei diefer fcharfen Waffe 
der gnädigen Hand, die Dich ſchlug!« — Der .alte 
König winkte, und Freya hing, hocherröthend, dem 
Meifter Erwin dad Schwert um. — Er zitterte, als 
ihre zarten Hände feinen. Leib berührten, und ward 
erft wieder feſt und ruhig, da fie zuruͤckgetreten war. 
Der koͤnigliche Greis reichte ihm huldvoll die Rechte 
zum Kufle. Die umftehenden Ritter hießen ihn will: 
kommen ald den Shrigen und fehüttelten ihm wader die 
Hände. Birger Jarl klopfte ihm auf die Schulter 
und fprah: »Seyd gefroft, Ihr habt es verbient!« 


63 


Prinz Erik hing fich fcehmeichelnd an feinen Arm; 
Waldemar und Magnus wünfchten ihm Glüd; die 
Herzogin fagte ihm huldvoll einige verbindliche Worte. 
Emund kam zulest, und ſchloß ihn in feine Arme, 
nachdem Lido ihm feine Freude mit einem Händedrude 
bezeugt hatte. Nur. Freya fland ſchweigend am Fen- 
fterbogen und blidte nachdenklich und wehmüthig in 
die weite Ferne. Endlih kam der Narr und ſprach 
zu ihm: | 

»Um Deiner Narrheit willen, Erwin, womit Du 
Bater Erif zum Narren hatteft, und Did felbft und 
die ganze edle Gefellfchaft narrteft, hat Dich der große 
König zum Ritter gefchlagen, und hat Dir die erfte 
Schönheit den Degen umgefchnallt. — So lebe die 
Narrheit unter Klugen und Blöden! Schäme Dich ih: 
red Ordens nicht, denn ihr Reich ift dad ältefte in der 
Welt, da fhon Adam närrifch in den Apfel biß, der 
ihm den Zod bradte. D, Bater Erik, wo haft Du 
Deinen Becher gelaffen? — So nimm meinen Glüd: 
wunfch, junger Ritter, und überhebe Dich nicht! Sey 
ritterlichenärrifch und fröhlich! Der dummſte Streich ift 
ein vernünftiges Gefiht, und die größte Sünde ift 
ein ernfted Wort. Kugelrund ift die Welt, und ich, 
der Narr Joͤns, bin aller Könige König darin!« 

Alle lachten, felbft Erwin mußte lächeln, mehr 
noch über feine feltfamen Manieren, als feine Iuftigen 
Worte. Nur Freya blieb ernft, und der Herzog 
ſprach: » Heute, Narr, folft Du eine bunte Jacke ha= 
ben, denn Du bift ein rechter Narrenmeifter gewefen. « 

»Was thut's?« verfehte Joͤns. „Baumeiſter und 


64 


Narrenmeifter, König und Herzog, die Kriegs- und 
Regierungsmeifter, alles ift eine Meifterfchaft, und wenn 
feine Narrheit erfunden wäre, fo müßte bie Welt vor 
Langeweile fterben.« 

»Du haft Recht, Joͤns,« rief der König lachend, 
»ich denke, Du ziehft in meinen Dienft, und läffeft Dir 
mein Brot wohl fchmeden, bis der Herzog heimge— 
kehrt ift; denn hier wird ed Dir doch zu ernfihaft 
werden. « 

» Mit nichten,« verfeßte der Narr, »ich verlaffe mei: 
nen Freund Erwin nicht, der mir die reichfte Unter: 
haltung giebt; denn obgleich er wie der Ernft und Die 
Vernunft felbft ausfieht, fo trägt er doch einen uner- 
ſchoͤpflichen Schaß der unvernänftigften und fpaßhafte- 
ften Dinge in feinem Herzen, und ift dabei die befte 
Seele von der Welt; ald: ein großer Baumeifter, ein 
verliebter und tapferer Ritter, ein treuer Freund, ein 
guter Sohn und, was das Spaßhaftefte if, bei dem 
Allen ein rechter Chriſt! Ja, ich will Felfen auf ihn 
bauen, und ein Strohhalm kann ihn umreißen; ich will 
Lanzen an ihm fplittern, und ein Frauenblid Fann ihn 
durhbohren; ich will aller Himmel Weisheit von ihm - 
lernen, und er ift wie ein Kind. — Nein, Faar Erik, 
ich ziehe nicht zu Dir, bis diefer Ritter mich verlaflen 
bat! — Denn ich weiß auch, was treue Freundfchaft 
bedeutet, wenn e3 gleich feltfam ausfieht, wenn ein ars 
mer Efel, wie ich, mit, einem fchönen Pferde am Wa— 
gen zieht. « 

Der alte König fehüttelte ſich vor Rachen, Erwin 
ward blaß und roth, und Freya hatte fich flill ent= - 


65 





fernt; der Herzog aber rief gebietend: »Nun fchweig, 
Narr, fonft laſſ' ih Dir die Fußfohlen ausflopfen und 
Dih in den Thurm werfen, denn Du bift zu frech und 
übermüthig gemworden. « 

»Ich meinte es doch gut,“ verſetzte Joͤns, »und 
hoͤrte von fo manchen klugen Leuten ſagen, daß es da: 
mit genug ſey, wenn man es nur gut meint. — Wenn 
ih alſo im Thurm ſitze, fo will ich auf meine zer: 
ſchlag'nen Fußfohlen ein Gedicht mahen, das alle 
Welt Iefen fol, um Euren Namen zu preifen, Hoheit! 

Mit diefen Worten fchlic) er bei Seite, und drängte 
fih an Erwin hin, welchen er, verfühnend, gar Tieblich 
und freuherzig anblidte, als wolle er fagen: Verzeihe! 
Du verftehft mih doch? Ermin verftand ihn auch 
wirklich und fühlte in diefem Augenblide, daß der arme 
Fond an Geift, Wis und Menfchenfenntniß, vielleicht 
auch an Herzendgüte, alle Anderen übertraf; doch nur 
um Des kleinen Dinges willen, das ihm fehlte, und 
Haudverftand heißt, der öfter felbft ald eine Schranfe 
erfcheint, in Diefen elenden Zuftand hinabgefunfen fey. 

Der Herzog erzählte feine Gefhichte, wie er ein 
treuer, guter Menfch gewefen, fein fleißiger Rechnungs- 
führer, und von achtbaren Eltern; aber in eine Grä- 
fin fich einft fterblich verliebt, und dabei feinen Ber: 
fand verloren habe. Eine Zeit fey er fhwermüthig 
geworden, darauf rafend, fo daß er in Ketten gelegen; 
endlich fey er wieder zu fich felbft gefommen, wie man 
ihn jeßt fehe, und in diefem Zuſtande unter feinem 
Hofgefinde aufgenommen worden, indem er bei feiner 


natürlichen Gutmüthigfeit ald Hofnarr _ Allen zur 
&rwin von Gteinbach. II 


66 


barmlofen Beluftigung diene, und nur felten in Verle— 
genheit feße. »Verzeihet alfo,« fprady der Herzog zu 
Erwin gewendet, „wenn Ihr heute feine Bielfcheibe 
wurdet. Ich glaube, daß der arme Joͤns Euch befon= 
ders lieb hat, denn ich habe ihn lange nicht fo ernftlich 
reden hören.e — 

» Seine Liebe,« verfeßte Erwin, »hat für mich 
etwas Ruͤhrendes, und feine Worte find wie ein äßen- 
des Salz, welches die Gewiffen fehärfen Fann, wenn 
man ihnen die Narrenkfleider auszieht, und fie nur fo 
viel achtet, alö fie eben gelten follen.« 

„Ach, er weiß felbft nicht, was fie gelten, ,« fagte 
die Herzogin, »und es ift wunderbar, wie oft eine 
Stimme aus ihm redet, welche nicht fein ift, und ihn 
nur zum Werkzeuge gebraucht. « 

Das Gefpräch ward hier abgebrochen, weil der 
alte König fich beklagte, daß es zu ernft fey für feinen 
furzen Befuch, indem er gefommen wäre, fich zu belu— 
fligen. Die Skalden mußten hereintreten, und wäh: 
rend fie launige Lieder zu ihren Harfen fangen, ließ 
der König Erik fi die beften Pferde aus dem Mar: 
ftalle vorreiten, und die Koppeln der Jagdhunde vor— 
führen, indem er über die Zugend eines jeden diefer 
Thiere fehr einfichtige Urtheile gab. Unterdeffen bat- 
ten die Kriegsfchaaren fi verfammelt, und vor dem 
Könige unter des Herzogs Befehl ein großes und Funft- 
volles Manoeuvre gemacht, dafür Erif feinem Schwa— 
ger die größeften KLobfprüche und Dankfagungen brachte. 
Er hatte es aus den obern Fenftern angefehen, und 
bewunderte befonders die Sicherheit und Gemwandtheit 


67 


mn 





der fchwer gepanzerten Reuter, welche feft zufammen- 
hielten, genau ſich fchwenften, und Alles vor fich nies 
derzumerfen drohten. Da glänzte Waldemar in gol- 
denem Helm und filbernem Panzer an ihrer Spibe ; da 
ritt Magnus im flahlblauen Harnifh mit filbernen 
Sternen und fhwarzem Helmbufhe, wie ein gebiege- 
ner Mann; felbft Prinz Erik erfchien im weißen Fe— 
derhute auf leichtem Dferdchen an des befehlenden Va— 
ters Seite. — Seine feidene, himmelblaue Schärpe mit 
filbernen Franzen war um den gelben, ledernen Koller 
gefhhlungen, und machte, im Winde wehend, den zarten 
Leib noch fchlanker und anmuthiger. Erwin hielt auf 
feinem Roffe in einiger Entfernung unter mehreren jun= 
gen Rittern, und trug das Füftlihe Schwert, das ber 
König ihm gefchenft hatte, an feiner Seite, indem er 
feinen jungen Freund mit vielem MWohlgefallen betrach— 
tete. Defter wurbe er von ihm traulich begrüßt, ba 
Prinz Erik bald zu ihm, bald zum Vater ritt. Ei: 
nige der Ritter fchienen ihm dieſe Gunft des Prinzen 
zu beneiden, andere fahen mit fiheelen Bliden auf fein 
fchönes Pferd, welches an Kraft und Geſchwindigkeit 
alle die ihrigen übertraf, und des Herzogs befondre 
Gnade gegen ihn bewies, ja, gleihfam vor ihren Aus 
gen fie immer erneuerte. So war unfer Freund mit: 
ten in der Welt, und von ihrem wandelbaren Glüde 
getragen, von ihren treulofen Fluthen umfangen; aber 
er wußte es nicht, denn feine Seele war voll Vertrauen, 
da er ed mit Jedem wohl meinte, und fich der reinften 
Abfichten bewußt blieb. Auch ward fein Herz vielfäl- 
tig bewegt, ald der Gefandte Parifius ihm noch meh⸗ 
| 5% 


68 


vered Nähere von Dieterich und Hildegard, wie 
er fie getroffen und was er mit ihnen geredet habe, 
erzählt hatte. Zwar mußte er manches von feiner 
Meltmanier abfchlagen, und das übertriebene Lob Hil- 
degards dünkte ihm oft nur ein leered Wort; Doch 
blieb immer genug zurüd, um ihr edles, meibliches 
Bild von neuem tief feiner Seele einzuprägen, und das 
Unvergleichliche derfelben, wie ihres großen Vaters, ver- 
ehrend anzuerkennen. ' 
So war der Abend herbeigefommen, und ein präch- 
tiged Bankett erwartete die Säfte im erleuchteten 
Schloffe, daran auch unfer Freund jest, ihm fo uner= 
wartet, Theil nehmen follte. Noch geftern fah er aus 
feinem Erferftübchen wie ein Fremdling darauf hinab; 
nun war er mitten unter ihnen, und felbft eine jener 
Geftalten, welche er aus der Ferne mit Theilnahme be= 
trachtet hatte. Er felbft zog nun mit ihnen in die er— 
leuchteten Säle ein, als Ritter, wenn gleich am ein 
fachften unter allen, gekleidet. Er war nicht mehr ein 
ftiler Zufchauer, fondern folte am Schenftifh und am 
Reigen ein ZTheilnehmer und Mitglied heißen. Die 
Stellung war ganz verändert; doch fehnte er fi nach 
der früheren zurüd, denn er war im Innern derfelbe 
‚geblieben , und hatte die Welt mit ihrer Luft nicht 
lieber gewonnen; vielmehr fchien fein Ritterthbum ihn 
zu demüthigen, und, wie ein fremdes Kleid, ihm nicht 
anzupaflen. | 
Der alte König, welcher fehon mit der herzoglichen 
Familie zu Tiſche faß, rief ihn, da er eintrat, fehr 
freundlich zu fih, und erfundigte fich genau nad) fei- 


69 


nem Namen und Geſchlechte in Deutfchland, um fein 
MWappenfchild zu beflimmen. Da überrafchte ed ihn, 
zu hören, daß Erwin von Steinbach aus einer al: 
ten, edlen Familie in Schwaben flamme, von welcher 
aber die jüngere Linie, durch Krieg in Dürftigkeit ge: 
rathen, fich ihres Adeld begeben habe, und dem Han— 
belöftande oder Zunftwefen fich gewidmet. Schon fein 
Großvater, erzählte Erwin, fey ein guter Baumeifter 
gewefen, obgleich er eine große Fabrik gehabt habe. 
Sein Bater Eberhard habe ald Steinmes von un: 
ten auf gedient, und ihm den erſten Unterricht erthei- 
let, auch immer ald fchlichter Bürger zur Steinmetz⸗ 
gilde ſich gehalten. Doc führten fie noch dad alte 
Wappen der Steinbachs im Siegel, welches ein rau- 
ſchendes Waſſer fen, das fich über große MWerkftüde 
ergieße, und durch Felöblöde fih den Weg bahne. 
»So bebürft Ihr alfo,« fprach der König, »nur Euer 
Mappen zu erneuern, und ich werde meinem Waffen- 
fehmiede auftragen, Euch nach.diefem Siegel einen Schild 
zu bereiten, welchen Ihr mit dem Schwerte zu meinem 
Angedenken ehrenvoll führen möget.« — Erwin banfte 
ihm für feine befondere Gnade, bemerkte aber, daß er 
mit der Kunft genug zu fchaffen habe, und wenig Zeit 
behalten dürfte, um fih ald Ritter einen Namen zu 
erwerben; doch wuͤrde er dieſes Angedenfen unter den 
theuerften Familienkleinodien aufbewahren. — Erif 
verfegte: »und auch gebrauchen, wenn ed gilt für Gott 
und Vaterland, denn es ift eine Zeit, wo Niemand das 
freie, ritterliche Schwert roften laffen darf, was ihm 
gegeben wurde. ® 


70 


Unterdeffen war auch der Herzog mit feinen Kron= 
beamten und Hauptleuten eingetreten, und nahmen an 
der langen Zafel Plab, welche mit großen filbernen 
Bechern und Kannen voll Eöftlicher Weine reichlich be= 
feßt war. Erwin hatte eine Ehrenflele an Freyas 
Seite, und faß dem alten Könige gerade gegenüber, 
welcher ein MWohlgefallen an ihm hatte, und ihn in 
feine Nähe verlangte. 

»Nun werdet Ihr doch nicht lange mehr faumen, « 
fprach der Alte, »mir den Bären und die Schöne in 
Stein zu meißeln, und über der Thür meines Jagd— 
ſchloſſes aufzuftelen, wie Ihr es verfprochen habt, da= 
mit Shr den Ehrenpreis des filbernen Bechers empfan= 
get; Denn wer möchte ed wohl natuͤrlicher darftellen, 
als der die That vollbracht, und der die Kunft ver- 
ſteht!«“ — 

Ueber Freyas Wangen flog ein zartes Roth, und 
Erwin verfeßte: 

»Mein Arm und meine Kunft ftehen in Euerm 
hohen Dienfte, und wenn der Genius mir irgend wohl 
will, fol ed an Wahrheit nicht fehlen. Doch wer könnte 
dad Leben und die Schönheit in Stein fefleln? Das 
Unausfprechliche ift au das Unauszubildende, und ges 
hört zu. einem höhern Reiche. « 

» Darin ein Seder fich befcheiden möge. nad) Stand 
und Würden, « rief Birger-Jarl, und erhob den gro= 
Ben filbernen Pokal, indem er ſprach: »Prinz Haͤkan, 
ber Normeg, foll leben, und die Braut, welche er heims 
führt, Sreya Iduna, lebe ihm zur Wonne und und 
zum Bande des Friedens!« 


74 


—— — — 


Alle Edle und Ritter erhoben ſich, indem ſie die 
Namen Hakan und Freya wiederholten, und ihnen 
ein laute8 Hoch brachten. Die Zrompeten und Walb- 
hörner fielen ein, und fchmetterten durch die langen 
Gewölbe des Ritterſaals mit tiefem Nachhall. Aber 
die fhone Freya war erblafft, und lag ohnmädtig und 
leblos in den Armen der Hofdame, welche mit der Der: 
zogin herbeigeeilt war, und fie wie ein Alabafterbild 
in ein angrenzendes Gemah trug. »Das war zu 
viel für mein armes Kind,« fprah Ingeborg zu ih— 
rem Gemahl mit ftrengem Ernft, »Du hätteft auf ihre 
Stimmung Rüdfiht nehmen, und fie erſt vorbereiten 
follen.«e Der Herzog ermwiederte haftig: »Vorbereitet 
ft einmal genug, und das Heilfame ‚und Nothwendige 
kann nicht früh genug entfhieden werden. Ihr hört 
es, edle Nitter alle, meine Zochter ift die Braut des 
Kronprinzen Haͤkan von Norwegen, welcher fie 
aufs ehrenvolfte durch den Gefandten Thorlag zur 
Ehe begehrt, und meine Bufage empfangen hat. Wehe 
dem, welcher. es hindern wollte, oder meinem Fürftens 
wort zu moiderfprechen wagte.« 

Erwin war aufgefprungen und hatte zunaͤchſt die 
Prinzeffin unterſtuͤtzt, welche vom Seſſel zu ihm her— 
abzuſinken drohte. Mit. aller Ehrerbietung und Beſchei⸗— 
denheit eines frommen Ritters hatte er dem ſchoͤnen, 
erſchlafften Leibe auf ſeinem feſten Arme einen Ruhe— 
punkt gegeben, bis die Damen herbeieilten und fie weg- 
trugen. Er dachte nicht an fich felbft, fein Auge ruhte 
fi auf der. Ohnmächtigen, und das. innigfte Mitleid er⸗ 
füllte feine Seele. Die große Kluft hatte fich aufge 





72 


than, dad Wort des Vater! zog die feharfe Grenze; 
fo fühlte er fich wieder ganz frei und arm, und wollte 
nichts, ald was Gott will. In des Herzogs zurüds 
weifenden Worten Tag etwas Hartes, was ihn tief 
fränfte. und er nicht verdient zu haben fühlte; Doch 
unterdrüdte er die bittere Aufwallung mit ernfter Selbft- 
behersfhung, weil er in ihm den Helden des Tages, 
ven Befchüser des Volks und die Stüße des Throns 
verehrte, auch noch etwas Unbekanntes ihn zu dem 
großen Manne hinzog. Die Gefundheit hatte er aber 
wicht mittrinken konnen, und. fein Becher ftand noch 
angefüllt da. ine allgemeine Stille war eingetreten, 
welche der König nur mit einigen forglichen Fragen un 
terbrach , Die der junge Prinz Erik, des Königs Pathe, 
der die Schwefter begleitet hatte und hin=.und — 
kindlich beantwortete. 

Erſt als die Nachricht Fam, daß die Ohnmacht vor- 
übergehe, und bie Prinzeffin fich erhole, öffnete der 
Herzog den Mund. und fprah zu Erwin, welder 
neben dem leeren Seffel mit geſenktem Blicke ſaß, in= 
dem er ihn freundlich anrebete: 

„Ritter von Steinbach, Ihr fcheint mir von der 
Borfehung auserwählt zu ſeyn, in allen Nöthen meiner 
Tochter beizuftehen und aufs ehrenvolfte ihr. zu Hülfe 
zu eilen. Bleibet alfo ihr Freund, und ſeyd ihr Mar- 
fihall, der. mir diefes höchite Kleinod des Herzens, nach 
den heiligen Gefeben der Ritterfchaft, ald die Braut 
des Prinzen Hakan in meiner Abwefenheit zu ge- 
treuen Händen bewahren wolle, und bauet und auch 
barin ein neues Haus! « 


73 





» Brav,« rief der König, »fo habt Ihr es gut ge— 
macht, Schwager; denn der Iüngling verdient Diefe 
Auszeichnung durd feine liebenswürdige Treue und 
Beicheidenheit! — Er wird fie nicht mißbrauchen.« 

Erwin fchlug die Augen auf, und verfegte mit 
tiefem, faft wehmüthigem Ernft: »Euer Haus, gnädiger 
Herr, Fann ich für einen Andern nicht bauen, das fteht 
nur in eines Höhern Hand; doc hoffe ich, mit Gott 
das Ehrenamt eines Marfchalls bis zu Eurer Heims 
Fehr treulich zu verwalten; wenn nicht nach den Geſe— 
gen des Ritterthums, welche ich noch nicht genugfam 
fenne, doch nach) den Gefeten des Chriſtenthums und 
der freien Maurerfchaft, welche mir tief eingeprägt wur: 
den. Sollte e8 aber über meine Kräfte gehen, fo er: 
laubt mir, es in Euere Hände eben fo offen zurüdzu- 
legen, als ich es jeßt annehme.« 

Die Gefellfchaft ruͤhmte eben fo fehr die fefte und 
verftändige Antwort Erwins, ald fie die hohe Weid- 
heit des Herzogs pries, welcher darin mehrere Zwecke 
zugleich zu erreichen wußte, und den verhängnißvollen 
Knoten, ehe er fich fefter ziehe, mit gewandter Hand 
zu Iöfen verftand. Die Freunde Erwind wünfchten 
ihm Gluͤck; feine Neider aber fehmiedeten Plane, wie 
fie ihm in feiner Erhöhung einen Fallſtrick legen woll- 
ten, und rechneten im voraus ſchon auf die menfchliche 
Schwachheit. 

Unterdeſſen wurden noch mehrere Geſundheiten, als 
des Koͤnigs und des Herzogs mit ſeiner Familie, wie 
Kaiſer Friedrichs des Zweiten und feines Ge— 
ſandten, ausgebracht. Zuletzt aber brachte Birger 


74 


— — — —— — 


Jarl die Geſundheit ſeines Freundes, des Erzbiſchofs 
Serenius, Volksfreundes und Friedeſtifters mit gro— 
ßem Ruhme aus, und wandte ſich damit auch noch in— 
fonderheit zu Erwin, welches dieſem ungemein wohl 
that; denn Serenius war der Lichtpunft in feinem 
nordifchen Leben, und fein Name leuchtete wie die 
Wahrheit in alle Verhältniffe hinüber. 
Das Bankett hatte ein Ende, die Ritter erhoben 
fih, da die Damen mit der Herzogin ſchon viel frü- 
her die Tafel verlaffen hatten, und die Männer bega= 
ben fich zu ihnen in die angrenzenden Prunffäle, wo 
der Zanz begann. | 

Freya hatte fich erholt und, auf den Wunſch des 
Baterd, zum Reigen eingefunden; doch faß fie da 
wie eine weiße Lilie. Der Herzog nahm Erwin bei 
der Hand und führte ihn als Marfchall zu ihr, indem 
er ihm hieß, den Neigen mit ihr anzufangen. Ihre 
Augen belebten fi, und mit einem fchnellen Anflug der 
Wangen, welcher aber fogleich wieder verfhwand, reichte 
fie ihm freundlich die Hand. Er führte fie ehrerbietigft 
zum Reigen, fchlang fo geiftig feinen Arm um ihren 
zarten Leib, und tanzte fo edel und einfach, Daß der 
Herzog und alle Anmefende die Augen von den fchö- 
nen Taͤnzern nicht abwenden fonnten. Die Herzogin 
verficherte, Freya habe fich heute felbft übertroffen, 
welches man der Liebe zum Water beimeffen müffe, da 
fie ein gutes, gehorfames Kind fey. 

Ermwin war aber in einer fonderbaren Stimmung ; 
er fühlte fich unendlich frei. Es dünkte ihm, ald wenn 
er ſchon in einer andern Welt ftehe, und dieſer Tanz 


75 


nur noch ein Tieblicher Traum des vergangenen Lebens 
fey. Erft da Freya am Scluffe des Reigens ihm 
dankte für feinen feſten Arm und für fein freundliches 
Herz, Eehrte fein Geift in das Irdiſche zurüd, und er 
fühlte, daß er noch lange nicht überwunden habe. 


Fuͤnftes Kapitel, 


— 


Fruͤh am andern Morgen ſtand Erwin ſchon bei ſei— 
nen Arbeitern am Steinbruche, als ein Reiter ihm die 
Botſchaft uͤberbrachte, daß der Herzog im Begriff ſey, auf⸗ 
zubrechen, und ihn noch zu ſprechen verlange. — Er 
eilte alſo ins Schloß zuruͤck und trat in den Vorſaal, 
wo die Dienſtmaͤnner und Beamten des Herzogs ſi ſi ch 
verſammelt hatten. — 

Nach wenigen Minuten oͤffneten ſich die Fluͤgelthuͤ⸗ 
ren des Wohngemachs, und Birger-Jarl trat heraus 
mit ſeiner Gemahlin am Arme und von ſeinen Kindern 
begleitet. — Der Herzog war in voller Kriegsruͤſtung, 
wie bie beiden Söhne Waldemar und Magnus, 
welche ihn auf dem Feldzuge begleiteten. Er hatte 
Freya's Hand gefaßt, und Prinz Erik, welcher nach⸗ 
folgte, hing fich fehmeichelnd an feinen Arm. 

Der Herzog fprach mit Würde zur VBerfammlung: 


76 


»Ich habe Euch, meine Haudgenoffen und Lehns- 
männer, noch zuletzt hieher berufen, um von Euch Abs 
fehied zu nehmen und einem Jeden feine. Pflichten..in 
meiner Abwefenheit zu empfehlen, durch deren gewiffen=. 
bafte Erfüllung Ihr Euch allein meine Gunft erwerben 
und bewahren koͤnnt. Obgleich ich nun nicht an Eurer 
Treue zweifle, fo bevürfet Ihr doch, gleich wie die Gliex - 
ber des Hauptes, ftatt meiner eines Vorgeſetzten, welcher 
hier den Befehl führt und im Falle der Noth entichie= 
bene Maßregeln ergreifen Fann. — Dazu berufe ich den 
edlen Grafen Sertha, welcher durch Verſtand und Fe— 
fligfeit und wohlbefannt ift, und feße ihn ein zum Burg- 
vogt und Befehlshaber, fo daß Jeder, welcher in meinen 
Dienften fteht, feinem Worte Folge leiften fol, und daß 
er Macht hat, zu firafen die Unbill in meinem Namen. 
Nur des Königs Wort geht über das feinige in dieſer 
Burg wie in meinem weftgothifchen Herzogthume.« — 
Der Herzog winkte und ein Eleiner hagerer Mann zwi- 
fhen funfzig und fechzig Jahren, doch mit feurigem 
Blide und fefter Haltung, welchen Erwin fehon üfter 
gefehen und feiner heiteren Humoriftif wegen lieb gewonnen 
hatte, trat hervor und neigte fich freundlich. 

»Empfanget den Stab,« ſprach Birger; »fo lange 
Ihr diefen führt, habt Ihr Gewalt über Land und Leute 
gleich wie ich, und Fönnet, wenn ed feyn müßte, meine 
eigenen Söhne in Haft nehmen laffen, bis ich felbft ent- 
fchieden habe. Wer diefem Stabe nicht gehorcht, der ge= 
horcht mir nicht und bricht feinen Lehnseid; wer diefem 
Stabe nicht folgt, wenn der Feind einbricht, ver ift ein 
Hochverräther und hat das Leben verwirkt.« — 


77 


Mit dieſen ernſten Worten uͤbergab er ihm den 
Stab, welcher aus einfachem braunen Holze beſtand und 
mit Runenſchrift aus Gold und Elfenbein eingelegt war. 

Graf Jertha nahm ihn beſcheiden an, dankte mit 
wenig Worten für das hohe Vertrauen, und verſprach, 
ihn nach Pflicht und Gewiſſen zu fuͤhren. 

Die Lehnsmaͤnner und Beamten begruͤßten ihn ſo— 
fort ald ihren Oberherrn, und er trat ftil unter fie 
zuruͤck. 


Birger wandte ſich dann zu Erwin und fuhr fort: 


»Ritter von Steinbach, Euch muß ich ausneh— 
men, denn Ihr ſeyd ja ein freier Meiſter. Die Bauhuͤtte 
hat ihre beſonderen Geſetze, Sitten und Ordnungen, und 
She ſeyd in meinen Beſitzungen, fo lange Ihr darin ver— 
weilt, ihre unumfchränfter Bauherr. Ueber alle Stein- 
meben, die unter Euch arbeiten, ertheile ich Euch die 
Gerichtöbarkeit; nur fehwerere peinliche Vergehungen ge= 
hören vor den Ting und den Landshöfding. Niemand 
ſoll Euch in Baufachen ungerügt widerfprechen, und 
Ihr habt fofort die Strafen zu beflimmen, damit das 
tblihe Werk ungehindert fortgehe. — Graf Sertha 
wird Euch hülfreiche Hand leiften; ehret ihn, als meinen 
alten Freund, und höret feinen Rath, wo ed Noth 
wire! — Zu gebieten hat Euch Niemand, als der 
König und das Geſetz. Meiner Tochter, Marfchall, feyd 
ein treuer Beſchuͤtzer, und die Ehre, Ritter, fey Euer 
Leitftern, daß Ihr nicht ſtrauchelt!« — 


Erwin verfeßte: »Der treuefte Leiter und Be- 
(hüßer, ohne den felbft die Ehre nur ein Irrlicht if, 


78 


möge mich nicht verlaffen und mit feinem ewigen Lichte 
auf ebener Bahn führen! — Ich danke Euch, gnädiger 
Herr, und wünfche Euch fiegreiche Heimkehr!« Erwin 
verneigte ſich ehrerbietigft und wollte ſich entfernen; der 
Herzog aber fchloß ihn in feine Arme und fprad) leiſe 
zu ihm: »Gerenius hat gefchrieben; liebe Briefe er- 
warten Euch oben; dabei denfet an mich und nehmet 
mich in Euren Bund mit auf!« — Erwin ward 
überrafcht und bewegt. — 

Der Herzog nahm nun von allen Anmwefenden Ab— 
fchied, indem er jedem Hausgenofjen und Lehnsmann Die 
Hand bot. — Zuletzt umarmte er feine Gemahlin lange 
und innig; — fie weinte an feiner Wange, und die zar- 
ten Thränen floffen auf feinen Harnifch ftille und fanft 
hinab. — „Komm wieder, Birger,« ſprach fie mit 
erſtickter Stimme, indem fie ihm ernft ins Auge blickte, 
»doch nur als Sieger und Netter des VBaterlandes!« — 

»Du bift mein Stolz, Ingeborg,« ſprach der 
Herzog mit verhaltener Ruͤhrung, riß fi von ihr los 
und eilte die Stufen bis auf den Schloßhof hinunter. 

Freya und Erif hingen ſich an feine Arme, bis 
er das Roß beftieg. Der alte König, welcher eben auf: 
geftanden war, öffnete das Fenfter im oberen Gefchoffe 
und rief ihm noch ein herzliches Lebewohl zu, indem 
er mit feinem Schnupftuche wehte. — 

Die Streitroffe flampften vor Ungeduld; ſchon far 
gen Waldemar und Magnus im Sattel, nachdem fie 
von Mutter und Gefchwifter einen leichten Abſchied ge⸗ 
nommen hatten. — 

Doch noch immer konnte der Herzog nicht von den 


79 


legten Banden fich losmachen, welche ihn füß umflochten 
hielten. Endlich umfchlang er feine jüngften Kinder mit 
großer Inbrunſt feft und lange; fie ruhten an des Hel— 
den Bruft, wie die foftlichen Kleinodien feined Haufes, 
und wohl noch nie ift das Schöne und Zarte mit dem 
Starken und Großen in einer fo lieblichen Berfchlingung 
erſchienen, als Freya und Erif an Birger- Jarls 
Bruftharnifch. 

»Gott erhalte Dich, Water, für Dein armes Kind,« 
fagte Freya, nachdem fie mit einem Kuffe ihre ganze | 
Seele hingegeben hatte. — 

»Du bift meines Lebens Würze und meines Her- 
zens Licht, « verfeßte zartlich der Vater; »laß mich Dich 
wiederfehen als Prinz Haͤkans glüdliche Braut!«— Ein 
Thraͤnenguß ftürzte aus Freya’s Augen; fie ſchwieg 
und fand wie ein Marmorbild. — 

»Willſt Du?« fragte er bittend. — »Menn ich 
kann, verfeßte fie, indem fie fich aus feinen Armen er- 
bob und ihn mit einem fernen, unausfprechlich=ernften 
Blide anfah. — 

Prinz Erik dagegen rief fröhlih, da Birger fein 
Schlachtroß beftiegen hatte und noch einmal auf feine 
jüngften Kinder hinblidte: »Water, bring’ mir einen tar- 
tarifhen Säbel mit; hörft Dut« — Birger nidte 
lebreich mit einer Thräne im Auge. — Die Hörner 
efhallten, und unfer Freund, welcher. neben Freya und 
Erik ſtand, fah mit befonderer Theilnahme den Friegeri- 
ſchen und prächtigen Zug der Ritter und Reifigen über 
den Burghof und durch das dunfle Thor ziehen, indem 
et jenſeits der Zugbrüde wieder heroorfauchte und in 


80 


ftiller, ahmungvoller Morgenröthe die blühende Landfchaft 
durchfehnitt. Eine Zeit lang fland Erwin in dieſem 
Anblide wie verfunken und traumend, dann neigte er 
fich vor der Prinzeffin und fragte nad) ihren Befehlen. — 
„Sch habe Euch nichts zu befehlen, Nitter,« verfeßte 
Freya; »doch erlauben es Eure Gefchäfte des Baues, 
fo laßt und bald einen Ritt mit dem hohen Oheim nach 
dem Schloffe am Wener-See machen und das fehöne 
Chennekulle fehen.« 

» Und ich reite mit,« fagte Prinz Erik, »und auch 
der Narr foll mitreiten, damit es luſtig zugehe; denn 
der alte König mag nicht lange ernfthaft feyn, und Shr 
werdet es immer mehr!« — 

Erwin verfprach, fich bereit zu halten, da Emund 
für ihn eintreten könne, und begab fi) dann auf fein 
Zimmer, wo er den Briefen der Heimath mit Flopfen= 
dem Herzen entgegenfah. Sie lagen auf feinem Reiß— 
brette, welches auf dem Arbeitstifche fand. — Er öff: 
nete mit einem Schauder; fie waren ald Einfchluß unter 
Serenius Siegel zufammengefaßt, darum lad er Des 
Biſchofs Zeilen zuerft, welche folgendermaßen lauteten: 


„Mein geliebter Steinbach! 


Da fende ih Euch endlich die Kunde aus der Hei: 
math, welche erft vor wenigen Tagen in Lund bei mir 
anlangte, und würde mich freuen, wenn ich Euch ein 
guter Bote wäre! — 

Die weichen, fließenden Auffchriften erinnern mid) 
an ein milderes Klima, wo auch ich Sahre vermeilte, 
und daran ich nicht ohne Sehnfucht zuruͤckdenken Fan, 


8i 


weil es meine glüdlichften Tage waren. Doc was ift 
das Gluͤck des Einzelnen gegen die Wohlfahrt des Gan- 
en? Es ift fo gering, wie ein, Sandkorn am Meeres- 
firande, und verfchwindet wie ein Rauch, wie ein Traum, 
im Gefühle unferer heiligen Pflichten! — So danke ich. 
Gott für meine viele und große Arbeit, und dazu für 
alle Sorge und Mühe, welche zu fragen der Herr mid) 
gewürdigt hat. Ihr habt nur ein klein Stüdlein davon 
in Sfenninge gefehen; denn große Unruhen und ernft- 
bafte Handel find hier feither ausgebrochen. Unfer Dä- 
nenfönig ift aus Schonen verjagt, und Jeder will num 
den Herrn bier fpielen. Da der Rumpf das Haupt 
verloren hat, fo will jedes Glied ein Haupt feyn, und 
geberdet fich dabei gar albern und unbeholfen. 

Da habe ich denn nun fürs Erfte dad Ruder er- 
greifen müffen, und in der That des Herrn Wort er: 
fahren: »Ich will dich lehren, wie viel du um meinen 
Namen leiden folft.e So preife ich denn auch meinen 
Gott um unferer Trübfale willen! — 

Meine Schwefter ift wieder genefen, doch noch im- 
mer Schwach; denn ihr leibliches Dafeyn iſt wie ein 
Hauch, und nur noch eine Zugabe ihres fehon verflärten 
Geiſtes. Sie grüßet Euch herzlih. — Wir wünfchen 
Eure Nachrichten, ‘wie es Euch zu Bielbo ergehe. — 
Wir find auch nicht ganz ohne Beſorgniß um Euch, 
denn es find gar verfchievene Elemente, welche dort auf 
Euch eindringen und von allen Seiten Euch prüfen wer- 
den. — Doch wird die Frucht um fo fihöner ſeyn, 
wenn Ihr die Probe befteht. — 

Elifabeth forgt um Euer Herz, und id um Eure 

Erwin von Steinbach. II. 6 


82 


Befonnenheit; wer von und Beiden am mehrften oder 
am wenigften Recht habe, fagt uns bald; denn wir lie— 
ben Euch und möchten Beide gern Unrecht haben! — 

Eure deutfchen Freunde find noch in Skenninge, 
wie ich höre. So will Gott, daß Ihr einmal ganz al- 
lein fteht. Ia, Ihr folt Euch gürten wie ein Mann, 
denn Er will mit Euch reden, und feine Worte find lau— 
ter That. — | 

Der Herzog ift fehr von Euch eingenommen, wie 
er mir fchreibt; aber hütet Euch vor dem Kleinode feines 
Herzens, denn er ift ein heftiger Mann und das goldene 
Fließ dürfte Euch nicht befchieden feyn. — Ihr feyd 
unter den liebenswürdigften Menfchen, ſeyd felbft Tie- 
benswürdig uud harmlos. — 

Haltet das erfte Gebot und lebet wohl! 

Gedenket Eures Freundes 
Serenius.« 


Nachſchrift: Eure Anſcharkirche geht unter Jaͤrn— 
ſtrongs Leitung gut fort und ſteht ſchon in hohen 
Mauern; wenn Ihr wiederkehrt werdet Ihr Eure 
Freude daran haben. — Jaͤrnſtrong und Bielke 
gruͤßen Euch. — Weilet nach Gefallen bei Bir— 
ger; doch wenn Ihr auch wiederkehrt, ſo ſeyd Ihr 
uns herzlich willkommen und koͤnnt immer in die 
alte Stelle unter uns eintreten. 

| & 


Erwin fand einige Minuten nachdenklich und öff- 
nete dann zuerfi feines Waters Eberhard Brief, wel: 
cher alfo an ihn fchrieb: | 


83 


»Mein lieber Sohn! 

Deine Briefe und Tagebücher aus Holland und 
Lund haben uns fehr gefreut, und der freue Konrad 
war ganz außer fich vor Lob und Dankfagung, daß Du 
durch einen Fifch feine Worte empfangen hätteft. — Wie 
es aber damit recht zufammenhängt, ift mir noch nicht 
deutlich geworden. — Deine Mutter und ich find nun 
ganz beruhigt, da Du in Schweden an dem Bifchof 
zu Lund einen fo edlen Gönner gefunden haft. — Ic 
fprah: Der Junge hat unerhörtes Glüf! — Sie da- 
gegen wollte es von Deinem guten Herzen herleiten; 
wir mögen wohl Beide Recht haben. — Sa, das ift 
mehr als zu Haufe, wenn der Herr felbft die Thüren 
Öffnet und Dir eine neue Heimath bereitet. Möchte fie 
Dir inimer offen flehen, wenn die Welt Dich verftößt! 
Serenius ift ein herrlicher Mann, und daß Du ihm 
die Kirche des heiligen Anfcharius bauen folft, hat 
mich faft neidifch gemacht, wenigftens möchte ich Dir 
hülfreiche Sand dabei leiften. Deine Gedanken find rich- 
tig, und Du wirft es tüchtig zu Ende führen. — Auch 
Meifter Dieterich fchreibt mir davon ganz. eingenom= 
men, und meint, Du Fönneft es nach diefem Anfange 
noch einmal weit bringen, und eine neue Bauhütte, be- 
rühmter als alle zu Straßburg, gründen. Gott geb’ 
est Doch denke ich, er wird der größte Meifter unter 
und bleiben und für viele Sahrhunderte unerreicht fte- 
hen; denn feine Einfalt und Stärfe der Gedanken, wie 
fein vor mir liegender Domriß beweist, ift einzig und 
wunderbar. — 

Sn unferm armen Vaterlande fieht e8 übel aus! — 

6* 


84 


Der Hohenftaufe Konrad hat den Wilhelm von 
Holland aus dem Felde gefchlagen. Die Kölner muß- - 
ten ihm die Thore Öffnen und ihn als deutfchen Kaifer 
anerkennen. Der Erzbifhof von Hochftäten war ent- 
flohen. — Nun zieht Konrad wieder zurüd, weil ihm 
die italienifchen Befißungen noch mehr am Herzen lie- 
gen; doch brandfchatte er zuvor unerhört alle Kirchen 
und Klöfter feiner Gegner, der rheinifchen Churfürften, 
und fchleppte von den Heiligthuͤmern viel Silberd und 
Goldes weg, weil er geizig ift, obwohl des Waters 
Heldenblut in ihm fließt. — Nur unfer Straß: 
burg ift verfchont geblieben, denn unfer Bifchof ift 
fein Freund. 

In unferer Häuslichkeit geht es auf die alte Weife 
zu. Konrad kommt alle Abend nach der Arbeit, und 
erzählt und ‚dann die Gefhichten des Tags, ober liest 
und vor am fleinernen Tiſche. Süngft lad er und das 
herrliche Lied der Nibelungen, was mich fehr befrie- 
digte und wobei Deine gute Mutter oft Thraͤnen vergoß. 
Mir famen fogar in Streit darüber, da fie der Chrim— 
bilde durchaus nicht fo ganz Unrecht geben wollte, und 
ich Dagegen den wiberwärtigen Hagen vertheidigte. 
Konrad vermittelte es, indem er fagte: Es muß ja 
fo feyn. — Meine Ausbeflerung ded Doms geht lang— 
fam fort, weil die nöthigen Hände fehlen und die Kaffen 
leer find. So muß man fich helfen, wie man Fann. 
Alles junge mannhafte Volk wird zum Kriege aufgebo- 
ten für oder wider die Hohenftaufen. Auf dem Lande 
gefchehen von den Raubrittern unerhörte Frevel, und nur 
noch in unferen freien Neichsftädten befteht durch Die 


85 


Gilden und Zünfte einige Ordnung. — Alle Gefeke 
fcheinen im heiligen römifchen Reiche aus ihren Fugen 
zu gehen, und wer mag fie loth- und 'wagerecht wieder 
einrichten? — 

Sch fühle, daß ich altere, denn die Augen fangen 
an, mich zu verlaflen; doch ift der Geift noch munter 
und frifch das Herz! — 

Dein Abenteuer mit dem Raubritter und Dein 
Leben in Rotterdam bei Bandernoth, fo wie Dein 
Streit mit dem guten Baumeifter Peter von Kreyog, 
haben mich fehr ergößt. Sch finde, daß Du Recht hat- 
teft; nur hätteft Du den alten Meifter nicht fo ſcharf 
anfaffen follen, welcher ja für fein Volk ſprach. Da ift 
noc etwas Anderes als Kunft, was Ehre verdient! Die 
blühende Zochter des guten Bandernoth hat und fehr 
gefallen, und Fennten wir nicht Hildegard von Köln, 
fo wuͤrde fie und noch lieber geworden feyn. — Deine 
waderen Gefährten Kaspar und Hubert find wahre 
Tobiad= Engel! Möchten fie nicht von Deiner Rech: 
ten noch Linken weichen, bi5 Du heimfehrft. — 

Unfer Weinſtock ift gut befommen, und wir haben 
in diefem Herbfte eine reiche Lefe zu erwarten. Moͤch— 
ten nur die gefüllten Fäffer von guten deutfchen Bür- 
gern und nicht von Feinden ausgeleert werden! — 


Dft fiße ich in der Ahornlaube am Weiher bei un= 
tergehender Sonne mit Mutter Gutta und ‚Konrad. 
Da fchaue ich auf die vergoldeten Waizenhalme, wie fie 
fo leife im Abendwinde wogen, und wir reden von Dir 
und Deinen fernen Thaten. — Gott ſey mit Dir, 


86 


mein Sohn, die Mutter will noch Einiges binzuthun ! 
Sp leb' wohl. 
Dein Bater 
E. Steinbadh.« 

Gutta fügte noch Folgendes hinzu, welches Er- 
win fanft bewegte: 

»Du bift alfo im Falten Schweden, mein liebes 
Kind, und folft da im hohen Norden ven eifigen Win— 
ter zubringen? — Möchten Dir warme Menfchenherzen 
begegnen, und aus dem Liebesmeer des Allliebenden Dir 
belebende Tropfen in Deine einfame Seele gießen; denn 
Du bedarfit frommer Liebe, wie Du fie giebftl. — Deine 
Erzählungen thaten meinem Herzen wohl, und ich möchte 
Dich bitten, wenn es nicht zu kuͤhn ift: grüße von mir 
recht innig das Fräulein Elifabeth, Serenius edle 
Schwefter, und erhalte Dir ihren verftändigen Rath und 
ihre fo reine Theilnahme; dafür, fage ihr, möchte ich ihr 
gern die Hand drüden. — Feiner ja wirft Du es fa- 
gen, als ich, aber das ift der Sinn. Sch verehre fie 
fehr! Ein großer Segen begleitet Dih, mein Erwin, 
fo wache und fey ſtark! Bete für mich, wie ich für Dich! 

Deine Mutter 
Gutta.« 


Konrad fchrieb als Beilage Folgendes: 
„Mein einziger Freund! 

Wie oft ich Dein gedacht, Dich entbehrt und von 
Dir geredet habe, darf ih Dir nicht erzählen; Du weißt 
eö, wie meine Seele Dein bedarf und ohne Dich nicht 
| froh feyn kann. — Seit ich aber fo wunderbar durch 


87 


den Baud des Fiſches mit meinem Brieflein zu Dir 

gekommen bin, hat ed mit der natürlichen Weife einigen 
Aufenthalt erlitten; oft faßte ich die Feder, wenn das 
Herz mir voll war, aber es führte Fein Weg von daher 
durch die Dinte aufs Papier und ich warf fie wieder 
weg. — Wenn der liebe Gott felbft Briefträger wird, 
und alfo auf unfere Freundfchaft fein Siegel drüdt, 
wer möchte nach ihm dieſes Amt übernehmen? — Doch 
heute, da Bater Eberhard und Mutter Gutta über . 
Köln durch gute Gelegenheit an Dich fehreiben, fo kann 
ih allein nicht zurüd bleiben. — Darum fage ich Dir, 
guter Zunge, daß ich mich herzlich Deiner Bravheit und 
Deines Gluͤcks gefreut habe. — Große Augen habe ich 
gemacht, daß Dir in dem oͤden Schweden, welches ich 
in Sandelögefchäften nach allen Seiten einft durch— 
freuzte, ein folches Paradies aufgegangen ſey. Doc 
was weit Du nicht Alles auf durch Dein liebendes 
und wunderfüchtiges Herz! Die Menfchen glauben Dir, 
daß es fo fey, wie Du es Dir traumft, und dann ift 
es eben fo. — Dazu bat alles Gute und Schöne an 
fi) etwas Wunderbare, wie Du denn unter fehr gu— 
ten und herrlichen Menfchen lebft; und wenn Du es 
dann fo mit zarten Fingern aus ver Ziefe, wie 
ein Schabgräber, herausholft, und es hinſtellſt fo 
treuherzig ans Licht der Sonne, fo ift einem wirklich zu 
Muthe, ald wenn die Welt fich umgekehrt und ihren 
jüngften Bag mit dem neuen Himmel und der neuen Erde 
nach Außen gewandt hätte. — Ich dagegen fehe leider 
nur ihre Mängel und ihr altes verkehrtes Wefen, und 
babe mich von Morgen bis Abend mit dem Zählen ihrer 


88 


Rechenpfennige zu zerplagen. Da magft Du ed mir 
nicht verdenfen, wenn ich Dir warnend zurufe: » Hüte 
Dich, mein feines Paradiesvögelhen! Sey wachfam 
und fey ftarf, denn nicht Alles, was gleißet, ift Gold!« 
Ta es ift recht fchön, daß Du aus allen Dingen, wie 
die Biene aus den Blumen, den Honig herausziehft; 
aber unfer Herr ift nicht umfonft für die Sünden der 
Menfchen am Kreuze geflorben, und die Hefe des Kel- 
ches fchmedte ihm fehr bitter; fo bewahre Dich Gott 
vor dieſer bittern Hefe, und führe Dich unverlebt an 
Leib und Seele wieder zu uns nad) Straßburg zu— 
ruͤck. Da wollen wir gute Bürger feyn, in Noth und 
Tod bei einander ftehen, und die Augen recht hell aus— 
wafchen im Morgenroth der alten Freundfchaft! — Bis 
dahin geleite Dich der Herr durch feine Boten, den 
Kaspar und Hubert, Serenius und Elifabeth; 
fo wie auf deutſchem Boden fie Dieterich und Hilde— 
gard hießen. ES ift immer doch der gute Hirte, welcher 
viele Geftalten annimmt und felbft die Winde zu feinen 
Knechten und die — zu ſeinen Dienern 
macht! — 

Behalte mich lieb, wie Dich liebt 
Dein Konrad. 


»Du treuer Freund,« feufzte Erwin, und eine 
Thraͤne fiel auf das Blatt, welche die Worte „bittere 
Hefe« faſt ausloͤſchte. — Mit fleigernder Bewegung 
entfiegelte er nun Meifter Dieterich8 ‘Brief, und Die 
fhönen, freien Schriftzüge Hildegards, welche er als 
Einſchluß bis zuletzt fich auffparen wollte, zogen ihn fo 


89 


unwiderftehlich an, daß er fie zuerft entfaltete und las 
wie folgt: 


»Mein geliebter Erwin! 


Wo Du jebt weilen magft, frage ich oft, wenn ich 
den Fußpfad durchs Kornfeld gebe, wo wir und das 
legte Lebewohl fagten. Das lebte? — Wir find ja 
noch jung und gefund, und können und noch oft wieder: 
fehben in diefem begegnenden eben; und doch war es 
eine fehr ernfte Stunde, wie mich duͤnkt, ald Du mid 
an Deine Bruft fchloffeft und wir dann auf entgegenge- 
festen Wegen im mwogenden Korn auseinandergingen. 
Du mit Kaspar in die weite Welt hinaus, ich mit 
Bertha in die ftille Heimath zuruͤck. — Wir hatten. 
uns fo fehr an Dich gewöhnt, und eine gute Gewohn⸗ 
heit hat viel Macht über das Menfchenherz, wie frei es 
fich auch dünfen möge. — So oft ich mit dem Va— 
ter an einem fchönen Abende auf der Höhe ſtehe, wo 
Du und das Lied Deined Baterd lafeft, und wir dann 
nach dem alten thurmreichen Köln hinüberfehen, fo re= 
den wir auch von Dir und Du bift und nahe im Geifte. 
Deine Tagebücher haben und fehr gefallen, denn Du 
machft Alles fo lebendig darin, ald wenn wir mit dabei 
gewefen wären; infonderheit z30g mich Dein Leben in 
Holland an; ich ging mit Dir in die Kirche und 
hörte die Predigt, dann an den Strom und fah das 
Getümmel, endlich in ded guten Vandernoths Haus, 
wo ich mich der blühenden Toͤchter, befonderd Deiner 
fhönen Beifigerin, freute — Grüße fie von mir! 
möchte ich fagen, wenn Du fie wieder fiehft; denn fie 


90 


ift mir ganz befannt, weil fie Dich fo gut verftanden 
bat. — Aber nun bift Du unter vornehmen Leuten 
und, was mehr fagt, unter wahrhaft edeln, wo Du die 
ganze Fülle Deines inneren Lebens zur Geftalt bringen 
kannſt. Dafür habe ich Gott mit Inbrunſt gedankt, 
wenn ich auch nicht in diefen glänzenden Kreis zu Dir 
eintreten möchte. — Sch forgte, Deine hohen Traume 
vom Norden möchten nicht wahr werden, und doch hat 
ed fich fo ſchoͤn erfüllt! Man ſieht ed auch fchon fehr 
Deiner Kunft an; denn der Vater ift ganz eingenommen 
von Deinem Riffe zur Anfcharfirche, und Du weißt, daß. 
er nicht leicht lobt. — Deine Briefe trafen unfer Herz, 
und daß Du dort am Hafen im Mondenlicht meiner fo 
ſtill gedachteft, und nicht hinüber wollteft ins frohe Ge- 
wühl ohne mich, fondern an mich fchriebft, das muß ich 
Dir fehr danken. Auch ich bin noch nicht hinüber in Die 
laute Stadt gewefen, feit Du von uns weggingft. — 
Meine ganze Sorge und Kiebe geht auf den Bater, der 
Dich fehr entbehrt, und fo füllt fi mein Tagewerk 
von felbft und ganz natürlich aus, fo daß ich Feine Zeit 
für Befuche uͤbrig behalte. 

Bertha, welhe Dich grüßt, ift unterdeflen ganz 
zu mir herübergezogen, und während der Vater fih am 
Abend nach der Arbeit mit Meifter Gerhard und dem 
alten Ritter von Finkenftein unterhält, wie Du es 
fennft, fo gehe ich mit Bertha in den Garten oder ins . 
Korn, wenn wir nicht in der Ahornlaube beifammenfigen 
und traulich mit einander fehwagen. . 

Bon den großen Kriegsläuften wird der Vater Dir 
erzählen. Wollte Gott nur unfere gute Stadt Köln 


91 


ferner vor inneren Unruhen behuͤten, deren wir leider ſchon 
mehrere ſeit Deiner Abweſenheit erlebten; denn der Chur— 
fürft ſteckt fi hinter die Webergilden, um die alten 
edlen Gefchlechter zur unterdrüden und einen neuen Se- 
nat zu bilden. Seine Herrfchfucht ift unbegrenzt; auch 
das Münzrecht, welches fie vom Kaifer Heinrich em— 
pfangen haben, will er nicht mehr gelten laffen. So ift 
ſchon viel Blut in unfern Mauern vergoffen. Nun bat 
er unfere Stadt ganz verlaffen und halt fein Hoflager 
zu Bonn Man fürchtet Alles, doch unfer friedlicher 
Heerd ift bisher verfchont geblieben. — Kaifer Kon: 
rad, nachdem er den Wilhelm gefchlagen hatte und 
als Sieger bier einzog, befuchte auch meinen Vater und 
ermunterte ihn zum Dombau. Er ift ein rechter Kriegs- 
held, doch lange nicht fo milde, als fein großer und un— 
olüklicher Vater. 

Auch der Gefandte Friedrichs II. ift bei und ge: 
weien und geht nach Schweden; vielleicht fiehft Du ihn 
dort, und er mag Dir von uns erzählen. 

An Deine Mutter habe ich gefchrieben, und fie hat 
mir jüngft geantwortet, fo daß es meine ganze Seele er- 
füllte! Gott erhalte Dir Deine guten Aeltern! Schreibe 
uns bald! Gott fegne Dich, wie es wünfcht 


Deine Hildegard.« 


Zuletzt entfaltete unfer Freund des Meifterd Die— 
terich Sendfchreiben, nachdem er eine kurze Weile fin- 
nend geflanden, und die Worte Hildegardd wie einen 
fillenden Balfam an fein Herz gelegt hatte. So trat 
er vor ihren Vater hin, ver alfo zu ihm rebete: 


92 


»Mein waderer Freund und Bruder! 

Du lebſt noch unter und, fo wie Du es wünfchteft. 
Deine Stelle ift offen in der werkthätigen Bauhütte wie 
am gaftlichen Zifche. Niemand kann und wird fie aus— 
fülen, bis Du wiederkehrf. — Deine Eunftreichen 
Hände dienen nun einem fremden Volke, und Dein 
Geift belebt ihre Steine mit göttlichen Gedanken. So 
bit Du des Meifterbriefes werth, welchen die Wiener 
Bauhütte Dir zufandte. Hätte fie es nicht gethan, fo 
würden wir Dir einen ehrenvolleren Brief aus unferer 
Kölner Hütte zuftellen; denn Gerhard und ich, fo 
wie alle Werfmeifter des Doms, geben Dir das Zeug: 
niß, daß Du unfer Stolz in der deutfchen Maurerfchaft 
feyeft, und durch das Eingefandte von Lund fchon in 
jungen Sahren zu den größten Hoffnungen berechtigeft. 
Der Riß Deiner Kirche zum heiligen Anſchar mit fei= 
ner Befchreibimg wird von allen Werfmeiftern, felbft 
von Stalienern und Franzofen, welche an unferem Dom 
arbeiten, hoch gerühmt und bewundert, ald im reinften 
und fchönften Style gedacht; und ich fage Dir nad) reif- 
licher Prüfung, Du haft es auf den Kopf getroffen, und 
es wird unferm Volke im Auslande Ruhm bringen, 
wenn Du es vollfuͤhrſt! — Ich kann Dir nun auch 
geftehen, daß ich Dich nicht für fo glüdlich in Deinen 
Erfindungen gehalten habe, da fie bisher noch immer an 
einiger Künftlichkeit litten, wie Du auch felbft mit einer 
fo liebenswürdigen Befcheidenheit anerfennf. — Das 
große Leben zu Lund unter den edelften Menfchen, fo 
denfe ich, hat Dich bald darüber hinweggehoben und 
mit flarfer Hand auf dad vwig Nothwendige binges 


93. 


worfen. — Das erfreute mich fehr in Deinem Bau: 
tiffe, und auch Deine Tagebücher von dort fprechen e3 
aus. Der Geift des Herrn hat Dich gefaßt, und fein 
Bote erfchien Dir im Garten, um Dein ringendes Herz 
zu flillen. Du nennft ihn — Elifabeth, und ich 
möchte ihr bei £eibesleben aus eigener Machtvollffommen- 
heit den Heiligentitel geben, wenn auch Fein Papft fie - 
fanonifirt hätte. — Ihr Bruder ift ein außerordentli— 
her Mann, der Licht- und Recht um fich her verbreitet, 
aber fie fcheint mir doch die geheime Seele des ganzen 
Haufes zu feyn. Ich möchte auf ihn das Wort des 
Propheten anwenden: »Gerechtigkeit wird der Gurt fei- 
ner Zenden heißen.«e Auf fie aber das andere: »Der 
Glaube der Gurt ihrer Nieren.« Denn Glauben athmet 
ihr ganzes Leben, echt=evangelifchen Glauben, und nicht 
wie der Papft Innozenz ihn uns vorlügen will, 

Gott fegne Di, mein Sohn, dag Du in eine 
fo gute Gefellfchaft gekommen bift! — 

Hier ift das Haus des Herrn wuͤſte geworden, und 
der Greuel trat an die heilige Stätte. — Konrad der 
Hohenftaufe ift fiegreicher Kaifer; er beraubte unfere 
Kirchen und.befledte fie mit Blut, weil längft der Geift 
bes Herrn von ihnen gewichen war. Mir dagegen fprach 
er freundlich zu, um den neuen Dombau zu vollenden, 
welcher in den Kriegsläuften darnieder lag, indem der 
Erzbifchof nach Bonn entflohen war. Auch verhieß mir 
der Sieger feinen kraͤftigen Beiftand, wenn er einft rö- 
mifcher Kaifer würde. Doch er wird es nicht werben, 
denn die Hohenftaufen find fehwer gebannt, und haben 
mit allen hohen Heldengaben ihre Grenze überfchritten, 


94 


welche ber große Barbaroffa fo weile zu halten wußte. 
— Die Kirche ift älter ald der Staat, und wie verberbt 
auch jene fey, fo kann der Staat doch nie ihr Meifter 
werden. 


Friedrich II. haufet als Kaifer in Italien, und 
der. fhöne Enzius, fein herrlichfter und ähnlichfter 
Sohn, liegt zu Bologna in lebenslänglicher Haft. So 
finft alle Erdenherrlichkeit in den Staub und alle Zap: 
ferfeit wird zu nichte, wenn Gott der Herr dem Men— 
fchen nicht die Befonnenheit giebt. — Der Pfaffenkaifer 
Wilhelm von Holland fammelte, nachdem er geichla= 
gen war, von neuem ein Heer, e3 wird ihm aber um 
nichts beffer ergehen, ald Heinrich Raspe von Thuͤ— 
ringen, denn er ift eitel und ein Werkzeug in der Hand 
der Betrüger, welches fie zerbrechen werden, wenn e3 
ihnen nicht mehr taugt. — Doch hat er, wie eben die 
Nachricht eingeht, mit einem zahlreich zufammengelau= 
fenen Heere von Verblendeten, welche ald Kreuzfahrer- 
gegen die Hohenftaufen von dem Papfte Ablaß empfan- 
gen haben, die alte Krönungsftadt Aachen erobert, welche 
ihrem alten Kaifer Friedrich bisher treu geblieben war. 
— Die edelften Gefchlehter find ausgewandert und ha— 
ben Haus und Hof verlaflen und alle Begnadung des 
Wilhelm verfchmäht. Da haben ihn nun die Erzbi- 
fhöfe von Mainz und Trier gefalbt und gekrönt, 
aber mit neuen Reichskleinodien, denn die alten find 
noch in König Konrads Beſitz, und darum rufen die 
Gegner: Es ift die Krönung nichtig! — 


Sp traurig fieht es in unferm deutfchen DBaterlande 


95 


aus, aber mein friedlicher Heerd ift durch die Gnade 
Gottes bisher verfchont geblieben. — 

Auch der Erzbifchof liegt in Fehde mit Köln we- 
gen der Münzgerechtigkeit, und wiegelt die Zünfte, infon- 
berheit die Weber, gegen die alten edlen Gefchlechter auf. 
Es wird ihm am Ende doch gelingen, und fo ift.der 
Bürgerkrieg vor der Thüre. — Dennoch geht es im— 
mer fort mit meinem Bauen, und Alle, fowohl Bürger 
als Churfürft, reichen dazu freundlich die Hände, und 
laffen mir manche unverdiente Ehre widerfahren. 

Auch Du, mein Brudermeifter, ftellft mich viel zu 

hoch; ich möchte das wohl feyn, was Du fagft, aber 
ih bin es nicht, denn Deine Liebe zu mir fieht nur das 
Starke und Gute, nicht aber daS Schwache und Fehler: 
hafte, was mir doch wohl bewußt if. — Alles das 
dient zu meiner tiefen Demüthigung, und ich fürchte oft, 
daß Gott darum plößlich feine Gnadenhand von mir ab: 
ziehen werde. 
Mit dem biedern Peter von Kreyog haft Du 
jugendlich geftritten und mich auf Koften der Wahrheit 
erhöht; doc hat die Kunft einen eigenen Stolz, und ich 
danfe Dir für die wackere Vertretung unferer Bauhütte 
zu Köln. — 

Deinen fchmwedifchen Gegner und Freund Järn- 
ſtrong möchte ich wohl Eennen, denn es ift ein gan- 
zer Mann; erhalt’ ihn Dir zum Freunde, er thut mehr, 
ald er verfpricht. 

Meine Hildegard ift, feit Du weg bift, viel ern- 
fler geworden, aber ihre treue Sorge für mich hat fich 
noch verdoppelt. Sie ift mir Mutter, Hausfrau und 


96 


Kind zugleich, und thut Alles fo einfältig zu meinem 
Mohlgefallen, daß man es kaum bemerft. 

Gerhard von Trond nedt fie oft mit ihrem kloͤ— 
fterlichen Wefen, da fie, feit mit Dir, noch nicht wieder 
getanzt hat; und fie nennt ihn dagegen ein armes Welt- 
find, welches der Wetterfahne gleiche. Doch meint e3 
der gute Meifter bei allem Scherz und Spott fehr 
ernftlich. 

Dein Vater hat mir öfter gefchrieben, kurze kraft— 
volle Worte alter Liebe, und es ift faft, ald wenn Du 
ein neued Band unferer Freundfchaft geworden ſeyſt. — 
Sp verjüngen wir uns in den Kindern, und fangen noch 
einmal zu leben an! 

Sott fey mit Dirt — Schreib uns bald, grüße 
den Freund Kaspar und fey wader! — 

Dein treuer Dieterich.« 


Erwin faltete den Brief des verehrten Meifters 
leife zufammen. und blickte fehwermüthig über den Wald 
und See in die bämmernde Ferne. — Es hatte fein 
Innerſtes getroffen und den Eindrud der früheren Briefe 
vollendet. — Das entichwundene Bild feines erfreuli- 
chen Lebens zu Köln mit Dieterih und Hildegard 
trat wieder im bellften Sonnenlichte hervor. Auch die 
Samilienftube der lieben Aeltern und der treue Konrad 
zu Straßburg wurden ihm fo ganz gegenwärtig, als 
wenn er fie erft geftern verlaffen hätte, und Alles noch 
auf der alten Stelle ftehe. Doch fühlte er leider bald, 
daß mit ihm ſich Manches verändert habe, und in fei- 
nem Herzen eine tiefe Wunde entftanden fey, welche fich 


97 


nicht fo allein durd,) den Balfam liebender Worte heilen 
laffe. — 

Hildegards Treue in der tiefften Wahrheit -rührte 
ihn zu heißen Thränen, und er befchloß, ihr nichts zu 
verbergen, was feither mit ihm vorgegangen fey; ja, er 
hoffte ſich dadurch felbft Elarer zu ‚merden und an dem 
edlen Vertrauen der reinften Weiblichfeit zu einem neuen, 
geftilten Leben ſich aufrichten zu koͤnnen. Serenius 
Warnungen fielen ihm aufs Herz, und noch mehr Eli- 
fabeth3 zartere Sorge. Er fonnte die Gefahr nicht 
für fo groß halten, wenn fein Herz von dem wahrhaft 
Schönen bewegt wurde, und meinte, auch dieſes muͤſſe 
für das Reich Gottes einen großen Gewinn bringen, 
wenngleich mit Gefahr, wie ein Meerfchiff, das nicht im 
Hafen bleibt, fondern durch Stürme und fchäumende 
Wogen zum Ziele eilt. Doc fragte er fich bedenklich, 
ob er denn auch der rechte Steuermann fey, der mit 
Kompag und Seefarte gehörig verfehen wäre, um das 
unbefannte Meer der Neigungen und Gefühle ficher 
durchfchiffen zu koͤnnen? Er war allein, und der Fuge 
Herzog hatte ihm das zur Pflicht gemacht, wohin feine 
Seele ihn zog. Schon war, er mitten auf jenem Meere, 
und dad Land fing an zu fchwinden; da galt ed nad 
den Sternen fehauen und die rechte Bahn halten, um 
nicht hie oder dorten am Zelfenriffe zu zericheitern oder 
auf Sandbaͤnken feft zu werden. Er betete zu Gott 
um ein reine Herz, und fagte Lob und Dank ihm für 
die empfangenen tröftlichen Briefe. — Seine Seele 
ward ftiller und er fühlte erquickend die Nähe des All 
liebenden. Da trat Prinz Erik herein, lieblich wie die 

Erwin von Steinbach. II, 7 


98 


Morgenröthe, und überbrachte ihm vom Herzoge zwei- 
hundert Goldftüde in einem grünfeidenen Beutel, indem 
er ſprach: » Das fendet Dir der Vater für Deine fchö- 
nen Zeichnungen und vielfachen Bemühungen, zum An— 
fange nur, durch mich, Deinen Freund, und läßt Dir 
fagen, daß er fpäter im Fortgange des Baues den grö- 
feren Lohn hinzufügen werde, um Dein, Verdienft zu 
ehren und fein Wort zu erfüllen! Du follteft nur gu— 
tes Muths feyn und freundlich an ihn denken! — 

Der junge Prinz hatte den Beutel, in welchem vie 
Goldſtuͤcke hell durchfchimmerten, auf den Tiſch vor ihm 
hingelegt, da Erwin, überrafcht, ihn anzunehmen fich 
weigerte. — 

»Was meinft Du denn,« rief der Knabe mit ſtei— 
gernder Röthe, welche ihm fehr wohl Eleidete, „fol mein 
Vater Dich nicht fürftlich belohnen, da Du ihm meifter- 
lich gedient haft? — Nein, lieber Ritter und Meifter, 
fo flolz mußt Du nicht feyn, wenn wir Freunde bleiben 
wollen. Es ift genug, daß Du treuli für und gear- 
beitet haft! Laß meinem heldenmüthigen Water auch 
dad Vergnügen, Dir davon abzutheilen, was er die 
Fülle hat!« | 

Erwin verfegte: »Mein Prinz, ic) möchte bei fo 
edlen und vorzüglichen Menfchen, al3 Ihr feyd, nicht fo 
abgefunden werden, und diefes heißt mehr als abfinden; 
denn ich habe nicht den zehnten Theil davon verdient, 
und bin ohnehin fehon durdy Eure Freundlichkeit und 
Güte Euer zu großer Schuldner geworden. Wie fol ich 
einft von einem Haufe mit leichtem Herzen fcheiden, dem 
ich durch Wohlthaten‘ aller Art, wie durch dieſes Gold, 


99 


fo flart verbunden bin? Darum ift es nicht Stolz, 
wenn ich ablehnte, was mir nicht zufommt.« 


»Es fommt Dir zu, fage ich,« rief der Knabe und 
fiel ihm um den Hals; „es fommt Dir wohl viel Beſſe— 
res zu, als alles Erdengold, lieber Ritter, doch das kann 
ih Dir nicht geben; — fo nimm den befcheidenen Lohn 
hin, und fey getroft, und genüge Dich an unfrer Liebe. « 
Erwin drüdte mit tiefer Inbrunſt das edle Blut an 
feine Bruft, und ed war nicht mehr die Nede vom 
Golde, welches er nun gern annahm, da er viel Größe: 
red in ber Liebe des jungen Prinzen fo eben empfangen 
hatte. — 

»Du bift doch ein Thor, Steinbach,« fagte 
Erik, da er fih aus feinen Armen aufrichtete. »Um 
diefes bischen rothen Goldes willen wollteft Du meinen 
Bater erzuͤrnen? Denn er hätte es Dir niemald verge- 
ben, wenn Du es nicht angenommen; auf der Stelle 
wärft Du aus feinem Dienfte verwiefen, und was würde 
Schwefter Freya wohl gefagt haben, wenn fie ihren 
Marfhall verloren hätte? — Sch aber wäre doch am 
betrübteften gewefen, denn Du bift mein guter Freund, 
und Niemand in diefem Haufe liebt Dich fo fehr, als 
ih und der Narr! — Laß alfo Eunftig die deutſchen 
Grillen und bleib recht lange noch bei uns!« 

„Ja,« verfeßte Erwin mit einem wehmüthigen Lä- 
cheln, „es wird mir nur allzu. ſchwer werden, von Euch, 
geliebter Prinz, einft zu fcheiden, und Euch und Euer 
hohes Haus niemald wieder zu fehen!« 

»Du Eommft immer wieder!« rief der Knabe und 

7% 


100 


zog ihn hinunter in den Speifefaal, wo der alte König 
ihn gar freundlich empfing. — 


Schfted Kapitel. 


Der alte König, welcher anfangs gleich nach dem Her— 
zoge aufbrechen wollte, verweilte noch mehrere Wochen 
in Bielbo, weil er fich fehr erfchöpft fühlte, auch Die 
Schmwefter Ingeborg mit ihren Kindern ihn durch 
freundliches Bitten, wie durch eine gemüthliche Stille zu 
feffeln wußten. Es war noch der fehöne Friede einer 
früheren Zeit, welchen er durch feine Gegenwart mit fich 
führte, und einem Jeden ward fo wohl bei ihm, daß 
man nichtd mehr mwünfchte, ald um ihn zu feyn und 
dem alten Herrfcher ein Vergnügen zu bereiten. Er 
machte wenig Anfprüche und war immer heiter, ja oft 
fcherzbaft und launig; er redete eben nichts Bedeuten- 
des, doc umgab ihn eine fo ftille, einnehmende Würde, 
dag felbft das geringfte Wort aus feinem Munde ein 
gefelliges Band wurde. Am Morgen Tieß er, nachdem 
er fein Gebet gethan und mit der Familie feine Andachts- 
ftunde gehalten hatte, die darin beftand, daß der Hof- 
fapellan eine Mefle fang und einen Abfchnitt aus der 
Bibel oder eine Predigt des Chryfoftomus las, das 


101 


Frühftüf in den Garten tragen, wo er ed mit der Ge- 
felfchaft in einem Sommerhaufe fehr behaglich genoß, 
und dann im Gefpräch mit feiner Schwefter durch die 
grünen Lindengänge ein wenig auf und nieder wandelte. 
Bald darauf Fehrte er in feine Zimmer zurüd, wo er 
fi) von feinem Kanzler die dringenden Staatöfachen vor: 
tragen ließ. War dieſes beendet, fo durfte Jedermann 
ein Gefuch bei ihm anbringen und feine Klagen ihm 
vortragen. Das Wichtigfte beantwortete er felbft, das 
Andere überwied er feinem Kanzler zum weiteren Vor— 
trage. Sein klarer Verftand und feine natürliche Rechts— 
liebe lösten fehr einfach und fchlagend auch die verwi- 
deltften Knoten. Da ſah man den Alten in feinem 
größeften Ernft, in feiner hoͤchſten Würde, als Vater fei- 
nes Volks, ald Befchüger der Unterdrüdten und als 
Richter der Unbill. Hier ließ er fich gute Weile, und 
wie gefhwächt auch ſchon fein Geift war, fo erfeßte es 
doch ein gewifler Takt für dad Wichtige und eine lange 
Uebung in den Gefchäften. Die Liebe und dad Ver— 
trauen des Volks zu ihm war unbegrenzt. 

Nun aber war an ernfte Dinge auch nicht weiter 
zu denken. Er befahl den Knappen, die jungen Pferde 
auf dem Schloßhofe zu bereiten, und ergößte ſich an ih— 
ren Sprüngen; dann ließ er die Jäger mit den Koppeln 
der Hunde fommen, und unterredete fich mit ihnen über 
die in der Frühe des Morgens vollbrachte Jagd und 
ließ fich das erlegte Wild zeigen, indem ed vor ihm ge- 
wogen und nach den Pfunden mit einem Bleiloth ver: 
fehen werden mußte. Dann machte er vor der Zafel 
einen Spagzierritt mit kleinem Gefolge, wozu Erwin ge 


102 


woͤhnlich eingeladen wurde, indem er mit ihm über Bau- 
fachen redete; ober der König ließ fich von feinen viel- 
geliebten Schwefterfindern Freya und Erik durch den 
Garten an den See und in den Wald führen, indem er 
fi mit ihnen traulich fcherzend unterhielt, und bald auf 
einem Felſenſtuͤck, bald auf einem Mooshügel unter ei- 
nem fchattenden Baume fich niederließ und faft kindiſch 
mit ihnen fpielte. Niemand, ald fie Beide, durfte ihn 
auf diefen Spaziergängen begleiten, und da er felbft 
feine Kinder hatte, fo war es ihm, ald wenn dieſes lieb- 
liche Gefchwifterpaar ihn auf kurze Stunden wie feinen 
Vater erfannte. Oft Fam er ganz erhist mit ihnen zum 
Mittagsmahl zurüd, jedoch in der vergnügteften Laune. 
Dei Zafel ließ er die Skalden zu ihren Harfen alte 
Heldenfagen fingen, doch duldete er felten raufchende 
Muſik, weil fie ihm den Kopf betäubte. Nach der Mahl: 
zeit fchlummerte er ein Stündchen, und fand ſich dann 
im Gefellfchaftsfanle ein, wo Graf Jertha mit ihm 
Schach oder Dame fpielen mußte, bis die Abendftunde 
heran Fam. Hier war er fehr unterhaltend und redete 
viel mit Erwin und Lido über Deutfchland und Ita— 
lien, indem er fih nah Künften, Sitten und Geſetzen 
genau erfundigte. Auch der arme Joͤns ward oft von 
ihm ind Gefpräch gezogen, und feine poffirlichen Einfälle, 
welche immer ganz unerwartet famen, erregten gewöhn- 
lic) bei dem alten Könige ein fo unendliches Gelächter, 
daß er fich den Bauch hielt und Thränen vergoß. Dann, 
nach dem Vesperbrote, trat die größere Hausgefellichaft 
ab, und nur Erwin, Lido, der Kanzler und der Ge- 
fandte Parifius blieben etwa mit dem Hofmeiſter des 


103 


Prinzen und dem Grafen Jertha im engeren Familien- 
kreife zurüd. Der alte König fehien dann bei Wein und 
Früchten von neuem aufzuleben, und die Unterhaltung 
wurde am geiftreichften und vielfeitigften, bi$ man aus 
einander und zur Ruhe ging. Erwin hatte dad Glüd, 
dem Könige befonders zu gefallen,.und der Greis hörte 
feine befcheidenen, doch fehr eigenthümlichen Urtheile mit 
fichtlichem Vergnügen an. | 

Einmal fagte er zu Erwin, wie aus dem Steg: 
reif: »Ihr müßt bier bleiben und mein ober meines 
Nachfolger: Baumeifter werden; denn Ihr feyd recht für 
unfer Schwedenland gejchaffen, um die Steine reden zu 
laſſen. Was wollt Ihr auch in dem verworrenen Deutfch- 
land, wo unter diefen Umftänden nichts von fchöner 
Baukunft zu Stande kommen fann? — Hier bei uns 
habt Ihr über taufend Hände zu gebieten, und meine 
Sarle werden fich reißen um Euren Dienft. Eine fchöne 
Braut kann Euch hier nicht fehlen, da Ihr ein hübfcher 
und tapferer Ritter feyd. Das Land zu Lehn will ich 
Euch Schenken, wo Shr wollt, und dad Schloß mit der 
feften Burg darauf koͤnnt Ihr Euch felbft bauen. So 
ift Alles bald geordnet, und Ihr feyd ein gemachter 
Mann unter und.« | 

Erwin entichuldigte fih, fo gut er konnte; denn 
der König hatte herzlich geredet, und er fürchtete, ihn 
durch ein »Nein« zu verlegen. Aber der Alte rief la— 
hend, da er des Sünglings Verlegenheit fah: »Nun, 
nun, ich fehe, Ihr habt gewiß etwas Liebes fchon da= 
heim, und da konnte felbft eine unfterbliche Göttin den 
Fugen Ulyß nicht zurüdhalten; wie viel weniger Euch 


104 


ein alter fterblicher König. — Doc Euer Gluͤck wuͤn— 
fche ich fehr.« 

Diefe Zuneigung des alten Königd war unferm 
Freunde um fo angenehmer, da fie ihn auf eine natürliche 
Weiſe in die Familie einführte und an manchen bedeu- 
tenden Gefprächen des engeren Kreifes ungezwungen Theil 
nehmen ließ. Wenn er gefragt wurde, fo fagte er gern 
feine Meinung, und konnte mit befcheidener Freimüthig- 
feit feine tieferen Anfichten über Leben und Kunft ent- 
wideln, wozu er fonft, nach der Hoffitte, feinen Raum 
gefunden hätte. Der König Erik forderte ihn öfters 
auf, über Diefes und jenes ihm zu berichten, was er auf 
feinen Reifen gefehen, gehört und erfahren hatte; und 
was ihm dann an Gemwandtheit und Glätte der dußeren 
Bildung abging, dad wußte er durch Gehalt der Gedan- 
fen und Innigkeit des Gefühls fo reichlich zu erfeßen, 
daß auch Lido und die Herzogin ihm ihre ganze Auf: 
merkfamfeit fchenkten, und Freya mit ihrem Marfchall 
fehr zufrieden war. Wie auch die Hofleute ihn durch 
leichte Einfälle zu unterbrechen fuchten, und ihn, feiner 
lehrenden Weife wegen, unter fich befpöttelten, indem fie 
ihn nicht anders als den Zunffritter nannten, fo traten 
boch die gehaltvolleren Männer des engeren Kreifes auf 
feine Seite, und er felbft zeigte etwas fo Entſchiedenes 
und zugleich Anfpruchlofes, daß fie ihn nicht anzugreifen 
wagten. / 

In einer dieſer Abendunterhaltungen kam wieder 
dad Gefpräch auf die chriftliche Religion, worüber Lido 
feit der erften Erklärung beim Gewitter gegen Erwin 
ganz gefchwiegen hatte, ald wenn er weiteres Eindringen 


105 


vermeiden wollte. Nun brachte ed König Erif felbft 
auf die Bahn, indem er fi nach den Sakungen ver 
katholifchen Kirche in Deutfchland erkundigte, und ihren 
Zuſammenhang mit der Bibel zu bezweifeln fchien. Der 
Hoffapellan behauptete, die Auctorität des Papftes und 
der Goncilien gehe über alles Bibelwort, und nannte fie 
die lebendige Offenbarung und die fortgehende und an- 
gewandte heilige Scrif. Der Gefandte Parifius 
fpöttelte und fcherzte Dagegen über die Bannftrahlen des 
Innocenz und feine lügenhaften Bullen. Der Hof: 
meifter hob das Gewiſſen ald die einzige Stimme Got- 
tes heraus. Die Herzogin meinte, man müffe die Kirche 
ald eine Erzieherin der Menfchen betrachten, welche nicht 
Aled zugleich erreichen koͤnne, doch bei dem geringften 
Achte noch immer eine große Achtung verdiene. Der 
König urtheilte, alle Sabungen würden nur durch das 
Glüd der Völker und ihr fortgehendes Gedeihen geheiligt. 

Endlich ließ fih Lido folgendermaßen vernehmen: 
»Als ich in Köln ſtudirte, hörte auch ich Albertum 
den Großen und faß zu feinen Füßen; feine weifen 
Lehren von der Kirche und ihrer Gewalt über alle welt: 
lichen Reiche entzüdten mich. Der geiftreihe Dominifa- 
ner fprach mit Feuer und hinreißender Ueberredungsgabe. 
So warb uns ber Klofterfaal bald zum Tempel und der 
Redner zum Heiligen. Wenn ich aber wieder an bie 
reine Luft kam, fo war ed mir, ald wenn ein frifcher 
Windhauch alle jene fchönen Worte mit fi) hinweg— 
führte, und das Herz blieb arm und leer. — Dagegen 
that die große Natur ihren ftillen Mund auf, und ber 
Rheinftrom mit den blühenden Ufern und Feldern predig- 


106 


ten mir ganz andere Worte, welche um fo tiefer bei mir 
hafteten, als fie dad unverkennbare Siegel der Almacht 
und Heiligkeit trugen und aus meinem innerften Wefen 
hervorzugehen fchienen. Ich dankte es dem berühmten 
Lehrer, daß er meine Seele dafür geöffnet habe, aber ich 
erkannte zugleich, daß jenes, was er lehrte, nur Men 
ſchenwitz wäre, und auf eine handgreiflihe Taͤuſchung 
durch Auctorität das ganze geiftige Gebäude einer Fatho- 
lifchen Kirche und ihres über alle Könige erhabenen 
Stellvertreterd erbaut fey. Ich fragte mich: »Was ift 
Auctorität, und wie unterfcheidet fie ſich von der heiligen 
Mahrheit?«e — Die Antwort war: »Gleich wie der 
Schatten von dem Körper, der ihn wirft. Se heller die 
Sonne auf ihn ſcheint, deſto dunkler und abgefchnittener 
ift der Schlagfchatten. Se heller die Wahrheit der gei— 
ftigften und zugleich natürlichften Religion leuchtet, deſto 
dunkler, härter und abgefchnittener erfcheinen uns die 
Menfchenfakungen der Kirche, welche vergeblicy zur un— 
umftößlichen Gewißheit fich zu erheben bemühen. Selbft 
das gefchriebene Wort des Buchs der Bücher fcheint mir 
eine ſolche Sabung zu feyn, wenngleich die allerheiligfte 
und reinfte. — Und, damit fie Geift und Leben werben 
möge, müffen wir fie nicht von den Päpften und Con— 
cilien und erklären laſſen, welche oft in ihrer fpibfindigen 
Gelahrtheit den Wald vor Bäumen nicht fehen, fondern 
fie nehmen von den Lippen eines einfältigen Predigers 
in der Wüfte, der mitten unter dem armen Volke fteht, 
welches hungert und dürftet nach dem Wort des Lebens. 
Da ſchmilzt das Herz, und die Seele wird Licht; aber 
alle Satung hört auch damit auf; Wer den Geift hat, 


107 


der ift der Geiftliche, er fey ein Priefter oder Samariter, 
er fey mit heiligem Dele gefalbt oder gewafchen aus dem 
reinen Quell, er führe einen Krummftab und eine Bi- 
ſchofsmuͤtze oder einen Pilgerftab und einen Mufchelhut. 
Er ſey Mann oder Weib, er fey Jude oder Chrift; er 
rede einzeln, wie ein Fremdling, oder ihm falle bei der 
Papft mit allen Vätern. Wer den Geift hat, ver ift 
der Priefter Gottes und der Natur, und heißt mit Recht 
ein Geiftlicher, dem wir hören und folgen müffen, weil 
er die verborgenften Bekenntniffe unferes Buſens hervor- 
lodt, und fo einfaltig fie uns hinftellt, wie der Schöpfer 
feine Blumen im Walde. Da hört aller Buchftabe auf 
und alle Menfchenfabung; da thront das Wort des Le— 
bens; wenn aud ein ganzes Gefchlecht es verwuͤrfe, 
Funken werden doch hineinftieben. — Da ift die wahre 
Kirche, welche nicht mit Händen gemacht ift und nicht 
von Pfaffen erfonnen wurde; da ift das Haus des 
Herrn, wo der Zöllner belaftet hineinging und wieder 
hinaus, befreit durch) Reue und gerechtfertigt vor dem 
werfthätigen Pharifäer in feine Wohnung heimkehrt. Was 
Viele fagen ift darum nicht wahrer, was Wenige be- 
haupten ift darum nicht irriger; denn die Gabe des Gei- 
ſtes ift nicht Jedermanns Sache, und der geiftliche Hoch- 
muth bethört felbft die Weiſen. Alfo fol die Bibel 
durch und unter allerlei Wolf ind Leben treten, ald ein 
vechted Bürgertum, und der Vornehmfte in der Kirche 
muß Aller Knecht feyn. Das ift die fortgehende reine 
Bernunft oder heilige Schrift; ich wenigftens kenne Feine 
andere, Herr Hoffapellan. « 

Alle fahen auf Lido, denn er hatte mit ungewöhn- 


108 


lichem Feuer gefprochen ; feine blaffen Wangen glühten, 
und die füdliche Gefichtöfarbe war wie neu belebt wor- 
den. Die Herzogin betrachtete ihn mit einiger Verwun— 
derung, denn es war nicht feine Art, da er gewöhnlich 
fehr ruhig fich hielt. Der König und Jertha nidten 
ihm öfters ihren Beifall zu; der Hoffapellan zudte bie 
Achfeln und lächelte; Freya ſchien ergriffen, doch nicht 
befriedigt; der Gefandte rief wiederholt: » Bravo!« der 
Narr war fehr ernft, faft träumerifch geworden; ber 
Hofmeifter hatte fich il umgedreht, und Prinz Erif 
jog es ein, wie ein Blumenkeld den Nachtthau. Nur 
Erwin fand ihm prüfend gegenüber, und es wechfelten 
in feinen einfachen Mienen das Rob und der Zabel. 
Ale ſchwiegen eine Weile, da nahm endlich unfer Freund 
befcheiden das Wort und ermwiederte: 

»Ihr habt fehr Fühn die fichtbare Kirche angegrif- 
fen, und mancher Vorwurf trifft wie ein ſcharfes Schwert ; 
während dagegen die unfichtbare einen warmen Lobrebner 
an Euch fand. Doch gebe ich Euch zu bedenken, ob es 
recht fey, mit wenigen Streichen das Werk einzufchla= 
gen, was SJahrtaufende mit Mühe und Seelenarbeit auf- 
erbaut haben? Die Wahrheit ift nicht die Sache eines 
Einzelnen, und wer einen tiefen Irrthum des Ganzen 
angreift, der ſinkt gewöhnlich auf der entgegengefeßten 
Seite in den Irrthum hinab. Die Kirche fteht immer 
weit über dem Staate, und foll durch ihren Einfluß, als 
ein Neich Gottes, feine Gefeße und Sitten an den Him- 
mel fnüpfen. Will der Staat über die Kirche herrfchen, 
jo muß alles Himmlifche untergehen. Will aber Die 
Kirche wie ein irdiſcher Staat regieren, und politifcher 


109. 


Hülfsmittel fi) bedienen, um den Glauben zu beftim- 
men, jo muß alle Denf- und Gemiflensfreiheit aufhören 
und die Wahrheit verbannt werden. Aber regieren 
muß doch die Kirche, denke ich, nur nicht weltlich und 
feidenfchaftlih. Der Statthalter Chrifti muß doch über 
alle Kaifer und Könige erhaben ftehen, nur nicht wie 
ein König und Kaifer, fondern wie ein Priefter Gottes, 
ohne Anfehen der Perfon. Die Dornenkrone ift feine, 
und das bleibt doch die heiligfte Krone; die Wahrheit ift 
fein Schwert, und das bleibt doch das fchärffte Schwert; 
dad Gebet ift feine Macht, und das bleibt doch bie 
höchfte Macht. Aber der Papft ift ein Menfch, darum 
muß er auch unter einem Gefege ſtehen, und viefes ift 
dad Wort der Schrift; denn Fein weltliche Gefeb darf 
ihn richten. Bricht er jenes heilige Gefeß durch Hab- 
ſucht, Ehrgeiz, Lüge und Heuchelei, fo ift er fein Statt- 
halter Chrifti mehr und feines Stuhles verluftig. Die 
Biſchoͤfe find zunächft feine Richter; mit ihnen verbun- 
den aber auch die Reichsſtaͤnde, ald Bürger im Gottes- 
reiche. Der Lafterhafte, und wäre er auch der erfte 
Reichöprälat, gehört nicht zu ihrem Rathe; erwiefene 
Berbrechen fchließen ihn fofort davon aus, bis er feine 
Heiligung dargethan hat. Aus Elaren Gründen ver hei- 
ligen Schrift muß das Nichtamt vom Concilio über das 
Haupt und feine Glieder geführt werden. Auch dem 
riftlichen Volke muß es vorgelegt werden und allen 
Gläubigen verftändlih feyn, denn wir find ſchwache 
Menfchen und bedürfen immerfort der Zurechtweifung. 
Ein abgefonderted Priefterreih, wie bei den Sfraeliten, 
kann, wie mir duͤnkt, in der Ghriftenheit nicht beftehen, 


110 


und darin fcheint mir die Hauptverirrung bes Papſt⸗ 
thums in unfern Tagen zu liegen. Der Kaifer muß fich 
vor dem Papfte beugen, aber der Papft vor Gott, und 
muß dem Kaifer geben, was des Kaifers iſt. Diefe 
Kirche ift aber nicht blos eine unfichtbare, wie Ihr 
meint, fondern auch eine fichtbare, welche daher eines finn- 
lichen Ausdruds bedarf. Diefer Ausdrud find ihre Sa— 
gungen, Geremonien, Sitten und Meinungen, welche 
veralten und fich wie ein Kleid wieder erneuern müffen. 
Im Laufe der Sahrhunderte. wird diefer finnliche Aus—⸗ 
druck fich verändern und umgeftalten müffen, aber ber 
Geift und dad Wort, ald das Ueberfinnliche und Innere 
deffelben, bleiben, was fie find, ewiglich. Mancher Aber- 
glaube mag fih mit jenen Sabungen vermifchen, und 
die Leute plagen, und die Gewiſſen befchweren, wie ein 
unbeholfenes und gefchmadlofes Prunkgewand; doch das 
jüngere Gefchlecht wird ihn Teichtlich abftreifen, wenn 
nur die Gemeinfchaft des Geiftes Eräftig bleibt. So fin- 
fen am Ende auch die alten Dome in Trümmer, und 
neue müffen erbaut werden; genug, wenn ber Geift 
ihre Mauern verbindet und ihre Werhältniffe ordnet. 
Bernunft ift nichts ohne den Glauben, und der Geift 
muß durch das Wort das Gewiſſen ſchaͤrfen. Doc 
Fann nicht Jeder aus dem Stegreif auftreten und Evan- 
gelien predigen. Die Lehrer müffen von den Bifchöfen 
geprüft und von den Gemeinden berufen werben, es fey 
denn, daß, Gott durch befondere Gaben und Kräfte eine 
Ausnahme machte und in Zeiten der Noth den vermworfe- 
nen Edftein felbft auserwählte, um zum neuen: Fun- 
damente zu dienen. Diefe Ausnahmen koͤnnen aber nur 


111 


felten feyn und dürften einem foäteren Gefchlechte aufbehal- 
ten bleiben, wenn nicht Wahnglauben und Schwaͤrmerei 
Ueberhand nehmen und bie alten geheiligten Sabungen 
einer fichtbaren Kirche verdrängen follen. Es ift, als 
wenn Jemand unferen Styl der deutfchen Kirchenbau: 
funft als abergläubifch verwerfen wollte, welcher doch 
durch Wiffenfhaft und Erfahrung feit vielen Sahrhunder- 
ten bis zur gegenwärtigen Höhe gefchichtlich und geiftig 
ſich ausgebildet hat, und nun flatt deflen, aus freier 
Hand und ohne Wiffenfchaft, einen neuen Bauftyl für 
das Haus Gottes erfinden möchte. Was kann es geben, 
als ein abgefchmadtes, wenn er nicht auch zugleich ald 
Gefeßgeber und Prophet fein ganzes Volk mitnimmt und 
fein ganzes Beitalter gefchichtlich auf eine höhere Stufe 
hebt. Dazu wird aber mehr erfordert, al3 das Ver— 
werfen des Alten um einzelner Mängel und Mißbräuche 
willen. Eine heilige Schöpferfraft muß den, welcher alle 
Sasungen verwirft, erfüllen und durchdringen, damit er 
aus den Rieſentruͤmmern geflürzter Altäre das Urfprüng- 
lich = Ewige unter feinem Volke auferbauen fünne. Wer 
das nicht vermag, duͤnkt mir, thut beffer, der alten 
Kirchenorbnung fih anzufchliegen und ihren Mängeln ab» 
zuhbelfen, fo viel er Fan, nicht aber dad Kind mit dem 
Bade auszumerfen. « 

Lido verfeßte: »Schon um der — willen 
muß ich Eure Anſicht ehren, wie verſchieden ſie auch 
von der meinigen ſeyn moͤge; denn ich glaube, daß die 
Wahrheit ein abſolutes Recht und der Menſch eine 
abſolute Kraft habe, ſie zu erkennen und zu ergreifen. 
Dieſe Kraft nenne ih Vernunft, und jene Wahrheit 


112 


heißt mir dad Wort Gottes. So lange diefed Wort an 
Auctoritäten hängt, ift es mir nicht göttlich; denn das 
Göttliche ift mir dad Unmittelbarfte, dad Gewiſſeſte 
im Geifte. Keine Gefchichte der Kirche kann mir diefes 
Unmittelbare erfeßen. So lange jene Vernunftkraft nicht 
die Wahrheit erobert und rein gewiffenhaft wird, 
fondern vielmehr nur als überlieferter Glaube an Hei— 
lige und Reliquien, im Gebiet der Einbildung und Phan- 
tafie, bangen bleibt, kann ich ihn nicht fromm. und un— 
gefärbt nennen, eben weil er nicht vernünftig iſt. Und 
möchten alle jene Symbole zerbrechen, möchten alle jene 
MWunderthaten verfchollen feyn, damit wir nur einmal 
wieder auf das Naturgemäße und Gewiffenhafte des 
Geiftes zurückehrten, worin alle Kräfte des Menfchen 
zum heilfamen Zwecke fich freundlich verbinden. Müßten 
wir auch Sahrhunderte unter freiem Himmel predigen 
und wüßten Feine Kirche zu bauen, hätten wir auch das 
ganze Heer der Heiligen und Märtyrer mit ihren Fuͤr— 
bitten und übervollem VBerdienfte, um unfre Blöße zu 
deden, verloren; wohlan, fo ift uns diefe Armuth Noth, 
und wir find doch Kinder unfers bimmlifchen Baters 
geworden, der und liebt und will, daß wir felbft ihn 
bitten follen, ohne einer Mittelöperfon zu bedürfen. Es 
geht bei ihm nicht zu, wie bei einer koͤniglichen Hofhal- 
tung, wo die Heiligen die Senefchalle, und die Märtyrer 
die Leibwache find; fondern der Sohn nimmt uns an 
feine Hirtenhand und führt uns: zum Water ein, und 
foricht, bittet ſelbſt: »Vater unfer,« denn der Vater 
hat Euch lieb; kommt Alle nur, wie ich, ald ein Kind 


113 


des Haufes zu ihm, fo wird er Euch geben, daß Eure 
Freude vollfommen werde. « 

Es entftand eine erwartungsvolle Stille, denn das 
Geſpraͤch hatte feine Spike erreiht, und Lido ſchien 
ſich felbft übertroffen zu haben. Alle fahen auf unfern 
Freund, was er antworten würbe, und Freya ſchien 
beforgt um ihren Marfchall. Prinz Erik und der Narr 
drängten ſich unwillfürlich an ihn heran. Die Herzogin 
fhien verlegen um eine Ausgleichung, und es ſchwebte 
ihr etwas Zartes auf den Lippen. Der König und der 
Graf blieben unentfchieden, der Gefandte und der Hof: 
meifter wandten ſich mit beifälliger Geberbe zum Rathe 
bin. Der Hoflaplan fhüttelte mißfällig mit Dem Kopfe. 
Ale waren in die lebhaftefte Theilnahme verwidelt. Da 
erwiederte Erwin mit Iehr ernfter, doch gebämpfter 
Stimme: 

„Ihr habt fchön geredet, Herr Rath, und es ift in 
allen Euren Worten etwas fehr Weitfchauendes, was ih 
verehren muß; aber ih frage Euch auf Gewiffen: 
glaubet Ihr das, und könnt Ihr dafür leben und 
fterben, oder ift es nur eine Ausgeburt Eures feltnen 
Geiftes, dem Euer Herz noch widerfpriht? — Verzei— 
het, ich zweifle nicht an Eurer Aufrichtigfeit; aber es 
fommen dem Hochbegabten und Geiftvollen öfter fo 
fremde und hohe Gedanken, welche Elingen, wie der ofs 
. fene Himmel; doch wenn er fie unterfchreiben follte, fo 
hat er nicht den Muth dazu, und wenn ihm diefer 
Geift, welchen er fo eben befhmworen hat, nun wirklich 
erfchiene, fo würde er fich vor feiner Größe und Strenge 
mit Schreden von ihm wegwenden.« 

Erwin von Steinbach. Il. 8 


114 


Lido antwortete fehr milde, Doc) ein wenig betrof- 
fen: »Wenn ich diefen Glauben auch noch nicht hätte, 
fo möchte ich Ihn doch haben, und kann mir das Reich 
Gottes nicht anders vorftellen, wenn es überhaupt ein 
folhes giebt; denn dad Hoͤchſte und Göttlichfte muß 
auch ſtets das Einfachfte und Natürlichfte fern. « 

»Es kommt mir fo vor,« rief der Narr, »ald wenn 
unfer Geheimrath allerlei geheim hielte, doch gar zu 
gern mit einem Fuße im Himmel ſchon, mit dem ans 
dern aber noch auf der luſtigen Erde ftehen möchte. 
Das ift indeß eine halsbrechende Sache, und ich lobe 
mir Freund Steinbadhs gutes Fundament. « 

» Armer Joͤns, Du haft es getroffen, « riefder König 
lachend aus, »und fo muß der Rarr die Weifen belehren. « 

Ale lobten den Narren, und die Herzogin bot ihm 
aus dem Fruchtlorbe einen rothen Apfel. Der Narr 
dankte mit poflirlihen Neverenzen; Prinz Erif ergriff 
ihn am Arme, und tanzte mit ihm durd den Saal, in- 
dem er fingend wiederholte: So muß der Narr die Weiz 
fen belehren! Und der Narr fang Fanonartig drein: Und 
befommt aus der Schönheit Hand den goldenen Apfel, und 
befommt aus der Schönheit Hand den goldenen Apfel! 

Die Geſellſchaft ward -fehr erheitert. Freya laͤ— 
chelte, und ſchien ftil beglüdt, venn Erwin hatte den 
Knoten gelöfet; fie dankte ihm in ihrem Herzen dafür. 
Der alte König ließ die Skalden hereintreten und zum 
Becher ihre Lieder fingen. Er war heute ausnehmend 
aufgeräumt, und fcherzte in den Gefangpaufen mit Al— 
fen, infonderheit aber mit Lido und Erwin über ihren 
Lieffinnigen Streit. Es war jedoch diefer Scherz fo 


— 115 

harmlos und guͤtig, daß er nur feine groͤßeſte Theil— 
nahme für fie bezeugte, und Alled wieder in die gefellige 
Fuge ftellte, indem er die Tiefen bed Geiftes gleichfam 
freundlich, zudedte. Die Herzogin war entzüdt über ih: 
ren föniglichen Bruder, und verficherte, daß fie ihn feit 
vielen Sahren nicht fo fröhlich gefehen habe. Freya 
und Erik mußten zulegt noch zu den Harfen einen 
Rationaltanz vor ihm aufführen, welchen der alte Kö 
nig befonders liebte, und fie erfüllten es mit einer fo 
zarten Grazie und Findlihen Unbefangenheit, daß der 
Alte eine große Freude daran hatte, und feines Rühmens 
fein Ende war. Erwin aber fland mit Lido im Bo— 
genfenfter; fie hatten fih, nach einem leifen bedeuten: 
den Gefpräh, die Hände gegeben, und waren fehr 
ernft, indem fie dem reizenden Tanze der fürftlichen _ 
Kinder zufahen. 

Hier der alte fröhliche König, gleich wie auf der 
Grube ftehbend, und dort dad Bild der lieblichften Ju— 
gend in Erik und Freya, verfinnlichte fo ganz un— 
ferm Freunde das ſchnelle Dabinfliehen alles Schönen 
und aller irdifchen Herrlichkeit, daß ihm das Leben wirf: 
lich wie ein Traum erfchien, und er felbft fih, an Li— 
808 Hand hier im Fenfter, wie ein Schattenbild freund: 
liher Gewohnheiten vorfam, weldyes nur zu bald ver- 
fhwinden müffe, um der hohen ernften Wahrheit in des 
Menfchen Gefhide Raum zu_machen. 

Lido ſchien diefe Empfindungen wortlos mit ihm zu 
theilen, und fo vereinigte der Kebensgeift die verſchieden— 
artigften Wefen, und bauete feine Kirche, die nicht mit 
Händen gemacht wird, durch iympathetifche Gefühle. 


SERIE REIENEEN 8* 


Siebentes Kapitel. 





Der Bau des neuen Schloſſes hatte unterbeffen einen 
rafchen Fortgang, und während Emund das Erdge— 
fhoß nach feinem erften Riffe, wie es abgeredet war, 
mit großem Eifer zu vollenden ſich bemühete, fo ließ 

Erwin die Fundamente zu den Flügeln legen, und 
entbot die fähigfien Steinmegen aus der Umgegend, ja 
aus dem ganzen Herzogthume Weftgothland, um für 
die oberen Gefchofle die Granitblöde behauen, die Plat- 
ten durchbrechen und die Kehlungen fehneiden zu laſ— 
fen. — Es waren mehrere taufend Arbeiter bei dem 
Steinbruche angeftellt, welche theild die Felsmaflen ab: 
kloͤbten, theils fie hinaufwanden, und auf malzenartige 
Mafhinen, von Erwins Erfindung, hoben, um fie 
durch die flärkften Stiere nach der Bauftelle zu fchlep- 
pen. — Unfer Freund wußte nicht genug die Kraft, 
Gemwandtheit und Kunftfertigfeit der Dalekarlier zu 
rühmen, welche ſchon damals bei allen fchweren Stein= 
arbeiten gebraucht wurden, und die gefchicteften Mauer— 
feßer waren. — Mit Leichtigkeit wälzten fie die fchwer- 
fien Granitblöde, und wußten mit wenigen einfachen 
Dandgriffen ven Mangel Eünftliher Mafchinen zu erfe= 
gen. — Er konnte ſich auch gut mit ihnen verftändi- 
gen; fie merkten bald den größeren Meifter und ehr- 


J 


117 


ten feine Befehle durch fehnellen Gehorfam, wie durch 
wortlofe Bereitwilligkeit, um feinen Wünfchen entgegen- 
zufommen, indem er öfter felbft die Eifen ergriff, und 
es ihnen vormadhte. 

„Der verfteht’s, als wenn er ein Schwede mwäre,« 
murmelte mancher graue Dalbauer in feinen Bart, und 
faßte frifcher an. 

» Derre, bleibt bei uns,« fprachen fie öfters, wenn 
er fie nach fchwerer Arbeit mit Brot und Branntwein 
erquidt hatte und wieder zur Ordnung rief, »mit Euch 
wollen wir den höchften Tempel erbauen, Ihr müßt 
nothwendig aus ſchwediſchem Blute ſtammen!« — Er: 
win lächelte dann, und fehüttelte ihnen treuberzig bie 
Hände, welches fie von Emund gar nicht gewohnt 
waren, und fehr gut aufnahmen. — Wenn er ihnen 
Dann verficherte, daß er gern der Shrige werben möchte, 
falls er nicht einen Vater daheim hätte, welcher im 
Alter auch feiner Huülfe bebürfe, fo bejaheten fie es 
fopfnidend, und mancher Steinmes trieb ſich mit der 
harten, narbigen Hand eine hervorquellende Thraͤne 
ab. — Entftanden unter ihnen Streitigkeiten, wozu der 
Branntwein oft anreizte, fo daß ihre Lippen gräßlich 
fluchten und die Fäufte wild fich ballten, und erfchien 
ber DObermeifter Steinbacd dann nur felber, fo waren 
fie bald geftillt, und felten nur bedurfte ed firenger 
Mafregeln. — 

Dagegen fonnte Emund mit aller ernften Sta: 
vität nur wenig bei ber großen Menge verfchiebenarti« 
ger Arbeiter ausrichten, wie fehr er auch feinen abge: 
fchloffenen Kreis in Ordnung zu halten wußte. — Es 


118 





war, als wenn alle Steinmesen zu bem jüngeren Erwin 
fumpathetifch fi hinneigten und ohne Verabredung 
ihm huldigten, indem fie in ihm ein goldenes Zeitalter 
der Baufunft zu ahnen fchienen. — Es that fi bei 
Vielen eime Erfindungsfraft hervor, wovon fie früher 
nichts verfpürt hatten, und oft wurden dem Meifter 


von Lehrlingen Eunftvoll ausgehauene Marmorplatten 


gebracht, die dem gefchicteften Gefellen Ehre gemacht 
hätten. Erwin freuete fich herzlich über diefen erwa= 
chenden Kunftgeift unter feiner Leitung; flatt fein 
Selbftgefühl zu fleigern, machte ed ihn nur noch be= 
feheidener und freundlicher gegen alle Untergebenen, und 
verftärfte das brüberliche Band der Zunftgenofjenfchaft 
unter einander. — 

Die ſchwediſchen Ritter und Hofleute aber, welche 
oft aus Neugierde bei diefen Arbeiten zugegen waren, 
fonnten ſich Erwins Popularität und Butraufichkeit 
gegen die Geringften, bei feinem fonftigen entfchiedenen 
Weſen, was fie für Stolz hielten, gar nicht erklären, 
und tadelten ihn oft, daß er als Kitter und Marfchall 
mit dem dummen und rohen Bolfe fi) fo gemein ma— 
che. Sa, einige brachten ed fogar mit wißelndem 
Spotte vor Freya, indem fie ihren Marfchall als Ge: 
noſſen der Steinhauer lächerlich darftellten, und feine 
Brüderfchaft mit den Dalbauern aufs treffendfte fchil- 
derten; doch machte das auf fie den entgegengefesten 
Eindrud, und indem fie die Neider mit ernften Worten 
abwied, daß fie Fünftig nicht wiederfamen, fo ver- 
mehrte ſich dadurch nur ihre innige Achtung gegen un= 
feren Freund, welcher von allem dem, was um ihn ber 


119 


vorging, nichts ahnete. — Er lebte nur für ben unter- 
nommenen Bau, und war oft fo fehr darin vertieft, 
daß er felbft feinen Marfchalldienft darüber verfäumte, 
und Freya bisweilen warten mußte, wenn er fie zur 
Tafel führen oder auf einem Spaßierritt begleiten 
follte. — Doch ward fie darüber nie empfindlich, ſon⸗ 
bern lächelte nur, wenn er zu fpät Fam, indem fie ben 
Eifer für ihren Bater und für die Kunft zu ehren 
wußte. »Mein Ritter ift immer der Lebte,« fagte fie 
einmal zur Herzogin- Mutter, welche fich über fein Zoͤ⸗ 
gern ungeduldig bezeigte; »docd wenn er kommt, fo ift 
er dennoch der Erfte- unter Allen!« — Nur einmal, da 
er fie zu einem Spaßierritte mit ihrem Oheim auf den 
Belter heben follte und, durch Baugedanken zerftreut, 
an die verkehrte Seite des Roſſes fich fiellte, fo daß 
die Hofleute ein Gezifchel und Gelächter erhoben, ſah 
fie ihn verweifend an und ſprach: » Ihr ſeyd doch ein 
außerorbentliher Marfchall, wie groß auch Eure Kunft 
iff!« — Denn das Lächerliche an dem, was dem Here 
zen nahe fteht, ift allen Frauen zuwider. — Da Er— 
win fich aber erröthend entfchuldigte, und fie mit fefter 
Hand in den Steigbügel hub, zur andern Seite hin- 
tretend, lächelte fie ihm gütig zu, und fagte leife: »Ich 
weiß wohl, ich weiß wohl, in der Noth feyd Ihr da!« 
— Aud der alte König lächelte, und ſprach wohlwol- 
lend: »Das könnte auch ein Page thun, um den Baus 
meifter nicht immer bei feiner Arbeit zu flören, denn 
er verfteht größere Dinge, ald ale Marfchälle und Ce: 
remonienmeifter in,der Welt! Ihr aber, indem er fid 
drohend zu den Lachern wandte, müßt erft bei ihm 


120 





in die Schule gehen, um rechte Lebensart zu ler- 
nen!« — 

»Ich habe Schuld, « verfeßte Erwin, und trat zu= 
ruͤck. — Der laute Spott hörte von nun an bei den 
Höflingen auf, aber der geheime Haß und Neid gegen 
Erwin vermehrte fih, und fie warteten nur auf eine 
Gelegenheit, um ihn in Ungnade zu bringen; denn daß 
ein Ausländer, ohne Stand und Namen, beides in fo 
furzer Zeit hier erwerben follte und ihnen allen vor— 
-gezogen würde, konnten fie ihm nicht verzeihen. Ueber 
Freya magten fie zwar nichts Schlechtes, noch Zwei— 
deutiged zu reden, denn fie war eine Lilie ohne Ma: 
tel; die Herzogin aber hießen fie ſchwach, den Herzog 
verblendet, und den alten König kindiſch, in ihrerLiebe 
zum Neuen. Auch den Grafen Jertha ſuchten fie 
zu gewinnen, Doch vergeblich ; denn fein Elarer Verſtand 
belächelte ihre Raͤnke, und feine trodne Laune brachte 
fie oft in große VBerlegenheit, wenn fie aus der Ferne 
gegen Erwin von Steinbach anfchlugen. Er über: 
trieb dann noch ihre Zweifel, er überbot ihre Bedenk⸗ 
lichkeiten, und machte fie dadurch fo lächerlich, daß fie 
ihren Obmann erkannten, und in feiner farkaftifchen 
Kälte gegen ihre Verleumdungen ihn fürdteten. — 
Der rätbfelhafte Lido war ihnen völlig unzugaͤnglich; 
denn abgefehen davon, daß fie niemald feine rechte 
Meinung errathen fonnten, und, fein Scherz fie öfters 
verwirrte, fo zeigte er ſich nun als entfchiebenen Freund 
des deutfchen Baumeifterd, und zeichnete ihn bei jeder 
Gelegenheit aus. — Es blieb ihnen alfo nichts übrig, 
ald durch den Dritten und Bierten auf den abweien- 


121 


den Herzog zu wirken, und den Zeitpunkt ruhig abzu= 
warten, da vielleicht fein Stolz und Jahzorn ihre Hin: 
terlift begünftigen möchte. 

Waͤhrend deſſen flieg dad Gebäude des neuen Schlof: 
feö herrlich empor, und das Werk fing fchon an, feis 
nen Meifter zu loben. — Die durchbrochnen Marmor- 
platten mit ihren Eunftvollen Stäben, Bogen und Laub» 
werk, welche Erwin zum Theil felbft behauen hatte, 
um zum. Mufter für andere zu dienen, zeugten von eis 
nem fo hohen, zarten und gründlichen Kunftgeifte, wie 
noch nichts in Schweden gefehen war; fo daß felbft 
feine Neider ed aufgaben, feine Bauverdienfte anzus 
greifen. — Auch des Eigennußes konnten fie ihn nicht 
befchuldigen, da er Manches aus feiner Taſche zog, um 
die Arbeiter zum Fleiße zu ermuntern, und durch aus— 
geſetzte Preife zur Vollendung anzuregen. Sie priefen 
alfo feine Wiflenfchaft und Freigebigkeit fehr, um ihn 
defto gefährlicher von einer anderen Seite anzugrei= 
fen, mwo fie meinten, eine Blöße bei ihm entdedt zu 
haben. 

Doch bevor wir diefes Gewebe Fleinlicher Leiden 
fchaften mit ihren Wirkungen weiter enthüllen, kehren 
wir zu unferem Freunde zurüd, welcher durch Kunft 
und Liebe in einer höheren Welt lebte, und nur felten 
von unfanfter Hand aus feinen befeligenden Träumen 
aufgerüttelt wurde. — 

Der alte König fühlte fih in Bielbo bei den eb» 
len Anverwandten jo wohl, daß fein Aufenthalt dort 
fi von Stunden zu Tagen, und von Lagen zu Wo— 
chen verlängert hatte. 


122 





Endlich beſchloß er eines Morgens frühe abzurei« 
fen, um fi nad) feinem Schloffe bei Chennefulle 
am Wener See zu begeben, dahin er fchon gleich an= 
fangs fich befchieden hatte, weil er es feiner reizenden 
und abgefchiedenen Lage wegen befonders liebte. — 

Er mwünfchte, daß die Herzogin mit ihren Kindern 
und der engere Kreis der Gefellfehaft ihn dahin beglei= 
ten möchten, um einige Zeit dort zu verweilen und 
feine Einfamfeit zu erheitern, wenn er feine vielen 
Staatögefchäfte beendet habe. — 

Sein Wunſch war für die Herzogin Befehl, und 
wenn fie gleih ungern Bielbo verließ, wo Alles fie 
an den geliebten Gemahl erinnerte, fo beſchloß fie doch, 

auf einige Tage mit dem verehrten Bruder dorthin zu 

reifen, indem ihr die große Trennung von ihm nicht 
fern zu feyn fchien, und feiner Bitten nur noch we— 
nige feyn dürften. — 

So ward denn Alles zur Reiſe gerüftet, um am 
andern Morgen in aller Frühe aufzubrechen. — 

Erwin übergab feine Gefchäfte dem Emund, da 
er früher ſchon von der Prinzeffin aufgefordert war, fie 
auf diefer Reife mit ihrem Oheim zu begleiten, und 
rüftete fih und fein Roß, um im Fall der Noth einem 
feindlichen Ueberfalle Widerftand zu thun, und als Mar— 
ſchall das anvertrauete Kleinod zu fügen; Denn noch 
immer war Holmgeir mit feinem Anhange ver Fol— 
Funger zu fürdten, wenn gleich die den König be— 
gleitenden Reuterfcharen alle Beforgniß eines offenen 
Angriffes verfcheuchen mußten. — 

Alſo feßte der Zug fih, da ed noch bämmerte, in 


123 


— 





Bewegung, und nahm die hohen Perſonen in ſeine 
Mitte, indem Erwin auf feinem Tarter mit Lido, 
Prinz Erik und dem Gefandten zunähft am fürftlis 
chen Wagen ritten, darin der alte König mit den Das 
men faß und der Morgenfrifche fich erfreuete. Mehrere 
Magen folgten, in dem erften die Hofdamen, in dem 
andern. der Kanzler des Königs mit dem Hofmeifter 
und Hoffaplar. — Graf Jertha aber war in Biel— 
bo zurüdgeblieben, fo fehr auch der König feine Be— 
gleitung wuͤnſchte; denn er meinte feinen Poften nicht 
verlaffen zu dürfen, um die Anordnungen des Herzogs 
Birger aufs ftrengfte zu erfüllen. — Der arme Joͤns 
Dagegen erhielt vom Grafen die Erlaubniß mitzureiten, 
um den König und die Gefellfchaft zu befuftigen, und 
fo fah man ihn auf feinem Deländer in der neuen bun= 
ten Jade, welche der Herzog ihm gefchenft hatte, bald 
vor, bald hinter dem Zuge, mit den Iuftigften Geberden 
reiten, gewöhnlich aber hielt er fih an Prinz Eriks 
Seite, welcher allerlei Eindifche Kurzweil mit ihm trieb 
und ausönehmend belebt ward. — 

Es war ein heller, fonniger Tag, und Erwin res 
dete nur wenig, da ihm die Rüftung befchwerlich fiel, 
wie fehr auch die Hofdamen feinen Anftand darin lob— 
ten. — Bisweilen fragte er nah Freyas Befehlen, 
und unterhielt fi) dann über ernfte Gegenftände mit 
Lido und dem Sefandten, welche mandes über das 
deutfche Zunftwefen und deſſen religiöfe Richtung von 
ihm erfahren wollten. Defters rief ihn auch der König 
an den Wagen, und legte ihm über die Schlöffer und 
Klöfter, welche, wie im Fluge, vor ihnen zurüdwichen, 


124 


und aus verfchiebenen Bauftylen zufammengefeßt wa⸗ 
ren, allerlei technifche Fragen vor, welche er aber nur 
furz und im Allgemeinen beantwortete, weil ihm bie 
Gebäude zu wenig befannt waren, und er nichts Ober 
flächliches fohwagen mochte. Dagegen waren die andes 
ren Ritter bereit, mit vielen Worten fich darüber aus- 
zulaffen, und erzählten Manches über die Entftehung Dies 
fer Gebäude, fo wie über ihre innere Einrichtung und 
fabelhafte Gefchichte, welches der alte Herrfcher Lächelnd 
und nicht ungern anhörte, da feiner auch öfters in Eh— 
ren Dabei gedacht wurde. — In einem Gifterzienfer- 
kloſter am Wege ward ein leichtes Mittagdmahl einges 
nommen, und fo näherte man fich gegen Abend ſchon 
dem hohen Chennefulle, welches im Nebelduft wie 
ein bläuliches, kuppelfoͤrmiges Gewoͤlk vor ihnen auf: 
flieg. 

Die Luft war Fühler geworben, ein leifer Regen, 
darin der Nebel niederfchlug, nebte den Staub, und 
verbreitete über die gefchwärzte Erde eine labende 
Frifhe. — Das Birkhuhn lodte aus den Gebüfchen, 
der Auerhahn fchlug flark und gellend im Walde, die 
Lerchen fliegen noch einmal triumphirend in die Luft, 
die Wagen rollten fehneller auf der geebneten Bahn, 
und Freya ließ fich ihren Zelter bringen, um den 
Reſt des Weges zu Pferde zu machen. — Gie liebte 
diefe Bewegung, und fonnte fich ungeftörter der ſchoͤ— 
nen Gegend erfreuen, wenn fie auf dem gezähmten, 
leichten Roſſe fih ihren Zräumen überlaffen durfte. 
Bald war es hier, bald dort, fo ſchnell faft wie der 
Gedanfe, und nur ein leifer Drud ihrer Hand feste 


125 


ed in den ſchnellſten Lauf, wohin fie begehrte, dann 
hielt es fi) wieder ruhig, wie ein Lamm, und fchien 
eine gewifle zarte Zuneigung für feine Gebieterin zu 
baben, womit es faft ihre Wünfche errieth. — Der 
König hatte es ihr nach jenem Unfall mit dem Bären 
geſchenkt; es ſtammte aus dem Morgenlande, und fchien 
“ alle Unarten feines Gefchlechtd unter der fchönen Laſt 
abgelegt zu haben: — Erwin, ber fie in ven Sattel 
gehoben hatte, hielt fih mit Lido an ihrer Seite, und 
König Erik bezeugte gegen die Herzogin fein Wohl- 
gefallen über diefe bedeutende Gruppe, welche eben, vom 
lieblichften Sonnenftrahle erleuchtet, am dunfelblauen 
Hintergrunde des Gebirgs fich ablöfte. — 


»Wie fchön reitet Deine Tochter,« fprach er, »und 
wie glüclich ift der Mann, welcher fie einft in feine 
Arme fchließt!« 


Die Herzogin verfegte fchnell: »Wenn fie ihn 
liebt! — Meine Freya follte kein Opfer der Politik wer- 
den, und doc hat es ganz den Anfchein, al wenn | 
König Hakan niemals ihre Neigung gewinnen wer: 
deu. — | 

»Warum mag fie ihn denn nicht?« fragte der Alte 
bedenflih. — 

»So fragt Fein Maͤdchen,« verfehte die Herzogin, 
»denn in ber Liebe hört alles Warum auf; da gilt 
nichts ald Laune, Stimmung und Sympathie, Alles ift 
unerklärlich und wunderbar. — Doch vermuthe ich, es 
ift ein anderes Bild in die verborgene Kapfel ihres 
Herzens eingedrungen, wie fehr fie es auch zu verber- 


126 


gen fucht, und was Freya einmal liebt, das liebt 
fie ewig! — Ich fürchte, daß meines Birgers Sorge 
nicht ohne Grund fey, und wie fönnte man auch das 
Liebenswürdige jenes Sünglingd verfennen, der ihr das 
Leben rettete, und nun an ihrer Seite reitet? Wenn er, 
ftatt in einer Bauhütte, auf einem Throne geboren 
wäre, fo würde mein armes Kind glüdlich fein. — 
Nun aber ift Opfer und Entfagung ihr lebenslängliches 
Loos. — 

Der alte Herrfcher fehüttelte den Kopf und fiel, 
verftummend, wie in ein tiefed Nachdenken. — Endlich 
fprach er feufzend: »Waͤre Dein Mann nicht wie ein 
Feld und wie eine Feuerflamme, fo Eönnte Alles noch 
gut werben, num aber forge ih, Daß es ein trauriges 
Ende giebt. — Doch Gott wirds verfehen!« — 

„Meine Freya ift verftändig,« verfeßte die Her: 
zogin, »fie liebt ihren Vater über Alles, fein Wille 
wird ihr immer ein heiliges Geſetz feyn, wie es feit ih— 
rer Kindheit war. Sie wird nicht wanken vom Wege 
der Pflicht, und die Krone Norwegs wird durdy fie ih— 
ren Adel empfangen. — Nur dünft mir, daß Birger 
den jungen Ritter mit feiner Ehre auf eine zu gefähr: 
liche Probe gefeßt hat, obgleih ih den Marfchall für 
feft und treu halte, — 

» Wir find Menfchen ,« erwiederte Erik, »wir Fön 
nen ftraucheln und follten brüderlih uns einander ſchuͤ— 
Ben gegen den gemeinfamen Feind, welcher die reine 
Zugend, die am fefteften zu ftehen meint, oft am ge: 
fährlichften anfiht. — Doc wenn ed Schußengel giebt, 
wie unfere katholiſche Kirche es behauptet, fo möchte 


127 


ich fchon neben jenem Jünglinge einen folchen gefehen 
haben.« — 

Während die hohen Geſchwiſter alſo einſam im 
Wagen redeten, hatte Freya mit ihren Begleitern, 
dazu ſich noch Prinz Erik, der Geſandte und der 
Stallmeiſter geſellten, eine Anhoͤhe erreicht, wo man 
uͤber die naͤchſten Waldungen hin das ſchoͤne Gebirg 
uͤberſah, welches immer dunkler und maleriſcher mit ſei— 
nen mannichfaltigen Lokalfarben in den heiteren Abend- 
himmel flieg. Bon hier aus führte der Weg abwärts 
durch waldige Schlüchte und Felfenbrüche, mit rauſchen— 
den Gießbächen durchftrömt, welche alle in den Wener⸗ 
fee ſich ergoffen. In größerer Ferne hörte man ſchon 
das Iuftige Klingen der Eifenhämmer, und Fleine rothe 
Häuferchen blidten lachend und genügfam aus dem dun⸗ 
felgrünen Waldrüden hervor. Bärtige Männer, wel- 
che, gefchwärzt vom Feuer, aus ihren Eifenfchmieden 
famen, begegneten ihnen mit ehrfurdtsvollen, doch 
freundlichen Begrüßungen; denn Seder Fannte und liebte 
die fürftlichen Kinder, Freya und Erid, da fie fo 
gar nicht ſtolz waren, und fah in ihnen eine frobere 
Zukunft. Auch der ernſte Lido, wiewohl er feine Po- 
pularität zeigte, hatte großes Vertrauen bei dem weft: 
gothifhen Volfe, und ward wie ein Freund und Ver: 
mittler von ihnen begrüßt; denn man wußte, daß er 
viel über den Herzog vermoͤge, und fuͤrs arme Volk 
ſorge. — 

Unwillkuͤhrlich zog die Prinzeſſin auf der Hoͤhe den 
Zuͤgel ihres Roſſes an, und der ganze Zug hielt an 
dieſer ſchoͤnen Stelle, doch nur wenige Minuten, waͤh— 


128 


rend unten die Wagen fhon auf der gewundenen Fahr: 
firaße in das Thal hinabrollten und ihren Augen im 
Walde entfhwanden. — Freya blidte fich heiter um, 
- und fprad) dann, zu Erwin gewendet: „Wie heilig ift 
doch die Natur, wenn fie wie ein Wohllaut unfere See— 
len berührt und, eben fo ernft als lieblich, unfere ftill- 
ften Empfindungen erwiedert! Man möchte mit ihr wie 
mit einer Mutter leben, und wie mit einer zarten 
Freundin Umgang pflegen! Sagt, ift es nicht Geift 
und Wahrheit, was eine folhe Umficht und zuführt?« 

Erwin verfeßte: »Ich denke, ed ift der allmäch- 
tige Finger des Ewiglebenden, welcher feine Dome im 
Großen bauet, und allenthalben im Geheimniffe uns 
dad Heim offenbart, ja, unverfehend den Menfchen zu 
feiner redenden Zunge macht, u er Alles benenne, 
wie es heißen foll.« — 

»Und das arme gepreßte Herz frei macht, und der 
Bruft den Sorgenftein abhebt, welden die Melt dar= 
auf legte,“ fagte fie, indem eine Elare Thraͤne aus ih— 
ren gefenften Augen hervordrang. — Erwin fah die 
Thräne an der langen Wimper noch hangen und dann 
auf die blaffe Wange rollen; doch belebte fich ihr Auge 
alsbald, indem fie fich zu Lido wandte und ſprach: 

»Nicht wahr, Herr Rath, es zeuget wider Euch, 
Euer eignes Herz fteht auf gegen den Verftand? Denn 
alles dies Fann nicht durch fich felbft da feyn, nicht 
das Lebloſe das Kebendige erzeugen, Ihr fühlet mit 
uns, es ift der Geift Gottes!« — 

Lido erwiederte: »Ich fühle, was ich nicht den- 
fen kann, und ich denke, was ich nicht fühlen kann; 


129 i 


fo bin ich mir felbft ein NRäthfel in dem räthfelhaften 
Al. — Doch freue ih mich, Prinzeflin, Eures glüd- 
feligen Glaubens, und möchte ihn theilen, wenn ich 
koͤnnte.“ — | 

»O, Ihr könnt gewiß,« rief Freya, „wenn Shr 
nur ernftlich wollt; aber ein rechter Ernft muß es Eud) 
Damit feyn!« 

»„Melcher auch von oben herabfommen muß, wie 
Thau und Regen,« verfeßte Lido; »fchon lange harre 
ih, und bin dabei wie ein verborrter Baum. Möchte 
mich der Menfchenfchöpfer, von dem Ihr Beide Zeugniß 
gabt, noch einmal an feinen Strom pflanzen, daß ich 
frifch würdel« — 

»Er hat Eu) fchon eingepflanzt,« fprah Erwin, 
»vertrauet nur den tieferen Worten des weisfagenden 
Herzens, und fucht fie nicht immer gleich in Menfchen- 
rede zu uͤberſetzen Es iſt ein frommes Kind in Eurer 
Bruſt, laßt es am Worte Gottes zum Manne reifen 
durch des Glaubens Ernſt und Gebot, doch macht mit 
Eurer altklugen Vernunft den Glauben ſelbſt nicht wie— 
der zum Kinde! — Was die gute Stunde uns heute 
bringt, muͤſſen wir gegen uns ſelbſt in der boͤſen ver— 
wahren, denn ich denke, der Menſch iſt fein eigener und 
groͤßeſter Feind.« — 

»go denke ich auch,« fagte Freya, da fie den 

Hügel hinab in die Waldfchlüchte ritten, und eben ne— 

ben einer Glashütte vorüberzogen. — Sie betrachteten 

mit Wohlgefallen die Pflegfamkeit der. glühenden Maſſe, 

‚welche fich) durch Einblafen und leife Schwenkungen in 

alle Formen treiben ließ, und dann in den Kühlofen 
Erwin von Steinbach. II, 9 


130 


fam. In ihrem röthlichen Feuerfcheine war fie wie 
eine goldne Frucht, und die ganze Arbeit erfchien ih— 
nen wie ein geiftreiches Spiel der Phantafie. — ’ 

„Möchten wir fo einft erglüben in unferem fprd- 
den Stoffe,« fagte Erwin, »damit des Tones Töpfer 
etwas daraus machen könne; aber wir kommen zu früh 
in den Kühlofen, und da muß das dünne Glas zer- 
fpringen.e — 

„Ihr meint den Gedanken, « verfeßte Lido, » doch 
macht er und allein zum Menſchen, und ift der König 
des Alls!« — 

„Ja, wenn er ein Eönigliches Herz hat,“ fiel 
Erwin ein, „fonft wird er ein Prätendent ohne Rech— 
te, und macht einen Riß in die Schöpfung Gottes. — 

»Der König ftärke fih in feinem Volke, « verſetzte 
der Gefandte; »doch laßt uns darüber unferen alten 
König nicht ganz aus den Augen verlieren, welcher 
ſchon weit voraus if. — Das Schloß dürfte nicht 
mehr fern feyn, und wir müffen ihm bei feiner Ankunft 
gleich aufwarten, wenn er uns hold bleiben foll.« 

Freya und Prinz Erik waren ſchon mit dem 
Stallmeifter voraufgeritten, um den Oheim zu errei- 
chen, und die philofophirenden Gefährten fprengten ih— 
nen nach, indem die Funken von den Hufen flogen. — 
» a, fo gehts,« rief der Narr, „wenn man den Wald 
vor Bäumen nicht fieht!« und ftolperte ihnen auf fei- 
nem Deländer nah, während er ein luſtiges Liebel 
fang. — 

Erwin fand fi angenehm überrafeht, denn Die 
gewundenen Thaͤler öffneten ſich und breiteten ſich zu 


131 


einer anmuthigen und großartigen Gartenanlage aus, 
indem ihre Schluchten in eine abgeſenkte Ebene zufam- 
menfloffen, welche unter lieblihen Gebüfchen einen fri- 
fchen Wiefenplan zeigte. Am Ende derfelben lag un— 
ter einem Kranze hoher Eichen das fehr alterthümliche 
Eöniglibe Schloß Brofd, mit feinen Ringmauern und 
Thuͤrmen, hart am Wener, indem der große klare See 
malerifh durch die Bäume ſchien und den Blid ing 
Unbegrenzte führte. — Eine Heerbe fchnelfüßiger Rebe 
kam aus den Gebüfchen fehnell hervor und ftreifte, wie 
im ficheren Gehäge, über die Wiefen hin, wo fie fich 
öfters nach den Reutern umfahen, bis fie fi im Walde 
verloren. Auch erblidte man hochgehörnte Hirfchböde, 
unter den alten Eichen mit ihren Hirſchkuͤhen ruhig 
grafend, wie zahme Rinder, da Niemand fie in diefem 
Thiergarten verlegen, noch veriheuchen durfte. — Ein 
tiefer Friede Fam unferem Freunde hier entgegen, es 
war, als wenn der Geift des alten Königs in allen 
diefen Umgebungen wohne und jede Unruhe menfchli- 
cher Bedürftigkeit verſcheucht habe. Die Wagen roll: 
ten eben in den Schloßhof hinauf, ald er Freya und 
Exrik erreihte. Sie fahen fich freundlich nach ihm um, 
und Freya lächelte gütig ihn an um feine Verſpaͤ— 
tung. Die alte Thurmuhr ſchlug fieben, mit ſtarken 
bedächtigen Schlägen, fo daß er faft über diefen ern: 
ften nüchternen Zeitmeffer erfchraf. — Da ritt er mit 
den fürftlichen Kindern durch ein uralted und wunder: 
fiched Thor, welches in byzantinifchen Rundbogen und 
Kreisgewölben eine lange feierliche Halle bildete, wo: 
rin ‘Helden und Heiligenbilder aufgeftellt waren. — 
9%* 


132 


Sie fehienen ihn von ihren Kragfteinen aus tiefen Nie 
ſchen mit ernften und bedenklichen Bliden anzufehen. 
— Es waren zum Theil bärtige Männer mit Streit: 
ärten und Krummftäben, in Harnifch und Kutte; Doch 
auch einige zarte Frauen mit Schleier, Krone und Ro— 
fenfrängen. — Es war ihm zu Muthe, ald wenn auf 
ihren fleinernen Lippen die Frage fchwebe: » Fremdling, 
was willſt Du hier?« — 

Die Prinzeffin machte ihn auf einige Flachbilder 
in der gewölbten Dede aufmerffam, welche den ge= 
heimnißvollen Kampf der guten und böfen Götter be- 
deuten follten, und nannte fie gleichzeitig mit den Tem— 
pelruinen zu Alt=-Upfala. 


Man fah bier Odin und die Götterfchaar, mitten 
in Slammen, den Kampf gegen Lokke, Fenriswolf 
und Midgardöfchlange beginnen, und gräuliche 
Kiefenbilder um fie ber ftehen; doch fiel ein fo 
ſchwaches Licht ein, daß Erwin nur die allgemeinften 
Umriſſe unterfcheiden konnte, und fich die nähere Be- 
trachtung beim Sadelfcheine zur gelegnen Stunde vor 
behalten mußte. — »Ihr ſeyd hier im älteften Schwe- 
denlande,,«; fagte die Prinzeffin bedeutend. — » Wohl: 
an,« verfeßte Erwin faft unmwillfürlih, »fo reite ich 
neben Freya und Balder bin Gode, den Götter- 
Eindern, welche den ganzen nordifchen Himmel erhellen! « 


»MWahrlih,« rief Erik lachend aus, »dann bift 
Du ja Heimdal, unfer Wächter, von neun Jung— 
frauen geboren, der fo fcharf merkt, daß er Grad wach— 
fen und Wolle fprießen hört; auch fo wenig fchläft, 


133 | 


wie ein Voͤglein, und mit feiner Ruhmpofaune alle 
Welten erfüllt!« — | 

Freya erröthete und ſprach: »Laßt und aus die: 
fem Fabelkreife, welcher auch die Weifen bethören koͤnn— 
te, binmwegeilen, und zum Könige und begeben, ber 
fhon mit meiner Mutter aus dem Wagen fteigt.« — 

»Nun,« fagte Erik, indem ihr ſchnelles Roß auf 
einen Drud der Hand durch das dunkle Thor und 
über den Schloßhof flog, »der Freya muß ja Alles 
folgen, felbft Balder der Gute, und Heimdal der 
Weiſe, find ihr unterthban!« — 

Es war auch die höchfte Zeit, daß fie kamen, denn 
fhon hatte der alte König, welcher die Herzogin ins 
Schloß geführt, nach feinen Schwefterfindern gefragt. 
— Er ward fehr heiter, als fie eben zu ihm traten, 
und ihm die Hände füßten; denn er fühlte fih als 
Wirth hier, und die ganze alte vergnügliche Zeit, vor 
feiner Verbannung, ging wieder in feiner Seele auf. 

»Nun feyd froh, Kinder, « ſprach er, »feyd meine 
Kinder in dem Meinen, und adhtet Euch hier in Bro: 
fö wie zu Haufe! Das Obft reift im Garten, pflüdet 
nach Herzensluft von allen Bäumen, nur nicht vom 
Baume des Todes! — Meine Fifchteiche find voll der 
größeften Karpfen, angelt fie nach Gefallen! Meine 
Forſten find vol Wildprets, erfreuet Euch der Jagd, 
und dann fommt zu dem alten lahmen Manne zurüd, 
und verfüßt ihm die lebten Tage feiner mühevollen 
Wallfahrt! — Schwefter Sngeborg bleibt bei mir; 
Euch junges Blut aber will ich nicht halten; laßt Euch 
von dem Marfchall führen und unterweifen, wenn Ihr 


134 


nur immer wieder zu mir fommt; denn, weil Gott mir 
feine Kinder gegeben bat, fo feyd Ihr nun meine ei- 
genen geworden!« — Er fchloß mit fanftem Lächeln 
und nahm Freya und Erik wechfelöweife in feine 
Arme, welche feine Liebfofungen ehrerbietig erwiederten. 

»Sieh’, Ingeborg,« fprach er ernfter, »das find 
fchöne Blumen aus Deinem Garten! Laß fie Dir nur 
von der Sonne nicht verfengen, und in der Dürre nicht 
verdorren! — Leite den frifchen Strom dicht an ihre 
Wurzeln hin, daß fie Dir Lieblich duften, und ihre 
Blätter grün bleiben!« — 

»Ja,« verfeßte die Herzogin gerührt, »und Du 
fhirme fie unter Deinem erquidenden Schatten, fo 
lange Gott will!« 

»Amen!« fprach der alte König, und führte die 
Schwefter in des Schloffes innere Gemaͤcher. — Freya 
und Erif aber gingen in den Garten zu dem Som: 
merhaufe am See, mo die fchönfte Ausfiht war. — 
Dahin wurden auch bald Erwin, Lido und der Ge: 
fandte mit den übrigen Gäften befchieden, um Erfti- 
fhungen einzunehmen und den König zu erwarten. — 


135 


Achtes Kapitel. 





Die Sonne fenfte fi und warf ihren warmen Schein 

auf die angefeuchteten Gebüfhe. Der See ward im- 
mer Plarer und-fpiegelnder, fo daß er die Wolfen des 
Himmeld in fih aufnahm; die alten, hohen Eichen 
raufchten immer ahnungsvoller mit ihren dunkelnden 
Kronen zufammen, und ein fchöner blendender Regen: 
bogen zog fich durch das graue Duftgewöll. Da bat 
Freya den Oheim und die Mutter, ihr einen Spa 
Biergang nach dem nahen Chennefulle zu geftatten, 
da der Abend fo fchön fey. Der König nidte Beifall 
und verficherte,, daß er felbft fie gern begleiten möchte, 
wenn fein lahmes Bein nicht dagegen proteftire. Die 
Herzogin erlaubte es ihr nur mit der Bedingung, nad) 
einer Stunde heimzufehren, und im Steigen fich nicht 
zu erhigen. Freya warb froh, und eilte, begleitet 
von ihrem Bruder Erik, Erwin, Lido und eini- 
gen Hofdamen, wie mit geflügelten Schritten, durch den 
Garten. 

Ein fchlängelnder Weg führte durch friſchduftende 
Gebüfche neben einem alten Zreibhaufe vorüber, darin 
Drangen= und Gitronenbäume fanden, doch, wie aus 
früherer Zeit flammend, nur aus Gewohnheit gepflegt 
fchienen; dann ging es links durch ſchoͤne Waldung 


136 


den Berg hinauf, indem der Pfad bald durch frifche 
MWiefen, bald durch malerifche Baumgruppen führte. 
Ein grüner Goldglanz Yag auf Gräfern und Blät- 
tern, wo nur die fcheidende Sonne ihre Gluthblide 
binftreuete ; defto ftiller und ernfter aber war es in dem 
MWaldfchatten. Anfangs hatte Freya ihres Bruders 
Arm genommen; da e& aber fteiler wurde, und diefer 
öfterd aus dem Wege lief, um einen Schmetterling zu 
haſchen, oder eine Blume zu pflüden, fo wandte fie 
ſich lächelnd zu ihrem Marfchall, welcher mit Lido ihr 
zur Seite ging, und legte ihre Hand in Steinbachs 
Arm, wie e5 fich gebührte. 

Zum erften Male fühlte unfer Freund das Glud 
feines Amtes. Er faßte fie fichrer und freuete fi, daß 
er ihr fo getroft bei den fchrofferen Abfchüffen des Ber- 
ges Die männliche Hand darbieten durfte. Doch be= 
durfte es feiner Hülfe wenig, denn fie ſchwang ſich 
leicht und Fühn von einer Felfenftufe zur andern, und 
fhien nur fo viel von feinem Arme zu benußen, um 
ihn fühlen zu lafien, daß fie gern auf ihm ruhe. Li— 
do unterhielt fich leicht mit den Hofdamen. Prinz 
Erik fprang hin und her, und war bald weit voraus, 
bald fehr zurüd; bald ftreifte er mitten zwifchen ihnen 
durh, und kniff Erwin in den Arm, um ihn fein 
Wohlwollen zu bezeugen. Der Knabe war unendlich 
fröhlich, ernfter war Freya an des Ritters Arm; fie 
fhien nachdenklicher zu werden, je höher fie fliegen, und 
unferm Freunde Elopfte ftärker das Herz. Er wußte 
ihr wenig zu fagen; nichts fchien ihm an diefer Stelle 
zu paflen, ihre große Nähe benahm ihm das Wort. 


137 


Eben beftiegen fie den erften Abſatz Chennekulle’s, 
welches aus drei Stufen beftehbt. Die unterfte ift wal- 
dig, die zweite bufchartig, die dritte und höchfte ift nad: 
ter Feld und ohne Gefträuh. Auf der unterften Stufe, 
welche fchon eine bedeutende Höhe erreichte, weilten fie 
für heute, und fahen die Sonne herrlich heiter und 
Far in den großen Wener See hinabfinfen. Kaum 
waren die entfernten Ufer, wo fie hinfanf, zu erfennen. 
Ueber die Eleinen bufchigen Inſeln aber, welche inmit- 
ten des flaren Sees, wie graue Vögel, zu Schwimmen 
fchienen, warf fie ihre le&ten feurigen Strahlen, und 
dann an der Waldhöhe hinauf, wo Erwin mit Freya 
ftand. Lido war noch mit den Damen und dem Ge: 
fandten, welcher fich fpäter ihnen angefchloffen hatte, 
zurüd, Prinz Erik aber mit einem Eleinen Sagdhunde 
Ihon weit voraufgeklettert. Der Hund fchlug oft an, 
und zeigte die Stelle, wo Erik war, wenn auch der 
weiße Federbufch des Knaben im Gebüfhe dem Ge: 
folge verfchwand. 

Es war eine ausnehmende Stille — die fo große 
Natur, wie Erwin fie noch nie gefehen, machte unfern 
Freund ungewöhnlich weich an Freyas Seite. Seine 
Liebe zu ihr flieg plößlich wie eine weiße, leuchtende 
Lichtlilie aus dunkler Erde vor ihm auf. Er blidte 
weit um ſich her, und feine Augen füllten fich mit 
Thränen. Die herrlichen Stufen des Waldgebirgs ſenk— 
ten fich malerifch in die Thaͤler, und mwechfelten ihre Lo— 
Falfarben harmonifch durch die mannichfaltigften Töne, 
ald vom frifcheften Saftgrün, bis in das tieffte, durch 
warme bräunliche und röthliche Mifhungen des Herb: 


138 


ſtes gebämpfte Blau. Ueber diefe vollen Baummaſſen 
erfchien ferne am tiefen Bufen des Wener ein Elei- 
nes freundliche Städtchen, deffen Thurmfpige nur noch 
erglühte und das felbft in Nebelduft faſt verfchwand. 
— Freya nannte ed ihm Linkoͤping, und er erin- 
nerte fih, daß Hubert dahin ein Bild als Altarblatt 
gefandt habe. Die deutſchen Freunde famen ihm in 
Gedanken, und fo auh Hildegard. Faſt war es, 
ald wenn Freya es errieth, denn fie fragte nach lan— 
gem Stillfehweigen fehr theilnehmend nad) feinem Va⸗ 
terlande und fagte: »Erzählt mir doch aud von ber 
ſchoͤnen Hildegard in Köln, des Meifterd Diete- 
rich frefflicher Tochter, welche und ber Gefandte als 
die Krone aller deutfchen Frauen fo oft und hoch ges 
rühmt hat. Bon Euren Lippen möchte ich ihr Lob 
vernehmen, denn Ihr Eennt fie gewiß beffer, ald jener 
vedfelige Mann!« Erwin erröthete; fireitende Empfin- 
dungen bdurchdrangen fein Herz, Empfindungen und 
Gefühle, welche geftaltlos fchienen, und feinen Bufen 
eben fo bitter, als füß erfüllten. Er ſprach bewegt: 
Mas foll ih Euch fagen, und wie koͤnnte ih es Euch 
verbergen; Hildegard ift mir vor allen Frauen werth, 
die reinfte Seele, welche ich in einem Weibe Fannte, 
und das treuefte Kind eines großen Vaters, dem ic) 
viel, ja Alles in meiner Kunft verdanke, und der dazu 
noch mein väterlicher Freund iſt. Sie ift mir wie eine 
treue Schwefter nahe, und fchrieb mir noch jüngft er: 
quidlihe Worte; ich möchte Euch daraus mittheilen, 
wenn Shr Gefallen daran findet. « 

„O, lefet fie mir, theurer Ritter, « verfeßte Freya, 


139 


„fchon der Name zieht mi an, und was Euch fo 
nahe ift, das thut auch mir gewiß wohl.« Sie ſetzte 
fih bei diefen Worten auf ein bemoof’tes Felfenftüd. 
Erwin zog Hildegards Brief aus feiner Schreib: 
tafel, entfaltete ihn langfam und las, indem Die andere 
Geſellſchaft noch tiefer unten verweilte. Er las, was 
wir fchon Fennen, und fah öfters über das Blatt nad) 
der Prinzeffin hin, welche unbefchreiblich reizend das 
Lockenkoͤpfchen in den lichten Abendhimmel erhob, in- 
dem ein leifer Hauch bisweilen das feine, geringelte 
Haar auf Hals und Stirn bewegte. Sie fehien mit 
tiefer Theilnahme den einfachen Worten zu laufchen; 
ihre Mienen wechfelten in fanfter Schwermuth und fü: 
Ger Befriedigung, und zeigten durchweg ein zarted 
MWohlwollen. Als unfer Freund geendet hatte, ſprach 
fie indem fie dad dunfelblaue Auge zu ihm aufſchlug: 
»Ihr ſeyd doch fehr glüdlich, da fo treffliche Menfchen 
Euch verftehen und lieben. Möchte Euch der Friede 
niemald geftört werben, welchen Euer Herz fo ganz 
verdient. Ich danke Euch für die Worte, und kenne 
diefe Hildegard ſchon, und wäre fie hier, ich würde 
fie wie eine liebe Schwefter umarmen, Grüßet fie von 
mir.« 


»Ja,« verfeßte Erwin, »mwenn fie hier wäre, dad 
möchte ich ihr gönnen, und wenn ich Euch auch nie= 
mals gefehen haben follte, und auch all des Glüdes in 
Eurem edlen Haufe entbehren müßte Mir ift e3 
doch viel zu viel; fie würde es in ihrem ftarfen Her: 
zen, wie eine Perle in der Mufchel, file bewahren, 


140 


und Eönnte vom großen Horte zur guten Stunde mir 
abtheilen. « 

Freya fah ihn unbefchreiblich ernft und wohlmol- 
lend an; aber eine ganze Welt lag zwilchen ihnen. 
Ihre Augen waren feucht geworden; fie fenfte fie tiefer 
nieder und fprach, indem fie aufftand: »Ja, ich möchte 
wohl mit Euch in Köln feyn, und vom hohen Dome 
mit Euch hinab in Dieterih3 Haus gehen, und 
Hildegard kuͤſſen, und auf immer dann von Euch 
Abfchied nehmen.« — »Doch nur für dieſe Welt?« 
tief Erwin fchmerzvoll aus. 

Sie fah ihn freundlih an, ihre Augen glänzten, 
leife drüdte fie ihm die Hand, und ſprach mit ruhiger 
Faflung: »Ja, Ritter, nur für diefe; denn dort find 
wir ja wie die Engel im Himmel, welche, wie unfer 
Heiland fagt, nicht freien, und fih aud nicht freien 
laffen.e Sie fagte diefe letzten Worte faft ironifch laͤ— 
chelnd, und fohwieg. Ein wunderbarer Zauber fpielte 
um ihre Lippen, es war, ald wenn fie lauter Geift und 
Leben geworben wären, obgleich fie nichts mehr redete. 
Erwin meinte die Unbekannte feines Traumes zu fe= 
ben, welche fich die wahre Hildegard nannte; und 
wirklich fühlte er in feinen Eingeweiden ein fremdes 
Erglühen, demjenigen ganz ahnlich, das ihn in jenem 
Traume zu verzehren drohte, und nur durch den wei: 
Ben Schleier Hildegards gelöfcht werden konnte. 

Sn diefem Augenblide traten auh Lido und der 
Gefandte mit den Hofdamen herauf und ftellten fich zu 
ihnen, indem fie die fehöne Gegend bewunderten, und 
ale Städte und Klöfter ringsum mit Namen benann- 


141 


ten. Auch Prinz Erik war wieder herab und zu ih: 
nen gefommen, und verficherte, den Gipfel mit feinem 
kleinen Hunde erreicht zu haben, indem er von der wei- 
ten Umficht eine lebhafte Befchreibung machte; noch 
mehr aber von einem Voͤlkchen Hafelhühner, welche 
vor dem Hunde aufgeftanden wären. Er bedauerte 
nichtö mehr, ald daß er feinen Bogen daheim gelafjen 
habe. | 
Der Gefandte verglich dieſe Umfiht mit einer 
fchweizerifhen am Genfer See, wo er einige Zeit ge- 
lebt hatte. Lido dagegen mit dem Lago Maggiore 
im Mayländifchen, welcher ihm immer befonderd wohl 
gethan habe. Freya war ftil, und mahnte Alle zur 
Ruͤckkehr, da die erlaubte Stunde längft verfloffen fen. 
Sie legte mit Würde ihre Hand in Erwins Arm, 
welcher fie behutfam hinabführte, und mit feiner Schul- 
ter ihr oft zur Stüße diente, wo ed am fehroffiten 
ward. 

»Ihr fchwindelt wohl gar nicht?« fragte fie ihn 
fcherzend, indem er hart an einen Abgrund trat, um 
ihr Schuß zu geben. »Doch, doch,« verſetzte er, »nur 
nicht auf feftem Grunde und in räumlichen Höhen. « 
Sie erröthete und fprach mit halber Stimme: »Der 
feftefte Grund ift uns ja befannt, der ftärket den Kopf 
und auch das Herz. « | 

Schon fiel der Thau; die Waffervögel erhoben 
fih aus dem See, und zogen am Bergesabhange mit 
Elingenden Flügeln nahe über fie weg; der Auerhahn 
Iodte ftärfer im Walde, und die heimfehrenden Hirten 
fangen ihre Abendlieder mit fanfteverhallenden Tönen. 


142 


Die Rebe ftreiften fcheu durch den daͤmmerigen Thier- 
garten neben ihnen vorüber; das alte Schloß erhob ſich 
ehrwürdig unter den Bäumen mit grauen Thürmen 
und bemooften Ringmauern, und Erwin fand Gele: 
genheit, der Prinzeffin manches Merfwürdige über die 
ältefte Baukunft mitzutheilen, indem er die verborgene 
Abfiht bei jenen wunderlichen Bogenftellungen und 
Gewoͤlben deutlich ihr auseinander zu fegen fuchte. 

So legten fie unvermerkt den Heimmeg zurüd, 
und traten in dad Schloß und in den erleuchteten 
Saal, wo Harfenfpiel und Sfaldenfang ihnen laut ent- 
gegentönten. Der alte König war in großer Gefell- 
fchaft der hohen Kronbeamten, welche auf Die Nachricht 
feiner Ankunft in Brofö gekommen waren, ihm ihre 
Verehrung zu beweifen. Schon faßen fie bei Tafel 
um ihn ber, und er an der Herzogin Seite. Er be: 
grüßte unfere verfpäteten Wanderer fehr freundlich und 
hieß Freya neben fich fißen, welche aber von ber ern= 
fieren Mutter einen Beinen Verweis über ihr langes 
Ausbleiben empfing. Erwin feste fi neben Lido, 
Prinz Erik nahm mit dem Hofmeifter an der andern 
Seite Plab und bat den Narren, fih in ihrer Nähe 
zu halten, damit ihnen die Zeit nicht lang würde. 

»Was gebt Ihr mir, Marfchall,« rief der König 
oben von der langen Zafel hinab unferm Freunde zu, 
„was gebt Ihr mir, wenn ih Euch einen Sänger vor: 
fielle, welchen Ihr lange entbehrt habt? Aber errathen 
müßt Ihr zuvor feinen Namen und Stand.« 

»Das könnte fein anderer, ald mein Freund, der 
Maler Hubert ſeyn,« rief Erwin, „denn er if 


143 


unter allen Sängern mir der naͤchſte und Iiebfte.« 

» Getroffen,« rief eine Stimme hinter feinem Stub- 
le; er fah fih um, und Hubert lag an feiner Bruft. 
»Ja, da bin ich, Bruber,« rief er aus, »durch bie 
Gnade ded großen Königs bin ich herbefchieden, um 
bier für ihn zu malen, und mit Dir zufammen zu le— 
ben. Mich hat lange nach Dir verlangt; doch der lei: 
dige Kardinal-Legat hielt mich mit feinen Beftellungen 
fo fehr auf, da er mich unglüdlicherweife in feine Gunft 
genommen hatte. Bon Kaspar fol ih Dich grüßen, 
bald wird auch er hier feyn. Nur eine Reife nach 
Norwegen, wovon er fi große Dinge verfprah, hat 
ihn .verfpätet. « 

»Nun, nun,e rief der König, »fingt und einmal 
zum Willlommen ein deutfches Lied, damit unfer Bau— 
meifter fröhlih werde, und wir Ale Eure Mundart 
vernehmen, wie Eure Gaben bewundern mögen !« 

Die Skalden ſchwiegen, und ließen ihre Harfen 
finten. Hubert verneigte fih vor dem Könige ehr: 
erbietigft, und nahm feine Laute, welche er immer mit 
fich führte. Er flimmte und prälubirte, dann griff er 
flärfer in die Saiten und fang, wie impropifitend, fol- 
gendes Lied: 


»„Ein armer Fremdling Fam daher, 
Ohn' Mantel, Stern und Degen, 
Aud trug er nicht am Gelde ſchwer, 
Dod trug er Liedes-Segen. 


Die Laute hielt er in dem Arm 
Und fang, was er gelebet, 
Dabei ward ihm das Herz fo warm, 
Denn Bragur vor ihm fchwebet. 


144 » 


Er fang von tapfrer Männer Streit, 
Bon Frauen zart in Hulden, 
Da ward ihm bald die Bruft fo weit, 
Bald mußte er viel dulden. 


Bald ftand er in dem Schwertgeklirr, 
Bald lag er tief im Kerker, 
Bald wogte er im Waldgemwirr, 
Bald war er Biel der Merker. 


Doch Laut’ und Pinfel Half ihm frei 
Bon allen Erbbämonen, 
Zufriedenheit, dies heilfge drei, 
Führt’ ihn vor Königs: Zhronen. 


Er beuget fi, er neiget ſich 
Bor einer Silberfrone, 
Der Eeine gold:demant’ne glich, 
Gerechtigkeit zum Lohne. 


Das weiße Haupt, der edle Geift, 
Dünkt ihm ein Himmelszeidhen, 
Was ftill den großen Vater preif't, 
Mit Eeinem zu vergleichen. 


Es wird ihm hier fo friedevoll, 
3u malen und zu fingen, 
Nun fage, König, was er foll, 
Dir feinen Dank zu bringen. 


Es jey ein Bild, es fey ein Lied, 
Es fey ein Kampf mit Draden; 
Was deine Lippe ihm befchieb, 
Will's Gott, wird er ed machen. « 


Hubert verneigte fih, und legte die Laute bei 
Seite, indem er befcheiden ven Skalden —— in ih⸗ 
ren Geſaͤngen fortzufahren. 


145 


„»Bravo,« rief ihn König Erif zu, ⸗Eure deitt⸗ 
fhe Mundart gefällt mir, und nicht weniger Euer. gu- 
ter Vorſatz. Seyd froh an meinem Hofe; Eure kunſt⸗ 
fertige Hand foll und malen in einem größen Familien: 
bilde. Doch den Dradenfampf werde ih für meine 
Ritter auffparen, welche mit Pinfel und Palette nicht 
umzugehen wiffen. Euer Lob über mich alten Mann 
mag Bragur verantworten, in deflen Dienft Ihr fteht, 
und der gern im Guten übertreibt.« 

Der König winkte, und die Skalden huben von 
neuem zum Harfenklange ihre fabelhaften Heldenge— 
fange an, welche aber das Geſpraͤch bei Tafel nicht 
hemmten, fonbern es mir zu beleben fihienen. = > 

Erwin fühlte ſich in ſeinem Freunde beglüdt. “Er 
hatte mit Vergnügen die beifälligen Blicke Freyas bei 
Huberts Gefange bemerkt, fo wie auch die Herzogin 
ihr Wohlgefallen bezeugte, und ed war ihm damit din 
Stein vom Herzen genommen. Run hielt er fih ber: 
zeugt, daß dieſer Freund auch in Bielbo, wiehier, 
eine gute Aufnahme finden, und ein willlommnes Mit: 
glied des gefelifchaftlichen Kreiſes ſeyn würde; denn 
ohne ihn. begehrte er Feine Auszeichnung, und fehon 
war ihm feine Standeserhöhung als Ritter und Mar: 
ſchall, dem alten Kameraden gegenüber, etwas Täftig. > 

Da fie allein-waren, fprah Hubert zu Erwin: 
»Was bift Du doch für ein anderer Kerl geworben; 
ich meine nicht nur Deine ritterliche Kleidung und das 
Föftlihe Schwert an Deiner Seite, denn das Alled weiß 
ih fchon von. Bonnevil, und wünfhe Dir zu! Dei: 
nem Marſchalldienſte Gluͤck; aber Du ſtehſt viel feſter 


Erwin von Steinbach. IT. 10 


146 


auf den Fügen, bift gerader in Deiner Haltung, edler 
ift Deine Geberde und feuriger Dein Blick. Was doch 
in kurzen Lagen’ aus dem Manne werden kann, wenn 
er nur leben lernt,« — 

yıratl 


— Neuntes Kapitel. 


| 


Als die Freunde fich reichlich des Wiederſehns geletzet 
und das Herz in allen: äußeren Begegniffen ausgefhüt- 
tet hatten, gedachte Jeder von ihnen. an feine Arbeit 
zu gehen. — Hubert bereitete eine große eichene Ta— 
fel für das beftellte Familiengemälde, und Erwin ließ 
fich von den gegenwärtigen Steinmetzen einen weißen 
Marmorblod behauen, um. dem alten Könige endlich zu 
genuͤgen und das oftgemahnte Flachbild, des ‚Kampfes 
mit dem Bären und der erlöften Prinzeflin, fo ungern 
er auch daran ging, ind Werk zu richten. — Den rein 
ſten Marmorftein, deren viele von allen Formen im 
alten Schloffe, zu unbekannten Zwecken, vorräthig las 
gen, hatte ev zu. biefer fchwierigen Arbeit ausgewählt, 
indem er fih dad Maß zu dem Portale jenes Fünigli- 
chen Sagdhaufes am Mälar fchon früher durh Bon=- 
nevil hatte fenden laffen. Es war ein längliches 
Rechteck vom fehönften Korne, auf welchem er die Ge: 
ſchichte darzuftelen befhlog. Ein. feiner „nflegfamer 


147 


Thon, welcher: fich in der Nähe Brofd’3 fand, diente 
ihm zur Modellirung, und: fo griff er fchon folgenden 
. Bags mit friſchem Muthe, wenn gleich mit etwas be⸗ 
klommener Bruſt, die Arbeit an; — | 

Außerdem waren vom, Reichöbrofte — von — 
reren Großen Beſtellungen zu Bauriſſen bei ihm ein— 
gegangen, da fein Ruhm ſchon ſich auszubreiten be— 
gann, und mancher reiche Gutsherr feine kunſtfertige 
Hand zu benutzen wuͤnſchte. — Die mehrſten ſuchte er 
aufzuſprechen, andere wies er gaͤnzlich ab, um ſeine 
Zeit nicht zu ſehr zu zerſplittern; doch einige, welche 
Birger und der alte Koͤnig ihm beſonders empfohlen 
hatten, als den Reichsdroſt und Hofmarſchall, mußte 
er zum Aufbau ihrer Schloͤſſer und Burgen ebeftend zu 
befriedigen fuchen. — 

So waren ihm die Zagesflunden ir; — er 
mußte auch manche naͤchtliche zu Huͤlfe nehmen, um 
einem Jeden zu genuͤgen, vor allem aber das von dem 
Koͤnige ſo wiederholt verlangte Flachbild baldigſt zu 
vollenden. — Außerdem hatte er auf ſeinem Tarter in 
der Umgegend manche Reiſen zu machen, um das Bau⸗ 
Iofal zu den beftelten Schloßriffen an Ort und Stelle 
in Augenſchein zu nehmen, bie fähigften Werkmeiſter 
dafelbft anzuftellen, und Alles zur Fundamentlegung 
mit den Steinmegen abzufprechen. | 

So hatte er denn alle Hände vpll zu thun, und 
die große Gefchaftigkeit wer ibm gewiſſermaßen will⸗ 
fommen, da es ihn mehr von Freya und feinem Mar: 
fhaldienfte entfernte, und feinem bewegten ‚Herzen bie 
nöthige und mwohlthätige Ruhe gewährte. — 

10* 


148 


‚Seit jenem fchönen Abende auf’Chennekulle 
hatte er die Prinzeffin faft niht anders als bei Tafel 
und in ‚großer Geſellſchaft gefehen, da die Herzogin 
ihrem Stallmeifter aufgetragen, den Marfchalldienft bei 
Freyamorläufig zu verwalten, auch fie auf ihren Spa— 
zierritten zu begleiten, um ben vielbefchäftigten Bau 
meifter 'bei feinen wichtigen Arbeiten nicht ohne Noth 
zu ftören: — Selbſt zur Tafel ward fie nicht mehr von 
ihm, fondern vom Reichsdroſte oder Hofmarfchall ge— 
führt, welche fich diefe Ehre während ihres Aufenthalts 
in Brofd audgebeten: hatten. — Außerdem waren bie 
fürftlichen Kinder, Freya und Erik, fehr viel mit 
bem alten Könige, und theilten mit ihm manche Waf- 
ferfahrt und Jagd, oft allein mit der Herzogin, ober 
im engften Kreife, und nur von wenigen erprobten Jaͤ— 
gern ober Fifchern begleitet. — Selbft Lido und ber 
Hofmarfhall wurden felten dazu geladen; öfter der 
Reichsdroſt, welcher fchon im Greifenalter und ein pers 
fönlicher Freund des Königs war. — Sp machte es 
fi wie von feldft, daß Erwin faft in feine frühere 
Abgefchiedenheit zurüdtrat, und ganz allein feiner Kunft 
leben fonnte, dazu. er anfangd hieher berufen ward. — 
Die Prinzeffin, wenn fie ihm begegnete, zeichnete ihn 
zwar noch immer vor allen Andern aus, und war fehr 
freundlich, doch fühlte er etwas Fremdes -in ihr, was 
ihm wehe that; eine verhängnißvolle Kluft, duͤnkte ihm, 
habe ſich zwifchen ihnen Beiden eröffnet, welche fich nie= 
mald wieder ausfüllen koͤnne. — Sie war noch die 
Nämliche, und doch eine ganz Andere geworden; fieres 
dete noch mit der alten unbefangenen Derzlichkeit zu 

® 


149 


ibm, und doch mar jedes ihrer Worte befonnen und 
fcharf begrenzt. — Es Fam ihm vor, ald wenn fie einen 
unfihtbaren Panzer angelegt habe, welcher feine Seele, 
die fih zu ihr hinneigte, fofort bei der leifeften Be— 
rührung abfältete und in ernfte Schranken zurüdwies, 
— Er wagte nit mehr von Hildegard mit ihr zu 
reden, wenn fie gleich felbft darauf hindeutete; es war 
nicht mehr jene fohöne Offenheit, welche ihn an jenem 
unvergeßlichen Abend fo beglüdt hatte. — Er dachte 
nach — ob er fie durch irgend etwas in feinen Wor- 
ten verlegt haben koͤnnte, und durch eine unbebachte 
Aeußerung feiner Empfindungen ihre Gunft vielleicht 
auf immer verfcherzt haben dürfte. — Wäre es gewe— 
fen, fo würde er fein Opfer zu groß geachtet haben, 
um es wieder auszugleichen ; da er fich aber nichts ber 
Art erinnern Eonnte, ald den Ausdrud feiner verehren- 
ben und befcheidenen Liebe gegen fie, fo betrübte ihn 
ihre Kälte um fo mehr, und brachte ihn mit fich felbft 
in Zwiefpalt. — Daher befhloß er, wie fehr auch fein 
Herz ihn zu ihr hinzog, von nun an fie mehr zu ver- 
meiden, und allein feiner edlen Kunft zu leben, welche 
ihm im Andenken Hildegards und ihres Vaters noch 
bedeutender und heiliger wurde. — Der Arme. Fannte 
noch zu wenig dad weibliche Herz, welches im Bemah- 
ren feiner Empfindungen eine ganz eigenthümliche Kraft 
hat, die ihm zum Schuge gegen den ftärkeren. Mann 
verliehen zu feyn fcheint, um feine Feimende Leidenfchaft 
zurüdzudrängen; welches bei edlen Frauen aber fafl 
eben fo unbewußt iſt, wie. der — und das 
Athemholen. — | 


150 


Unterdeffen hatte Hubert mit dem Könige über 
dad verlangte Famillengemälde oͤftere Unterredungen 
gehabt, und nach feinen Wünfchen einen Karton vor: 
läufig entworfen, welden er Erwin eines Morgens 
vor Augen ftellte, und der deſſen ganzen Beifall fand; 
er verficherte dem Künftler, daß er ed ſ ch eben ſo, und 
nicht anders, gedacht habe. — 

Auch die Herzogin, weldye allein bei ihrem Bru— 
ber war, bezeugte fich der geiftreichen Zeichnung beifäl- 
lig, und bat nur, daß Hubert baldigft and Werk ge: 
ben und es vollenden möchte, da ihres Bleibens in 
Brofd nicht lange mehr feyn Fönne, weil dringende 
Verhältniffe fie nach Bielbo zurüdriefen. 

So ward denn verabredet, daß alle Morgen zwei 
bis drei Stunden zum Malen beflimmt werden follten, 
darin man zugleich fi im Familienkreiſe unterhalten, 
oder vorlefen und muficiren könne. Hubert verfi- 
cherte, daß er allen Fleiß zur fchnellen Vollendung an—⸗ 
wenden würde, und fürs erfte nur Die Köpfe auszuma= 
len brauche, dazu ihm denn das bewegteite Leben des 
Geiftes das willtommenfte fey. — Die Geftalten und 
Gemwänder könne er fpäfer ausführen, und brauche da: 
zu nicht des anhaltenden Sitzens der hohen Perfonen, 
wenn man nur bin und wieder feiner Einbildungskraft 
zu Hülfe kommen wolle, welches fie ihm denn auch 
gern bemilligten. 

So fing Hubert fhon Tags darauf fein Gemälde 
an, und entwarf auf einer großen, faft quadratifchen, 
weiß =grundirten Zafel Die Gruppe nad dem Karton, 
doch in Lebendgröße, indem er fogleich bie. Köpfe. der 





151 


Derfonen mit Farben anlegt. — Niemand war, aus 
Ber den zu Malenden, gegenwärtig, ald Lido, ber 
Hofmarfhall und der Geſandte, welche allerlei wibige 
Dinge vorbrachten, und manche treffende ober lächer: 
liche Schwänfe erzählten, fo daß die fürftlichen Herr: 
fhaften dadurch in die heiterfie Stimmung verfebt 
wurden; zulest mußte oft noch der Narr eintreten, 
welcher dem Ganzen die Krone auffeßte, da der alte 
König fih unendlich an feinen Einfällen und Grimaffen 
ergößte, und wiederholt verficherte, Daß es auf der Welt 
feinen fo unterhaltenden Narren gäbe! — Faft ward ed 
dem Hubert mit dem Lachen des Königs über ben 
Narren zu viel, fo daß er öfter beim Ausmalen feines 
Kopfes mit dem Pinfel einhalten mußte, bis fich Die 
Geſichtsmuskeln ein wenig beruhigt hatten, und flatt 
defien die flilen Mienen der Herzogin behandelte. — 
Am liebften aber vermweilte er bei den zarten und ju⸗ 
gendlichen Köpfen der fürftlihen Kinder, welche er mit 
fichtlihem Wohlgefallen anlegte, und die ‚breiten, fanf: 
ten, feelenvollen Pinfelftriche bezeugten die Eunftlerifche 
Andacht feiner Seele. — Lido, weldher ein Kenner 
war, und früher felbft in Rom der Kunft gepflegt hatte, 
lächelte beifällig und bedeutfam dazu ;. der Gefanbte aber 
fuhr in feinen lebhaften Erzählungen. einer Schweizer: 
reife fort, indem er das Lächeln auf fi) z0g, unb da⸗ 
dur feine Darftellung der Appenzeller Hirten noch 
flärker auftrug. — Freya allein, welche fi) an ihren 
Dheim lehnte, verftand Lido's Lächeln wohl; denn 
Hubert3; fchaffendes und ftrahlendes Auge, welches 
fih, gleich ‘wie eine Lichtatmofphäre, um ihre Geftalt 


152 








legte, und fie ſich mächtig zueignete, wenn gleich mit 
der größeften künftlerifchen Unbefangenheit und Unſchuld, 
feäte fie sin einige Berlegenheit, fo daß fie öfter die 
Sarbe wechfelte. — Erif dagegen, welcher an der an— 
deren Seite des Oheims fiand. und mit einem Jagd⸗ 
hunde ſpielte, blieb voͤllig unbewußt, wie ſcharf und 
burchbringend auch Hubert ihn anblidte- — Nach ei— 
niger Zeit that: Freya den Vorfchlag, Muſik zu ma- 
eben, dazu ſich Lido alöbald verfiand, indem er auf der 
Geige ſchoͤn phantafirte, dann aber. einige Lieder der 
denetianifchen Gondeliere mit Begleitung aufs charafter- 
vollfte fang. — 

So waren Die verabrebeten Malerftunden verflof- 
fen) und ſchon fanden die Köpfe des Königs, der Her— 
zogin, fo wie Freya’d und Eriks, zwar in breiten 
unverſchmolzenen Maffen, doc in treffender Aehnlichkeit 
da, — Alle bewunderten den fchnellen Fortgang der 
Arbeit Hubert verneigte fih, und begab fich hinab 
in ben Zhiergarten, um Erwin aufzufuchen. Er fand 
ihn in einer offenen Halle ded Gartenhaufes, welche 
ihm zu feiner Werkftätte eingeräumt war, bei Modelli- 
rung feined® Flachbildes befchäftigt, indem er eben bie 
ohnmächtig = hinſinkende Schöne darſtellte. — Er fah 
fehr verbrießlich dabei aus, denn es wollte ihm damit 
gar nicht gelingen, wie fehr er fonft auch im Modelliren 
geübt war. 

»Da komme ich ja eben recht, Bruder, « rief ihm 
Hubert entgegen, » und kann Dir wielleicht einen Dienft 
thun;« denn er hatte fich fogleich feine trübe, unzufries 
dere Miene gedeutet; »ſo eben: babe ich: dieſe wunder- 


153 


vollen Züge gemalt, womit Du im Thon nicht fertig 
werden kannſt, da Dir die lebendige Anſchauung fehlt; 
anderd mußt Du es angreifen! Laß mich nur, ich 
will e3 vollenden, oder Dir doch auf den Weg hel- 
fen.« — - ü 

Erwin lächelte und ließ ihn gewähren; und in ei- 
ner Stunde war der liebliche Kopf der Freya in den 
weichen Thon wie eingehaucht, fo daß nur das Ath— 
men ihm zu fehlen ſchien. »Du bift ein Herenmeifter!« 
tief Erwin erflaunt. 

Hubert erwiederte lachend: »Sage lieber, ein 
von der Kunft Beherter; denn heute hat fie mid) bes 
bert, wie noch niemald. Aber ich habe auch ein Urs 
bild gehabt, wie aus der alten Götterwelt, denn bie 
nordifhe Venus, die zarte, lebende, hat mir in ihrer 
gleihnamigen Schwefter gefeffen. — Der alte König 
ift ein gar waderer Kopf, voll Güte und Huld; mit 
wenigen markigen Pinfelftrihen habe ich mich feines 
Charafterd bemächtigt; ich werde ihn ſtark auffeßen, 
und nur wenig verfehmelzen; fchon freue ich mich zum 
voraus auf die frifche und markige Ausführung in feis 
nen Runzeln, Brauen und Barthaaren. — Die Der: 
zogin dagegen gleiht einer Niobe, durchaus edel, 
groß, und wie aus einem Guffe find alle ihre Züge; 
diefen Kopf muß ich. fehr verfchmelzen, und zart die 
leifen Zinten in einander arbeiten, wie eine Traube; 
er wird mir viel Mühe machen, denn er hat wenig 
Faͤrbung und Abwechslung der Toͤne; büftenartig darf 
er auch nicht werben, und doch kann ih das rechte 
Fleiſch an ihm fchwerlich herausbringen. — Der 


154 


junge Prinz dagegen ift ein nordifher Ganymed in 
feinen Enabenhaften Reizen, nicht fo üppig ſchoͤn wie 
der griechifche, aber fefter und gediegner in den zars 
teften Formen; fein Antliß hilft dem Pinfel nach, und 
malt fich gleichfam von felbft, als eine höhere Natur. 
— Doch woher nehme ich Farbenftoffe und Lichtglanz, 
um die föftlihen Mienen und Lineamente der Prinzef- 
fin darzuftellen? Nun erſt kenne ich dieß unvergleich- 
liche Antlitz, welches ich anfangs faft überfehen hätte. 
Je tiefer ich es fudire, defto unergründlicher wird fein 
Schmelz und Zauber; je mehr ich ed mir zueigne, de— 
fto höher und fremder tritt es über mich hinaus. — 
Glaube nicht Bruder, daß ich leidenfchaftlich fey, nein, 
am wenigften bier, denn die Kluft ift zu groß, und ru= 
big fchlägt dieß vielgeprüfte Herz. — Aber follte ich 
die Jungfrau in meiner Hausfapelle aufftellen, um ihr 
alle Tage mein Opfer zu bringen, fo müßte ed dieſes 
Bild feyn! Hier hat die Kunft ein unendliches Feld, 
und ich freue mic) zum voraus auf die großen Erfah: 
rungen, welche mir im Malen deflelben zu Theil wer: 
den müffen. — Alles ift Harmonie hier, und wie bie 
blaffen Wangen fich rötheten, da ich fie fehärfer an— 
blidte, fo fchien mir die ewige Sonne der himmlifchen 
Schönheit aufzugehen!« — 

»Du bift ein Dichter in Deiner Befchreibung ge— 
mworden,« verfegte Erwin, „was doch fonft gar nicht 
in Deiner Art if, da Du immer in der Malerei gegen 
alle Hyperbeln eifertefl.«e — - | 

‚Man muß bier wohl in Bildern und Gleichniffen 
reden, wenn man es auch nicht mwollte,« ermieberte 





155 


Hubert, „die Sprache ift zu arm; ja, ich fehe es 
Dir an, daß Du meiner Meinung bift; denn gewiß 
muß fie auf Dich, ihren Marfchall, einen unauslöfchlis 
chen Eindrud gemacht haben?« — 

»Wie alles Schöne und Gute,« verfegte Erwin 
mit angenommener Kälte, indem er fich in feiner un⸗ 
glüdlichen Stimmung vor feinem Freunde zu verbergen 
ſuchte. — 

» Nicht doch wie Alles,« rief Hubert lachend aus, 
»ergieb Dih, Gefangener, Du entflieheft mir nicht! 
Wozu auch das? Da haft Du meine Hand! id will 
Dich fchügen und Fein Leides Dir anthun! — Der rur 
hige Freund ift Dir jetzt noth, denn Du fährft auf ei- 
nem hochſchwindelnden Wege, und der Merker find viele 
bier in Broföls — 

Erwin ſank dem Hubert in die Arme, der ihn 
treu aufnahm, und an deflen Bruft er ſich ausweinen 
Fonnte. — Dann entdedte er ihm feinen inneren Kampf 
und erzählte, wie Alles gekommen fey, von ber erften 
bis zur legten Stunde. — 

Nah einigem Bedenken fprah Hubert: »Dus 
ahnete mir, fonderbar genug, ald wir in Skenninge 
am Wagen von einander Abfchied nahmen. Sch wußte 
ja noch nichts von ihr, Doch warnte ih Dih, am 
Lichte des Schönen nicht zu zerfihmelzen. Da ich fie 
aber fah, fo war ed. mein erfter Gedanke, daß Du 
durch fie. um Deinen Frieden, und vielleiht in große 
Gefahr kommen koͤnneſt; denn Ihr. gehört wie zwei 
Bildniffe auf einer Schaumünze zufammen, und follt 
Doch Durch zwei Welten getrennt bleiben. — Was ift 


156 


dba zu thun, Bruder, weil Dein ganzes Wefen ein- 
mal ind Große drängt, ald Dich noch höher zu ſchwin⸗ 
gen, und Deinen göttlichen Heiland mit allen Dei- 
nen Kräften zu umfaffen, ob er mit feiner himmlifchen 
Schönheit Dein Herz ftillen und Dich ausheilen möch- 
te! Bift Du erft bei ibm da, was aber nicht ohne 
Kampf zu erreichen ift, fo Fannft Du, von jener ruhi— 
gen Höhe der wahren Anbetung herab, Dich von 
neuem ihr widmen, ald ein feſter Mann, und ohne 
Gefahr zu laufen, den Kopf zu verlieren. « 

Erwin umarmte ihn von neuem, und rief aus: 
»Dein Rath ift trefflih, und flimmt ganz zu meiner 
Seele; nur hilf, das ichs vollendel« — 
zuͤrs erfte,« fuhr Hubert fort, »mußt Du fie 
nicht meiden, denn das vermehrt nur Deine unfreie 
Liebe, es wiberftreitet auch Deiner Stellung, und bringt 
Dich mit Dir felbft in immer tieferen Widerſpruch. — 
Ein Priefter würde Dir gleich zurufen: Fliehe! — 
Ein Menfh dagegen, wie ih, fpridt: Bleibe, und 
fey ein Mann! — Die Wunde haft Du einmal weg, 
fuche fie nur niht im Schatten, fondern am Lichte zu 
heilen! Denn was Did) verwundete, dad muß Dir auch 
den heilenden Balfam darreichen, wenn Du ihn nur zu 
gebrauchen verſtehſt.“ — 

»Das ift Allesrecht gut,« verfegte Erwin, »aber 
ich gäbe doch viel darum, wenn ich nur in Köln wäre 
und nur eine Stunde mit Hildegard reben könnte; 
denn ich glaube, fie würde mir noch einen anderen Bal- 
fam reichen, welcher fchneller und fehmerzlofer heilt, als 
jener.« — 


157 av 

»Kann wohl feyn,« ſagte Hubert nachdenklich; 
»doch weil das unmoͤglich iſt, ſo mußt Du das an— 
dere Mittel gebrauchen, das Dir immer zur Hand liegt, 
wenn Du nur faften und beten wilft!« — 

»Menn fie nur feit jenem Abende nicht fo verän- 
dert mwäre,« antwortete Erwin. — 

» Glaub’ das nicht,« verfegte Hubert, »denn fo 
viel kenne ich das Weiberherz fihon, daß Feine ed übel 
nimmt, fo rein und ernft und fromm geliebt zu wer: 
den, und wäre ed auch eine Königin, geliebt vom ge: 
ringften Manne. — Gewiß, fie liebt Dih!« — 

Erwin fühlte fih durch diefe treue Zuſprache des 
deutfchen Freundes fehr beruhigt, und ging in den fols 
genden Zagen frisch an feine Arbeif, um das Flachbild 
dem Könige noch in Brofd, wie er es —— 
hatte, zu vollenden. — 


— —— — — — —— 


158 


Behntes Kapitel. 





Waͤhrend Hubert fleißig zum Malen fich hielt, mei- 
felte Erwin raftlos am Marmor, und fchon loͤſſten fich die 
Geftalten des Ritters und der Schönen charaktervoll ab, 
indem auch der grimme Bär, die Taken nad) ber zarz 
ten Beute erhebend, von dem Speerftoß zufammenftürzte. 
Auch dad Gefolge der Damen auf ihren Zeltern, ſo wie 
das fchon zerfleifchte Roß der Prinzeffin, waren auf 
dem Flachbilde nicht vergeffen, felbft der aus der Ferne 
anfprengende Stallmeifter in feiner angftonllen Haft nicht 
zu verfennen. 

Es machte unferm Freunde diefe Arbeit, welche auch 
Hubert lobte, immer mehr Vergnügen, und ſchon legte 
er die lebte Feile an, ald der alte König mit der Herzo— 
gin und der Prinzeffin eines Morgens unerwartet in bie 
MWerkftätte traten, um das Basrelief in Augenfchein zu 
nehmen. Prinz Erik hatte viel davon zu ihnen ge= 
ſchwatzt und den fleißigen Meifter oft gerühmt, und Hu— 
bert war mit ihnen gegangen, benn fie kamen fo eben 
vom Malen. 

Die Morgenfonne fiel rein in die offene Halle und 
beleuchtete dad Flachbild, als fie hineintraten und den 


159 


emfigen Meifter im Flimmer des Marmorſtaubes erblid- 
ten. Er trug feinen fchlichten deutſchen Arbeitörod und 
trat befcheiden zurüd. 

»Ihr vergeßt auch Alles über Eurer Kunft, und 
man fieht Euch faft gar nicht mehr,« rief der alte Kö- 
nig ihm huldvoll zu. »Eures Eifers für meine Wünfche 
muß ich mich freuen, doch meine Nichte entbehrt ihren 
guten Marfchall, und mein junger Neffe feinen beiten 
Freund; darum laßt nun einmal ab und theilt wieder 
die gefelligen Vergnügungen. Mag das Bild warten 
bi3 auf ein andermal, wenn Ihr es jeßt auch nicht in 
Brofd vollendet. « 

»Es ift vollendet, fo weit ich’3 vermag,« verfeßte 
Erwin, und pubte den Marmorftaub mit einem Quafte 
ab, indem er befcheiden zuruͤcktrat. 

»Wie,« rief der alte König, » fchon vollendet?« und 
betrachtete e3 genauer. »Nun, Ritter, dad ift brav, « 
rief er aus, indem er Erwin auf die Schulter fchlug, 
»das Merk lobt feinen Meifter, und e3 ift ganz ſo, wie 
ich es mir gedacht hatte, nur noch viel ſchoͤner. Es 
wird eine befondere Zierde meines Jagdhauſes feyn, und 
Euren Namen verewigen unter ven Bildhauern, wie uns 
ter den Baumeiftern.« 

Die Herzogin war näher getreten und lobte bie. 
forgfältige Arbeit, nachdem Erwin fie ind rechte Licht 
geftellt Hatte. »Euer Fleiß ift bewundernsmürdig,« fprach 
fie zu unferm Sreunde, »auch habt Ihr ed mit zartfühe 
Iender Hand. vollendet.« Dann fagte fie mit. halber 
Stimme zum Könige, indem fie auf das Antlitz der 
ohnmächtigen Prinzeffin hindeutete: »Sie ift ähnlich 


160 


zum Sprechen; dad hätte ich ihm nicht zugetraut. « 
Erwin, welcher e8 hörte, war über diefes unver: 
diente Lob fehr verlegen und wollte fich davon frei ma: 
chen; aber Hubert winfte ihm ‚freundlich zu, daß er 
fchweigen möchte. Unterdeſſen war auch Lido mit dem 
Gefandten und dem Hofmarfchall herbeigefommen, um 
das vollendete Flachbild zu fehen, und wenn Letztere im 
Allgemeinen es rühmten, fo machte Erfterer über das 
Einzelne und Eigenthümliche der Arbeit fehr Eunftver- 
ftändige und fcharffinnige Bemerkungen, welche unferm 
Freunde willlommen waren. Unter Anderm fagte er: 
»Man fieht ed Eurer Arbeit an, daß Ihr Architekt ſeyd, 
da Alles darin den großartigen Kirchenſtyl trägt, wel- 
cher etwas Ernftes und Strenges hat, dazu mehr in bie 
Höhe und Länge, als in die Breite zieht. Eure Beftal- 
ten haben daher etwas fehr Schlanfes, ald wenn fie 
zum Ornament für eine erhabene Wand nur berechnet 
wären, und nicht für ein abgefchloffenes Bild. Allen 
die Hauptfigur macht eine angenehme Ausnahme davon, 
und ich möchte fie malerifch nennen, abgefehen von dem 
Berdienfte der großen Aehnlichfeit mit unferm Urbilde. 
Alles ift hier in der ftärfften und lebendigften Bewe⸗— 
gung: das grimme Unthier, der objiegende Waidmann, 
dad erfchrodene Gefolge, der verzweiflungsvoll herbei— 
fprengende Stallmeifter; nur die hinſinkende Ohnmächtige 
befindet fich im der fchönften Ruhe, und ihre ftille Ge 
berbe macht den reinften Kontraft gegen bie. aufgeregte 
Gruppe. Ihr habt Euch felbft übertroffen in dieſer 
Geftalt. « | 3 
»Menn ich nicht mit einem fremden Kalbe gepflügt 


161 


haͤtte,« verfegte Erwin fehnell, der fich nicht länger 
kalten konnte; »alles Verdienſt gebührt meinem Freunde 
Hubert, welcher diefen Kopf, flatt meiner, mobellirte, 
indem ich nicht damit fertig werben Eonnte. « 

»Meil dem Meifter die lebendige Anfchauung fehlte, « 
fil Hubert verbrießlih ein; »mir Dagegen ward es 
nicht fchwer, etwas nachzuhelfen, da ich dieſen Kopf 
eben gemalt hatte, und noch ganz warm von meiner 
Arbeit war; doch gebührt ihm allein das Verdienſt der 
geiftreihen Anlage, wie der meifterhaften Ausführung, 
und es thut mir Leid, daß mein Name dabei genannt 
wurde. « u 
Nun, nun,« fagte der alte König wohlmollend 
lächelnd, »es ift gut fo, und Freunde müffen fich immer 
beiftehen; auf den Namen fommt es nicht an; genug, 
daß es zufammen flimmt, und ein Werk des Bundes 
gilt immer mehr, ald des einzelnen Mannes.« 

»Und ift gewiß um fo fehöner und bedeutender, « 
fagte Lido; auch der Hofmarfchall wie der Gefandte 
traten ihm bei. Prinz Erik betheuerte, daß ihm’ Feines- 
wegs die Prinzeffin, fondern der Waldmann mit dem 
Bären am beften gefalle, und der Narr, welcher auch 
berzugetreten war, rief emphatiſch aus: »UWeberfeht Ihr 
denn ganz das größte Meifterwerf, und muß der arme 
Joͤns Euch wieder das Verſtaͤndniß öffnen? Es ift ver 
verzweiflungsvolle, vermalebeite herbeiftirzende Stallmei- 
fter, welcher Alles verdunkelt, wie er felbft verdunkelt ift, 
und, wie aus dem Leben, unübertrefflich dargeftellt wurde; 
das nur nenne ich ſchoͤn, ja erhaben und einzig in fei- 
ner Art.« 

Erwin von Steinbach. II. | 11 


162 


»Bravo, Narr!« rief der König; »Du haft Recht, « 
und lachte laut und anhaltend. Alle fahen dahin und 
lachten mit, denn e3 war treffend. Selbft Freya Fonnte 
bei Betrachtung des angftvollen Reiterd, im Andenken 
des WVergangenen, fi) des Laͤchelns nicht erwehren, fo 
ernft ihre auch zu Muthe war. Sie hatte nicht5 zu der 
Arbeit gefagt; da fie aber hinausgingen, fprach fie zu 
Erwin mit dem anmuthigften Lächeln: »E3 freut mich, 
Nitter, daß Ihr mich nicht Darftellen fonntet, und dem 
kunſtreichen Freunde, der mit Allem fertig werden Fann, 
es überlaffen habt. « | 

»Mie fol ich das nehmen,« fragte er verwirrt und 
überrafcht. — »Als einen Beweis meiner Achtung, « 
verfeßte fie fchnell; » denn Etwad muß uns doch bleiben, 
was nie Kunft werden kann.« Mit diefen Morten 
fchloß fie ihrem Oheim fi) an, und -der alte König 
führte fie und die Herzogin zur Tafel, indem er Allen 
zurief, ihm nachzufolgen. 

Erwin warf feinen Arbeitörod ab und Fleidete ſich 
ſchnell um, damit er nicht zu fpät kommen möge. Doc) 
war ed gute Weile, denn noch hatten die hohen Perſo— 
nen das Schloß nicht erreicht, ald ein Kronbeamter dem 
Könige wichtige Nachrichten von dem ‚Deere überbrachte, 
welche fo eben mit einem Eilboten von Herzog Birger 
angelangt waren. Der Eilbote habe nicht fagen wollen, 
hieß es, fondern ſtumm und ernft den Brief übergeben. 
Der König hatte fi) mit dem Kanzler Lido und ber 
Herzogin in fein Kabinet begeben. Alle waren in ber 
größeften Spannung. Nach einer halben Stunde trat 
der alte König mit der Herzogin am Arme fehr feierlich 


163 


J 


und heiter in ben Speiſeſaal zu der verſammelten Ge- 
ſellſchaft. Freya und Erik eilten erwartungsvoll fra- 
gend ihm entgegen, ald fchmwebten fie zmifchen Furcht 
und Hoffnung um ihren Vater. Er nidte ihnen beruhis 
gend zu und mahnte zur Tafel. | 

Da Alle fich niedergelaffen hatten und die Pokale 
gefüllt waren, aber eine große Stille noch herrfchte, er- 
hub ſich der König; die Herzogin und Alle fanden von 
ihren Sitzen auf. Der König nahm den Pokal und 
forach: »Gieg, großer Sieg! Tawaſtland ift unfer; 
die tartarifche Macht ift aufs Haupt gefchlagen, Alles 
bekennt fi zum Chriftenglauben. Gott fen gelobet! Es 
lebe Birger-Jarl, der Held, der das Alles vollbrachte! 
Er lebe für uns und für dad Vaterland hoc) und Tange!« 
— »Hoch und lange!« riefen Alle. 

»Ia,« fprach der König, da Alle fich wieder gefekt 
hatten, »Großes iſt dort in wenigen Tagen vollbracht, 
denn Gott war mit und. Die Chriftenbrüder ſanken fich 
blutbefprist, doch freudig, in die Arme, und der Alex— 
ander Newskhy iſt aller feiner Lorbeern, welche unfere 
gefchlagene Flotte ihm brachte, wieder beraubt worden. 
Birger fchreibt: Wir kamen, wir fahen und fiegten, 
denn ber Allmächtige hatte ihnen dad Herz genommen. 
So kehre ich bald heim zur frohen Hochzeit ded Bruder 
Normegd.« 

J Freya, bie biöher- wie eine Rofe geglüht hatte, 

erblaßte bei diefen Worten; doch faßte fie fich fehnell und 

ſaß da wie eine Bildfäule aus fehöner alter Zeit, vom 

reinften Alabafter. Die Becher Freiften, der Reichsdroſt 

erhub fich und brachte ihr den Gluͤckwunſch: » Die fröb- 
11* 


164 


— nenn 


liche Hochzeit!« Ihm folgten der Hofmarfchall und die 
erften Reichsbeamten. Der König und die Mutter nid: 
ten ihr freundlich zu. Auch Lido, der Kanzler und der 
Gefandte, wie alle Anwefende, neigten fich zu ihr hin. 
Sie erwiederte ed mit. einer geringen Genfung des 
Hauptes, doch ohne eine Miene zu verändern, und wie 
erftarrt in allen ihren Zügen. Da nun auch Erwin 
fam und ihr den Becher mit feinem Glüdwunfche ebr- 
erbietigft brachte, fo nahm fie ihn freundlich und nippte, 
indem fie fprah: Marſchall, Ihr haltet mir doch den 
Steigbügel, wenn ih nad) Normweg reiten muß?« — 
»Menn ich noch bier bin,« verfeßte er leife. » Keine 
Entfhuldigung,« ſprach fie; »Ihr müßt Euer Amt bis 
zuleßt- verwalten; ich reite nicht nach Norweg, wenn 
mein Beſchuͤtzer mir nicht den Steigbügel hält.« 

»Das ift brav,« rief der König, und Alle lobten Die 
muntere Laune der Prinzeſſin. Erwin verneigte fich 
fiumm und feste fich wieder auf feine Stelle, aber in 
feinem Herzen Elopfte dumpf an ein ungeheurer Schmerz. 
Der Narr ging um die Tafel her und fang: 

Eh’ Lenz koͤmmt ins Land, 
Verſchlingt fid) dad Band 
Durd Kronen und Stand; 


Mas ich nicht erfand, 
Es dünft mir ein Tand! — 


»Mie Du felbft ein Sand bift,« rief der König la— 
chend. . » Kann feyn,« verfeßte der Narı, »doch Taͤndeln 
wird bald zu Ende gehen, und wenn mein Freund Baus 
meifter nicht mehr hier ift, fo fterben wir Alle an ber 
Vernunftfeuche.« Er klopfte Erwin auf die Schulter, 


165 


und diefer fühlte wohlthuend die Liebe folch einer zerrüttes 
ten Seele, welche ihn beffer zu verfiehen fchien, als alle 
Bernünftigen in der Gefellfhaft. — Die Freuden des 
Mahles wurden heute im Ueberfluß genoffen. Der Wein 
flog wie in Strömen, und des älteften und Eöftlichften 
aus des Königs Kellern ward nicht gefpart. Die Gra= 
fen und Ritter thaten wader Befcheid auf den errunge- 
nen Sieg, und Mancher hatte ded Guten zu viel ge= 
noffen, indem er, fiegeötrunfen, mit lallender Zunge von 
feinen Heldenthaten erzählte. Nur Erwin hatte faft 
nicht3 getrunken, denn in feiner trüben Stimmung fithlte 
er den Wein wie ein Gift, welches vie Seele betäubt, 
ftatt fie zu heilen. Den Elementen wollte er durchaus 
fi) nicht hingeben; fo rief er immer von Neuem ben 
ernften Gedanken hervor, wenn eine verworrene Fröhlich: 
feit fih um ihn her verbreitete und ihn in ihren Stru—⸗ 
del hinabzuziehen drohte. Der König fand, zum Ver: 
druffe für Viele, noch zu früh auf; ihm aber zum Troſte. 
Die Damen hatten ſchon Iängft fich hinwegbegeben und. 
im Nebenzimmer zum Nachtifche fi) verfammelt. Da— 
bin ging auch der König nun mit den Nüchternen, die 
Berauſchten aber fchlichen fill bei Seite. Erwin hatte 
fi) mit Hubert in den Garten begeben, und Lido 
fhloß fich ihnen freundlich an. Sie redeten von Deutfch- 
lands Geift, Leben und Zukunft, indem fie fich den kuͤhn— 
ſten Hoffnungen hingaben, und hier den Heerd aller hoͤ⸗ 
heren Bildung ſuchten. 

Da ertoͤnte eine Trompete, welche die Gaͤſte um den 
alten Koͤnig zur geſelligen Abendſtunde zuſammenrief. 
Er ſah es ungern, wenn Jemand fehlte, und ſo eilten 


166 





fie in das Schloß zuruͤck, wo alle Ritter im Saale fich 
verfammelt hatten, welche einigermaßen fich von ihrem 
Raufche befreit fühlten. Die Flügelthüren des Neben- 
gemachs gingen auf, und ber König trat herein, indem 
er einem Herolde gebot, die Waffen zu bringen. Bald 
fehrte diefer zuruͤck und legte fie zu den Füßen des Kö- 
nigd nieder. Es war eine neue filberne Ruüftung, mit 
goldenen Sternchen fehön beftreut. Der Helm war mit 
blauem Stahl eingelegt und befonderd kunſtvoll gearbei- 
tet: auch ſchmuͤckte ihn eine blutrothe Fever. Ein ande: 
rer Herold folgte biefem nach und trug einen kreisrun⸗ 
den Schild von ganz vorzüglicher Arbeit. Ein dritter 
brachte einen filbernen Becher, mit Goldmünzen ange- 
füllt. Alle ftellten fih vor den König hin, und ihnen 
folgte der Waffenfchmid mit langem grauen Barte, in 
der kurzen, ſchwarzen, nordifchen Jacke. 

Er laͤchelte humoriſtiſch trocken und ſah Erwin an. 
Auch die Damen waren hereingetreten, um das Meifter- 
werk nordifcher Schmiedekunft zu fehen. Alle verfammel- 
ten fih um den leuchtenden Schild und den lieblichen 
Becher; man wußte nicht, welchen von beiden man am 
meiften bewimbern follte. Bald nahm der alte König 
bad Wort und ſprach: 

»Es ift hier ein Funftverftändiger Ritter unter uns, 
welcher and fremden Landen und heimgefucht hat, und 
mit allerlei Gebilden durch Steinart und Meißel und 
erfreute. Er heißt Erwin von Steinbach, aus altem 
edlen Gefchlechte, wenn er gleich als fchlichter Buͤrgers⸗ 
mann bisher gelebt hat und ferner auch fo leben will. 
Sein Adel fol aus Kirchen und Paläften zu und reden 


167 


und in halberhabner Bildnerei prangen ; er will al un: 
fere nordifche Kunft überbieten, fo hat der Kühne es 
vor; doch es fol ihm nicht gelingen, wie ftarf er auch 
fey. Hier ift ein Werk unferd Meifters der Metalle, 
welches ihm die Stirne bietet, und wir ihm zum Ange: 
denken verehren wollen, damit er fich feiner großen 
Kunft nicht überhebe, fondern noch in ferner Heimath 
die ſchwediſche Schmiedekunſt rühmen und unfer freund- 
lich dabei gedenken möge! Was das Feuer zufammen- 
fchmilzt ift unfere Sache, und was im Feuer gehärtet 
wird, ald Siegfrieds und Theoderichs Schwert, ift 
unfer Meifterftüd; das vergeſſe er nie auf feines Do: 
med Zinne!« 

Nach einer kurzen Paufe forach der König weiter: 


»Xretet näher heran, Ritter Erwin von Steinbach! 


Empfanget mit der ritterlichen Ruͤſtung ven gelobten 
Becher und Wappen-Schild. Führt diefen zum Schirme 
der Unfchuld und trinkt aus jenem an Eurem Hochzeit- 
tage und bei großen Freudenfeften Eures Haufes! Die 
wenigen Goldgulden darin mögen Eure Kleider bezahlen, 
welche Ihr in meiner Arbeit verfchliffen habt. Haltet 
zu Gutel« Ä 

Die anmwefenden Herren und Ritter, wenige Neibi- 
fche ausgenommen, freuten ſich aufrichtig der Großmuth 
ihred Königs und des Ruhms ihrer Kunft im Audlande, 
welches diefe edle Gabe fehen ſollte; der überrafchte und 
erflaunte Erwin aber rief: »Nein, mein gnädigfter Kö- 
nig, verbient habe ich dad nicht, und es gereicht nur zu 
meiner tiefften Beſchaͤmung! Was habe ich denn ge= 
than, das mir diefe große Ehre zu Theil werden dürfte?« 


% 


168 


— — — — — —— —— 


Der Koͤnig laͤchelte uͤber des Juͤnglings Verwirrung, 
und der Reichsdroſt ſprach: »Habt Ihr's nicht verdient, 
ſo habt Ihr's doch empfangen. Die Huld des Koͤnigs, 
davon wir Alle nachzuſagen wiſſen, wollte Euch nicht 
unbegabt entlaſſen, da Ihr ſo Treffliches vollbrachtet; ſie 
wollte auch Euch zu ihrem Schuldner N) wie 
uns Alle. « 

Erwin hatte fich auf ein Knie niebergelaffen, und 
der ehrwürdige Herrfcher bot ihm gütigft die Hand. zum 
Kuffe. Erwin prüdte fie mit frommer Inbrunft an 
feine Lippen und eine Thraͤne bebte in feinen gefenften 
Wimpern. 

Nun flieht auf, Ritter, und. wappnet Eu), daß 
wir- fehen, wie die Rüftung Euch paßt; denn dad Tur⸗ 
nier beginnt!« fprach der König fröhlich. 

Erwin erhob fich langfam, und Knappen legten 
ihm die blanke Rüftung an, welche wie an feinen Leib 
gegofien faß. Prinz Erik reichte ihm den Schild, und 
Erwin betrachtete mit großem Wohlgefallen die fehöne 
Arbeit feines Wappens, von fehmedifcher Meifterhand 
gemacht: Ein Gießbach flürzte fi braufend aus dem 
Gebüfche durch Felfenftüde und über Steinblöde hin. 
Die Felfen waren aus Kupfer getrieben und die Steine 
aus grünlicher Bronze; der Bach aber von mattem und 
gefchliffenem Silber, im lebendigen Wellenfpiele fehr na- 
türlich dargeftellt, ald wenn er fpruble und raufche. 
Ueber demfelben ftand im dunkelgeblaͤueten Stahle ber 
Nachthimmel, bedeckt mit vielen filbernen Sternchen, un- 
ter denen man dad Bild des großen Bären, auf fein 
* Abenteuer weifend, deutlich erkennen konnte. Ein Gold⸗ 


169 


rand umgab den Schild, wie eine Ringelfchlange, die 
in den Schwanz fich beißt, das Symbol der ewigen Treue, 
und leuchtete herrlich auf dunklem Stahlgrunde in mat- 
ter und gefchliffener Arbeit. 

»Es ift wundervoll und unvergleichlich,« fagte Er— 
win und fchüttelte dem MWaffenfchmid die Hand, welcher 
ſich herzlich feines Zobes freute. Nun nahm der König 
den Becher und reichte ihm vdenfelben dar, mit den Gold- 
ſtuͤcken angefült. »Nehmt,« fprach er huldvoll, »es ift 
alte Arbeit und flammt aus Runenland her.« Erwin 
nahm ihn in feine Hand und ward durch feine Schwere 
fehr überrafht. Das fehönfte Laubwerf, worin Vögel 
und Löwen faßen, mit feltfamer Runenfchrift durch— 
mifcht, bevedte feinen achtedigen Fuß. Ein großer 
Strom, worauf Schiffe mit Kriegsvolf. und Delphine 
fhwammen, zog ſich um die mittlere. MWölbung in halb- 
erhabener Arbeit her. Den Außerfien Rand aber um— 
faßte der Walhala-Ort mit allen Göttern, wo Thor 
mit dem Hammer und Odin mit dem Rabenpaar be- 
fonders hoch hervortraten. Auch die Eiche Igdraſyl und 
die Brüde Bifroft waren nicht vergeflen, und, Alles 
umgürtend, lag wie ein hoher Reif die furchtbare 
Midgardsſchlange im getriebenen Golde. 

Erwin ward fehr bewegt über diefe herrliche Gabe; 
er neigte fich tief und fprach: » Großer König! an bie 
fen Becher Enüpft fich eine lange Zukunft wie eine tiefe 
Bergangenheit. Er wird ein heilige Geräthe in meinem 
Haufe bleiben. Möchte der Segen des Geberd niemals 
von ihm weichen, und wollte Gott, daß ich ihn noch 
oft mit Freunden auf Euer Wohlfeyn leerte.« — »Oder 


170 


auf meines Stammes Wohl,« verfehte der König und 
winkte der Prinzeffin. Freya trat erröthend hervor und 
fprach zu Erwin: »Die goldenen Sporen foll ich Euch 
anlegen nah alter Sitte und auf meined Königs Be- 
fehl. Erlaubt mir, daß ih Euch auch einmal diene, da 
Ihr mir fo wichtige Dienfte gethan habt.« Mit diefen 
Morten neigte fie fi) hold und legte ihm bie ihr von 
dem Knappen dargebotenen Sporen an. Er zitterte und 
ed war ihm wie ein Traum. Dann richtete fie fich mit 
befonderm Adel auf und fprach weiter: »Auch meine 
Karben dürft Ihr tragen, fo lange Ihr in Schweben 
ſeyd und ritterlich erfcheinet. Nehmt dieſe Schärpe, weiß 
und himmelblau, führt fie zu meinem Angedenken und 
gürtet Euch damit fir die gerechte Sache!« Mit diefen 
Worten löfte fie eine Schärpe mit filbernen Franzen, 
aus weißer und hellblauer Seide gewirkt, von ihrem 
ſchlanken Leibe ab und band fie dem Erwin um. — 
»Ich habe fie felbft gewirkt,« fprach fie leife und zog 
ſich zurüd. 

Erwin erbebte tief und neigte fih, doch fand er 
feine Worte. Alle Ritter und Frauen fahen auf den 
reinen, ernften Süngling mit Wohlgefallen hin, und freu— 
ten fich feiner Demuth und Schönheit. »Nein,« fprach 
Mancher zu feinem Nachbar leiſe, »das find fchändliche 
Lügen, und Niemand verdient mehr ihr Marſchall zu 
feyn, als dieſer.« 

Unterdeſſen ertoͤnten die Trompeten; Alle eilten zum 
Turnier, die Ritter auf den Plan und die Damen auf 
den Balkon. Erwin hatte ſich ſchon am Rhein im 

Waffenſpiel und in den Ritterkuͤnſten einige Uebung er⸗ 


171 


worben, theild um feinen Leib zu ftärfen und auszubilden, 
theild auch, um im Nothfalle fie zur Wertheidigung zu 
gebrauchen, wenngleich das Eitle und Prahlerifche darin 
ihm fehr zumwider war. Doc Niemand wußte es bier, 
und fo forderte ihn einer feiner Neider zu einem Ranzen- 
ftechen heraus, mit dem feiten VBorfabe, ihn in den 
Sand zu feßen und dann den beutfchen Ritter zu ver- 
footten. Der Gegner war flärker und wohlgeuͤbt. Er= 
win fah die Gefahr voraus, der neuen Rüftung und 
Freya’s Schärpe Unehre zu machen. Er nahm daher 
mit aller Vorficht fein Roß zufammen, febte fich feft in 
den Sattel, ließ des Gegners Stoß an feinem glatten 
Schilde abprallen, und fiel ihm dann fo geſchickt mit der 
Lanze in die Seite, daß jener buͤgellos wurde, und ficher 
herabgeftürgt wäre, wenn er ihn nicht mit fefter Hand 
aufgerichtet hätte. 

Der König hatte, verdrießlich über dieſe hämifche 
Abficht des ftärkeren Gegners, zugefehen, und warb auf 
einmal fehr heiter. 

»Ein doppelter Sieg!« rief er aus, und Alle lobten 
den jungen Deutfchen, welcher eben fo geſchickt und 
mannhaft, als anfpruchlos und freundlich fich zeigte. 
Noch einige Lanzen brach er mit Glüd; dann entfernte 
er fih und ging auf fein Zimmer, wo er die Rüftung 
ablegte und mit der Schärpe Freya’s fich lange be- 
fchäftigte, indem er der Fluth feiner Gefühle freien Lauf 
ließ, bis Hubert ihn wieder in den Tanzſaal zurüd: 
führte. 


172 


Eilftes Kapitel. 


— 


Nachdem Erwin das Flachbild in Marmor vollendet 
hatte, war er zunaͤchſt darauf bedacht, es baldigſt an 
den Ort ſeiner Beſtimmung zu ſchaffen, damit der Koͤ— 
nig es, als Thuͤrſtuͤck ſeines Luſtſchloſſes, vorfinden 
möchte. — Er brachte es demnach ſorgfaͤltigſt derpadt 
in ein Fahrzeug, welches den Wener-See hinabging, 
- um von dort in den Maͤlar zu gelangen, an deſſen 
Ufern das Fönigliche Jagdhaus gelegen war. — Auch 
fandte er einen kundigen Steinmeßen mit, welcher ei— 
ner dazu eingerichteten Mafchine fich bedienen follte, 
wenn es über Land gehen müffe, um es unbefchädigt 
an Ort und Stelle zu fihaffen, und bei der Aufrichtung 
des Marmorblocks über das Schloßthor hülfreiche Hand 
zu leiften. — Zugleich fchrieb er an Bonnevil, daß 
er fih das Flachbild anfehen und, wenn feine Zeit 
ed erlaube, bei Einfügung des Steins zugegen feyn 
möge. — 

So fuhr das Scifflein ab, und Erwin beftieg 
fein Pferd leichteren Herzend, um fih ald Freya’s 
Marſchall bei einer großen Hirfchjagd einzufinden, dar- 
an auch die Damen Theil nehmen follten, und bazu 
der König ihn entboten hatte. — — 

Er langte eben erft an, ald die Iagdgefenfchaft 


173 


fih fhon in Bewegung gefeßt hatte, und es war nach 
langer Unterbrechung dad erſte Mal wieder, da er unge: 
zwungen in fchöner Natur an Freyas Geite ritt. — 
Prinz Erik und Lido gefellten fi zu ihnen, indem 
der König mit feiner Schweiter in einem leichten Was 
gen nadfolgten, um fpäter erft die Roſſe zu befteigen 
und mit Bequemlichfeit der Jagdluſt zu genießen. — 

Es war ein fehr heiterer Herbftmorgen; die ſchwe— 
ren Nebel zogen abwärts in die Waldthäler, und auf 
den Anhöhen erfreute fie ein milder Eonnenfhein. — 
Kühl und ftärfend ging die Luft; die gelben Blätter 
flogen von ben Bäumen, And wurden von einem fanf- 
ten Winde über den Weg hingetrieben. — Man fah 
durch die entblößten Aeſte und Gezweige in eine bläu= 
lihduftende Ferne hinüber, und unerwartete Ausfichten 
thaten fich vor ihren Bliden auf, welhe um fo mehr 
an Reiz gewannen, als fie die ſchoͤne Nadtheit der noch 
immer reichen Natur enthüllten. — Da fhimmerte der 
große Wener durch röthliche Laubmaffen mit feinen fil- 
berhellen Gewäffern, bier ftieg die hohe Chennefulle 
mit ihren terraffenförmigen Baumgruppen empor, wel: 
che in unendlichen Farbenfpielen warm und Eräftig das 
Morgenliht auffingen. — Liefer unten lag fern ein 
ſtilles Klofter in einer daͤmmerigen Waldſchlucht, und 
man hörte aus weiter Ferne das Läuten zur Hora. — 
Dagegen ertönten ſtark und wiederhallend die nahen 
Waldhörner, die Spürhunde fchlugen ſchon an auf der 
Hährte, und das durd den Jagdruf aufgefchredte Wild 
fireifte Durch den Wald hin. — Stärfer warb das Anz 
Schlagen der Hunde, Tauter das Rufen der Jaͤger, fchnel- 


174 


ler feßten die jagdgeübten Roffe an, und ließen fich 
nicht mehr zurüdhalten, den Hunden geftredten Laufs 
nachzufolgen; befonderd that fih Erwins Zarter her= 
vor, und lief allen Hunden und Sägern vorauf, da 
Freya den Wunſch äußerte, ihn einmal mit ganzer 
Kraft rennen zu fehn. — Immer dem Hirfhbod auf 
den Ferfen, warf Erwin endlich feinen Jagdſpieß aus, 
aber er flog durch die Hörner und verlekte ihm nicht. 
Das Wild zudte zurüd, und machte einen Seiten» 
fprung ; da erklang eine Bogenfenne aus dem Gebüfche, 
und der Pfeil eines alten Waidmanns durhbohrte ihm 
den Vorderbug, ein zweiter, von dem Folgenden ges 
fchnelt, flog ihm in den Rüden, und ein dritter durch- 
fhoß ihm das Herz; da that der Hirſch noch einen ge= 
waltigen Sprung, und flürzte zufammen, indem er mit 
den Läufen noch die Hunde zurüdfchlug, und das hohe 
Geweih auf dem Felfen raſſelte. — 


Die ganze Jagdgeſellſchaft verfammelte fih um 
das große und fehöne Thier, welches lang ausgeftredt 
auf der Felfenplatte lag. — Der alte König freute ſich 
der fchnellen Jagd, indem er feiner Schwefter die Re— 
geln verfelben erklärte, welche fie auch gefällig anzubd- 
ren ſchien. — Dann bemerkte er, wie Erwins Spieß 
dem Wilde einen Aſt des Geweihes abgefchoffen habe, 
und der Wurf gut geführt fey, wenn gleich die Schnel- 
ligfeit des voreilenden Pferbes ihn ein wenig zu hoc) 
gehalten habe. » Leichter ifts,« feste er hinzu, »wenn man 
auf dem Anftand mit Bogen fchießt, da man feft fte= 
het, und das entgegeneilende Thier ficber nehmen kann; 


175 


der Speerwurf vom Roffe aber verlangt einen größeren 
Meifter, und ift immer unficher.« 

Unferem Freunde that diefe Rechtfertigung aus 
dem hohen Munde wohl; doc die fchmwedifchen Jäger 
lächelten, und fchienen es für eine fehwache Partei: 
lichfeit ihres Gebieterd zu erklären, welcher diefem Aus— 
länder nun einmal den Vorzug gäbe. — 

Die Jagd ward fortgefeßt, und ed waͤhrte nicht 
lange, fo fohlugen die Hunde von neuem auf der Fährte 
eines Hirfhes an; doc fand das Wild durch die ge= 
wundnen Thäler dad Weite, und die Jagd zog fich bis 
Mittag ohne Erfolg hin, fo daß der König befchloß, in 
einem nahen Klofter einzufehren, um den Inbiß zu hal⸗ 
ten, während die Jäger im Walde ihre Mahlzeit ver: 
zehrten. — Er that ed befonders den Damen zu Ge- 
fallen, da der Boden im Freien zum Lagern für fie 
ſchon zu Falt war, und nad) der Erhikung des Reitens 
ihnen hätte fchadlich werden können. — Man ließ fich 
alfo melden, und der Prior der Karmelitermönde führte 
freundlich die hohen Gäfte mit ihrem Gefolge, unter 
dem fih auch Erwin befand, ind geräumige Refelto- 
rium, wo eine wohlbefeßte Tafel von den mitgenom= 
menen zahlreichen Speifen und Getränken bald ans 
geordnet war, und dazu der’ alte König fehr gaftfrei 
auch die Klofterbrüder einlud. — Man febte fih ohne 
Umftände, wo ein Seder zulam, an der runden Tafel, 
Erwin neben Lido und Prinz Erik, dem Prior des 
Klofterd gegenüber, welcher ein tieffinniger und vielers 
fahrner Mann zu feyn fchien. — 

Das Gefpräch, welches durch die vortreffliche Laune 


176 


des Königs anfangs heiter und fcherzhaft ward, rolite 
am Ende des Gaftmahls, da der alte Herrfcher in ein 
Seitenzimmer gegangen war, um ein wenig zu ſchlum— 
mern, auf ernftere Gegenftände, und zulekt auf das 
Weſen und die Gefeke der Baukunft, wovon der Prior, 
Namens Thiodolph, unterrichtet zu feyn fchien, und 
gegen Erwin fich folgendermaßen vernehmen ließ: 

»Da ich das unerwartete Vergnügen habe, einen 
der größeften Baukünftler des Auslands unter unferem 
Dache zu fehen, fo möchte ih von Euch hören, in wel— 
ches Verhältnig Ihr die Baufunft zur chriftlichen Res 
ligion ftellt, und wie Ihr Eure Werke mit. unferem 
Glauben vereinigt, der doch fo ganz im Unfichtbaren 
fi) bewegt, und durchaus überfinnlicher Art ift? Denn 
mir erfcheinen die Formen aller Kirchen, die ih fah, 
mehr altteftamentlich als neuteftamentli, und es bleibt 
immer ein VBerhüllted der Religion in ihnen zurüd, 
welches nach meinem Gefühl in unferem evangelifchen 
Leben, feit die Dede zerriß und die Opfer aufhörten, 
feinen Raum finden dürfte.«e — 

Erwin erwiederte nach einigem Nachdenken: 

»Ihr habt einen tiefen Gedanken ausgefprochen, 
und eine wichtige Frage mir vorgelegt, welche ich nicht 
mit Worten, fondern nür dur die That volllommen 
beantworten kann. Indeſſen will ich doch verfuchen, 
dasjenige anzudeuten, worauf es hier anfommt. Sch 
möchte Euch den Riß zu meiner Anſcharkirche vorle= 
gen, fo würden wir uns leichter daran verftäntigen 
fönnen. « 

»Ich habe ihn ſchon gefehen,« verfeßte der Abt, 


177 


»vor kurzem war ich in Lund, und ber Erzbifchof hat 
ihn mir vorgelegt; auch läßt er Euch herzlich grüßen, 
welches ich hiemit beftelle. — Er redete mir viel von 
Euch, und Euer Name fängt ſchon an, in die Wolfen 
zu fleigen, denn der wadre Sarnftrong ift ein treuer 
Bolfireder Eurer Befehle, und dazu der erfte Stein: 
mes im Schmwebenland. — Sereniud war felbft mit 
mir in Eurer Kirche, deren Kreuzgewölbe ſchon ge— 
fchloffen wurde, und das Chor ftand vollendet da!« — 

»Geht ed meinem edlen Gönner mwohl,« fragte 
Erwin mit Feuer, » auch feiner gleich trefflichen Schwe: 
ſter Elifabeth? Hält er noch das Ruder des Staa 
ted in feiner Hand, und die großen Gefchäfte und Sor: 
gen für das öffentliche Wohl erdrüdten nicht feinen 
fröhlihen Muth ?« 

Thiodolph verfeßte laͤchelnd: »Es geht ihnen 
Beiden wohl, und Serenius haͤlt mit Vertrauen auf 
Gott das Ruder des Staates in ſeiner maͤnnlichen 
Hand; ganz Schonen verehrt ihn als ſeinen Vater 
und Erhalter, welcher in den Tagen der Noth ſeine 
Macht offenbarte, und feine Weisheit leuchten Jieß, fo 
dag Hohe und Niedre ihm Gehorſam gelobten. Die 
Ruhe ift wieder hergeftellt, der Daͤnenkoͤnig hat Alles 
verziehen, und ihm ift von Neuem gehuldigt; doch ei- 
gentlich huldigte man dem Erzbifchofe, welcher nun das 
Dberhaupt der ganzen nordifhen Kirche ift, und den 
Hirtenftab nicht umfonft führte. — Sein guter Haus: 
geift, Elifabeth, denke ich, hat auch feine ftille Bei⸗ 
lage gegeben, und das edle Gefchwifterpaar ift in aller. 
Leute Mund!« — 

Erwin von Steinbach. II. 12 


178 


»Das ift ganz herrlih,« rief Erwin freudetrun: 
fen aus, und Thränen ftürzten aus feinen Augen. Er 
Fonnte fich nicht halten, und ergriff des Abtes Hand 
über. den Tiſch hin, indem er fie wader fchüttelte. 
Freya betrachtete ihn mit fliler Verwunderung; er 
war ihr noch niemals ſo ſchoͤn erſchienen, felbft nicht, 
da fie ihn zum erftenmal fah, und er fie aus den Klauen 
des Bären errettete. Auch die Herzogin ward gerührt 
über feine Freude, und Lido mit Prinz Erik nahmen 
den lebhafteften Antheil. — Selbft der arme Joͤns, 
welcher zum Nachtifch fich eingefunden hatte, ſchmiegte 
ſich treuberzig an ihn und fprah: »Meifter, fo habt 
Shr doch noch andere Freunde, ald den Narren zu 
Bielbo, welche Euch Luftig machen können, und zwar 
mit den allervernünftigften Dingen. Das habe ich noch 
niemals erlebt, und erfahre es heute zum erftenmal, da 
fonft die Weisheit und Vernunft von der langweilig- 
ften und fpiegbürgerlichften Art find! Doc ich wieder: 
hole, was ich ſchon oft fagte: Ihr feyd ein Glüds- 
und Sonntagsfind, welches feines Gleichen nit findet 
auf Erden; närrifch, verliebt, tapfer, befonnen, befeffen 
von wunbderlichen Geiftern, und doch kluͤger als alle 
anderen Leute; ein fahrender Ritter, und doc ein war- 
mer Freund wahrer Freunde; ein großer Baumeifter 
dazu, und Fünftlichfter Künftler: doch eine nadte Seele 
und ein fchlichtes Kinderherz. Sa, Steinbach, wäre 
ich ein Mägdlein, fehön wie der Tag und Flug wie bie 
Norne, und veih wie der Tod, Fein anderer follte 
mein Mann werden, ald Du!« — 

Freya erröthete, und die Herzogin bob drohend 


179 


den Finger auf. — »Schneidet mir die Zunge aus,« 
rief der Narr, »benn fie ift eine Kupplerin von Haufe 
aus, und Fuppelt alle Worte zufammen, die nicht in 
rechtmäßiger Ehe leben follen, und niemals von einan- 
der etwas gehört haben!« — 

» Wie ift er. heute fo aufgeregt,« fragte die Derzo: 
gin, »hat man ihm Wein gegeben?« — 

»O, gnädige Gebieterin über Tod und Leben,« 
rief der Narr, „Teinen Mein hat man mir gegeben, aber 
Geift habe ich fo eben getrunfen, der hat mich taumelnd 
gemacht! Verzeiht, fehöner Zorn, fo wie der Dänenkö- 
nig verziehen hat!« — 

Die Herzogin lächelte gütig, und ber Abt nahm 
wieder das Wort. — »Es ift brav, « fprach er zu Er— 
win, »und es freuet mich fehr, daß Ihr über die ed— 
len Freunde in Lund Eure Kunft vergeflen könnt, und 
an dem öffentlichen Wohl fo vielen Zheil nehmt, als 
wäret Shr der Unferen Einer! — Aber Eure Kirche 
wird fehön, und hat mich mit Bewunderung erfüllt; 
auch finde ich darin echt chriftlichen Geift, fo meit das 
Zeitalter gediehen ift, und ihn in Mauerwerk auszu— 
fprechen vermag ; doch denke ich, ed kommt noch eine 
andere Zeit, wo auch dad Hüllen der römifchen Kirche 
mit allen. ihren Satzungen hinſinken wird, und nur eine 
große Volksgemeine feyn fol, unter Gott und dem ei- 
nen guten Hirten, der im Himmel wohnt! Da ift der. 
Tempel nichts als ein heitered Haus, und ber Altar 
ein hauspäterlicher Tiſch. — Das griechifche Alterthum 
nennen wir mit Recht einfach in feiner Kunft, und 
feine Tempel fcheinen von der fichern Hand der Na: 

12* 


180 


tur ſchmucklos gebildet; aber hier erft wird das Gött: 
liche, Wahrhafteinfache erfcheinen, und unfere Eunftvol: 
len Dome wird die Nachwelt anftaunen, aber nicht 
nachahmen wollen. Jedoch ift Eure Anfcharfirche das 
einfachfte und fchönfte dieſer wunderſamen Domge— 
baude, und bietet ſchon der wiedergebornen Zeit gleich- 
fam die Hand.« 

„Ich kann,« verfeßte Erwin, »in Eure Gedanken 
nicht eingehen, fo fchmeichelhaft mir auch Euer Lob ift, 
da ich es für ein aufrichtiges halten muß, und dann 
auch jeder Tadel mir willlommen wäre. — Zwar 
glaube ih, daß es mir noch fehr an der rechten Ein- 
falt fehlt, und zweifle nicht, daß die Nachwelt viel 
fchönere Zempel Gottes, ald wir, aufführen werde; 
doch Fann ich nicht einräumen, daß die unferen weni— 
ger chriſtlich ſeyn follten; denn Gottes Haus muß im- 
mer etwas Geheimnißvolles behalten, dadurch es von 
allen Menfchenwohnungen fich unterfcheidet; und fein 
Tiſch, wo wir das Brot des ewigen Lebens empfan— 
gen, muß ein anderer feyn, ald der hausväterliche, wo 
das tägliche Brot gebrochen wird, wie fromm auch der 
Bater ed unter feine Kinder austheilen möchte. — 
Euer Irrthum Scheint mir alfo, daß Ihr ganz in das 
Menfhlihe und Natürliche herabziehen wollt, was 
vielmehr alles Menfhliche zum Göttlichen, und alles 
Natürliche zum Uebernatürlichen erheben fol. — Das 
nennt Shr ein Hüllen der Religion, und vielleicht nicht 
ganz mit Unrecht, weil ed nur ein Vorbildliches des 
Bufünftigen, und ein Schatten des Weſens ift. Aber 
der Leib diefes Schattens ift nicht mehr auf Erben und 


181 


von Feiner irdifchen Kunft nachzubilden, fondern wan- 
delt im hohen Himmel. Dahin weifen unfere Dome, 
mit ihren Kreuzgewölben und Thurmfpigen, und je 
Harer fie dahin weifen, defto vollendeter find fie. — 
Smmer aber werben wir, denke ich, wie in einem Spie- 
gel, in einem dunklen Worte, dad Göttliche der Form 
bienieden nur fehen und nadhbilden fünnen, und fo müf- 
fen wir die Einbildungskraft zu Hülfe nehmen, um das 
Unergründliche der hriftlichen Kirche, ald ein Himmel: 
veih auf Erden, in den kunſtreichſten Formen, welde 
durchaus Feinen Bezug mehr auf das Srdifche haben, 
nur einigermaßen zu verfinnlichen. « 

»‚Schön,« rief der Abt, »ich finde, daß ihr über 
Eure Kunft eben fo fehr nachgedacht habt, als Ihr fie 
auszuüben verfteht. — So fagt mir denn nun, wie 
Ihr ein Klofter bauen möchtet, dad ein chriftliches zu 
heißen verdiente; denn das unfrige ift fehr verfallen, 
und der Drden wird fi bald gezwungen fehen, ein 
neues aufzuführen. Ich habe ſchon vorläufig einen 
Riß dazu entworfen, doch würdet Ihr und befonders 
verbinden, wenn Ihr den Eurigen an die Stelle leg: 
tet. « 

„Gern will ih Euch nach Zeit und Kräften die— 
nen, ehrwürdiger Vater, da Ihr mir fo frohe. Botſchaft 
gebracht habt,« verfegte Erwin; »doch muß ich zuvor 
Euren Riß ſehen, um ihn mit meinen Anfichten zu ver: - 
gleichen, und Euch eine beftimmte Antwort zu geben. 
— Dann wollen wir auch über dad Chriftliche und 
Nihtehriftliche eines Kloftergebaudes zur guten Stunde 
weiter mit einander reden, denn jetzt möchte ed und zu 


182 


weit führen, und bie hoben Herrfchaften werden: bald 
aufbrechen wollen. « 

»Nein,« fprah Freya, »redet immer; denn auch 
diefe Stunde ift gut zu fo lehrreihen Gefprächen, und 
wer weiß, ob ich mir nicht auch noch einmal ein Klo- 
fter bauen laffe, wo ich Eure Anfichten benußen fünn- 
fe. — 

Auch die Herzogin beftätigte es mit einem fanften 
Kopfniden und fagte: »Wir find heute noch fo trau= 
lich beifammen, als vielleicht lange nicht wieder; denn 
morgen muß ich endlich abreifen, da aus den Tagen 
bereits Wochen geworden find. — Meine Gefchäfte ru- 
fen mich dringend nad) Bielbo zurüd, wenn gleich 
meine Kinder, und fo auch Ihr wohl, bei meinem koͤ— 
niglihen Bruder noch verweilen werdet. — Beant- 
wortet alfo auch für und die Frage des ehrmwürbigen 
Abtes, welche eben fo anziehend, als vielumfaflend 
fcheinet. « 

Erwin verfeßte nach einem kurzen Stiltfehweigen : 

»So muß ich denn vor Euren Ohren befennen, 
was ich dem ehrwürdigen Abte lieber unter vier Augen 
gefagt hätte, daß ich ein Klofter überhaupt nicht ganz 
mit unferem Chriftenthume zu vereinigen weiß, da es 
eine Abfonderung der Menfchen verlangt, welche mehr 
jüdifchen und indifchen Urfprungs zu feyn fcheint, und 
ſich zuerft in der thebaifchen Müfte gebildet hat. — 
Erinnert es und doch auffallend an die jüdifche Sekte 
der Effäer und Nazoraͤer, welche ein abgefondertes 
Leben führten, und in allerlei Büßungen und Entfa- 
gungen, gleich wie noch die indifchen Braminen thun, 


183 


einen hohen Grad der Läuterung zu erlangen meinten, 
und auch in Eleineren Geſellſchaften ſich zufammenhiel- 
ten, oder ald Einfiedler lebten. — Laſſen wir das aber 
bei Seite liegen, fo ift das Chriftliche eines Klofterge: 
baudes einzig und allein in die. Form einer engeren 
Gemeinfchaft feiner heile zu fegen, welcde wie Glie— 
der mit dem Haupte verbunden feyn muͤſſen. — Diefes 
Haupt des Ganzen ftellt die Kapelle dar, welche ein 
Achteck bilden möge, und in ber. Mitte zwifchen zwei 
Flügeln fich erhebe.« | 

»Sie habe im Innern ein fpißes, ſtrahlenfoͤrmiges 
Kreuzgemwölbe, welches. etwa, wie die Reifen einer Me: 
lone, kuppelfoͤrmig fich fchließe, ohne Säulen fey, und 
durch hochliegende Fenſter von farbigem Glafe ein ru- 
higes und ernfted Licht einfallen laſſe. Ein breiter 
Gang leite dad Geftühl, welches die Form der Umfaf: 
ſungsmauer nachahme, halbirend vom einfachen heiligen 
Tiſche im Oſten bis zum Hauptportale im Weften bin, 
aus welchem man in ben Berfammlungsfaal eintrete. — 
Nach Süden und Norden führen aus der Kapelle Elei- 
nere Thuͤren, diefe in die Sakriftey, jene in die 
Bibliothek, welche einniedered Kreuzgewoͤlbe trage, deſſen 
- Dad) fich unter dem Fenſter der Kapelle anlehne. Aus 
diefer trete man in einen Saal des öftlichen Flügels 
für die Lehrlinge und Laienbrüder, wo fie in-den Wiſ— 
fenfchaften von den Mönchen unterwiefen werden , und 
der ein heitered Anfehn trage. Diefer Saal führe zu 
einigen anderen Sälen für die unteren Klaffen des 
Lehramts, und aus diefen, längs einem Korridor, zu 
den Zellen der Laienbrüder, wie zu den Wirthfchafts- 


184 


zimmern und Borrathöfammern, fo wie auch in den 
Keller, wo die Küche ihren Raum finden möge. — 
Der weſtliche Flügel dagegen entfalte die Wohnung des 
Priord und die Zellen der Mönche, zu denen man aus 
dem Verſammlungsſaal durd einen, dem öftlichen Fluͤ— 
gel ähnlichen, Korridor gelangen möge. Diefe Zellen 
der beiden Flügel liegen alle nach Süden zu, und gren- 
zen an den Kloftergarten, find aber mit einem weit- 
vorfpringenden Dache überbauet, welches auf Säulen 
ruhe. Unter diefem Säulengange mögen die Klofter: 
brüder bei üblem Wetter auf Sliefenfteinen luſtwandeln, 
und fich, zwei und zwei, über heilige Dinge ungeftört 
unterreden, auch, auf Stufen hinab, bei fchöner Sahrs- 
zeit in den grünen und geräumigen Garten. treten, - 
welcher, wie der ganze Klofterhof, mit einer hohen 
Ringmauer umgeben werde. Schattige Linden= und 
Pappelgänge mögen den Garten in Perfpektiven gerade 
durchfchneiden, und auf einen ‚runden, waflerreichen 
Teich binführen, welcher Kühlung umher verbreite, und 
mit Schwänen gefhmüdt fey. — Der .Klofterhof da- 
gegen liege nach Norden, und fey, außer der hohen 
Mauer und dem feften Ehore, noch mit Graben und 
Zugbrüde, wie eine Burg, umfchloffen. Auf demfel- 
ben mögen die Wirthſchaftsgebaͤude liegen, und alles, 
was zur Viehzucht und zum Aderbau erfordert wird. 
— Die Kapelle aber, als das Haupt des Klofters, ift 
mit einem fpigen Thürmchen zu fchmüden, welches aus 
feinen zartdurchbrochenen Steingliedern ein helles Glöd- 
lein zur Dora, und ein tiefered und größeres zum leß- 
ten Abfchiede, ertönen laffe. — ES ruhe diefer Thurm 


185 


auf einem fuppelförmigen Dache mit Kupfer belegt, 
und werde durch einen gehörigen bogenartigen Unter: 
bau feft bafirt. — Das Dad) der Flügel erhebe fich 
mit hohem Forfte, und Schließe ſich der ‚Kuppel walm- 
artig an. Die Kuppel möge oben am Thürmchen au) 
ein Geländer tragen, wo man die Sterne beobachten, 
und bei beiterem Himmel einer weiten Ausficht fich er: 
freuen koͤnne; denn die erfrifchende Luft an Gottes 
Schöpfungen muß im Klofterleben nicht vergeflen wer- 
den. « 

»Das Gebäude liege, der Gefundheit wegen, auf 
Stufen, etwad über den Klofterhof erhöhet, zu welchem 
man durch ein großes Portal von Spißbogenform auf 
einer fteinernen Treppe hinabfteige. Weniger vorragend 
fey es über den erhöheten Garten, welcher fi anmu= 
thig nach Süden hinab bis zur Umfaffungsmauer ab: 
fenfe, damit er, nach Norden zu, Schuß habe, und fo 
die verdichteten Sonnenftrahlen, terraffenartig, für edle 
Früchte auffangen Fünne.« 
| »So denfe ich mir etwa, ehrwürdiger Vater, ein 
hriftliches Kloſter,“ fhloß Erwin feine Rebe; »doch 
das Befte darin, den Frieden Gottes und fein füßes 
Wohlgefallen, macht Fein Steinmetz mit der Hand, fon: 
dern allein der große Meifter mit den lebendigen Stei- 
nen!« — 

Die Herzogin nidte Beifall, Freya ſah ihn 
freundlih an, und der Abt fprah: »Ich danfe Euch 
fehr für dieſes klare Bild eines Klofterd, wenn es 
auch ganz von meinem Riſſe abweicht. Ich kann es 
nicht anders als chriftlich fchön nennen, und bitte Euch 


186 


inftändigft, e8 mir aufzuzeichnen; der Orden wird fich 
gewiß erfenntlich beweifen! « 

Erwin verfprad es freundlich), und die Jagdge— 
fellfchaft erhob fich von Tafel, da der König erwacht 
war und zum Aufbruche mahnte, um noch wo möglich 
einige Hirſche zu fällen. 

So ging e3 wieder in den Wald hinaus, und Er- 
win fühlte fich hoch beglüdt, an Freyas Seite zu 
reiten, da ihre alte Vertraulichkeit zurüdgefehrt war, 
und fie ihn heute holder als jemald angelächelt hatte. 
— Seine Schwermuthb war mit ihrer zurüdhaltenden 
Kälte, welche ihn fo fehr beunruhigt hatte, wie ein 
Schatten der Nacht verfehmunden, und feine Zunge ward 
gelöfet, um über allerlei Fröhliches und Ernftes in den 
Begegniſſen feines Lebens ſich Ihr mitzutheilen. Gie 
fchien ihn heute gern zu hören, wenn fie gleih nur 
‚wenig darauf erwiederte, und oft mit leifer Hand das 
Gefpräh, wenn es zu immerlich wurde, ind Aeußere 
und Unbedeutende zurüdführtee — Konnte fie dann 
nicht weiter mit feinem Ernft und Feuer, ſo ſchwieg fie, 
oder mathte einen Scherz daraus, und fing über einen 
nenen Gegenftand die Nede an; doch war ed fo wohl: 
wollend und ungeſucht, daß es ihm nicht wehe thun 
fonnte, und er hinterher, wie oft fehon in- Eritifchen La— 
gen, ihren Lebenstact bewundern mußte. — 

Unterdeffen hatte die. Jagd wieder ihren Anfang 
genommen; der alte König begleitete fie lebhaft mit 
feiner Schwefter, welche gern dem theuren Bruder die— 
ſes Peine Opfer darbradhte, indem fie an feiner Seite 
auf einem bequemen Zelter ritt. — Schon waren ei: 


187 


nige Hirfche erlegt, unter denen König Erik den grö- 
Beften mit eigener Hand gefchoffen hatte. Alle kamen 
zufammen, um dad Wild zu betrachten, und auch Er— 
win, von den Waldhörnern gerufen, hielt mit $reya 
im großen Kreife. Da fenkte ſich die Sonne, und der 
König gab Befehl, die Jagd zu enden, und den Rüd: 
weg anzutreten. — Lido und der Gefandte hielten ſich 
zur Seite der Herzogin, der Reichsdroſt und der Hof: 
marfchall zur Seite des Königs; Prinz Erik folgte ih: 
nen mit dem Stallmeifter und dem Narren. — So: 
dann Famen die Jaͤger mit den Hunden und dem er- 
legten Wildpret. Den ganzen Zug begannen und be: 
fchloffen bewaffnete NReuterfchaaren, da noch immer das 
Land vor Holmgeir und feinem Anhang nicht -ficher 
war, wenn gleich ftarfe Leibwachen das Schloß des 
Königs ſchuͤtzend umlagerten, und ben etwa anziehen: 
den Feind in der ganzen Umgegend bevroheten. Es 
war ein Tlarer, duftiger Herbftabend. Der See begann 
im finfenden Lichte fich herrlich zu färben, die Sonne 
trat unten am Horizonte in ein dunkelblaues Gewoͤlk, 
und vergoldete biendend die Ränder deſſelben. — Er: 
win war mit Freya voraufgeritten, und gedachte mit 
ftiler Wehmuth des fchönen Abends, da er zuerft fich 
Bielbo näherte. Aehnlich blidte damals die Sonne 
unter der dunklen Wolke hervor, ähnlich war die Ge- 
gend erleuchtet, nur im wärmeren Sommerhauche, und 
alle feine Empfindungen bei jenem Einzuge fchienen ihm 
Meisfagungen gemwefen zu feyn. — Er redete wenig — 
das Herz war ihm zu vol, Ein Seitenweg, welther 
ihnen links begegnete, führte zu Chennekulle's 


188 


hoͤchſtem Gipfel, und ſchien kuͤrzer ald die Fahrſtraße 
nah dem Schloffe zurüdzuleiten. Freya Außerte das 
Verlangen, ihn einzufchlagen, um auf der fehönen Höhe 
fih noch einmal frei umzubliden, und Erwin, ob: 
gleich ihn etwas in feinem Innern dringend abmahn- 
te, fih fo weit nit vom Jagdzuge zu entfernen, 
fühlte Doch nicht den Muth, ihr zu widerfprechen, fondern 
willfahrte ihr gern. 

So fprengten fie auf den leichten Roffen die fteile 
Höhe hinauf und, indem das zarte Gebüfh an ihrer 
Seite auswich, hielten fie nach wenigen Minuten ſchon 
oben auf der Platte des Gipfel. Die Sonne ſank 
eben ftil und Elar in den großen Wener hinab, und 
fandte ihre glühenden Abſchiedsblicke, blutig bedeutfam, 
nach allen Seiten hinaus, indem fie das hohe Wald- 
gebirge mit den lieblichſten Farbentoͤnen übertündhte. 
Eine unendliche Ausficht that überrafchend ſich vor. ih— 
nen auf, und die großen, daͤmmernden Fernen lagen wie 
ein bläuliches , fanftwogendes Meer, am Bergeshaupte 
ſich brechend, rings um fie her. — 

Für Erwin war das ein ganz neuer und einziger 
Anblick; denn noch nie ftand er hier oben auf dem höd)- 
ften Gipfel, da er immer mit Freya zuerft es zu fe 
ben hoffte. Nun ward fo fchnel ihm der Wunſch er= 
fünt. Sie hielt auf ihrem leichten Zelter allein an 
feiner Seite. Ein ftärferer Windhauch wehte die dunk— 
len Loden um ihren blendenden Naden zurüd, und 
trug fie, wie auf Händen, zart empor, indem fie mit 
Entzüden um fich fchaute. — Sie fonnte des Schauens 
nicht müde werden, und ſchien fi) ganz darin zu ver- 


189 


tiefen. — Die Bäume und Gefträuhe waren auf 
diefer großen Höhe faft ſchon entblättert, und das we- 
nige flatternde Laub fpielte wunderfam an ihren Zwei— 
gen im ftillen Abendrothe. 

Erwin meinte in Freya’d Augen eine Thräne 
zu fehen, und ein fanfter Zug der Wehmuth umhauchte 
ihre Lippen, als wollte fie fagen: » Beute — und nicht 
wieder. « 

Da loͤſete fich plößlich feine Zunge, wie von einer 
höheren Macht entbunden, und er rief zu ihr hinge- 
wendet aus: „Seht diefes fliegende Blatt, welches 
von der Höhe hinab in den See weht! Alfo weht mein 
höchftes Erdenglüd dahin, und diefer Augenblid macht 
mich zum Bettler! — Werdet Ihr wohl, ald Königin 
auf Norwegs Thron, des armen Pilgrimd gedenken, 
welcher hier von Euch fo reich befchenft wurde, und 
fo hoch begnadigt vor vielen Taufenden, um bald feine 
Armuth defto bitterer zu fühlen? — DO! werdet Shr, 
Prinzeffin?« 

»Und werdet Ihr, mein * verſetzte ſie mit 
einem unbeſchreiblichen Schmelz der Stimme, »wer- 
det Ihr der armen Norblands-Pilgerin gebenfen, wel- 
he am Glanze des Throns erftarren muß, wenn Ihr 
in Hil degards Armen ruhet, und neben ber gu= 
ten Hausfrau, hochbeglüdt, vielleicht den erſten Kna- 
ben auf Euren Knieen wiegt? Wird ed Euch nicht 
feyn wie ein Traum dann, wad wir bier fchauten 
und redeten? So nimmt die treulofe Zeit weg, was 
fie gegeben hat!« — Sie lächelte wunderbar fanft und 
ſchwieg. — 


190 


„O nein,« rief er begeiftert aus, »die Kiebe ift das 
ewige Leben, ihr göftliher Stamm ift nicht auf dem 
Boden ber Zeit gewachſen, und kann nicht von ihr ge- 
fällt werden!« 

»So ſcheint es,« verfeßte fie milde, »fo mag es 
auch feyn. Doch, mein guter Ritter, der Tod fol erft 
überwunden werben, und das koſtet uns viel. — Treue 
Freunde aber werden wir bleiben, und fo laßt uns 
ſchnell heimkehren, damit man nicht marte.« 

Sie fpornte ihr Pferd an, doch in demfelben Au⸗ 
genblicke gellte eine Raͤuberpfeife aus den naͤchſten Ge- 
buͤſchen, und alsbald ſtuͤrzten geruͤſtete und verkappte 
Reuter hervor, welche ſie ſchnell umringten und gewalt— 
ſam die Prinzeſſin zu entfuͤhren ſuchten. 

Erwin, anfangs wie erſtarrt, doch ſchnell ſich 
faſſend, warf nach dem erſten, welcher die Arme nach 
ihr ausſtreckte, ſeinen Jagdſpieß, und traf ſo gut 
ſeine Bruſt, daß er leblos vom Pferde ſtuͤrzte. Mit 
fuͤrchterlicher Stimme drohte er dem Andern ein Glei— 
ches, der ſie zu beruͤhren wagte, indem er das Schwert 
zog, und dicht zu ihr heranſprengte. Mit der Rech— 
ten faßte er den Zuͤgel und die Klinge, indem er ſie 
gewandt mit der Linken aus dem Sattel hob und vor 
ſich aufs Pferd zog. Sie nahm die Zuͤgel — er 
ſchwang in der Rechten das Schwert, und ſein lin— 
ker Arm umſchlang ſie feſt, als wenn er ſie nimmer 
laſſen wollte. — Indeſſen hatte Erwin ſchon im 
Nacken von einem dritten Gegner eine Hiebwunde em— 
pfangen, und ein vierter war im Begriff, ihn mit 
der Lanze zu durchbohren. Da ſetzte er tief ſeinem 


191 


Pferde die Sporen in die Seite, und dad edle Thier, 
indem ed nad) den Feinden biß, flog, wie der Wind, 
mitten durch fie hindurch, fo daß die drohenden Lanz 
zen hinter ihnen weg faufeten, und Erwin mit der 
bebenden Prinzeflin glüdlich die Ringmauern des Schlof: 
ſes erreichte. — Er fühlte das ſtarke Klopfen ihres 
Herzens belebend unter feiner Hand, während das Blut 
ihm heiß den ganzen Rüden nieberfirömte, und die 
Wunde ihn zu betäuben drohte. 

Sie ſprach leife: »Mein treuer Freund, ich danke 
Euch!« — 

Da eilten fchon gerüftete Reuterfchaaren ihnen ent- 
gegen, um fie zu befhüßen und den Frevel zu fira« 
fen. — Sie erzählten ihnen, auch der König fey auf 
dem Heimmege angefallen, und man habe den Holm- 
geir mit mehreren Folkungern deutlid unter den 
Feinden erkannt, welche man mit Verluſt zurüdge: 
Ihlagen. Bei eigner Gefahr fey doch der alte Kö: 
nig am beforgteften um die Prinzefjin gewefen, und 
habe fogleich feine Leibwache nah allen Seiten aus: 
gefendet, um ihr zu Hülfe zu eilen. — Mit diefer 
Botſchaft ritten fie in Verfolgung des Feindes eilig 
vorüber, und Erwin brachte die fihöne Erſchrockne 
zu ihrer Mutter und dem Könige zurüd, welche fich 
höchlichft freuten, und den Ritter mit Lob überhäuften, 
doch erft fpäter bemerkten, daß ihr Beſchuͤtzer ſtark ver: 
wundet fey. 

Da verwandelte fich denn alsbald die Freude in 
herzliches Mitleid, und der König hieß ihm in feinem 
eigenen Zimmer ein Zager bereiten, indem fein Leib— 


192 


arzt die Munde unterfuchen und verbinden mußte. 
Diefer fand fie zwar tief, aber nicht tödtlich, und da 
Erwin durch den ſtarken Blutverluft in Ohnmacht 
gefunfen war, fo unterflüßte ihn Freya mit ihren 
Armen während des Verbandes; fie rieb ihm die Schlä- 
fen auch mit Weingeift, bis das fchwindende Bemußt- 
feyn zurüdkehrte, und der Ohnmächtige die Augen 
wieder auffhlug. — Er fah fie huldvoll über fich hin- 
geneigt, ihr forgfamer Blick begegnete milde dem fei- 
- nigen, ihr Odem hauchte ihn belebend an, ihre warme 
Hand rieb feine eisfalte Stirn. Er fühlte fich wie 
im Himmel, und feine Wunde fehmerzte ihn nicht, bis 
fie ſich entfernt hatte. — 

So vergalt ſie ihrem Freunde Gleiches mit Glei— 
chem, und bezeugte ihm ihre zarte Liebe mit der ſtum⸗ 
men That ded Erbarmens! — 


193 


Zwölftes Kapitel, 


” 





Die Nahriht, daß Erwin von Steinbach ſchwer 
verwundet fey, war zulegt erft biß zu Hubert ge: 
brungen, ber den Zag über flille zu Haufe geblieben 
war und an dem großen Samilienbilde fleißig gemalt 
hatte. Eben reinigte er Pinfel und Palette, als fein 
Aufwärter mit diefer traurigen Botfchaft zu ihm ein- 
trat. Heftig ward er dadurch aus feiner kuͤnſtleriſchen 
Einſamkeit aufgefohredt, und eilte fehr beforgt zum lies 
ben Sreunde, indem er ſich Vorwürfe machte, ihn nicht 
begleitet zu haben. 

Er fand ihn in den Händen des Wundarztes, wel⸗ 
cher eben die Wunde mit der Sonde unterfuchte, waͤh— 
rend feine Gehülfen den Berband bereiteten. Erwin 
lag ohnmaͤchtig in Freya’s Armen, welche ihm die 
Schläfen mit Naphtha rieb und wie ein heiliger Engel 
fich mitleidsvoll über ihn neigte.e Hubert erftaunte 
über diefeö herrliche Bild und es drüdte fich tief fei- 
nem Gebächtniffe ein, fo fehr auch feine Seele durch 
Erwins Verwundung bewegt war. Der Wundarzt 
wiederholte ihm, daß die Munde nicht gefährlich fen, 
wenn man gleich für alle Zufälle während der Kur 
nicht einftehen könne. So fehte er fich etwas beruhig- 
ter zu des Freundes Füßen, indem er Erwins Erma- 

Erwin von Steinbach. II. 13 


194 


chen heohachtete und von dem wunderfamen Ausdrude 
in Freya's Gefichtözügen fi ganz durchdrungen fühlte. 
Als der Kranke zu fich felbft Fam, reichte ihm Hubert 
die Hand, welche er drüdte. »Daß ich Dich verlaffen 
Eonnte,« fagte Hubert, »nun habe ich meinen Lohn, 
Dich verwundet zu fehen; aber die Kunft verleitet und 
immer zum Gößendienfte.« — »Und heilet und mieber,« 
verfeßte Erwin leife; »Dazu bin ich in guten Händen. « 
Hubert erwiederte: »In den befien von der Welt, 
doch befler ohne Wunde. « 

Unterdeffen gingen der König und die Herzogin ab 
und zu, indem fie bald mit dem Leibarzte leife redeten, 
bald unter einander ihre Beforgniffe über den Verwuns 
deten fich mittheilten. Auch Lido, der Gefandte, Prinz 
Erik und der Narr waren herbeigeeilt, und Letztere be- 
zeugten eine befonders Teidenfchaftlihe Theilnahme, 
während Freya faft unbemweglih zu feinem Haupte 
fand, und fehweigend die Umfchläge von Weingeift an 
feiner Stirn wiederholte. 

Prinz Erik rief: »Mein trauter Freund, fo muß: 
teft Du doch noch Dein Blut für uns vergießen!« Er 
warf fich lebhaft und wiederholt an feine Bruft, indem 
er feine blaffen Lippen mit heißen Küffen bedeckte und 
von dem Leibarzte und der Herzogin nur mit Mühe 
entfernt werden konnte, welche ihm die Gefahr feiner 
Leidenfchaft für den Verwundeten deutlich zu machen 
fuchten. Der Narr aber kuͤßte Erwin die herabhan- 
gende Hand und rief wiederholt aus, indem er Thraͤ⸗ 
nen vergoß: »Mein Schab und meine Krone! Did) 
kann ich nicht miflen, und frißt Dich der Tod, fo frefie 


195 


ich ihn wieder; dann wirb ed ſich erweifen, ob ich oder 
er der größefte Narr fey!« 

Lido dagegen reichte ihm fanft die Hand, und ins 
dem er fie in der feinigen hielt, fprach er nach einigem 
Stilfhweigen: »Da Euch das Schidfal diefe Wunde 
zugedacht hatte, fo freue ih mich, daß Shr fie fo eh: 
renvoll empfangen habt, und preife Euch glüdlih um 
die Rettung des theuren Kleinods, welches Eurer Ob: 
hut anverfraut ward. « 

»Ich verdanfe ed allein meinem fchnellen Roffe,« 
verfeßte Erwin; »gebt ihm den beften Kohn, denn es 
war ein Held im Kampfe und ift mein Freund gewor⸗ 
den. — Uebrigend lag e3 in Gottes Hand und fein 
Mille geſchah, vielleicht ald Strafe meiner Unvorfich- 
tigkeit, und ich muß feine Gnade hoch preifen, daß es 
nur mich traf, und nicht die Prinzeffin.« — »Da ich 
ed doch verdient hätte,« fagte Freya, »denn ich habe 
Euch zu jenem Wege verleitet; auch fühlte ich wohl, 
dag Euch eine Stimme im Innern abmahnte, wenn 
Ihr mir gleich nicht widerfprechen mochtet. So trage 
ich allein die Schuld Eures Unglüds, und Eure Wunde 
ift mir doppelt fchmerzlich geworden. « — Erwin ver- 
fegte laͤchelnd: »O, erlaubt mir doch, Daß ich einmal 
wenigftens für Euch blute, nur um mein Amt zu er: 
erfüllen und Eure darben als ein Ritter zu verdie— 
nen.“ — 

Sie erblaßte und fagte: »So will ich von nun an 
die rothe auch hinzuthun, welche des Freundes Blut 
bedeute!« — Sie löfte mit diefen Morten eine pur= 
purfeidne Schaͤrpe von Guͤrtel ab, und legte ſie 

13* 


196 


in feine Hände. Er freute ſich fehr und drüdte dieſe 
innig an feine Bruft. Der Gefandte, welcher ſich nad 
feinem Befinden: theilnehmend erkundigt hatte, machte 
die Bemerkung, daß ſolche Ehrenwunden bald zu hei— 
len pflegten und fchöne Narben zurüdließen, welche 
ftatt aller Ordensbänder dienten. Aber Prinz Erik 
umarmte feine Schwefter für die Gabe an den fran- 
fen Freund, der Narr auch verneigte ſich feltfam blöde 
vor ihr, Lido nidte mit dem Kopfe Beifall, und in 
Huberts Augen blinfte eine helle Thräne des Danke. 


»Gut, Kinder,« rief der alte König, »Alles gut, 
nur nicht zur rechten Stunde; denn der Kranfe muß 
Ruhe haben, wie der Leibarzt fagte, und Ihr ſetzt ja 
alle feine Empfindungen in Bewegung!« — Auch die 
Herzogin bat alle Anwefenden, ja alle Aufregung bei 
dem Ritter zu vermeiden, da die Wunde fich dadurch 
verfchlimmern Fönne, und fah ihre Zochter mahnend an, 
welche noch immer an feinem Haupte fland. Freya 
entfernte fich ftil und Alle gingen in die Nebenzimmer, 
bis auf Hubert, welcher am Fuße feines Lagers fi- 
gen blieb und ihm öfterd einen kühlenden Trank dar— 
reichte. Da fie allein waren, preßte Erwin die fchöne 
Schärpe an feine Lippen, ald wenn er Lebensbalfam. 
und Herzendfrieden daraus faugen wollte, und ſprach 
zum Freunde: »Gie allein wußte, was mir gut ift, 
und fie wird mich heilen von allen meinen Wunden. « 
— „Gott gebe es,« verfeßte Hubert, »und ftille ihr 
Herz, damit fie Dich ftillen möge. « 


„Hat Gott fie mir nicht gefandt!« erwieberte Er- 


197 


win, »fo wird er ihr auch Kraft geben, Alles wohl 
auszurichten und nichts unvollendet zu laffen. « | 

»Gut,« fagte Hubert, »doch mich hat er Dir 
auch gefandt, vielleiht, um Dich zu warnen, daß Du 
Did nicht zu fehr auf Menfchen verlaſſeſt, wie herr— 
lich fie auch. feyn mögen, fondern Dein ganzes Herz 
zu Gott kehreſt; denn das Sichtbare vergeht und ift 
eitel. « | 

»Und die Liebe bleibt,« rief Erwin, indem er die 
Hände faltete und feine matten Blide nach oben rich: 
tete. Hubert neigte tief das Haupt, ald wenn er 
über etwas fehr Ernftes nachfinne, was ihm aber noch 
nicht. Elar geworden ſchien, und fo entftand am Lager 
des Verwundeten eine lange Stille, weldye nur durch 
furze Fragen ded Freundes, indem er die Umfchläge 
am Halfe erneuerte und den FTühlenden Trank ihm 
nad der Borfchrift reichte, zu Beiten unterbrochen 
wurde. Eine: Ampel erleuchtete nur matt dad hohe 
Gemach und vermehrte durch ihren Dämmerfchein die 
ernfte Stille, während man in die angrenzenden er- 
leuchteten Bimmer hineinſah, wo. die Geſellſchaft um 
den König verfammelt war, doch leifer ald gewöhnlich 
redete und: bald aus. einander ging. So rüdte bie 
Nacht. heran, und der Arzt, begleitet von dem Könige, 
fah fi noch: einmal: nach dem Kranken um und unter: 
fuchte. den Verband, indem er feinem beforgten Herrn 
verficherte, daß Alles hier fo gut flehe, wie man es 
nad den Umftänden nur irgend erwarten fünne. Auch 
Freya trat mit ihrer Mutter noch einige Augenblide 
an: Erwins Lager, indem fie. ihm treu die Hand 


J 198 


reichte und eine ſanfte Nachtruhe wuͤnſchte. Ihr ſchoͤner 
Ernſt that ihm ſehr wohl, und ein ſuͤßer Friede kam 
uͤber ihn, wie er lange nicht, ja ſeit ſeiner Kindheit nicht 
gefuͤhlt zu haben glaubte. Er ſah ihr dankbar nach, da 
ſie wie ein Genius an der Seite des alten Koͤnigs aus 
der Thür ſchwebte, und es ward ihm fo heiter und hoff— 
nungsvoll zu Muthe, ald wenn fie immer wiederfommen 
müffe. — Niemand blieb bei ihm ald Hubert und. ein 
Chirurg, welchen der Leibarzt inftruirte, und dem er die 
größefte Wachfamkeit empfahl, wenn die Wunde fich öff: 
nen möchte. Hubert ſetzte fich fill. beobachtend an den 
Fuß feines Bettes, der Wundarzt zu feinem Haupte. 
Erwin fiel bald durch die Erfchöpfung des ſtarken Blut— 
verluftes in einen tiefen Schlaf, und fo verging ohne Bes 
forgniffe die erfte Nacht. 

Unſer Freund erwachte am andern Morgen zur ge 
wohnten Stunde fo heiter, ald wenn er völlig gefund 
gewefen wäre und fühlte exft feine Wunde, da er fi 
aufrichten wollte, indem fie ihm nun alles Bergangene 
ind Gedaͤchtniß zuruͤckrief. Hubert nidte ihm freund: 
ch zu und der Chirurg wünfchte ihm einen guten Mor: 
gen, unterfuchte den Verband von neuem und entfernte 
fi dann, um dem Leibarzt Bericht: zu erflatten. Bald 
fand auch diefer ſich ein und bezeugte mit Allem feine 
Zufriedenheit, während er die Bandagen, welche ſich et⸗ 
was gelöfet hatten, fefter legte und den alten König 
über den Kranken beruhigte, doch auf das herannahende 
Wundfieber aufmerffam machte, welches bei der tiefen 
Verlegung nicht unbebeutend werben 'bürfte. »Haltet 
Euch mit feftem Vorſatze,« ſprach er zum Kranken, »nur 


199 


möglichft ruhig und ohne Sorgen, fo wird eö leichter 
vorübergehen und nicht fo viel Kräfte wegnehmen; denn 
viel vermag der Wille hier. « | 

Gegen Abend dieſes Tages am auch wirklich das 
Sieber mit feiner ganzen Kraft und das Blut drang fo 
ſtark nach dem Gehirne zu, daß Erwin irre zu reben 
begann und felbft Hubert oft nicht erkannte, wiewohl 
dieſer unabläffig um ihn war, und an treuherziger. Zus 
fprache es nicht fehlen ließ. Bald wähnte fich ver 
Kranke in Straßburg auf hoher Thurmzinne, welche 
von einem Sturmwinde bewegt wurde, während er fei- 
nem mitarbeitenden Vater Muth zufprach. Bald. war 
er wieder in dem unterirbifchen Gewölbe bei den Vehm— 
richtern und mußte fich zum ode vorbereiten, da er um 
feiner freien Rede mit dem Schwerte gerichtet werden 
follte. Bald ftand er mit Hildegard am Kornfeld und 
fah die Sonne über Köln trübe und blutig hinabfinten ; 
er fuchte ihre Augen, doch fie blieben feft verfchloffen; er 
rebete fie bittend an, aber fie legte bedenklich den Zeige: 
finger der linken Hand auf ihre Lippen und wies nach 
ihrem Water, welcher wie ein bunfler Schatten, Doch 
mit einer Strahlenfrone, ſich vor. ihnen „her bewegte. 
Dann duͤnkte es ihn wieder, als fiche er mit Freya 
allein an einem tiefen See und ein Fährmann nahe ib- 
nen in eimem dunkeln Boote; der Fahrmann aber. war 
der Einfiedler von Alt-Upfala, und riß fie gewaltfam 
zu fich. hin in den Kahn. Er mwiderfiand ihm aus allen 
Kräften, doch würde der Alte ihn überwältigt haben, 
wenn dad Boot über dem Ringen nicht zu Grunde ge- 
gangen wäre. Da flog der grimmige Faͤhrmann auf, 


200 


wie ein Adler, aber Frey a ſchwamm auf dem See hin, 
wie ein Schwan, während er. traurig am: Ufer ftehen 
blieb und mit feinen Füßen wie im Sande eingewurzelt 
war. Dann fah er ſich wieder auf Chennekulle von 
Räubern umringt, und konnte ihr nicht: zu Hülfe .eilen, 
weil feinem Roſſe die Füße gebunden: waren. Er fprang 
zur Erde mit geſchwungenem Schwerte: und rief auch 
Hubert zu Hülfe mit ftarfem Gefchrei; aber fchon war 
fie ihm. von jenen Räubern durch ‚die Lüfte entführt, 
und. ein unendlicher Schmerz ergriff: ihn. 

Wirklich hatte Erwin in feinem Fiebertraume fo 
heftig aufgefchrieen, als wenn ihm das. größefte Leid wi— 
derführe, und mit einem fo Flagenden Tone es begleitet, 
daß Freya. erfchroden aus: dem Nebenzimmer herbei- 
eilte, um ihn zu beruhigen, da. Hubert nichtö mehr 
über ihn vermochte. Sie rief ihn. beim! Namen ‚und 
legte ihm eifige Umfchläge, die der Arzt verordnete, aufs 
Haupt: Da ward er ruhiger; aber. feine. Augen! blieben 
flarr, wie vom Schreden gefeflelt. Selbſt der. Keibarzt 
ward beforgt, da er eine fchlagartige Lähmung des Ge- 
hirns befürchtete, und ging hinaus, um ein. anderes. Mit: 
tel zu bereiten. Da beugte: ſich Freya weit uͤber ihn 
bin, blidte ihn an mit unausfprechlicy fchmerzooller 
Liebe und Füßte ihm in der. Angft Stien und Augen. 
— „Erwin, mein Freund und Erretter,« rief fie wie: 
derholt aus, »kennſt Du mich denn nicht mehr?. Lebe, 
o lebe für mich! wenn ‚Du ftirbft, fo fterbe ich auch.«. 

Alsbald Eehrte feine Beſinnung zurüd; alle Gefichtd- 
züge wurden weich und natürlich; er blickte ſie an und 
fprach, jedoch wie aus einem tiefen Traume: »Iduna, 


201 


fommft Du endlich. und bringft mir, die goldenen Aepfel 
der ewigen Sugend? Ich war tobt, Du haft mich mit 
Deinem Anhauche lebendig games Auf, laß uns nad) 
Walhalla gehen!« 

» Kennt Ihr mich denn noch nicht, mein theurer 
Marſchall,« rief Freya ſchmerzvoll, doc, bedachter, ob- 
gleich. Niemand, ald Hubert und der alte König zuge: 
gen waren. »Ach, ich Eenne Dich wohl,« ſprach er'leife. 
— »Verzeiht, Pringeffin, ich war im Zraume, aber ich 
weiß recht gut, was ich Euch verdanke; dad Herz ift 
wieder offen und mein Kopf wieder * Gott Re es 
Euch taufendfältig!« 

»Da haben wir die Krife, « rief * der Beibarzt 
. welcher eben wieder mit einem Flaͤſchchen Weingeift her- 
eitigetreten war, »nun gehts mit rafchen Schritten zur 
Genefung, und alle Gefahr ift voruͤber.« Auch die Her: 
zogin war herbeigefommen. »Nicht meine Mittel, fon= 
dern Eure edle Tochter hat uns geholfen, « ſprach Der 
Arzt, zu ihr hingewendet; »ich danke Euch fehr, Prinzef 
fin! — Ihr feyd in Wahrheit eine Heilige und habt ein 
rechtes Wunder gethan.« Freya erröthete hoch, doch der 
alte König kuͤßte fie voller Freude; aud die Herzogin 
lächelte diesmal zufrieden, und Hubert war aufs tieffte 
ergriffen von der hohen Gewalt der wahren Liebe. »Auch 
ich. danke Euch ‚« fagte er, dad Haupt tief und langfam 
vor ihr neigend; »Ihr haht mir ER — wieder⸗ 
gegeben. « 
»Was habe ich denn — — Freya und 
ſchmiegte ſich blöde und betroffen. in. ſich ſelbſt zurüd. 
Genug, mein Xöchterchen,« rief der alte König ver 


202 


gnügt aus, »genug, um eine gute Chriftin zu feyn und 
unfer Aller Liebe zu verdienen. « 

»Nun wird ein fefter Schlaf kommen ,« fprach ver 
freundliche Arzt, »und wenn er aus demfelben erwacht 
ift, fo bat das Wundfieber ein Ende und er bedarf nur 
noch Ruhe und Pflege, « 

Auch erfolgte ed fo. Erwin fank auf fein Kiffen 
zurüd und fiel bald in einen langen, erquidenden Schlum- 
mer. Freya aber eilte in ihr Schlafgemach, wo fie 
auf ihre Kniee niederfanf und Gott mit großer Inbrunſt 
für die Genefung ihres Freundes dankte, indem fie ihn 
um Abwendung alles ferneren Uebel für Erwin und 
für fich felbft anflehte. 

Unterbeffen war bie Nachricht eingegangen, daß die 
ausgefandten Truppen den Holmgeir mit feinem Anz: 
hange aufs Haupt gefchlagen , ihn felbft aber, nad) har: 
ter Gegenwehr, getödtet hatten. Won einigen gefangenen 
Folkungern, melde der König begnabigte, erfuhr 
man, daß Holmgeir nichts Geringeres beabfichtigt 
habe, als die Prinzeffin zu entführen, wozu ihm jene 
Tagdpartie die Gelegenheit dargeboten, um bann fich 
mit ihr zu vermählen und durch diefe Heirath mit Bir— 
ger-Jarls einziger Zochter fich den ſchwediſchen Thron 
zu erzwingen. Er habe vorauögefeht, Daß ber Herzog 
allein um feines geliebten Kindes willen nicht mehr wi- 
der ihn feyn koͤnne, und fo gehofft, durch einen einzigen 
Gewaltftreich fich auf den Gipfel des Glüdes zu ſchwin— 
gen. Der eigentliche Angriff fey alfo mehr auf die Prin- 
zeffin, als auf den König gegangen, und da fie fich mit 
ihrem Marſchall vom Zuge ab auf den Berg begeben 


203 


hätte, fo ware Holmgeir feiner Sache ſchon fo gewiß 
gewefen, daß er in Lidkoͤping einen Priefter zur Trau— 
ung und auch das Hochzeitömahl habe beftellen laſſen. 
Dann habe er fofort eine Staffette an Birger-Iarl 
fenden wollen, um fich ihm als rechtmäßigen Eidam zum 
ichwebifchen Throne zu empfehlen. 


Der alte König erzählte diefes lächelnd den Seinigen, 
da alle Gefahr vorüber war, und ſprach: »Er hat nun 
feinen Lohn für viele Verbrechen und die finftere Heela 
zur Braut empfangen. Da mag er mit den Würmern 
das Beilager feiern; du aber, mein füßes Kind, folft 
bald eine Nachbarskrone auf Deinem Haupte tragen. « 


Er flreichelte Freya die Wangen, fie aber fchau: 
verte tief zufammen und ſchwieg; denn ed duͤnkte ihr die 
glänzende Vermählung mit dem Könige Häfen nicht 
weniger fchredlich, ald der Abgrund, darin Holmgeir 
fie geftürzt haben wiirde und dem fie nur Durch des 
Freundes Muth entflohen war. Doch befämpfte fie ihre - 
Empfindungen und Eüßte des guten Oheims Hand. »Was 
fagft Du, mein Toͤchterchen!« rief er, »auch Dein leich- 
tes Rößlein, das ich Dir fchenkte, ift wiedergefommen. 
Nimm es als ein guͤnſtiges Wahrzeichen Deiner Zukunft. 
Es weidete unter den Hirfchen im Thiergarten, nachdem 
ed den Räubern entfprungen war. Ad man am Mor- 
gen dad Thor öffnete und die Zugbruͤcke nieberließ, Fam 
ed .gefattelt und gezaumt auf den Schloßhof gerannt und 
wieherte hell auf unter Deinem Fenfter, daß Du es hö- 
ren follteft, als wollte es fagen: Ich bin auch wieder da. 
Du aber warft fchon zum Gebet in die Kapelle gegan- 


204 


gen, und dad Thierchen wollte fich ohne Die gar nr 
zufrieden fellen. « 

»Das Roß befchämt manchen König, « verſetzte — eya, 
»darum ſollte man treue Liebe auf Erden — als alle 
Kronen ehren.« 

»Ja, ja,« erwiederte der Ohein, »wenn Alles ſo 
waͤre, wie es ſeyn ſollte; aber es iſt einmal nicht ſo, und 
doch muß gelebt ſeyn und Muth gefaßt werden bis zur 
letzten Stunde.« | 

»Und Muth zum Sterben,« fprah Freya; jedoch 
fo leife, daß der alte König es nicht hörte; die Herzo— 
gin aber hörte es, und frafte fie mit einem verweifenden 
Blicke. 

In aͤhnlichen Geſpraͤchen druͤckte ſich die Stimmung 
der hohen Perſonen aus, welche ſich im Stillen zur gro— 
ßen und groͤßeren Trennung vorbereiteten, waͤhrend ſich 
der Hof in gewohnter Leichtigkeit um ſie her bewegt⸗ 
und nur fuͤr den Tag zu leben ſchien. | 

Die Genefung unfered Freundes rüdte unterbeffen 
mit rafchen Schritten fort, wenn er gleih das Bett 
noch nicht. verlaffen durfte und mit. der größeften Vor— 
ficht behandelt wurde. Hubert und Lido waren. feine 
gewöhnlichen Gefellfchafter und erfreuten ihn durch aller- 
lei Erzählungen und Mittheilungen, wie durch öfteres 
Borlefen norbifher Sagen, fo viel nur dem Erfteren 
feine übernommenen Malereien, und dem Leßteren feine 
Staatsgefchäfte für das Herzogthum es erlaubten. Prinz 
Erik und der Narr durften nun auch wieder zu ihm 
fommen, und wenn jener durch den Findlichen Adel ſei— 
ner Gefinnungen und Reden das Herz ihm ftillte, die- 


205 


fer durch feine Poffen ihn ergüßte, fo. erfreuten ihn Beide 
durch ihre ungeheuchelte Liebe und Anhänglichkeit. Der 
alte König ging freundlich ab und zu, und trank biöwei- 
len den Meth an feinem Bette, indem Hubert zur Laute 
fang, oder Lido aus alten Büchern allerlei Seltfamfei- 
ten vorlad. Auch die Herzogin und Freya mußten df- 
terd daran Xheil nehmen, wenn gleich die Prinzeffin fel- 
tener erfchien und Fürzer verweilte, je mehr Erwin fich 
der Genefung näherte und ihrer hülfreichen Pflege nicht 
mehr bedurfte. Einft fand fie mitten in der Vorlefung 
auf, um fich zu entfernen, und der König fprach fcher- 
zend, ald man fie die Stiege hinab zur Hausfapelle ei- 
len hörte: »Da geht fie. wieder hin zu ihrem himmli- 
fchen Freunde, welcher ihr immer unentbehrlicher wird. « 

» Unentbehrlich werden muß,« verfeßte Die Herzogin, 
»denn fie bedarf der Kraft und des Muths zu ihrer 
neuen Laufbahn, wie es einer Heldentochter geziemt, und 
dieſes kann fie nur vom Himmel hernehmen, der das 
Herz feft macht.« 

»Und kalt, durchlauchtigfte Gnade,« fiel der Narr 
ein, »benn es ift dort oben verzweifelt kalt und eifig, wie 
ich es mir einmal auf einem Kirchthurme verfucht habe. 
Aler Schnee und Hagel fommt ja von oben herab, 
darum bleibe ich lieber hier unten bei den warmen, ficht- 
baren Freunden, aus Fleifh und Blut gefchaffen, und 
gräme mich fehr, wenn fie, wie unfer Baumeifter, fo 
aus dem Stegereif ihr Blut vergießen und ihr. Sleifch 
zerhauen laſſen müffen! — Was hat er dafür, als einen 
großen Dank!« — 

»Du biſt zu übermüthig, Sons, und ed wird Zeit, 


206 


daß ich Dich wieder faften lafle,« ſprach die Herzogin 
mit drohendem Finger; der alte König aber lachte und 
rief: »Wahrlich, er hat recht, und Jeder nach feinem 
Geſchmacke!« — Der Narr aber kehrte gar demuͤthig 
feine Zafche um, aus welcher einige Brofamen und Kä- 
ferumen herausfielen, und ſprach entfchuldigend: »Da 
habe ich Käfe, da habe ich Brot! der Käfe bleibt Käfe, 
dad Brot bleibt Brot; aber e3 ift eine feltfame Zeit, 
wo die Narren nicht mehr naͤrriſch reden follen und bie 
Klugen nicht mehr Aug! ich denke, ber jüngfte Tag muß 
nicht fern mehr feyn.« 

»Du lügft, Narr, rief Prinz Erik aus, »Narren 
koͤnnen nicht denken, wohl aber Käfe effen und dumme 
Streiche machen.« — »Wie doch der Herr Gott,« ver: 
feßte der Narr emphatifch, »fih aus dem Munde der 
Säuglinge eine Macht wider alle feine Feinde bereitet!« 
Bei diefen Worten tanzte er mit tiefen Neverenzen aus 
dem Bimmer, und man hörte noch feine Schellenkappe 
unten auf dem Hofe, indem er fich zur freimilligen 
Strafe in feine Zelle des Nebengebaͤudes zuruͤckzog. 

»So macht er ed immer, wenn ihm feine Rede leid 
thut,« bemerkte Lido. »Und wer Eönnte ihm länger als 
einen Augenblid zümen?« fagte die Herzogin. »Iſt er 
doch,« fprah Hubert, »das feltfame Bruchſtuͤck einer 
Srrationalzahl, welches ſich niemals rationalifiren laͤßt, 
wiewohl es eine beftimmte Größe hat; man muß es 
aber gelten laſſen, weil es die Unvollfommenheit ver 
Zahlennatur fo mit fich bringt. « 

»Ich habe immer gefunden,« verſetzte der alte König 
lächelnd, »daß Zieffinn und Narrheit. dicht bei einander 


207 


ftehen und eins von dem andern gewedt und genährt 
wird; der Witz ift hier zweier Herren Diener, welcher 
bald dem einen, bald dem andern anhangt. Was fagt 
Shr dazu, mein lieber Meifter?« fragte er, zu Erwin 
fi) wendend. 


»Daß einige Dinge,« antwortete der Kranfe, »viel 
zu hoch und tief find, ald daß fie in vemünftige Rede 
gefaßt werden Fönnten, daher wir auch durch die thörichte 
Predigt, welche doch eine vollfommene Weisheit ift, felig 
werden follen.« — »Und diefe Predigt ift das Wort ber 
Liebe,« fagte der Abt Thiodolph, weldher unbemerkt 
hereingetreten war, nachdem er fich zuvor bei dem Koͤ— 
nige gemeldet hatte. Er bot Erwin mit diefen Worten 
treuberzig die Hand, und wünfchte ihm Gluͤck zu feiner 
Genefung. Bald fiel das Gefpräh auf den Bau des 
neuen Kloſters, da der Abt feinen früher entworfenen 
Riß zur Beurtheilung an Erwin übergeben hatte. Die: 
fer lobte einige und tabelte anderes daran, boch fand 
er im Ganzen die Anordnung verftändig und die Ver: 
hältniffe richtig, fo weit der byzantinifche Styl ed ver- 
lange. Der Abt verficherte, Daß er ganz davon abge= 
fanden fey und nur ald eine Antiquität ed ihm zur 
Kritik vorlege; denn feit Steinbach feinen neuen Bau- 
plan ihm eröffnet habe, fey dieſer ihm fo anziehend, daß 
er faft nicht davor habe fehlafen Fönnen; fo bitte er ihn 
inftändigft im Namen des Ordens, dies nach feiner Ge: 


nefung die erfte Arbeit feyn zu laflen, da ed für ein 


geiftliches Haus feyn, und aud gut belohnt werden folltte. 
Zum Frühlinge müffe der Bau beginnen, und fobald 


— 


208 


der Riß vollendet fey, koͤnne man mit dem Rund 
anfangen. 

Erwin wiederholte * ſeine Bereitwilligkeit, ſobald 
der Arzt es verſtatten wuͤrde, und ſoweit die Baupflich— 
ten in Bielbo es erlaubten, und Thiodolph ging ſehr 
zufrieden hinweg, indem er verſprach, bald wieder zu 
kommen und einige ſeltene Bücher ſeines Kloſters mitzu- 
bringen, woraus er ihm vorleſen wolle. — So bildete 
ſich eine engere Geſelligkeit und waͤrmere Mittheilung 

xum Erwins Lager, welche die bedeutendſten und ver— 
fchiedenartigften Menfchen eine kurze Weile im freundli— 
chen Zebenägeifte vereinigte, um dann in entgegengefeß- 
ten Richtungen defto weiter aus einander zu fliehen und 
vielleicht fich niemals wiederzufinden. Staatömänner, 
Kriegsoberfte, Priefter und Künftler fanden fich im Schloffe 
des alten, gemüthlichen Königs ein, theild um feine leb- 
ten Tage dankbar verehrend zu feiern, theils um den 
deutfchen Baumeifter kennen zu lernen, welcher eben. fo 
merkwürdig durch feine Thaten und Schidfale, ald durch 
die Werke feiner Kunft geworden war. Alle befuchten 
ihn wie eine Seltenheit, und Seder wollte von ihm et= 
was lernen oder gebaut haben, Jeder wollte den Gluͤcks— 
ritter fehen, welcher der ſchoͤnen Freya zweimal das £e- 
ben gerettet hatte und nun für fie verwundet dalag. 
- Doch die Meiften verwunderten fih, wenn fie einen fo 
einfachen, anfpruchslofen Süngling fanden, welcher, ftatt 
aller bedeutenden Worte und Geberden des beliebten 
romantifchen Ritterthbums, wie ein Mann aus dem Volke 
mit ihnen redete, und fich durchaus nicht geltend zu ma— 
chen wußte. Wenige begriffen, wie der große Erzbiſchof 


209 


Serenius fein Freund und der berühmte Herzog Bir: 
ger fein Gönner feyn Fünnte, da man doch wohl auf 
allen Landftraßen einen folhen Mann finden dürfte. 
Auch des Königs Vorliebe und Freya's Neigung zu 
ihm blieben nicht verborgen; faſt alle dieſe Neugierigen 
nannten es ein unverdientes und unerhörtes Gluͤck, und 
faft alle weiffagten ihm einen nahen Fall. Nur der en: 
gere Kreis der Gefellfchaft Ternte ihn immer mehr ach: 
ten, indem er nicht nur fein Bautalent. bewunderte, 
fondern von feiner gründlichen innern Bildung fich an: 
gezogen fühlte. Der Gefandte Pariſius rühmte fich 
oft feines einfachen und gehaltvollen Landsmannes, wel: 
cher ein Deutfcher in der reinften Seftalt fy. Hubert 
und Lido fchwiegen, doch wurden fie immer tiefer im 
Beifte mit ihm befreundet und entbehrten, wenn er 
nicht zugegen war. Doch mas er eigentlich gelte, was 
fein Leben bedeute, das wußte Freya allein in diefem 
ganzen Kreiſe; denn nur die Liebe erkennt das ewige 
Schöne im Geliebten und hat ein klares Auge für bie 
verborgenften Tiefen feines Herzens. . 

Unterdeffen war die Zeit herbeigerüdt, da bie Her- 
zogin ihre Abreife nach Bielbo nicht Langer verfchieben 
konnte, wie fchwer ed ihr auch wurde, den theuren Bru— 
der zu verlaffen, welchen fie vielleicht nicht wieberfehen 
follte. Schon hatte fie von Neuem, um Erwind Ber: 
‚ wundung, welchen fie als ihren Hausgenoſſen anfah, 
und dem fie fich doppelt verpflichtet fühlte, einige Wo— 
chen zugegeben. Nun, da er faft hergeftellt ſchien und 
auch Freya in ihre gewohnten Schranken zurüdtreten 
durfte, wiewohl fie mit Prinz Erik bei dem Oheim 

Erwin von Gteinbah, 1. 14 


210 





bfieb, ordnete fie insgeheim ihre Abreife, und an einem 
ftillen Nebelmorgen hielten. früh die Neifewagen der Her: 
zogin und ihres Gefolges am Portale des Schlofjes. 
Nur Lido, der Stallmeifter und einige Damen follten 
fie begleiten, die übrigen Glieder ihres Haufes bei dem 
alten Könige bleiben, bis er nach der Reſidenz Upfala 
zurüdfehre. Der Eöniglihe Bruder war eben aufgeftan- 
den, al3 fie in Reiſekleidern zu ihm emtrat und fich 
ftar machte, um Abfchied von ihm zu nehmen. »Du 
willft alfo nun von mir fcheiden, Ingeborg?« fagte 
er. »Habe taufend Dank für Deine treue Liebe! Ich 
danke Dir auch für alle die Freuden, welche Deine hols 
den Kinder mir machten und die Du mir noch einige 
Tage laffen wilft. Du haft fie erzogen, Dein reines 
Blut fließt in ihren Adern und des Vaters Heldenfeuer. 
Es find Föftliche Kleinode, die Du noch zuletzt an meine 
nordifche Bruſt legſt. Nun, wir werden und wieberfe- 
ben, wenn nicht mehr bier, doch in dem fchönen Para— 
diesgarten jenfeit5 der Welt. Das glaube ich feft, das 
glaube auch Du und fey froh!« — 

Die Herzogin ſank mit ftummen Thränen an feine 
Bruft, dann raffte fie fich auf und der König führte fie 
feft die Stiege hinunter bis zum Portale. — »Merden 
wir uns wiederſehen, theurer Erif?« fragte fie mit er: 
ftifenden Thränen, als fie nicht weit mehr. vom Ein- 
gange waren, wo die Wagen hielten und ihr Gefolge 
fhon wartete. »Werden wir uns fehen, wenn der Staub 
zerfällt ?« — »Immer, lieb’ Ingeborg,« verfehte der 
alte Herrfcher mit einem hohen Lächeln, »fey getroft; 
Chriſtus lebt, und wo er ift, da follen auch wir feyn. 


211 


Laß Dich nur durch die müffigen Philofophen unferer 
Tage nicht irre machen!« Mit diefen Worten führte er 
fie bi$ an den Schlag der Kutfche und hob fie mit ei- 
gener Hand hinein, indem er noch zuvor einen langen, 
berzinnigen Kuß auf ihre Lippen drüdte. — »DenP auch 
mal an unfere Jugendjahre,« fagte er faft fcherzend, 
»fie waren fo fröhlich und wir werden noch einmal wie: 
der Kinder feyn, — alles Andere haben wir abgethan, 
meine Sngeborg!« 

Lido und ber Stallmeifter faßen ſchon zu Pferde, 
um den Wagen zu geleiten; fie hatten fich früher bei 
dem Könige beurlaubt; die Hofdamen folgten der Herzo- 
gin und wurden von den Hofbeamten des Königs in 
die Kutfche gehoben; der König felbft ſchloß den Schlag 
mit treuer Hand, indem er noch einmal der ſchluchzenden 
Schweſter die Rechte reichte. 

»Nun reiſe mit des Allmaͤchtigen Geleite!« rief er, 
»und ziehe hin in Frieden!« Sie ſah eine ſchoͤne Thraͤne in 
feinen hellblauen Augen beben, der Morgenwind Tüftete 
leife feine duͤnnen, weißen Locken, und in allen feinen 
Mienen war eine faft verflärte Güte und Freundlichkeit. 
Er nidte ihr noch zu, wie aus früheren Tagen. — Da 
rollte der Wagen hinweg, unaufhaltfam aus dem Shore 
bis zum Gebirge. Im Nebel verfhwand das Bild der 
alten Treue, ein Strom von Thränen ergoß ſich aus ih- 
ren Augen, und fie kam erft zu fich felbit, da der Nebel 
gefunfen war und fie auf einer Anhöhe den erften . 
Schnee des Winters erblidte, 


14* 


Dreizehntes Kapitel. 


—ñ—f nn nn 


Mach der Abreife der Herzogin erfchien der König ern: 
fter und in fich gefehrter, als gewöhnlich), und arbeitete 
viel mit dem Kanzler und Reichsdroſt in feinem Kabi- 
net, zur Vollendung der neuen fchwedifchen Gefeßgebung, 
welche ſich im Laufe feiner Regierung durch allerlei heil- 
fame Verorbnungen immer weiter ausgebildet hatte. — 
Er wollte nun mit der noch übrigen Kraft die lebte 
Hand daran legen, und feinem Bolfe in derfelben durch 
Teftftelung der Eigenthumsrechte und des Münzfußes 
ein väterliched Teſtament zurüclaffen. Befonderd hatte 
er den Bauernftand darin bedacht, indem er die Theis 
lung ber Aeder in den Dorfichaften vornahm, und einem 
jeden Landmann feinen Feldraum und fein eigene Ge— 
biet anwies, wo er für fich und feine Nachkommen einen 
‚Hof bauen und wohnen fünne. — Der herrfchfüchtige 
Nitterftand und die übermächtige Geiftlichkeit waren 
zwar damit wenig zufrieden, meil fie biöher durch Ab: 
haͤngigkeitsverhaͤltniſſe das Volk nach Willkuͤr gefnechtet 
hatten; doch ſtanden die Maͤchtigſten des Reichs mit 
Birger-Jarl auf des Koͤnigs Seite, und er fand au— 
ßerdem durch die Vorrechte, welche er den Staͤdten er— 
theilt hatte, an den immer mehr ſich hebenden Gilden 


213 


und Innungen, fo wie an dem unternehmenben Kauf- 
mannöftande, fehr feſte Stügen. — 

Sp ging die Arbeit, mit Zuziehung einiger alten 
Käthe, Lagmanner, raſch von Statten, und das Feftge- 
ftelte wurde in diefem günftigen Zeitpunfte, wo alle 
feine Feinde gedämpft, und mit Norwegen freundfchaft- 
liche Verbindungen angefnüpft waren, fofort ind Werf 
gerichtet. — Diefe wichtigen Gefchäfte fehienen ihn über 
die Trennung von feiner geliebten Schwefter zu zer: 
fireuen, und feinen ſchon reifefertigen Geift auf das 
Nothwendigfte zu heiten, um zuvor noch fein großes 
Haus des ſchwediſchen Reichs zu beftelen. — Der 
Droft und der Kanzler waren feine Freunde, und wuß— 
- ten nicht genug in diefer Zeit feine Tchätigkeit und Um- 
fiht zu rühmen, wie er mit jugendlicher Munterkeit nach 
allen Seiten bin fich auöbreite und jede Lüde in der 
Staatöverwaltung auszufüllen ſuche. — 

Nur am Morgen und Abend war er einige Stun- 
den mit feinen Schwefterfindern Freya und Erik, und 
ergößte fich mit ihnen auf Spaziergängen im nahen 
Zhiergarten, oder durch Jagd und Fifchfang, wenngleich 
die ſchon rauhere ‚Sahreszeit folche Unterhaltungen fehr 
abkürzte. — 

Seltener fam er auf Erwins Zimmer, feit die 
Herzogin abgereiöt war; doch zeigte er ihm diefelbe 
Güte und Freundlichkeit, wenngleich oft mit einer fanf- 
ten Traurigkeit vermifcht, ald wenn er faft unbewußt 
den Kampf feined Innern theiltee — Wenn er kam, 
fo begleiteten ihn, wie ihren Vater, Freya und Erif, 
und immer eilte Erftere mit ihm hinweg, nachdem fie 


214 





Erwin einige freundliche Worte gefagt hatte. Es fchien, 
als wenn fie das längere Verweilen fürchte; doch zau— 
berte ihr Fuß, wenn der alte König wieder aufbrach 
und fie zu einem Spazierritte aufforderte. 

Unterdeſſen rüdte die Genefung unfers verwundeten 
Freundes mit rafchen Schritten, unter Huberts Pflege, 
von Tage zu Lage vor, und fchon durfte er einige Stun 
den außer dem Bette feyn, welche Zeit er denn benußte, 
um für den Abt Thiodolph den Klofterriß zu entwer- 
fen. — Diefer freundliche Mann hatte fein Mort ges 
halten und ihn fleißig befucht, indem er.alte, feltene 
Handfchriften mitbrachte, woraus er ihm vorlas, wenn 
Erwin, nach) des Arztes Verlangen, auf feinem Lager 
fi auögeftredt und ruhig verhalten mußte. — Er 
pflegte dann die Augen zu fehließen, um in ber fonoren 
Stimme des Abts die Erzählungen aus dem Älteften Schwe: 
den, über feine Heerzüge und fein Berg- und Hütten: 
leben, wie bedeutende Schaften an feiner Seele vorüber: 
gehen zu laſſen. — Die reeitirenden, faft monotonen 
Accente verfchmolzen Alles in feiner Phantafie zu einem 
großen, harmonifchen Gemälde, dem es auch nit an 
Iprifchen Zönen und ahnungsvollen Fernen fehlte. — 
Es waren diefelben Charaktere, welche ihn noch umga— 
ben und während feiner Krankheit an feinem Lager vor- 
über gegangen waren, nur aus einer viel früheren Zeit 
und. auf einer anderen Bildungsſtufe. — So fhwamm 
oft vor feiner Seele dad Gegenwärtige mit dem Längft- 
vergangenen zufammen, und in Beiden fpiegelte fich 
gleihfam mit prophetiihem Angefichte die Zukunft, indem 
fie die Liebe aus der Gegenwart, aber die Stärfe aus 


215 


— 


der Vorzeit nahm. — Er ſah Freya in tauſend Bil: 
dern edler und heldenmüthiger Frauen mehr oder weni: 
ger angebeutet und ausgeführt; die Verfchiedenheiten von 
ihr erfchienen ihm oft nur wie verunglüdte Erzgüffe, wo 
das erftarrende Metall nicht alle Formen ausfüllt, und 
darum , bei hoher Schönheit, hie und da eine deſto mie 
berwärtigere Mißgeftalt zuruͤcklaͤßt, oder durch bie fpröde, 
unverfchmolzene Maſſe üble Riffe hervorbringt. — Bier 
zerftörte das reine Bild ihrer Achnlichkeit eine einbres 
chende blinde Xeidenfchaft, dort blieb es bei vorzüglichen 
Gaben unerreicht in einer falten, gemüthlofen Ruhe; hier 
- fhien ihm der Glanz des Geiftes zu fehlen, dort bie 
Haren, fehuldlofen Sinne; bier warb das reine Weibliche 
mit männlicher Härte überfchritten, dort mit zerfließen- 
der Weichheit und Hingebung befledt. — So mußte 
ihm Alles aus der Vor- und Mitwelt nur zur Verherr: 
lichung ihrer Perfönlichkeit dienen, und er dußerte öfter 
gegen Hubert, daß nur Freya das echte Sungfräuliche - 
fey, indem er ihn aufforderte, fie für feine Anfcharkicche 
als eine heilige Margaretha, auf den Drachen tretend, 
zu „malen. — Auch in den nordifchen Männern ber 
frühen Vorwelt meinte er fchon die Vorbilder und 
Gleihniffe zu Serenius und Birger-Jarl zu erken: 
nen, indem er ihre Anlagen zufammenftellte und, bei lei: 
fer Wendung ihrer Schikfale, aͤhnliche Charaktere herz 
ausbrachte. — Die Belchreibung ihrer Feldzüge und 
Seeſchlachten wurden ihm oft epifch gegenwärtig, und er 
tomponirte ſich im Geifte fofort die Burgen und Flotten, 
worauf fie, nach ihrer verfchiedenen Eigenthümlichkeit, 
den größten Theil ihres Lebens zugebracht hatten. Go: 





216 





gar ihre Gefpräche ftellten ſich oft, in charaktervollem 
Gegenſatze, feinem fchöpferifchen Geifte dar, und erflär- 
ten ihm ihre Thaten in der Gefchichte, wo große Luͤcken 
fich zeigten, durch folgerechte Verknüpfung von Urfachen 
und Wirkungen. — Biöweilen erzählte er nach folchen 
Borlefungen des Abtes feinem Freunde Hubert von 
diefen innern fortlaufenden Geftaltungen, doch wie fehr 
diefer auch davon angezogen wurde und die Kühnheit 
der Bilder bewunderte, fo fchüttelte er doch gewoͤhnlich 
am Ende bedenklich den Kopf, indem. er diefe feltene 
Poefie für eine zu große Reizbarfeit des Gehirns er= 
Härte, welche durch die Vorleſung erregt feyn bürfte, 
und baver ihn der gute Arzt befonderd gewarnt habe. 
Gewöhnlich folgte auch eine fchlaflofe und bildervolle 
Nacht, und Erwin mußte biefen productiven Geiftes- 
genuß oft noch mehrere Tage büßen. — 

Indeffen war in einer Woche der angefangene Riß 
des neuen Karmeliterflofterd für den Abt Thiodolph 
vollendet, welcher dann von ihm und dem Orden mit 
großem Beifall aufgenommen wurde. Auf mehreren 
großen Pergamenten fland er im Grundriß und Aufriß, 
fo wie im Durchfchnitt und in der perfpectivifchen An— 
ficht, nahe an Erwins Lager, und ward von den Dr- 
Denögeiftlichen, wie von manchen DL, befeben, be= 
urtheilt und bewundert. 

Auch der alte König Fam mit Freya und Erik, 
um die fo fchnell vollendete Arbeit des Meifterd in Aus 
genfhein zu nehmen, bevor man fie abfende. — »Wenn 
ich nicht König wäre, « fprach der Alte launig, »fo möchte 
ih der Abt eines folchen Kloſters ſeyn; denn e3 laßt 


217 


— —— — — — 


ſich gar bequem, friedevoll und anmuthig darin wohnen. 
Doch ſtatt der Moͤnche muͤßte ich alle meine alten 
Waffenfreunde um mich her verſammeln, und ſtatt der 
Hora muͤßten meine Skalden ihre Harfen anſchlagen. 
Auch einige Gartenſtuͤbchen im ſuͤdlichen Fluͤgel wuͤrde 
ich mir fuͤr Freya und Erik noch vorbehalten, und, 
wenn es nicht anders ſeyn koͤnnte, meine ſchoͤne Nichte 
als Sakriſtan verkleiden, um fie immer bei mir zu ha— 
ben. Nicht wahr, mein Xöchterchen,« fprach der alte 
König, indem er der Prinzeffin die erröthenden Wangen 
Eopfte, »in einem Klofter, was Dein lieber Marfchall 
gebaut hätte, möchteft Du wohl mit mir wohnen und 
die ganze Welt vergefien?« 

»Und wenn ich nicht darin wohnen darf,« verfeßte 
Freya fehmerzlich laͤchelnd, »fo will ich es doch für 
fromme Schweftern mir erbauen laflen; darum bitte ich 
Euch, werther Marfchall, entwerfet auch mir einen ähn- 
lichen Riß für ein normwegifches Nonnenklofter, welches 
auf einem Felfen hart am Meere liegen foll, und wo 
man frei die Sonne auf- und untergehen ſieht. Da 
möchte ich öfter verweilen und zur andächtigen Wall- 
fahrt ein verhülltes Heiligenbild aufftellen. Nicht wahr, 
ihr erfüllet meinen Wunfch?« 

»Mie gern, Prinzeffin,« verfebte Erwin, »wenn es 
_ Euer Ernft damit wäre; und ich dächte, dieſe Arbeit 
follte nicht die fchlechtefte werben; denn was ich für 
Euch entwerfe, bat einen doppelten "Beruf! Doch Ihr 
cherzet wohl nur ?« — 

»Mein, mein ganzer Ernft, Ritter!« ermwiederte fie; 
»pielleicht ziehe ich im Unglüd oder im Alter auch noch 


218 


— — —— — — — —— 


ſelbſt einmal hinein, und werde Aebtiſſin in Eurem Klo: 
fer; dann foll jede Fenfterrofe mid an Euch erinnern 
und Eure Farben führen!« 

»Doch welches verhüllte Heiligenbild willſt Du, 
mein Zöchterchen, dort aufftellen und anbeten?« fragte 
der alte König fcherzend. 

»Ich denke, die heilige Hildegard,« fagte Freya 
zu Erwin gewandt; »doch muß fie einen langen wei- 
Ben Schleier haben, daß nicht ein Jeder fie fehen kann, 
fondern nur, deß Herz gereinigt ift, der mag den Schleier 
lüften und fie von Angeficht fehauen!« — 

»Wie wißig heute Schwefter Freya ift!« rief Prinz 
Erik, welcher mit dem Narren hereingetreten war, um 
den Bauriß zu betrachten. | 

»Ach, ſeht Ihr nicht,« ſprach der Narr, »dem ar- 
men kunſtreichen Ritter gehen bei dieſem Witz die Augen 
uͤber! Wenn das Heiligenbild ſchon in Gedanken eine 
ſolche Wehmuth bei ihm hervorbringt, wie viel mehr 
wird das Wirkliche einſt thun? Ich denke, es kann 
Steine erweichen und Felſen zerſchmelzen!« — 

»Erſt dann, Joͤns,« ſprach ter König, »wenn Du 
vernünftig wirft, und dann werden wohl überhaupt Feine 
Thränen mehr geweint, denn Du bleibft ein Narr bis 
an den jüngften Zag!« 

Der König hatte diefes mit einem  farkaftifchen 
Ernfte gefagt, und wider feine Gewohnheit ftrenge, denn 
er fah Erwins innere Bewegung und fühlte das tiefe 
Gewicht, welches Freya diefen fcherzenden Worten gab. 
— Der arme Joͤns ward dadurd ganz eingefchlichtert 
und ſchlich fich befchamt aus dem Zimmer weg, indem 


219 


er theilnehmend noch nah Erwin fi umblidte, als 
wollte er fagen: Verzeih' mir’, wenn ih Thor Dir 
wehe gethan habe! — Prinz Erik aber umfaßte feinen 
Freund Steinbach, und rief, indem er ihn herzlich 
füßte: »Erft, mein Leben, folft Du gefund werben 
und mit mir eine Keife thun, dann magft Du für 
Schwefter Freya Klöfter zeichnen, fo viel fie will, 
und Feine Prinzeſſin fol Di mehr aus der Faſſung 
bringen!« — 

»Ja, ich bin noch fehr ſchwach und wund,« fagte 
Erwin, »ich muß um Verzeihung bitten.« — 

»Nein ich, werther Ritter,« verſetzte Freya ſchnell, 
und gab ihm erroͤthend die Hand. — »Das Scherzen 
mit Euch geziemt mir nicht, denn der freue Freund ift 
immer eine fehr ernfte und heilige Sache; darum ver: 
zeiht meiner feltfamen Stimmung, melde oft, ohne e3 
zu willen, Freunde wie Feinde verlegt. — Aber zum 
Klofter gebt mir den Riß, wenn Ihr erft gefund feyd, 
wie Bruder Erik fo richtig bemerkt hat. Die Heilige - 
möchte ich fpäter einft von Eurem kunſtreichen Meißel 
mir verfertigen laſſen, welchen Namen fie auch führen 
folle.« — | 

»Das LKebtere geht nicht,« fagte Erwin, »benn 
Shr würdet Euch felbft doch nicht anbeten wollen.« — 

»Bravo!« rief. der König, »fo bleibt der Mann 
Doch immer der Sieger, wie ſich's gebührt von Rechts⸗ 
wegen; denn mit einem Schlage giebt er Dir zurüd, 
was Du ihm mit vielen zugetheilt hatteft!« 

»Ach,« fagte Freya mit liebenswürdiger Verwir: 
rung, »ich möchte mich wohl felbft in jenen weißen 


220 


Schleier verhüllen, fo Daß Niemand mic, fehen Tönnte! « 

Sie verneigte fi) vor dem Meifter, ald dankte fie 
ihm, indem fie fi) an dem Arme einer Hofvame ent: 
fernte, und Erwin gedachte nicht ohne Rührung des 
Traumes, da Hildegard ihn mit ihrem weißen Schleier 
bedeckte, um die Flammen zu löfchen. Konnte davon 
doch Freya nichts wiffen, und dennoch begegneten fich 
die verwandten Ahnungen, ald wenn fie mit einander 
einverftanden wären. — Er theilte fpäter feinem Freunde 
Hubert diefe Bemerkungen mit, welcher ausrief: »Ja, 
dad ganze menfchliche Leben ift ein tieffinniges Gemebe 
des Fremden und Bekannten, fo daß aus dem Entge- 
gengefeßten ganz ähnliche Bilder entftehen, und es beu- 
tet eben deshalb auf einen höheren geiftigen Mittelpunkt 
hin, aus dem alle diefe Fäden hervorlaufen, und in wel- 
chen fie alle, als in ihr Ende, zurüdführen. Wir mei- 
nen oft einen tiefen Gedanken für uns felbft zu haben, 
und thun damit wunder geheim, al3 ſey der Stein ber 
MWeifen gefunden; doch bald ergiebt es fich zu unferer 
nicht geringen Beſchaͤmung, daß viele Menfchen ihn 
gleichzeitig mit und theilten, und oft in weit größerer 
Bollfommenheit, ald wir ihn empfangen hatten. — Der 
Zeitgeift hat ihn hervorgebracht, nicht wir felbft; er ver: 
wandelt ihn auch und führt ihn in neue Kreife ein. 
So ftreitet man fich über den rechten Urheber der wich— 
tigften Erfindungen, als in der Mechanik oder Phyfik, 
und bedenkt nicht, daß mehrere zugleich darauf gerathen 
feyn dürften. — Sa, wie möchten wir fonft auch das 
Gute und Schöne fo allgemein anerfennend verehren, 
fobald es ind Leben tritt, wenn es nicht ein Gemeingut 


221 


— 


der Menſchheit waͤre und ſchon zuvor von unſerm Geiſte 
geahnet und begehrt wuͤrde. Sobald es ins Daſeyn 
tritt, ſcheint es uns das Wirkliche zu ſeyn, und wir 
wundern uns mehr daruͤber, daß es zuvor nicht war, als 
daß es jetzt ifl.« 

»So wird es mir auch wunderbar vorkommen,« 
verſetzt Erwin, »wenn ich nach wenigen Monaten 
Freya nicht mehr ſehen ſoll, da ſie mir doch durch ihre 
hohe Geiſtigkeit und leibliche Grazie das Allerbekannteſte 
und Wirklichſte geworden iſt. — Das ganze Leben 
wird mir ohne Kern dann erfcheinen, und, wie ein dunſt— 
förmiger Komet, »meine Augen umnebeln, indem es mei- 
nen Fuß in ungemeff’ne Bahnen führt.« — 

»Und doch ‚« fagte Hubert lächelnd, »wirft Du 
Dih an ded guten Hirten Hand bald wieder zurecht 
finden; denn er ift das Leben und die Wahrheit felbft, 
und der Stern wird fich ſchon wieder einftellen müffen. « 

Als unter folhen und ähnlichen Gefprächen die 
Freunde einft ruhig und gemüthlich bei einander faßen, 
erhielt Erwin einen Brief von Emund, worin diefer 
ihm meldete, daß ein Aufftand unter den Steinmeben in 
Bielbo geweſen fey, und, wenn er gleich von ihm ge— 
ftitt worden, doch Steinbachs Gegenwart mehr und 
mehr nothwendig werde, damit der Schloßbau nicht neue 
Hemmungen erleide, indem bie große Maſſe der Stein- 
metzen erklärt hätte, daß ſie nur ihm, ihrem Obermeiſter, 
Gehorſam ſchuldig waͤren. — 

»Kommt, ſobald Eure Wunde es erlaubt,« ſchloß 
der Brief, »denn auch die wichtige Arbeit der oberen 
Geſchoſſe verlangt Euren leitenden Geiſt und Eure fri— 





222 


fhen Kräfter Ich kann, bei dem beften Willen, meh- 
rere Tauſend Arbeiter aus allerlei Wolf nicht in Orb: 
nung halten, und wenn ich es auch koͤnnte, fo habt Ihr 
doch das Wort der Macht, und müßt befehlen, wie e3 
feyn fol. Dazu wird der Herzog cheftens zurüderwartet, 
und möchte fi) wundern, wenn er Euch hier nicht vor- 
findet. Benutzt alfo, wenn der Arzt es erlaubt, den er- 
ften heitern Tag und kommt zu uns berüber, An die 
freue Bruft wird Euch fchließen 
Euer Zunftgenoffe und Freund 
Emund.« 


„Ja,« rief Erwin aus, indem er dieſes Sendſchrei⸗ 
ben dem Hubert zu leſen gab, »der ſtille Sonntag iſt 
verſtrichen, und es wird nun endlich einmal Zeit, daß 
ich wieder in die Werktagsarbeit eintretet« — 

»Eobald Deine Wunde es ohne Gefahr verftattet,« 
verfeßte Hubert; »früher laſſe ich Dich nicht aus mei— 
nen Händen, was auch alle Herzöge diefer Welt dage— 
gen einwenden mögen!« 

» Auch nicht, wenn die Pflicht ruft!« fragte Erwin. 

»Du haft feine Pflicht,« erwiederte Hubert, raſch 
einfallend, »um Dich für einen fremden Herzog aufzu: 
opfern, und ihm fein Schloß einen Monat früher zu 
vollenden. — Dein Baterland ruft Dich zur erften 
Pfliht auf, dann Deine edlen Freunde zu Lund, wo 
Du ein Gotteshaus bauen folft! Es ift genug, daß Du 
Dich hier für die Tochter des Herzogs zerhauen Ließeft; 
Du folft um feiner herrfchfüchtigen Ungebuld und um 
der fehlechten Ordnung unter den fehwedifchen Stein 


223 


meßen willen nicht Dein mir fo theures Leben verlieren! 
Dazu Fann ich nicht mit Dir gehen, weil ich noch ange— 
fangene Gemälde zu vollenden habe, und Kaspar ift 
ja auch noch immer nicht da. — E85 fcheint faft, als habe 
er fich in die nordifchen Klüfte fo ganz vertieft, daß er 
nicht wieder herausfinden koͤnne, und Freundfchaft und 
Alles über feine Naturbegeifterung vergeffen. « 

»Schilt ihn mir nicht,« verfeßte Erwin lächelnd, 
»denn die Kunft iſt feine Braut und befigt ihn ganz 
und gar!« — 

»Mag fie doch,« fagte Hubert, »nur muß er fein 
Wort halten!« 

Der Arzt, welcher fofort von den Freunden über 
die Abreife befragt wurde, erflärte, daß Erwin menig- 
ftend noch acht Tage warten müffe, wie gut auch die 
Heilung fi anlafle, um ſich erfi an die Luft und Be— 
wegung zu gewöhnen, bevor er fich nach Bielbo auf 
den Weg machen könne. Leicht dürfte fonft durch die 
ungewohnte Anftrengung der weiten Neife ein NRüdfall 
eintreten, und er koͤnne dann für nichts einftehen; denn 
die Hald und Kopfwunden wären von. der gefährlich 
fien Art, und koͤnnten leicht fih von Neuem ent: 
zünden. — 

Auch der alte König rieth fehr freundlich zum Da— 
bleiben, bis die Wunde ganz geheilt fey, indem er hinzus 
feste, dag Erwin ihm ein angenehmer Gefellfchafter ger 
worden wäre, welchen er ungern von fich laffen und 
noch lange vermiffen würde. 

Freya und Erik freuten fich im Stillen der Ent- 
fheidung des Oheims, fo wie Hubert und der Narr 


224 
laut beſtaͤtigten, daß dieſes das Beſte waͤre. — Alſo 
ward beſchloſſen, daß Erwin von nun an ſich mehr 
Bewegung machen und öfter an die friſche Luft gehen 
folle, da er bisher die Stunden der Genefung für feine 
Kiffe zum Klofterbau faft allein benußt hatte. — 

»Es wird endlich Beit,« fprach der Arzt, »daß Ihr 
nicht blos für Andere, fondern auch für Euch felbft forgt, 
fonft Fann die gefunde Kraft Euch nicht wiederfehren, 
und Ihr werdet fie bald von Nöthen haben! — 

Ermwind erfter Ausgang war in das Malerzimmer, 
wohin Hubert ihn mit dem Abte Thiodolph führte, 
um ihnen das große Familienbild zu zeigen, welches er 
fo eben vollendet hatte. — 

Es ftand am hohen Bogenfenfter, und ein heiteres, 
Fräftiges Morgenlicht, welches von oben einfiel, da bie 
Lucht unten mit Schirmen verdedt war, gewährte eine 
fehr reine Beleuchtung. Noch hatte Erwin es nicht 
gefehen, wie fehr er es oft wünfchte, weil der Freund 
ed ihm nur vollendet vor Augen ftellen wollte. Es be— 
fand fich noch auf der Staffelei, doch ſchon im laͤngſt 
bereiteten goldenen Rahmen, und that nun feine ganze 
Wirkung Erwin ward tief davon bewegt, und fog 
die koͤſtlichen Formen, mit den warmen, gefättigten Far: 
bentönen, gleichfam in feine Seele ein. Es hatte ihn, 
wie viel Gutes er auch davon gehört, dennoch. über- 
raſcht. Range blieb er ohne Worte ftehen — und große 
Thränen drängten fich aus feinen Augen hervor, indem 
er dem Freunde die Hand drüdte. — 

»Du haft es herrlich vollendet,« rief er endlich aus, 
„und Gott fegne Dich dafür durch eine glücliche Liebe! « 


223 


»Seht,« fprach er, zu dem Abte lebhaft fich men- 
dend, »es ift ver Hauch des himmlifchen Friedens, mwel- 
cher vom alten Könige ausgeht, und fich wie ein frifcher 
Motgenduft über dad ganze Bild verbreitet! — Wie 
gemüthlich fißt er da am Porphyrtifche mit feiner edlen 
Scmefter, indem er die Hand an den goldenen Becher 
legt, darin der funfelnde Wein blinft. Wie Föftlich find 
die Pfirfihe und Trauben, welche .in dem Korbe aus 
filbernen Reifen vor ihnen ftehen, und wie wahr ift das 
weiße Brot gemalt, welches durchfchnitten neben ihnen 
liegt; wie unnachahmlic natürlich daS Fruchtmeffer mit 
der Perlmutterfhale, an welches die Herzogin ihre zarte 
Hand legt, um eine Nebmelone, die gleichfam duftet in 
fchöner Reife, mit der Linken aus dem Korbe hebend, 
für den lieben Bruder zu zerlegen? Sa, es Fönnte uns 
nach biefen faftigen Früchten faft lüftern, wenn das Auge 
nicht durch viel Schöneres fogleich gefeffelt würde. Den 
Kopf des Königs hat er recht con amore gemalt; da 
fieht man den kecken, meifterlihen Pinfel in jeder Run— 
zel des wadern Angeſichts; in jeder Lode des Hauptes, 
in jedem Haate des Bartes hat er ihn charakteriftifch 
aufgefaßt, und den ehrwürdigen Schnee feines Alters fo 
dargeftellt, wie ich ihn bei Feinem Andern noch fah; doc) 
fein freundlicher Mund voll harmlofer Scherze, feine 
freie Stirn, der Gerechtigkeit Zeugin, fein gütiges hell- 
blaued Auge, im fchilernden Wafler des Nordens und 
mit den röthlichen Aederchen durchzogen, voll wäterlicher 
Huld und Erbarmung: fie find unnachahmlicdy wahr ge- 
troffen! Auch finde ich darin einen glüdlichen Geban- 
fen, daß er ihn im bequemen Hauskleide von grauer 

Erwin von Steinbach. IT, 15 


226 





Seide dargeftellt hat, und nur an dem foftbaren Gurt 
und Schwerte, welche unter vemfelben hervorbliden, den 
König und ahnen läßt; ift er doch fehon genug durch 
feine Mienen und Geberden bezeichnet. Man fieht 
es ihm beim erften Blide an, daß er ein großes 
Volk regiert. — Auch die Lafurtöne find befonders 
gelungen, und das röthliche und gelbliche Fleiſch ift da— 
mit berrlich herausgebradht. — Dagegen ift das Antlitz 
feiner ähnlichen und doch fo verfchiedenartigen Schwefter 
gleichfam das Bild der verhüllten Kunft, wie im Könige 
der offenbaren. Sa, Hubert hat fie faft farblos ge= 
malt, in Elarer Bläffe und wie aus einem Tone, gleich 
einer weißen Traube, gehalten, und dennoch ift es wah- 
red Sleifch, voll Geift und voll Leben. So wie in dem 
Kopfe des Königs fich jeder Pinfelftrich zeigt, fo möchte ich 
Dagegen fragen: womit ift fie gemalt? ift fie hingehaucht ? 
Denn Alles ift vertrieben, wie eine erleuchtete Kugel, 
und man fieht durchaus Fein materielle Werkzeug mehr. 
— Diefer Kopf muß die größefte Mühe gemacht haben, 
denn alle Mühe ift in ihrer Spur hier vertilgt. Das 
Diadem von großen Edelfteinen im einfachen dunkel— 
braunen Haare ift der einzige Schmud der Herzogin; 
dad dunfelblaue Sammetkleid an ihrem blendenden Halfe 
und Bufen ift ernft und bedeutfam, und die Hand, 
welche die Melone heraushebt, ift von befonderem Adel, 
da die andere, welche nach dem Meſſer ſich ausſtreckt, 
lieblicher erfcheint. Selbft der dunfelbraune Porphyr= 
ftein des Tiſches giebt für Alles, was darauf fleht, einen 
malerifchen Grund ab. — 

Was. fol ich Euch aber von meinem Prinz Erik 


227 


fagen, welcher dem koͤniglichen Oheim auf der Garten: 
bank kindlich fich anfchmiegt und mit dem großen Jagd— 
hunde fpielt? Der Knabe ift es felbft, wie er leibt und 
lebt; das fchöne Antlitz fpielt in der füßeften Kindes— 
unfhuld, und es ift eine harmlofe Fröhlichkeit in allen 
feinen Zügen, die, bei diefem Adel der Formen, nur ihm 
eigenthuͤmlich ſeyn kann. Man fieht deutlich hier den 
Sohn eines großen Helden, in zarten Zebenstraum der 
frühen Jahre noch verfunfen, und das edle Blut rollt 
munter und furchtlos durch die bläulichen Adern an den 
Schläfen und Händen hin. Da möchte ich mit Hu- 
bert fagen: »Es ift Feine Kunft, zu malen, denn die— 
ſes Bild malt fich von felber!« — Auch fein hellblaue 
fammtnes Jaͤckchen mit filbernen Litzen, Schnüren und 
Knöpfen, über die weißen ledernen Beinkleider geknoͤpft, 
und die gelb= und blaufeidene Schärpe um den fchlan- 
fen Leib: find fie nicht fehr bezeichnend und ihm angemef- 
fen? Es ftellt mit den kurzen Stiefelchen und goldnen Spo- 
ten ganz den Fleinen Freund uns dar, fo wie er Iebt, 
und zur Freude und Luft; bald wird er auffpringen und 
zu feinem Pferbehen laufen, um mit dem Hunde auf die 
Sagd zu reiten; denn das finnige Weſen des Kleinen 
Mannes kann nicht lange fo währen. Nun feht, unter 
dem grünen Laubdache, wie gemüthlich es auch ift, wird 
es ihm fchon zu enge; nur ein Seitenbli auf die wolli- 
gen, fanftgerötheten Pfirfiche koͤnnte ihn noch feſſeln. — 

Aber, mein geiftlicher Freund, jest laßt mich fchwei- 
gen, denn die dort an die linke Schulter des Königs 
fi) lehnt, und, über ihn hingebeugt, mit dem rechten 
Arm fo fanft und zärtlich feinen Naden umfchlingt, wäh: 

15 * 


228 


rend ihre Blide ahnungsvoll und fehmwermüthig in die 
ferne Landfchaft dringen; fie ift es felbft — das Urbild 
aller himmliſchen Grazie, fo weit es der Pinfel eines fterb: 
lichen Künftlerd darzuftellen vermag. Ich Fenne diefe 
göttlichen Lineamente wieder ; fie find mit einer unglaub: 
fichen Wahrheit und Kühnheit and Licht der Welt ge— 
ſtellt. — Wohl mochte fie erröthen, wenn er fie fo 
durchdringend anzufehen fich vermaß, und die Mufik fich 
als Befchüserin zu Hülfe rufen. — Sehr glüdlich ift 
der Moment getroffen! Mas in diefen flilen Augen, 
unter den langen feidenen Wimpern fehaut und webet, 
und ftrahlend über die Erde fich ausbreitet, ach! das ift 
ein Himmel voll unendlicher Wonnen, welchen das tiefe 
Weh der Erde nur ſchwach verhüll. — Die Elare 
Stirne, dad Ebenmaß der Nafe, der Liebreiz des Mun- 
des find ihm nicht weniger gelungen, al3 die Senkung 
vom ſchlanken Halfe zu des reinen Bufens zarter Wöl- 
bung; ſchoͤn ift er gemalt mit feinem durchblickenden 
Schnee im filberhellen Gemwande, und der dunfelrothe 
Gürtel, welcher ihren fchlanfen Leib umſchließt, erinnert 
mich lebhaft an denjenigen, welchen Venus einft der 
uno lieh, um den Supiter, ihren Gemahl, auf dem 
Idagebirge mit unmiderftehlicher Sehnfucht zu bethören. 
— Ich fagte es Euch, ehrwuͤrdiger Water, nur im 
Staunen über die Höhe der Kunft; — und fo genug 
davon. Laßt und ind Freie gehen!« 

»Deine göttliche Kunft, mein Hubert, — die 
Seele malt im ſchoͤnen Leibe, hat auch mir, dem ehr: 
würdigen Abte gegenüber, die Lippen geöffnet, und es ift 


229 


über meine Zunge gekommen, was ich fonft ewig ver: 
fhweigen follte!« — 

»Es ift ficher verwahrt, « ſprach der fromme Abt 
mit Liebe. 

»Und ich danke Dir,« verſetzte Hubert, indem er 
den Freund mit Inbrunſt umarmte. »Du haſt uͤber 
meine Kunſt ein ſtolzes Lob geſprochen; ich werde es 
mehr und mehr zu verdienen ſuchen!« 

So gingen die beiden Kuͤnſtler und der Abt in den 
Garten des Schloſſes hinab, wo Letzterer von ihnen hin⸗ 
weg in fein Klofter fchied. — Die beiden Freunde wan— 
derten Arm in Arm durch Tange dunkle Lindengewölbe dem 
heitern See zu, und fahen bald einen rüftigen Wanderer 
fommen, welcher, mit der Reifetafche auf der Schulter, 
ihnen entgegeneilte, ald komme er aus fernen Landen 
ber. — »Irre ich nicht,« fagte Hubert, »fo ift es fein 
Anderer, al3 unfer Freund Kaspar, denn fein Gang 
verräth ihn.«e — Da er näher kam, erkannte auch Er: 
win ihn wieder, und warb froh Des guten Gefellen, 
welchen er längft fehon erwartet hatte, — Diefer. aber, 
in Gedanken vertieft, erkannte fie nicht und eilte ihnen 
fremdgrüßend vorüber. 

»Halt!« rief Hubert, und da Iener fich umfah, 
trat ihm Ermin ſchon in den Weg und fchlug ihm auf 
die Schulter. »Kaspar!« rief,er; »Ermwin!« gab der 
Staunende zur Antwort, und beide Freunde ſanken ſich 
mit herzlichem Bruderkuſſe in die Arme, | 

»Wie bift Du veränderti« ſprach Kaspar nad 
einer Weile, indem er Erwin genauer betrachtete und 
auh Hubert freundlich die Hände gefchüttelt. hatte; 


230 


»Du fiehft fo bleich aus, wie nach einer fehmweren, eben 
überftandenen Krankheit; aber viel bedeutender find alle 
Deine Züge geworden, viel edler ift Deine Haltung und 
geiftooller Dein Anbliden;, Du fcheinft große Erfahrun: 
gen unterdeffen gemacht zu haben?!« 

Erwin erzählte ihm nun von feiner Verwundung, 
wie von feinen vielen Bauarbeiten, und Kaspar hing 
fi theilnehmend an feinen Arm, indem er immer ern- 
fter und nachdenflicher wurde. — »&o habe ich doch 
gefündigt,« brach er endlich aus, »denn ich hatte Dir 
und dem edlen Meifter Dieterich verfprochen, Dich im 
fremden Lande nicht zu verlaffen. Dennoch ließ ich 
Dich allein in der Noth, um der Kunft-Mebe nachzu= 
laufen und an ihrem Wagen zu ziehen. — Verzeih 
mir’s, Bruder, ich werde Fünftig fir meine Ehriftenpflicht 
wachfamer feyn! — Die Natur hat mich bingeriflen, 
und nun erft fomme ich zu mir felber, da ich Dich und 
Hubert wiederfehe!« | 

»Das ift brav,« fprah Hubert, »ich hatte Dich 
darum eben getabelt, aber nun ift Alles ausgeglichen! « 

»Bei Euch wohl, Ihr Lieben,« verfeßte Kaspar 
ernft, »aber nicht fo bei mir. Ich kenne zu gut diefes 
ruchlofe Herz, welches Alles bald vergißt, nur um eins 
zu genießen. — Doch ich will ed peinigen und will es 
wund machen, bi8 es ganz Hein und bemüthig wird; 
denn der große Hans will in ihm immer noch hoch 
hinaus, und bricht fi) am Ende dabei Hals und Bein!« 

Erwin verficherte ihm zur Beruhigung, daß er un- 
terdeflen in der beften Pflege gewefen fey, und Hubert 
ihn während feiner Krankheit nicht eine Stunde ver: 


231 


lafien habe. — »Das hilft mir Alles nichts,« rief Kas— 
par eifernd dagegen, »ich habe um fo größere Schuld, 
und foll mich nicht auf Andere verlaffen, die es beffer 
machen. « | 

Die Freunde gingen mit ihm ind Schloß und ba- 
ten ihn um Anfiht feiner Zeichnungen, damit er auf 
andere Gedanken komme. — Er entrollte fie vor ib: 
nen, aber mit einem gewiflen Ingrimme gegen fich felbft, 
indem er fie feine gleißenden VBerführer nannte. — 

E3 waren große, herrliche Blätter von norwegifchen 
Waſſerfaͤllen und Meereöklippen, auch ftillere, einfame 
Thaler, mit finfteren Waldgebirgen umgeben und von 
gewitterfchweren Gemwölfen tief überfchattet. — Sie er: 
fchienen wild und kuͤhn, mit der Nohrfeder auögeführt, 
und nur einige Töne leicht hineingetufcht, um dem Gan- 
zen die Haltung zu geben. E3 fchien die Natur felbft 
aus ihnen zu fprechen, und die Freunde waren bed Lo— 
bes voll, welches endlich den Meifter etwas befänftigte. 


232 


Vierzehntes Kapitel, 





Die MWiedervereinigung ber drei Freunde ward in Broſoͤ 
bald befannt, und der König nahm den Maler Kaspar, 
welcher von Erwin ihm vorgeftellt wurde, fo leutfelig 
auf, als wenn er fchon längft zu feiner Hofhaltung ge: 
hört hätte und ein Mitglied feines Haufes fey. Kaspar 
ward von der einfachen Milde des alten Herrſchers fo 
ganz eingenommen, daß er feinen Freunden verficherte, 
er fühle fich durchaus frei und heimifch hier, wie an 
feinem Orte, und babe unter allen gefrönten Haͤuptern, 
die ihm vorgefommen wären, nun zum erften Mal einen 
König gefehen.. Auch ward er ſogleich von dem gütigen 
Monarchen befchäftigt, indem diefer ihm einige Anfichten 
des Schloffes und eine Fernficht von Chennekulle über 
den Wener-See zu malen auftrug, nachdem er feine 
norwegifchen Bilder gefehen hatte. Fröhlich fehritt er 
fhon folgenden Tages ans Werk und zeichnete mit der 
Rohrfeder mehrere vorbereitende Studien in großem Fo- 
lio-Formate, indem er verfchievdene Anfichten des alten, 
fehr malerifchen Schloffes in die Perſpektive zu bringen 
fuchte und die beften Vorgruͤnde rings ſich ausmwählte. 
Ganz begeiftert aber wurde er, da Erwin felbft ihn 
nach einigen Tagen auf den Gipfel des hohen Chenne— 
kulle führte und von dort aus ihm, doch nicht wie ein 


233 


verfuchender Geift, alle Reiche der Welt zeigte. Die 
Bäume waren oben ſchon entblättert, doc) in den Thaͤ⸗— 
lern und am See erfchienen die Eichen noch mit gold- 
gelben Laubmaflen gekrönt. Hin und wieder fah man 
glänzende Schneeflächen zwifchen dem frifcheften Grün, 
und ein feltfamer Ernſt des hehren Winter trat mit 
Fühner Poefie in die heitere, von jungen, Feimenden Saa- 
ten lachende Landfchaft. Die Haltung des Ganzen ward 
durch eine neblichte Luft verfchmolzen und abgedämpft, 
welche noch viel mehr ahnen ließ, ald man wirklich er- 
blickte. Es war ganz in Kaspars Sinn, und wie ein 
für feine Seele bereitete Bild. 

Erwin hatte fich nicht ohne Anftrengung an des 
rüftigen Freundes Arm, welcher in Norwegen and Stei- 
gen fich gewöhnte, den Berg hinauf geholfen, und ließ 
ſich unterwegs ermattet auf ein Felsftüc nieder, während 
Kaspar freudig um fich fchaute. Es war Diefelbe moos— 
bewachfene Platte, wo Freya am Abende einft auöge- 
ruht hatte, als Erwin ihr Hildegards Brief lad und 
ihrer Xheilnahme fich erfreute. Das Ganze warb ihm 
wieder lebendig, als fiße fie noch da im heitern Abend- 
ſchimmer und rede zu ihm die freundlichen Worte über 
Hildegard und Köln, fo wie die wehmüthigen bes 
nahenden Abfchieds. Seine Augen wurden thränenfchwer, 
und da Kaspar ihn treuberzig nach der Urfache be— 
fragte, fo erzählte er ihm einfach den ganzen Vorgang 
und verbarg ihm auch feine Liebe zu Freya nicht, welche 
jener ohnehin ſchon geahnt hatte. 

Kaspar fagte nach einer Paufe fehr weich und 
faft zart: ⸗Es muß das doc) ein Föftliches Bild geweſen 


234 


feyn, Bruder Erwin, und wenn Hubert diefe Geftalt 
Dir malen wollte, die Landfchaft will ich hinzufügen. 
Es würde ein Gemälde einzig in feiner Art werden und 
ein rechtes Angedenfen aus den Nordlanden für Dein 
Straßburger Haus feyn.« 

»Der Wunfch ift zu kühn,« verfeßte Erwin weh- 
müthig, »denn wer kann fo etwas malen, wenn gleich 
Freund Hubert das Unmögliche möglich gemacht hat! 
Die Landfchaft möchteft Du wohl herausbringen, aber 
jener Ausdrud ihrer Geftalt geht weit über die Grenzen 
der Kunft und befchämt jeden Meifterpinfel.« _ 

Kaspar lächelte und fchien im Stillen einen Vor— 
faß zu hegen, welchen er aber dem Freunde verborgen 
halten wollte. Er rühmte dagegen die grandiofen Linien 
der Waldrüden und pried die vollen, ruhigen Maſſen 
des Laubholzes, von welchen der weit ausgedehnte See 
mit feinen Infelgruppen fich rein und zart abſetzte. Als 
fie den Gipfel ded Berges erreicht hatten, warf er fich 
nieder und jauchzte laut auf, indem er ausrief: » Das ift 
mein eigen, bier in biefer heiligen Dede will ich Hüt- 
ten bauen.« Zugleich neigte er den Kopf tief hinab und 
fchaute rüdwärts in die unendliche Landfchaft, indem er 
eine gute Weile unbemweglich in diefer ausgeftredten Lage 
blieb. Dann ergriff er das Malerbuch und zeichnete ei- 
nige Linien ganz leife mit Bleiftift hinein, indem er fich 
die vorfpringenden Punkte im Meere der Fernen genau 
bemerkte und zuleßt die nächfte Waldhöhe, fammt Er— 
win, an einen Baum gelehnt, markig und kuͤhn her⸗ 
vorhob. ES war ein fehr geiftreiched Bild geworden, 
und die Freunde, während fie hinabftiegen, unterhielten - 


235 


ſich noch lange über das Malerifche im Einfachen, fo 
wie über das höhere Schöne im religiöfen Charakter der 
Landfchaft, welches, faft unfichtbar, über das Ganze die— 
fer Gegend oft ſich ausbreitete. 

Bald hatten fih Erwin und Kaspar auf folche 
Weiſe und durch ähnliche Mittheilungen wieder mit ein- 
ander eingelebt, und da Erfterer num nach feiner Gene: 
fung die Zimmer des Königs wieder verlaffen, und be- 
ſcheiden feine alte Wohnung im weftlichen Flügel bezo= 
gen hatte, fo wohnte er bier zwifchen Kaspar und 
Hubert, und konnte nach Herzensluft fich mit ihnen 
ergehen. 

Sp waren denn nicht allein die zuerft von dem 
Arzte beſtimmten acht Tage, fondern bereitd? Wochen 
verftrichen, ehe derfelbe es für thumlich hielt, daß Er: 
win nach Bielbo zu feinen Baugefchäften zuruͤckkehren 
fönne. Auch freuten fich deffen nicht wenig Freya und 
Erik, die fich öfter zu ihm gefellten, indem fie fich von 
ihrem Freunde die feltfame Bauart des alten Schloffes 
erklären ließen, fo wie Manches über die mythologifchen 
Flachbilder im dunfeln Shore mit ihm redeten. Es 
ſchien jedoch, als wenn den fürftlichen Kindern, infonder- 
heit der Prinzeffin, nicht eben fo fehr um Belehrung 
über diefe baulichen Gegenftände, als vielmehr mit ihrem 
Freunde und Erretter heiter und ohne Banden der Kon: 
venienz zuleßt noch umgehen und fich unterhalten zu 
koͤnnen, gelegen fey; denn die Abfchiedsftunde rüdte im- 
mer näher, und wie lange fie ihn in Bielbo fehen 
und unter welchen Umftänden fie ihn dort wiederfehen 
würde, war fehr ungewiß. 


236 


Sp fam denn der lebte Tag feined Aufenthalts in 
Brofd heran; denn der gute Arzt hatte den Ausfpruch 
gethan, daß er nun am andern Morgen frühe in einem 
bequemen Wagen, von Hubert und Kaspar begleitet, 
feine Rüdreife nach) dem Orte der Beſtimmung antreten 
fönne, um Abends dafelbft einzutreffen. Hubert padte 
ihm forgfältig alle feine Kleider, Waffen und Kleinodien 
zuſammen, und bat ihn, fih nur um alles das gar 
nicht zur befümmern, da es ihn ohne Noth anftrengen 
würde. Auch beftellte er einen Vorboten, welcher am 
Abende ſchon abgehen follte, um die Vorfpanne auf den 
verfchiedenen Stationen zu beforgen, indem er mit bes 
Königs Erlaubniß den leichteften und bequemften Wa- 
gen in der Hofremife auswählte, damit die lange Tage- 
reife den Freund nicht zu fehr angreifen möchte. Nach: 
dem alles dieſes vorbereitet war, lud der alte König ger 
gen Abend die drei Freunde zu einer Luftfahrt auf dem 
MWener:See ein, welche er mit feinen Schmeiterfin- 
dern und einem Eleinen Gefolge unternehmen wollte. Da 
die Luft noch, obwohl bei vorgerücter Jahrszeit, aus- 
nehmend ftilf und warm war, und die Fifcherei ihn fehr er: 
freute, fo follte fie heute mit Fadeln verfucht werden, 
wie er ed oͤfter anzuordnen pflegte. 

Noch war die Sonne nicht gefunfen, ald die Ge- 
fellfehaft auf der Seebrüde ſich einfand, wo mehrere 
Schaluppen zur Abfahrt für fie bereit lagen. Die erfte 
beftiegen die Muſikanten, welche luſtig mit ihren Blas⸗ 
inſtrumenten voraufzogen und ihre Walphörner am ges 
meffenen Ruderfchlage ertönen ließen; die zweite beftieg 


237 


der alte König mit dem Reichsdroſt, dem Gefandten, 
den fürftlichen Kindern und den deutſchen Künftlern, in⸗ 
dem er die gefchickteften Fifcher zu fich berief, nachdem 
gewandte Ruderer ihre Bänfe eingenommen hatten. In 
der dritten Schaluppe folgten einige Hofdamen und Ka: 
valiere, welche fich neben die Fifcher feßten, um dem 
Stechen zuzufehen und der Waflerfahrt zu genießen. 
Auh Sons, der Narr, drängte fich heran und erhielt 
vom Könige, auf Prinz Erifs Fürbitte, die Erlaubniß, 
in ihre Schaluppe zu fleigen, um bei feinem Freunde 
Steinbad zu bleiben. Freya faß neben ihrem gütigen 
Dheim, der heute ausnehmend heiter war, und Erwin 
erhielt, als Marfchall, die Ehrenftelle neben ihr, indem 
Prinz Erik ſich zu feiner Linken feste, fo daß er von 
dem edlen Gefchwifterpaar gleichfam eingefaßt wurde, 
und der Narr fogleic die Bemerkung machte, daß er 
wie die Perle im Golde ſitze. Neben Prinz Erik fan- 
den auh Hubert und Kaspar ihre Plaͤtze, fo wie an 
die andere Seite des alten Königs der Reichsdroſt und 
ber Gefandte mit einigen Hofdamen der Prinzeffin fich 
anfchlofien. 

Die Fifcher ftanden mit ihren ſpitzen Eifenftangen 
am Wordertheil der Schaluppe, der arme Joͤns aber 
nahm zwifchen den Rubderern feine Stellung am Mafte, 
indem er die Gefelfchaft mit allerlei poffirlichen Einfäl- 
len und Grimaffen zu unterhalten fuchte. Er ahmte un: 
ter Anderm die Töne vieler Thiere taufchend nad), in: 
dem er bald wie eine Lerche trillerte, bald wie eine Ente 
fohrie, bald wie ein Auerhahn fehlug, dann wieder wie 


238 


ein Frofch quafte, wie ein Pferd wieherte, wie ein Bär 
brummte und wie ein Schaf blöfte. Zuletzt verfchmol- 
zen fich diefe Naturlaute wie zu einem großen Chore, 
welches in feiner wunderlichen Mifchung etwas Imponi- 
rendes, ja Ernftes und Erhabenes gewann, und am 
Ende faft wie die Stimmen aller Lebendigen erflang. 
Der kleine Menfch war dabei in großer Bewegung mit 
allen feinen Gliedern, und fein Bauch, wie feine Baden, 
gleich einem Dudelfade, in der Iebhafteften Thätigkeit. 
Man fah es deutlih, daß er feinem Freunde Stein— 
bach, welchen er oft gar lieblich dabei anblidte, noch 
zulegt mit diefem ihm unbekannten Talente ein Vergnü- 
gen bereiten wollte. Der König verficherte, daß er ihn 
nie fo aufgeregt gefehen habe, und felbft Prinz Erik er- 
ftaunte über den Aufwand feiner genialen Anftrengun- 
gen. »Er giebt, was er hat,« fagte Hubert nachdenf- 
lich, »und ift in feiner Art ein treuer Freund.« Erwin 
ward faft Dadurch gerührt, wie feltfam es auch mit fei- 
ner ernften Stimmung fontraftirte. Er winkte ihm öf- 
ter, fich doch zu mäßigen, wenn er fich wie der größefte 
Schaufpieler eraltirte, um feinen Beifall zu gewinnen, 
und wenig auf das Gelächter und die Lobfprüche ber 
Andern zu achten fehien, die ihm fonft nicht gleichgültig 
waren. 

Unterdeſſen hatte der Schiffsmeifter die Segel auf: 
gefpannt, da ein leifer Hauch über den ftillen See 309, 
und fchneller eilte fchon die Schaluppe mit Hülfe der 
taftfchlagenden Ruderer auf eine Infel zu, welche in der 
Mitte des Weners gelegen war und, ald die größefte 
der Infelgruppe, mit anmuthigem Gebüfche bebedt er: 


239 


ſchien. Die Sonne fanf berrlih im weftlichen Duftge— 
wölfe, ald die Barken auf einen Wink des Königs Ian- 
deten und die Gefellfchaft ausftieg, um fich nach einem 
Eleinen Hügel zu begeben, wo man weiße Bänke umher 
im Kreife geftelt fah. Erwin führte die geliebte Freya 
auf diefem unbekannten Boden, denn noch nie betrat 
er die romantifchen Infeln, und es war ihm, als wenn 
es der lebte Abend feines Lebens fey. Der alte König 
ging mit dem Reichsdroſt und Gefandten vorauf, und 
die Uebrigen folgten ihnen in Eleinen Gruppen und un— 
ter fröhlichen Gefprächen nah. Die Mufifanten vertheil- 
ten ſich zwifchen die Gebüfche am Ufer und ließen ihre 
Waldhoͤrner melodifch erklingen, indem das räthfelhafte 
Echo von den naͤchſten Infelgruppen die in den Paufen 
verhallenden. Laute anmuthig zurüdrief. Der alte König 
machte ſelbſt den Wirth hier, und hieß die Gefellfchaft 
fi auf die Bänke niederlaffen, um am fteinernen Zifche, 
welcher mitten im Kreife ftand, den erwäarmenden Meth, 
nebft Wein, Brot und Früchten zu fih zu nehmen. 
Niemand, ald die Diener, hatte dieſe Anordnung ge= 
wußt, und Jeder ward angenehm davon überrafcht. Es 
war wie eine Wohnftube, auf unmwirthlichem Boden ge: 
baut, und das röthliche Himmelsgewoͤlbe bildete eine na— 
türliche Dede über die hochragenden Wände von gold- 
gelben Gebüfchen; die Waldhörner langen mit ihrem 
MWiederhall ahnungvoll drein, und der König faß da, 
wie der Herr des Haufes, heiter, milde, wunderbar=friede- 
voll und mit weißen Locken, worin der Seehauch fpielte; 
der alte Reichsdroſt dagegen wie die Sreundfchaft frühe: 
rer Rage neben ihm, und der lebhafte Gefandte an 


240 


feiner andern Seite, wie das Bild der ſtark bewegten 
Gegenwart. 


Erwin fand noch mit Freya auf des Hügels 
Spitze, ein wenig höher, und fie fahen den letzten Gluth- 
punkt der Sonne, welche hinter den ferndämmernden 
Mäldern verfanf und, durch den Herbſtduft brechend, 
den ganzen See noch einmal wie mit Purpur übergoß. 
Sie hatte ihre Hand traulich in feinen Arm gelegt, und 
das wundervolle Purpurlicht des Waſſers vermifchte fich 
mit den Bildern ihres Innern und wedte in ihrer Seele 
das Andenken feiner ſchuͤtzenden und aufopfernden Liebe 
fo lebhaft, daß ihre Stimme zitterte, und fie es num 
erft im ganzen Umfange fühlte, was fie entbehren werde, 
wenn er nicht mehr da fey. Auch ihm theilten fich ſym— 
pathetifch diefe. Empfindungen mit, und gingen wie ein 
Schwert durch feine Seele, welches gleichfam die alten 
Wunden alle wieder auffchlug, daß fie frifch bfuteten, 
wie vollfommen er ſich auch durch Gebet und Entfagung 
davon geheilt glaubte. Die Prinzeffin hatte von der na— 
ben Rückkehr ihres Vaters geredet, fo wie von dem Bau 
des Schloffes, welches derfelbe zum Winter vollendet 
wuͤnſchte, um den König Häfan mit’ feinem Bo 
Gefolge darin aufnehmen zu Eünnen. 


»Iſt es Euch möglich, « fagte fie, »fo thut ihm ben. 
Gefallen, das fchöne Werk Eures Geiftes und Eurer 
Hand zu, vollenden, damit er die Freude habe, meine 
Hochzeit aufs Chrenvollfte und Prächtigfte, wie einmal 
fein Sinn ift, darin zu feiern. Ich denke, in dem gro= 
Ben und allgemeinen Glanze wird er alsdann Anderes 


241 





überfehen, oder doch gelinder beurtheilen, was er etwa⸗ 
an ſeiner armen Tochter tadeln moͤchte. 

Erwin verſetzte: »Ich werde Alles thun, was 
moͤglich iſt, um Eure und Eures Vaters Wuͤnſche ins 
Werk zu richten; doch wird es mir ſchwer werden, die 
Woͤlbung zu ſchließen, wenn unſer Aller Obermeiſter mir 
nicht den Schlußſtein dazu hergiebt; denn es iſt mir faſt 
fo, als ſey jenes Schloſſes Dach der: Deckel meines. 
kuͤnſtleriſchen Sarges, und koͤnne ich nachher nichts mehr 
bauen.« 

»Haͤuſer Gottes werdet hr bauen,« — 
Freya mit. Thraͤnen, »Tempel des Hoͤchſten werdet Ihr 
auffuͤhren, welche herrlich uͤber alle Menſchenwohnungen 
und Koͤnigsſchloͤſſer wegragend glänzen und die Andacht 
und Liebe Eures frommen Herzens der Nachwelt vers 
fimdigen follen. Ja, mein theurer Freund,  unfere 
Schmerzen find nicht umfonft gemwefen, denn was von 
nun an aus Ehren Hanben hervorgeht, wenn mein 
Auge Euch nicht mehr fieht, dad wird nichts Irdifches 
ſeyn; die Ehre des wunderbaren Gottes fammt feiner 
Gnade und Wahrheit wird ed in die Wolken ftellen. 
Diefe Freude fol Niemand von uns nehmen und fein 
Sargdedel menfhliher Vorurtheile wird Euer freies 
Haupt befehweren. Glaubet das feft und feyd getroft, 
Meifter Steinbady!« 

Sie drüdte ihm fanft die Ba indem fie die ih- 
rige leife aus feinem, Arme zog, und begab ſich zur Ge- 
ſellſchaft. Er folgte ihr. ſtill. — Mit edler Freiheit ſetzte 
fie fich neben Erwin und Kaspar auf die Bank, und 
fing mit Letzterem ein ausführliches Gefpräch über Nor: 

Erwin von Steinbach. II, 16 


242 


wegen an, ba fie fehon feine Zeichnungen gefehen und 
bewundert hatte. Sein ernftes, fehlichtes Weſen hatte 
fie gleich anfangs angezogen, und fie erfundigte fich nun 
mit Vertrauen bei ihm nach ben norwegifchen Sitten, 
Meinungen und Gebräuchen, indem fie fih von Men- 
fchen und Gegenden erzählen ließ. Kaspar gerieth bei 
feiner Befchreibung auf. ihre furzen Fragen in Feuer, 
und wußte felbft nicht, warum; denn es war nicht in 
feiner Art, und es ſchien, ald wenn ein verborgener 
Heerd der Begeifterung feine Bilder und Gedanken ent- 
zündefe. Hubert lächelte, indem er dem fonft fo lako— 
nifchen Freunde in die Augen fah; der alte König aber 
rief: »Nuim laßt einmal Norwegen und feine Wunder 
ruhen, welhe Du, Freya, noch frühe genug fehen wirft. 
Nehmt des herzerfreuenden Weines , welchen Götter und 
Menſchen lieben, und. der bereitwillige Meifter Hubert 
mag und dazu ein deutſches Lied fingen; zuvor aber 
wollen wir unfern Ritter und Baumeifter Erwin von 
Steinbach, welcher morgen abreist, deutfch und bieder 
teben laflen. Der alte König erhub den filbernen Be— 
cher und ſprach mildiglih: »Er lebe in Geiſt und 
Werk! Er wachfe in Kraft und Gnader Er bleibe in 
Friede und Wohlgefallen!« — »Lebe!« riefen Alle, und 
Waldhörner fielen ein, wie der König es befohlen hatte. 

Erwin fühlte ſich durch diefe große Ehre beſchaͤmt, 
und fprach es aus, wie unmerth er. diefer Auszeichnung 
ſey. » Wir find auf der Infel im Wener,« rief ber 
König fröhlich, »wo nur der Menfch gilt, und wir nicht 
nad) ‚Stand. und Wuͤrden fragen, fondern allein nad 
Liebe und Freundlichkeit. Laßt Euch dieſes Wort des 


243 


alten Mannes, welcher bald nicht mehr König feyn 
wird, ein Gluͤckwunſch überd Meer feyn und in Eure 
Heimath geleiten, da Ihr doch nicht bei und bleiben 
mögt; wahrlich, ich werbe an — einen angenehmen 
Geſellen verlieren!« 

»Und ich,« rief der Narr, »einen ausbuͤndigen, en- 
gelöguten, liebetrunkenen, tapfermilden, thörichtreinen, 
immer gleichen Freund und Gönner! Wer hat feines 
Gleichen gefehen? wer wird diefen Gefährten der heiligen 
Thorheit mir je erfehen? Er ift ein echtes Menfchen- 
find, und läßt die ewige Weisheit aus den Felfen bre- 
chen und aus den Klüften fteigen, wie die Rohrdommel 
ihr Klaggefchrei aud dem Sumpf erhebt.«e — Alle lach— 
ten, nur Erwin und Freya nicht; denn fie fahen die 
Thräne im Auge des armen Sons, und verſtanden ſei⸗ 
nen Sinn im Narrenkleide. 

Der Koͤnig winkte Hubert, und dieſer ſang zur 
Laute folgendes Lied: 


Sehet im Becher den perlenden Wein; 
Spricht er nicht: Liebeſt du mich? 
Merket der Freien großen Verein; 
Ruft er nicht: Freue auch dich!l? 
Hier iſt das Haupt und dort ſind die Glieder, 
Bruͤder, wir ſehen uns immer noch wieder, 
Nun und in Vaters Hauſe. 


Grauende Burgen am ſpiegelnden See, 
Einſt wohnt' ein Koͤnig darin — 

Theilt' mit den Armen ihr Wohl und ihr Weh 
Treulich im hoͤheren Sinn; — 
Hielt ſich herunter, Alle zu tragen, 

Wußte zu lieben, wußte zu wagen, 
Thuͤre verſchloß er im Scheiben. 


16* 


244 


Schlüffel ift wiedergefunden im Meer, 
Nimm ihn und jchleuß’ uns jest auf! 
Mitternaht kam mit geſtirnetem Heer, 
Schon ift vollbradht unfer Lauf! 

Siehe, die Hal ift heller geworben, 
Jubel durdftrömet den heiligen Orben, 
Zropfen ber Liebe, o trinket! 


Zrinket nody einmal und reicht euch die Hand, — 
Wohl nun, es ift fo gefhehn! — 
Feſter verſchling' fich das göttliche Wand, 
Mag nen die Welt uns vergehn! 
Lebten wir wahrhaft, es rührt’ uns Eein Sterben, 
Himmliſcher Fülle find wir die Erben, 
Fremdlinge auf diefer Erde. 


Siehet hinaus denn nach Oft und nad Weft, 
Denket der freundlihen Stunde! 
Mo ihr auc) bleibt, ift bereitet das Feft, 
Siegel auf füßeftem Munde. — 
Hat did) der Wein prophetifch entzündet, 
Haft dur der Liebe Wunder verkündet, 
Biſt erft zum Menſchen geboren. 


„Schön,« rief der alte König, da die lieblichen Töne 
verhalten ; »Menfchen wollten wir werben, und ein rec): 
ter Menfch feyn fey unfer höchfter Ruhm und unfer 
Ehrentitel. « 


Der Narr ſprach dagegen: »Alfo bisher waren 
wir nur fo eine Art von Thier, etwa eine Straußen- 
art ohne Federn, welche die Wüfte durchrennt und den 
Kopf in den Dornbufch ftedt, um vom Feinde nicht ge= 
fehen zu werden? Auch gut! Aber ich möchte Lieber 
dann, wenn doch einmal die Verwandlung vor fich ge= 
ben fol, gleich ein Engel werben, ald nur ein Menfch, 


245 


um nicht erft die Mühe des Sterbens zu haben, und um 
meinem Gönner die Unkoften des Begräbniffes zu er- 
fparen. Denn mas ift der Menſch, ald ein Erdenkloß, 
wie breit er fich auch mache mit dem wenigen göttlichen 
Odem in feiner Nafe. Er mittert Himmelsduft und 
ruft: ich bin ein Menſch! — Beſſer, Du wäreft ein 
Gott! Aber Du bift ein Spott!« — 

»Joͤns, Joͤns,» rief Prinz Erif und drohte mit 
. dem Finger, »Deine Faftenzeit ift noch nicht vorüber! « 

»Heut' ift Fefttag für ihn,« fagte der König la= 
hend, »gebt ihm Kuchen und Wein, daß er uns bie 
Wahrheit fage!« — 

Hubert mußte noch einige Lieder fingen; dann 
fpielten die Skalden auf ihren Harfen alte Heldenlieber, 
und ed ward zum Aufbruche geblafen; denn es dunkelte 
ſchon fehr, und der Fifchfang am Feuer follte feinen An- 
fang nehmen. Man beftieg wieder die Barfen, und 
Erwin führte Freya an der Hand über ein ſchwankes, 
ſchmales Brett, welches vom Ufer in die Schaluppe 
reichte. Fefter faßte er die Zitternde und leitete fie ficher 
an ihren Sitz. »Guter Baumeifter,« ſprach fie leife, 
»man merkt, daß Shr oft auf ſchwankenden Brettern zur 
hohen Zinne ginget, denn der Furchtfame wird getroſt an 
Eurer Hand. « 

»Und doch Fonnte ich auf ebenem Boden fallen, 
wenn Shr mich nicht hieltet,« verfeßte Erwin. 

Die Barken waren unterbeffen fehon weit vom 
Lande gerudert, und Fadeln wurden angezündet, indem 
bie Fifcher ſich mit ihren fpißgezadten Stangen an das 
Bordertheil ftelten und bei den feichteren Stellen des 





246 


Sees ſcharf hinabfchauten. Auh Erwin und Freya 
lehnten fich über den Bord hin und fahen die großen 
dunklen Fifche am Boden des Sees, wie Schatten, im 
Fackelſcheine einherfchleichen und in einer eigenen, geheim- 
nißvollen Welt, unter Kraut und Gerölle, fich bewegen. 
Bald aber fuhr das Eifen hinab, und holte aus der ge: 
trübten Fluth einen mächtigen Fiſch, ſcharf durchſtochen, 
hervor. Klar warb bald wieder die Welle, und ließ die 
flummen Bewohner der Tiefe deutlich erkennen, bis von 
Neuem die Spitze hinabfuhr, und einen noch größeren 
blutig. heraufzog, welcher, am Eifen zappelnd, in ben 
Raum des Schiffs geworfen wurde. Es war ein grau- 
ſames Spiel, und doch hatte es etwas fehr Anziehendes 
durch die geheimnißvolle Stille und den fichern Stoß 
der Fifcher. Es war die Uebermacht des Menſchen ge= 
gen die Kreaturen, welche Alle mit Aufmerkſamkeit feſ— 
felte. 

‚Der alte König war ganz damit befchäftigt, und 
redete ald Kenner über den Zug der Fifche und die 
Führung des Stoßes, indem er, wenn die Fifcher fehlten, 
nicht ermangelte, die Urfachen anzugeben und ihnen mehr 
Aufmerkfamkeit zu empfehlen. Schon war eine Menge 
großer Fifche aller Art geftoßen, ald der Mond über die 
Wälder aufging und feinen Silberkegel auf die zitternde 
Fluth warf. Die Waldhörner tönten wie ahnungsvolle 
Hoffnung und gaben dfter, fo wie die Barken fortfchrit- 
ten, einen Wiederhall an Chennefullens Höhen. 

Die Gefellfchaft war in der angenehmften Stim— 
mung, und der alte König, nachdem er die Luft des 
Sifchfangd an dem guten Erfolge geftillt hatte, überaus 


247 


geſpraͤchig. Er erzählte won feinen Reifen und Kriegs⸗ 
zügen, woran der Reichsdroſt, fein alter Freund, Theil 
genommen hatte, und Manches dabei berichtigte oder 
weiter ausfuͤhrte. 

Auf Verlangen Freya's rührte Hubert bie Laute, 
wenn die Waldhoͤrner pauſirten, und fang einige italie— 
niſche Fiſcherlieder, welche, allgemein beifaͤllig, in ihren 
einfachen und ruͤhrenden Accenten öfter von ihm wieber- 
holt werden mußten. Es war in vorgeruͤckter Jahreszeit 
ein faſt ſuͤdlicher Abend, und es erwies ſich ſpaͤter, daß 
in eben der Stunde auf Island ein Feuerausbruch Des 
Hella mit einer ſtarken Erderſchuͤtterung ftattgefun- 
den habe. Der glänzende Schnee Igg ſchon auf den 
Bergeshöhen; an den Ufern des Sees aber fpiegelte fich 
noch dad Goldlaub der fanften Waldruͤcken magifch in 
dunkler Fluth ab, und der Mond warf durch Nebelduft 
über das Ganze einen faft mährchenhaften Geifterfchein. 
Kaspar war ganz in diefen Anblick verfunfen, und be- 
merfte fi Einige8 und Anderes von den allgemeinften 
Umriffen in feinem Malerbuche, fo weit dad matte Licht 
es ihm verftattete, 

»vWie gluͤcklich ſeyd doc Ihr und Eures Gleichen,« 
fagte Freya, nachdem fie feinen Bleiſtiftzuͤgen einige 
Zeit zugefehen hatte, »Daß Ihr Euch in der. Kunft fo 
ganz vergeflen könnt, indem eine höhere Welt der Schön- 
heit und des Einflangs fi Euch darin offenbart. Das 
Leid der. Erde berührt Euch kaum in diefen feligen Traͤu— 
men, und wenn ed Euch einmal verlebt hat, fo hei— 
len jene leichten Wunden wohl fehnel an ver Pflege ber 
bolden Mufen. Ich denke mir, Die wahre Kunſt äft 


248 


fhon ein Vorſchmack des Himmlifchen und feines unaus- 
fprechlichen Friedens. « | 

»Doch, doch,« verfeßte Kaspar ernft, »es muß 
auch diefer Kunftfriede oft durch große Opfer erft errun- 
gen werden. Ich habe tief gelitten in der öden, dunklen 
Welt, und erft in der größeften Armuth des Geiftes, in 
ber tiefften Hulfsbebürftigkeit des innern Lebens ift mir 
die Weihe der Mufen zu Theil geworden. Es fcheint 
daher fat, als wenn die himmlifchen Sungfrauen Mitleid 
gegen und fühlen, und fich in eben vem Maße zu uns her⸗ 
niederneigen, als die Kinder ver Welt fich von und abwenden. « 

»Diefe poetifchen Sungfrauen des Alterthums,« er- 
wiederte Freya, »möchte ich mir ald eine eigene Art 
ber Engel Gottes vorftellen, welche die Kinfte in den 
Menfchen erweden, um fie erft in einem Borhimmel der 
Ahnungen und liebevollen Träume für den wahren Him- 
mel zu bereiten. Iſt es doch ein Bilden und Schaf: 
fen mit feliger Luft, duͤnkt mir, welches taufend verbor- 
‚gene Lebensfeime im Künftler wedt, und auf viel grö- 
Bere Weife ihn noch im höheren Parabiefe, in der Ge- 
meinfchaft mit Gott, zu Theil werben fol; denn daß 
alle diefe Kunftkräfte hier zu Ende gehen folten, die fo 
manches Schöne und Gute in und entwideln, Tann ich 
mir gar nicht denken. Nein, fie haben gewiß eine hei- 
lige Beftimmung, und bringen, wie jedes gute Werk, 
auch eine Frucht der Gerechtigkeit. « 

»So ift es,« fagte Kaspar, und erzählte num 
Manches aus feiner Jugendgefchichte, welches die erften 
Regungen ber Kunft in ihm als etwas Heiliges beftätigte. 
Freya fah fih nah Erwin um, welcher mit Ver— 


249 


gnügen ſtill zugehört hatte, und fich freute, daß fein Ge- 
fährte von der Prinzeffin fo ausgezeichnet wurde und 
ihm die Lippen von ihr geöffnet waren. Da er aber 
immer dazu fehwieg, fo fagte fie: » Zheurer Marfchall, 
Eure Meinung?« — Erwin verfehte: »Iſt ganz bie 
Eurige, und ich habe nichts hinzuzufügen, als etwa nur, 
Daß die göttliche Liebe im Menfchen allenthalben bildend 
wirke, und nicht nur in den Künften, fondern auch in 
den Wiffenfchaften und im ganzen Leben eine fchöpferi= 
fche Kraft ausübt, welche ich eben für jenes Himmliſche 
halte, das, fi) ind Unendliche fleigernd, unfer Eigen- 
thum bleiben foll, wenn alles Irdiſche vergeht. Es ift 
darin gleihfam ein erweitertes Bewußtſeyn, vol 
Ahnungfülle und Kraftgenuß, ja ein höheres Wiffen im 
Nichtwiſſen, welches jede Neflerion auf uns felbft, als 
etwas Sündliches, abftößt. — Dieſes wahre Bewußt— 
feyn des ewigen Menfchen bricht wie eine Morgenröthe 
durch die fehöne Kunft in die Zeit, und geftaltet uns 
dort eine Heimath unvermelflicher Jugend, indem es aud) 
die erfte Kindheit und wiederfchenft, und uns das er- 
werben lehrt, was uns die Waradiefespforte auffchließt. 
Aber eigentlich ift in jeder frommen Liebe ein folches 
Paradies der Selbftverleugnung fchon geöffnet. Der ge: 
ringfte Schulmeifter im Kreife armer Kinder, denen er 
aus dieſer Gnadenfülle geiftig bildend in Chrifto Ge— 
ftalt giebt, fo wie der begeifterte Priefter, welcher mit 
dem Worte Gottes eine Gemeine erbauet, geben das 
nämliche Zeugniß, wie die Kunft, und empfangen ben 
nämlichen Lohn, ald der Künftler ihn empfängt in 
feinen Idealen.« 


250 


»Auch der Held auf dem Schlachtfelde, welcher für 
fein Volk ſtirbt?« fragte der König, der ſtill an dem 
Gefpräche Theil genommen hatte. | 

»Diefer vor. Allen,« verfeßte Erwin, »wenn er 
für eine gerechte Sache flreitet ; denn er bauet auf, in- 
dem er zerflört, er verfiegelt dad Edelſte im Menfchen 
mit feinem Blute.« 

»Und diefes Edelfte wäre?« fragte der Reichsdroſt. 

» Ein Vorbild zu geben,« erwiederte Erwin, »wie 
der Erfte für das Necht des Letzten fterben folle. « 

Sit das denn fo ſchwer?« fragte ber Gefanbte; 
»Mancher wirft ja für die Seifenblafe des Ruhms fein 
Leben hin, als fey es nichts.« 

» Schwer und leicht, wie Ihr's nehmen wollt,« ver= 
fette Erwin; »überfchwer iſt's dem Weltling, welcher 
ohne Leidenfchaft nichts Großes thun kann, und der ir- 
gend einem Gögenbilde im Wahnfinn fi opfern muß. 
Nicht fchwer aber iſt's dem, welcher feinen Heiland lieb 
hat, und von ihm die Macht empfing, mit Vernunft für 
das reine Gute fich aufzuopfern, darin denn auch ber 
himmlifche Lohn ihm wird. Ein folches Opfer iſt freu- 
dig, ift befonnen, wenngleich mit großen Schmerzen oft 
verbunden; denn wer das Eöftlichfte Leben Fennt, der 
erft hat uns lieb und leidet wirklich das tiefſte Weh im 
Opfer deffelben, jedoch zu feiner Läuterung, wenn er es 
für ein höheres: Dafeyn bingiebt. Diefen Werth des 
Lebens giebt und nur die göttliche Liebe, und fo hat 
auch fie nur den Tod erfchüpft und feine Macht gebro- 
chen. — Für einen Land dagegen, er heiße Luft, ober 
Ehre, oder Geld, Fann jeder Elende fterben, wenn feine 


251 


Sinne bid zu einem gewiſſen Grade davon erhißt und 
beraufcht find, denn er hat noch nicht wahrhaft gelebt.« 

»Ihr wollt alfo dem Lorbeerfrange des Ruhms kei— 
nen Werth geben,« fagte der alte König lächelnd. 

» Keinen andern,« erwiederte Erwin, »ald der ihm 
vor dem Allwiffenden gebührt, und oft erft nach Sahr: 
hunderten dem frommen Kämpfer und Dulder. aufgedrüdt 
wird; doch nicht immer währt es fo lange, denn auch 
wir find fchon fo gluͤcklich, dieſen heiligen Kranz auf ' 
Eurer ehrwürdigen Stirn zu erbliden. Wohl dem 
Keiche, deß König Euch gleicht! Wohl dem Volke, das 
Euch nicht vergißt!« | 

Erwin war bewegt; der alte Herrfcher bot ihm 
traulich die Haͤnd dar, welche er mit Inbrunſt zu feinen 
Lippen führte; denn er meinte, die feined Vaters zu kuͤſ— 
fen. Alle waren von dem plößlichen Feuer, womit er 
diefe legten Worte gefprochen hatte, ergriffen; am tief: 
ften aber Freya, in deren halbgefchloffenen Augenwims 
pern große Tropfen bebten. 

»Es ift genug an Eurer Liebe,« fprach der alte 
König, »ich erkenne fie und ich danke Euch; aber rühmt 
mich ja nicht zu fehr, denn ich bin ein ſchwacher Menfch, 
welcher bald vor feinem Schöpfer fteht, der die Spreu 
von dem Weizen in ihm fichten wirb.« 

»Und vielen guten Weizen finden, wie diefer Jüng- 
ling bezeugte,« fagte der alte Reichsdroſt, indem er dem 
königlichen Freunde offen in die Augen blickte. Bei die 
fen letzten Worten glitt eben die Schaluppe. and Ufer, 
und Alle beftiegen in einer fehr ernften Stimmung = 
und langfam die Seebrüde. 


252 


Der König ging mit dem Reichsdroſt und Geſand— 
ten vorauf; Erwin folgte und führte, als Marfchall, 
die Prinzeffin nach dem Schloffe, welches, zwifchen hohen 
dunklen Baumgruppen, ihnen ſtark erleuchtet entgegen 
glanzte. Es duͤnkte unferm Freunde eine andere Welt 
zu ſeyn, da fie aus dem ftillen Nacht= und Wafferreiche 
fich dem hohen, Eerzenhellen Portale näherten. E3 war 
ihm fo zu Muthe, als müffe fih noch ein Wort von 
feinen Lippen ablöfen, damit es ihm nicht das Herz ab— 
ftoße. — Freya hing an feinem Arm fo traulih, als 
wenn fie ewig verbunden wären; und doc fchien e3 ihm 
die leßte einfame Stunde in der Wahrheit des inneren 
Lebens zu feyn. Sie fühlte es, wie er, und jede Mi- 
nute de3 Schweigens ward bedenkliche. Schnell kam 
fie ihm zuvor und fagte: »Ihr habt fo fehon noch zuletzt 
geredet, und meinen würdigen Oheim fo trefflich geprie— 
fen, daß es mich tief gerührt hat. — Wollt Ihr Alles 
das nun auch freulich halten, und mit Befonnenheit dem 
reinen Guten Euch hingeben, wie fehr Euer zarte Herz 
auch Dabei leide; fo werdet Ihr, o mein geliebter Freund 
und Befchüger, viel, fehr viel zu meinem Glüde beitra- 
gen koͤnnen. Denn das Bewußtſeyn zu haben, daß 
Ihr das Göttlichgute uber Alles liebt, und ihm jede Nei- 
gung aufzuopfern ‚bereit feyd, ift ein Balfam für mein 
ſchwaches Herz, fern von Eud.« . 

Erwin fühlte fich von ihrer Würde überrafcht und 
durhdrungen.. Das Wort, dad fih nun von feinen 
Lippen löste, war ein ganz anderes, ald was zuvor aus 
feinem vollen Herzen quellen wollte und Feine Bahn fin- 
ben fonnte. Er ſprach zu ihr mit Ernft und Entfchlof- 


253 


— 


ſenheit: »Ich will Eurer Huld immer wuͤrdiger werden, 
indem ich um Gott dem entſage, was mir das Liebſte 
auf der Welt iſt. — Aber, Prinzeſſin, betet fuͤr mich, 
daß ich ſtets wacker ſeyn, und den Lauf vollenden moͤge, 
wie ein Mann!« 

»Und Du auch fuͤr mich,« ſprach ſie weinend, in— 
dem ſie ſchon in das erleuchtete Portal eintraten; »o be— 
ſchuͤtze mich mit Deinem betenden Geiſte, ſo wie Dein 
treuer Arm und Dein liebendes Herz mich oft geſchuͤtzt 
haben!« 

Bei dieſen Worten näherte ſich ihr die Oberhofmei— 
fterin mit den Damen, und. Erwin mußte zuriiditreten, 
indem fie die Prinzeffin aus feinen Händen empfingen 
und auf ihre Zimmer führten. 

Die Männer aber verfammelten fih um den König 
zu einem großen Bankett, woran Erwin im Ritterfaale 
Zheil nehmen mußte, wie gern er die Einfamkeit gefucht 
hätte. Hubert jedoch ftärfte ihn durch feine unbefan= 
gene Fröhlichkeit und herzlihe Gemeinfhaft. Er fchien 
der Einzige zu feyn, welcher ihn ganz verfland, und 
Erwin dankte Gott im Stillen für den vernünftigen 
Freund. 

Doch auch die fehöne Freya follte er heute noch 
wiederfehen; denn nad) wenigen Stunden warb zum 
Reigen geblafen, und der alte König führte felbft dem 
nun genefenen Marfchall feine fürftlihe Nichte zu, um 
mit ihr den Tanz zu eröffnen. Sie bot, im filberhellen 
Kleide, ihm lächelnd die Hand, der rothe Gürtel fchmüdte 
fie, wie im Bilde, und es duͤnkte ihm ein Traum, da 
fie fich entfernt hatte. 


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Erwin von Steinbad, 


— — — — 


Viertes Buch. 


— — — 


%. 


| 
— 4 


Digitized by Google 


Erites Kapitel. 


— — — — 


Di 


Am frühen bammernden Morgen hielt fhon der Rei- 
fewagen befpannt vor dem Flügel des Schloffes, mo 
Erwin mohnte, und Hubert trat reifefertig ein, um 
ihn auf dem Zuge zu helfen. Erwin hatte die Nacht 
unter feltfamen Träumen zugebracht, und war erft gegen 
Morgen feft eingefchlummert, fo daß er fchmerzlich durch 
des Freundes Stimme erweckt wurde. Schnell jedoch 
raffte er fich auf, und warf fih in die Kleider, waͤh— 
rend ein Diener das Fruͤhſtuͤck auftrug, und Hubert 
felbft die Sachen auf den Wagen padte, damit nichts 
zerfloßen und befchädigt würde. Unterdeſſen hatte fich 
aud Kaspar veifefertig eingefunden, und genoß al- 
lein der Speifen, da Erwin, fchwered Herzens, nichts 
zu effen vermochte, Hubert aber ſchon zuvor im Vor- 
übergeben davon genommen hatte. Das edle Roß wie: 
herte gefattelt und gezaumt vor dem Thore, von dem 
Stallfnecht geführt; die Diener ftanden mwartend zur 
legten Hülfe, Alles mahnte zum Abfchiebe, da die lange 
Tagereiſe vorftand, und doch hielt Erwin ein Etwas 
feſt, welches feine Füße wie in den Boden einwurzelte. 
Es war das Verlangen, noch einmal;den alten König 
zu fehen, welcher ibm abends ohne Abfchied verfchwun- 
den war. Er: bat alſo die Freunde um einen kurzen 
Erwin von Steinbach, II. 17 


258 


Verzug , und eilte in das Hauptgebäude, wo er den 
Kammerdiener ded König auffuchte und befchwur, ihn 
zu feinem Herrn zu führen. Diefer öffnete, nad) ei— 
nigem Bedenken, leife und freundlich die Thüren, nach— 
dem er mit der Wache geredet hatte, und leitete ihn 
durch einige offne Säle bis zum Schlafzimmer des Koͤ— 
nigd, indem er bat, ja fachte aufzutreten, da der Mo— 
narch erft fpät zur Ruhe gegangen fey, und noch im 
feften Schlafe liege. Er verficherte, daß berfelbe noch 
zulest, da er ihm die Sporen abgefchnallt und die 
Stiefel ausgezogen hätte, gar freundlich feiner gedacht 
habe. 


Sndem trat Erwin in das Fleine Schlafgemach, 
und erblidte den alten Herrfcher auf feinem Feldbette 
im fügen Schlummer auögeftredt ruhen. E3 war ein 
tiefer, heiliger Friede über feine Gefichtszüge ausgegof- 
fen; ein rehledernes Koller bededte den hagern Leib, 
die weißen ringelnden Loden um Naden und Bart um— 
gaben wie ein Zodten: Kragen das ehrwürdige Antlitz, 
feine rechte Hand hing tief herab, während die linke auf 
der Bruft ruhte. 


Einige Minuten ftand unfer Freund tiefgerührt 
vor diefem Bilde der höheren Menfchheit in vergängli= 
cher Hülle; der Himmel und die Erde berührten fich 
gleichfam in diefer Eleinen Schlaffammer ; die Waffen 
über feinem Haupte verkündigten die vergängliche Grö- 
Be; die Engelömiene des Mundes aber und die tief: 
geſchloßnen Wimpern die unvergäangliche vor dem Stuhl 
der Gerechtigkeit. Gin Gebetbüchlein, das er eben aus 


259 


— — — — 


der Hand gelegt zu haben ſchaen, log offen auf fir 
nem Bette. 
| Unfer Freund. meinte ihn Asa im Sarge zu er: 
bliden, und dad Morgenroth, welches ahnungsvoll durchs 
Fenfter eintrat, duͤnkte ihm der hohe, leuchtente Kander . 
laber an feinem Katafalfe zu feyn. Er ſenkte fih un 
willführlich aufs Knie nieder, und kuͤßte leiſe die her— 
abhangende Hand des fihlummernden Königs. Diefer 
verzog eben. lächelnd ein wenig den Mund, gleichwie 
bei einem. freundlichen Traume, und Erwin, der es 
ſah, richtete fich erfchüttert auf, und eilte mit dem 
dankerfülteften Herzen aus diefen ‘heiligen Räumen 
hinweg, wo Guͤte und Gerechtigkeit ihn fo oft begludt 
hatten. 

Auh der alte Kammerdiener — durch des 
Juͤnglings Liebe ganz bewegt, und verſicherte dem ver- 
ftummenden Freunde wiederholt, daß er der Majeftät 
beim Erwachen alles diefed berichten, und ihr damit 
gewiß Feine. geringe Freude bereiten würde. 

Erwin umarmte wortlod den alten treuen Die- 
ner; dann eilte er in den Schloßhof hinab, wo Hu— 
bert fhon in dem Wayen faß, und Kaspar feinen 
Tarter beftiegen hatte, welcher unter dem fremden Reu— 
ter fich unruhig geberdete. Ermin ftreichelte ihn, um 
dad edle Thier zu befänftigen, gab dann dem GStall- 
fnecht für die treue Pflege deſſelben ein bedeutendes 
Zrinfgeld, und fah noch einmalnah Freya’s Fenftern 
hinauf, welche mit grünen Vorhängen dicht verhangen 
waren. Es duͤnkte ihm zwar, als rührten fie fich leiſe, 
doc meinte* er. wieder, fich zu täufchen.. | 


ir 





Wagen, und fchon fuhren fie ab, ald Prinz Erik aus 
dem Schloſſe ihnen nacheilte, und feinen Freund Er— 
win noch einmal innig-in die Arme fchloß, indem er 
ihn lebhaft und wiederholt kuͤßte. »Du Böfer,« rief 
er, »wollteft Du mir ohne Fahr'wohl fo entfliehen! 
Nun, reife denn mit Gott, und fchlage Dir die Grillen 
aus dem Kopfe, und halte Dich wader, bis wir und 
zu Bielbo wiederfehen! — Nicht wahr, ich darf auch 
der Tangfchlafenden Schwefter Freya Deinen frifchen 
Morgengruß bringen? Sie wird fich hoͤchlich verwun— 
dern, wenn ihr Ritter und Marfchall nicht mehr da ift; 
denn alle norwegifche Könige können ihr den Freund 
nicht erfegen.«e Er füßte ihn nochmals mit Heftigkeit, 
und fprang dann lachend in Thränen hinweg, indem 
er rief: »Oho, Narr, Du kommft zu fpät, viel zu fpät! 
Deine Liebe ift fchon über alle Berge.« — Wirklich 
kam der arme Joͤns fehlaftrunfen aus feiner Klaufe 
getaumelt, und rief Erwin heftig beim Namen. Doc 
fchon war der Wagen auf Huberts Befehl au dem 
Thore, und befand fich bereit3 jenfeitö der Zugbrüde 
auf dem Wege zum Walde, wo man fein lautes Rufen 
nicht mehr hören konnte. | 
Als fie auf der Höhe des Chennefulle: Gebirgs 
anlangten, und dad Schloß mit feinen ftillen Umgebun- 
gen ſchon laͤngſt verfchwunden war, ging erft die Sonne 
auf, und warf ihr Rofenlicht über das glänzende Schnee- 
gefilde. Man fah das Karmeliterflofter romantifh am 
Abhange eines fchattigen Waldrüdens liegen, und Er— 
win gedachte nun feines Verſprechens, welches er dem 


261 


Abte Thiodolph gegeben hatte, vor feiner Abreife 
noch bei ihnen einzufprechen, und die Grundlegung des 
neuen Klofters in Augenfchein zu nehmen. Der Dr 
ven hatte ihn für den fehönen und kunſtvollen Riß eh⸗ 
renvoll belohnen wollen, doch wies er alle Bezahlung 
von den heiligen Vätern zurüd, und bat, diefe Arbeit 
nur ald eine Erwiederung ihrer edlen Gaftfreundfchaft 
und vielfältigen Freundlichkeit während inet Kranfen- 
lagerd annehmen zu wollen. - 

Nach einigen Einwendungen von Hubert, ward 
befchloffen, den Eleinen Umweg nicht zu fcheuen, und 
einen kurzen Morgenbefuh in dem Klofter abzuflatten, 
da Erwin meinte, er möchte, wenn nicht jeßt, vielleicht 
nie diefen Wunfch der heiligen Väter erfüllen koͤnnen. 
Jedoch mahte Hubert die Bedingung, daß bie Pferde 
vom Wagen nicht abgefpannt werden. follten, und der 
Fuhrmann nach einer halben Stunde mit der Peitiche 
ein Seichen geben müffe. Nach diefen feftgefegten Prä- 
liminarien ward links in einen Seitenweg eingelenkt, auf 
welhem Kaspar vorandfprengte, und in kurzer Zeit 
gelangten fie durch eine hohle Gaſſe, welche von ſtar⸗ 
fen Eichen, wie mit einer hohen Dede, überwölbt war, 
bis zur Klofterpforte. Der Pförtner öffnete freundlich, 
wie alten Bekannten, und führte fie ſchweigend zur 
Kapelle, wo bie Brüder eben ihre Hora hielten. Die 
Künftler fegten fih auf die Bank. am Eingange, und 
es ward Erwin fo wohl in den ftillen Räumen und 
bei dem rührenden Chorgefange der Klofterbrüder, als 
wenn er nach vielen. Srrfahrten in dad Straßbur: 
ger Haus feiner lieben Eltern heimgefehrt wäre. Nach 


2623 


einigen Minuten war der Gottesdienft beendet, und 
der: Abt’ mit den Mönchen traten zu Erwin und fei- 
nen Gefährten, indem fie ihnen treuberzig die Hände 
fchüttelten, und. beſonders über Erwins Beſuch ihre 
Freude bezeugten. 

»So fommt das Kngenehmfte gewohalich unver⸗ 
hofft,« ſprach der Abt, indem er feinem jungen Freunde, 
welcher noch. blaß ausfah, mildiglich ind Auge blidte, - 
wie nach feiner Genefung forfchend. »Seyd uns herz- 
ich willfommen in unfern alten geweihten Mauern, 
welche wir, obgleich fie morfch und verfallen find, doch 
ungern verlaflen werden, wie ſchoͤn und bequem auch 
das neue Friedenshaus nad) Euren Funftvollen Kiffen 
fi erheben moͤge; doch wiſſen wir ed Euch den waͤrm⸗ 
ften Dank, und Euer. Geift wird noch lange: erfreulich 
in den reinen Verhaͤltniſſen um uns ſchweben, bi& er 
fi mit dem Geifte vermifcht,, aus welchem Ihr ge: 
fchöpft habt. « 

Erwin verfebte: »In welchem Ihr lebet und we 
bet, heiliger Vater, und der feine Pfalmen unter Euch 
finget, wie mir der fchöne, fanfte Choral fo eben be— 
zeugt hat. Mein. Geiſt ift dadurch erhoben und ge— 
ftärkt worden, und. wollte Gott, daß ich erft in Euren 
Friedenshafen eingelaufen wäre! Doc wird mein Schiff- 
lein wohl noch lange auf. hohem Meere unruhig bins 
und hergeworfen, und Fein Land mir zu Gefichte 
fommen. « Ä 5, 

» Damit e$, VER ih, das ‚Leben auch an ferne 
Kuͤſten trage, fo wie man ſagt, daß die Zugvoͤgel koͤſt— 
liche Samenkoͤrner des Suͤdens in nordiſche Erde fal— 


263 


len laflen, auf daß fie Bäume des Himmeld werben. 
Seyd getroft, Eure Kunft ift eine Verfündigerin ewiger 
Geheimniffe, und wo Ihr auch feyd, fchließt fih Euch 
eine liebevolle Welt auf. Was wir fingen in Fries 
den, das bauet Ihr mit der flillen bimmlifchen Liebe 
fühn in die Wolken auf, und fo wird Euch auf ſtark— 
bemwegter Fluth niemals der rechte Kompaß fehlen kön- 
nen. Dazu habt Ihr auch wadre Gefährten, und man 
fann wohl von Eurem Kleeblatte jagen: »Wo zwei 
oder drei in feinem Namen verfammelt find, da ift er 
mitten unter ihnen.« 

Mit diefen Worten verneigte er fich ein Weniges 
gegen Hubert und Kaspar, und führte Erwin mit 
den Freunden aus der Kapelle aldbald nah der Bau: 
ftelle vol regfamen Lebens, und fodann ind Refekto— 
rium, wo ein Fruͤhmahl von Wein, Milch und. Wild- 
pret, mit weißen ungefäuerten Brotkuchen aufgetragen 
war. »Wir haben unfere Faften nach der Regel,« 
fagte der Abt, »doch find fie von dem heiligen Vater 
Innocentius fehr gemildert, fo daß wir felbft Fleifch 
foeifen auf Reifen und in Krankheiten genießen dürfen, 
auch gemeinfchaftlich effen und luſtwandeln Fünnen. 
Jedenfalls aber halten wir für unfre Gäfte dergleichen 
Speifen bereit, befonders 'wenn fie, wie Ihr, erft Ge: 
nefende und auf der Reife find. Erquidt Euch alfo 
an der geringen Gabe, aus geiftlicher Hand Euch dars 
geboten. 

Erwin, dem unterbeflen dad Herz leichter. ges 
worden war, nahm einige Speifen zu fih, und labte 
fich infonderheit. mit den Freunden an dem alten, bal- 


264 


famifchen Weine, welcher noch aus Paldftina ſtammte, 
und von dem Drden am Karmel hierher gefandt wor- 
den war. 

Einige Brüder gingen fhweigend umher, und da 
Erwin fie freundlich anredete, fo legten fie den Fin 
ger auf den Mund. Der Abt belehrte ihn, daß die 
Kegel ihnen einige Stunden das Stillfhweigen aufer- 
lege, und diefe noch nicht vorüber wären. Andere Pa: 
men dann und brachten mit großer Seierlichkeit aus ei- 
nem Nebenzimmer, da Erwin mit feinen Gefährten 
Abfchied nehmen wollte, ein graumollenes Skapulier, 
mit dem eingewebten Bildniffe der Jungfrau Maria, 
auf einem rothfammtnen Kiffen getragen, und über: 
reichten ed, mit ſtummen Geberden und Büdlingen, 
ehrerbietigft unferm Freunde, indem der Abt ihm er: 
Härte, daß es eine heilige Gabe fey, welche er, da er 
allen Geldesiohn verfchmäht habe, von ihnen zum An- 
gedenken nehmen wolle. Ein ganz ähnliches habe ihr 
Ordens-General Simon in England vor zwei Jah— 
ren aus der eignen Hand der heiligen Sungfrau Ma— 
ria empfangen, welche ihn mit vielen Heiligen, auf 
fein Gebet, vom Himmel herab befuchte, und diefes 
offne kleine Schulterkleid ihm und feinem Orden zum 
Schutze wider alle böfe Mächte darbot. Auch fey es 
ihnen vergönnt worden, fromme Laien damit zu bega= 
ben, denen ein Drittheil ihrer Sünden, von der Stunde 
bed Empfanges an, dafür vergeben würden; die deſſen 
infonderheit aber in Dem böfen Stündlein mit Nutzen ſich 
bedienen koͤnnten, um des Fegefeuerd überhoben zu 
werden, und grabeswegd in den Himmel zu gelangen. 


265 


Erwin nahm das Sfapulier mit einer gemifchten 
Empfindung von Rührung, Dank und Mitleid aus den 
Händen der flummen Mönche, welche e8 tief verehrend 
betrachteten, und ſteckte es ftil in feinen Bufen, indem 
er dem freundlichen Abte und feinen Ordenöbrüdern 
feine Erfenntlichkeit ausfprach, ihnen die Hände drüdte, 
und mit feinen Gefährten dann, da der Fuhrmann ſchon 
öfterd mit der Peitfche das Zeichen gegeben hatte, Die 
Keife fortfegte. Kaspar, weldher im Refeftorium ein 
altes landfchaftliched Gemälde gefunden, und darin fich 
ganz vertieft hatte, fprengte ihnen auf Erwins Roſſe 
nach, und erreichte erfi den Wagen auf der entgegen 
geſetzten Hoͤhe des Gebirgs, wo ihnen das Kloſter 
laͤngſt aus den Augen entſchwunden war. 

» ‚Erwin redete mit Hubert von den Arbeiten 
ded neuen Kloftergebäudes, deſſen Grundlegung er mit 
MWohlgefallen in Augenfchein genommen, und an deſſen 
fchnellem Fortfchritte er fich erfreut hatte. Der Abt war 
ihm in Allem, was zur Baukunſt gehörte, fo verftändig 
und mohlunterrichtet erfchienen, hatte fo treffende Bes 
merkungen über das Eigenthümliche diefer Formen geäu- 
Bert, ja, alle Klofterbrüder waren ihm fo männlidy und 
befonnen entgegengefommen, daß er ed fih durchaus 
nicht erklären Eonnte, wie fie von einem fo Eindifchen 
Wahnglauben ihren Geift feffeln und ihr Herz einneh- 
men ließen. Doc hütete er fih wohl, diefe Empfin= 
buüngen gegen Hubert und Kaspar laut werden zu 
laffen; denn theild fühlte er ſich für ihre Liebe und 
Saftfreundfchaft ſehr dankbar, theils ſprach ihm aus 
dieſen Legenden etwas dem beduͤrftigen Menfchenher: 


266 


zen fo Nahverwandtes an, daß es ihn faft zu Thraͤnen 
rührte. 

Sndeffen begann Hubert von felbft davon zu re— 
ben, ald Erwin auf dem Wege ftill geworden war, 
und fagte: » Du haft dad wunderthätige Sfapulier der 
Karmeliter gut verwahrt, nämlich an Deinem wunder 
füchtigen Bufen. — Doch wer will auf diefe dunklen 
Neigungen des ahnungsvollen Herzens, welche alles 
Natürliche in Wunder Gottes verwandeln, den erften 
Stein werfen? — Es find tiefe Pulfe der zukünftigen 
Melt, welche gar Findifch fich oft Fund geben, um bie 

_ Uebervernünftigen zu erinnern, daß die Natur von ei- 
ner andern Seite her, al3 von der fleifchlihen, ange 
fehen werben fönne. Sa, es ift Aberglaube; aber wo 
ift nicht Aberglaube? Und diefer ift gewiß nicht der 
fchlimmfte. « 

Erwin, dem diefe Gerechtigkeit wohl that, fragte 
nach feiner näheren Meinung, und Hubert fuhr fol- 
gendermaßen fort: 

»Ich weiß nicht, was es in mir ift, wenn ich ei- 
nen Pilgrim Vater und Mutter, Weib und Kinder, 
verlaffen, und nach. dem heiligen Grabe wandern fehe; 
aber es wendet mir immer dad Herz um. Er Fnieet 
nach faurer Wallfahrt an der Stätte, wo fein Erlöfer 
vom Leiden und Sterben ausruhte, und feine Sünden 
werben ihm erlaffen, fein Herz wird ihm gefund. War 
ed der weite Weg und die vielen Mühen? War es dad 
Faſten und Beten ohn’ Unterlaß? War ed ‚das Los: 
reißen von aller irdifchen Liebe und die Demüthigung 
unter dem heiligen Kreuze, was feine beruhigte Seele 


267 

fo friedevoll machte, und aus heiliger Armuth alle 
feine Liebe ihm doppelt wiedergab? — Genug, ihm 
ift geholfen, und er fehrt aus dem wunderbaren Lande 
der göttlihen Offenbarungen mit 'reicherer Herzend- 
und Lebenderfahrung zu den Seinigen zurüd. Sie 
fhließen ihn wieder in ihre fehnenden Arme, und er ift 
ein neuer Menfch geworden. So ift auf dem Halme 
der göttlichen Thorheit die Frucht der ewigen Wahr: 
heit gewachfen. « 

Ermwin verfeßte: »Ach, mein Freund, die Wahr: 
heit ift etwas fo Großes, Einfaches und Heiliged, daß 
wir nicht genug auf unfre erften Schritte wachen 
tönnen, um zu ihrem unentweihten Tempel zu gelan= 
gen! Zu Haufe bethören und Sorgen und Lüfte,. drau— 
Gen Abenteuer und Einbildungen; aber da drinnen, 
im geiftlihen Beim, ift Wohlfeyn! Könnte ich dahin 
eine Wallfahrt antreten, und wollte mid ein Jünger 
auf dem geradeften Wege dahin führen, fo wäre mir 
für immer geholfen!« 

»Diefer Jünger, denke ih, ift unfer Freund Se— 
reniud,« verfeste Hubert; »denn noch nie fah id) 
einen Dann, der von dem evangelifchen Lichte fo durch⸗ 
drungen war, als er. Seine Schwefter aber dürfte 
ihn an Bartheit noch übertreffen. Wenn beide Dich 
geleiten, und Du ihren Rath hören willft, fo wirft Du 
auf dem Fürzeften Wege zum Zrieden fommen, ber al: 
lerdingd durch die mächtigen Eindrüde des Schönen 
und Großen gar fehr bei Dir geftört ift. « 

„Wie kann es ihn doch flören,« fiel Erwin ein, 
»wenn es das rechte Schöne und Große ift?« 


268 





»Weil es eben nicht dad Schönfte und Größefte 
ift,« erwiederte Hubert fehnel, »und darum Dein 
weiches Herz fo leicht zum Gößenbienfte verführt, fo 
daß die Freiheit Dir verloren geht. Die hochbegabte 
Heldentochter hat Dich mit ihrer natürlihen Schönheit 
und Kraft wund gemacht; fie hat mit ihrer moralifchen 
Größe Dir noch tiefer den Stachel ind Fleifch gebrüdt, 
fo daß Du Hildegard in ihrer fanften, rührenden 
Schönheit faft vergeffen haft, wie treu auch Dein Herz 
an ihr hängt, und wie tief auch Eure Naturen zufam- 
menftimmen. in Zauber ift über Dih gekommen, 
wenn gleich der höchfte Zauber; Du bedarfft daher vor 
Allem jest einer flillen, chriftlihen Seelforge, Damit 
Du Di wieder an das Unfichtbare gemwöhnft, was 
doch unfre Heimath ſeyn fol; und gebe Gott, daß 
Du diefen Balfam des Herzens bald von Serenius 
und Elifabeth empfangen mögeft; denn Kaspar und 
ich find nicht tüchtig, ihn Dir zu reichen. — 

Erwin fühlte, daß der Freund von einer Seite 
Recht habe, von der andern aber feine Liebe zu Freya 
durchaus nicht verftehe, welche fo eigenthümlicher Art 
war, daß fie nur im höchften chriftlichen Geifte aufge- 
faßt werden Eonnte. Der Vorwurf ded Abgöttifchen 
that ihm befonders wehe, da er ſich durch fie eben fei- 
nem Gott und Erlöfer näher fühlte, und wenn er gleich 
ihm eingeftehen mußte, daß Hildegards Bild ſich 
ein wenig verbunfelt habe, fo gab er dem fremden 
Lande die Schuld, welches, mehr oder minder, den Ein- 
zelnen auch in fremde Gedankenreihen und Empfin- 
dungen verfchlinge. Er hoffte mit Zuverficht, daß, einft 


269 


— — — — — nn 


heimgekehrt auf deutſchen Boden, auch ihr liebes Bild 
in gleicher Klarheit und Waͤrme, wie anfangs, ihm die 
Seele erfuͤllen wuͤrde, und was Freya ihm ſey, nur 
ſeinen Geſichtskreis fuͤr alles Schoͤne, Große und Gute, 
ja fuͤr Alles, was zur Ehre Gottes gereiche, erweitern 
muͤſſe. Er glaubte zu fuͤhlen, daß ihre Geſtalt gleich 
wie im ewigen Aether des Geiſtes vor ihm ſchwebe, 
klar, doch unerreichbar, um alle Geſtalten ſeines Lebens 
zu erhellen und zu ordnen, damit das richtige Eben— 
maß niemals geſtoͤrt werden moͤchte. Dieſen ſeinen re— 
ligioͤſen Ernſt ſchien ihm Hubert uͤberſehen zu haben, 
‚und fo auch das wahre Schöne in feiner freien und 
zarten Liebe nicht zu erkennen. Deshalb fchwieg er, 
indem er dem forgenden Freunde nur mit einem Hän- 
dedrud dankte. Meinte diefer es doch mit ihm fo treu 
und gut, daß er deflen Freundfchaft wie einen gro- 
Ben Schatz im Herzen ftill bewahrte. 

»Ich habe doch nie,« ſprach er nach einigem Still- 
fchweigen, »einen fo edlen Menfchen gefehen, als den 
König Erik. Alles in ihm ift fo natürlich gut, fo ine 
flinftartig gerecht, und was Andre ſich durch Geift und 
Selbftüberwindung erwerben müffen, dad übt er mit 
dem Föniglichen Herzen unbewußt, wie ein Kind, aus, 
ald fey ed das Gemöhnlichfte von der Well. Man 
weiß nicht, wo man die alte Erbfünde bei ihm fuchen 
fol, welche doch zu und Allen hindurchgedrungen iſt; 
ed fey denn in einer gewiſſen Formloſigkeit feiner Ge: 
danken und Empfindungen, melde aber aus den ab» 
nehmenden Kräften feines hohen Alterd hervorgehen 
mag, wenn ed nicht mit der ganzen Eigenthümlichkeit 


270 





der nordifchen Natur zufammenhängt. Aber, wie dem 
auch fey, ein ehrwürdigeres Bild, als diefen Morgen 
der fchlafende Monarch mar, ift mir auf meinem Wege 
niemald begegnet. Es hat fih auch meiner Seele fo 
unauslöfchlich eingeprägt, daß ich es noch in ber letzten 
Lebensftunde, wie heute, als ein Zeichen verfühnter 
Menſchheit und himmliſcher Bollendung verehren werbe.« 

»Ich muß Dir im Ganzen Recht geben,« verfeßte 
Hubert, »doch möchte ich in jenem, von Dir bemerf- 
ten, $ormlofen auch etwas fehr Unvollfommnes finden, 
welches in eben dem Grabe, als es ſich durch Bewußt⸗ 
loſigkeit in das Göttliche erhebt, durch Ungeftalt in das 
MWeltliche hinabſinkt. Vieles Frembdartige wird ſich auch 
in feine Kreife mit eindrängen, und dba der unterfchei- 
dende Geift fehlt, Alles am Ende in die Breite ziehen, 
was in die Ziefe und Höhe gehen follte.« 

»Und doch,« erwiederte Erwin, »nimmt er ein 
ganzes Wolf mit fih, und fein Fönigliches Herz verbin- 
det Alle, die ihm angehören, zu einem Reiche des Gei— 
ſtes und Gemüthes, welches Fein Ende haben wird. 
Das nenne ich Volksthum, Königsthum und die wahre 
Größe des gebornen Herrfcherd. Seine ftotternde Rede, 
fein fchleppender Fuß und feine Heine Geftalt, vergroͤ— 
Gern nur noch den Eindrud dieſes wahren Seelen 
abelö, der einzig in feiner Art if. Serenius geht 
wohl wie eine hohe Kichtgeftalt feinem Zeitalter voraus 
und vorüber; Birger-Jarl fährt wie ein fchmettern- 
des Schwert durch alle Berhältniffe der Menfchen hin— 
durch, und zertrennt fie ald Sieger, um Neues zu bin 
den, das aber bald wieder alt und morfch werden muß. 


271 


König Erik dagegen erhält das Beftehende im Wah— 
ren und Guten, und haudt gar mildiglicy einen höhe- 
ren Frieden über die vermüftete Welt aus. Man weiß 
nicht, woher es fommt, auch nicht, wohin es fährt; 
aber es ift Friede, fo lange der alte König lebt; 
doch der Friede wird alsbald verfchwinden, wenn fich 
feine Augen gefchloffen haben. Man wird ſich um- 
fehen, wo der Friede blieb, Doch Feiner der großen 
Herrfcher wird ihn, wie Erif, zurüdholen konnen. « 

Unterdefien war ed Mittag geworden, und bie 
Freunde Fehrten in eine Mühle ein, deſſen fchäumende 
Räder, in romantifcher Bergſchlucht halbverborgen, zur 
gaftlichen Ruhe fie einluden. Der Müller, ein großer, 
ftattliher Mann, trat ihnen freundlich entgegen, und 
fchüttelte ihnen träftig die Hände. Einen filbernen 
Becher voll Starfbier bot er ihnen zum Willfommen 
dar, und nöthigte dann, nachdem fie getrunfen, bei fei- 
nen Kindern und Hausgenoſſen mit ihm zum Mit: 
tagsmahle ſich niederzulaffen. Die Dausmutter that 
desgleichen, ordnete ihre Pläße, und trug ihnen auf von 
den dampfenden Speifen. Die Kinder rüdten freund- 
lich zufammen. So fühlten fie fih bald einheimifch 
unter dieſen biedern Leuten, ald wenn fie längft bei 
einander gewohnt hätten. 

Nach einer Weile fagte Hubert, welcher fich mit 
ihnen in ein Gefpräch über ihr Handwerk und über die 
Tagsbegebenheiten einließ, indem er nah Erwin hin- 
blickte: »Das Leben macht doch wenig Umftände, wenn 
es da3 rechte ift, und bleibt fih am Ende im Wefent- 
fichen gleich. Geftern Mittag fpeiften wir noch an 





272 


—— — 


König Eriks Tafel, heute bei dieſem wackern Meiſter; 
es iſt aber dieſelbe gute Geſellſchaft, welche Gott, der 
Herr, durch edle Gaſtfreundſchaft verbunden hat. So 
treffen wir denn immer alte Bekannte an, wenn der 
menſchenfreundliche Geiſt und die Thuͤren oͤffnet.« 

Erwin verſetzte: »Er hat ſie uns geoͤffnet, und 
wird ſie uns ferner aufthun, wenn wir gut behauene 
Werkſtuͤde zu feinem unſichtbaren Tempelbau mitbrin- 
gen, und getroft fie zufammenfügen. « 

»Ja,rief Kaspar lachend, »doch nur ohne Kitt 
und Mörtel, allein mit lothrechten und wagrechten Li— 
nien. Das muß zufammenbaffen, als wenn es ange⸗ 
goſſen waͤre. So hat es Gott geſchaffen und ſiehe da, 
es war Alles ſehr gut.« 

Der Muͤllermeiſter, welcher in der Fremde geweſen 
war, und ihre Sprache verftand, erßgoͤtzte ſich an dieſen 
Worten, und fuͤgte hinzu: —8 — Wahlſpru chiſt immer 
geweſen das Wort der Schrift: »Iſt das Leben doch 
mehr als die Speiſe! Iſt der Leib doch mehr als die 
Kleidung!« und dabei hat es uns an Eſſen und Trin⸗ 
ken, an Kleidern und Schuhen niemals gemangelt. Es 
kommt alſo nur darauf an, wo der Menſch zuerſt an— 
greift. Iſt es das rechte Ende, ſo wird alles Andre 
ſich von ſelbſt finden. « 

»Da habt Ihr Recht,« fagte Erwin, und bot ihm 
über den Zifch die Hand. »Wir alle viere find Zuͤnf— 
tige; Ihr, der Müllermeifter, habt aber ein meifterlich 
Mort geredet.“ 

Der Müller erkundigte. fih nun ſehr treuherzig 
nach dem Stande feiner deutfhen Gäfte, und da er 





273 


vernahm, daß fie Zunftmeifter edler Künfte wären, fo 
warb er fehr froh und verficherte, daß er diefen Tag 
in feiner Hauschronif befchreiben, und im Kalender 
mit Roth anftreichen würde, damit feine Enfel in der 
Mühle noch veffelben gedenken möchten. Die Mutter 
und Kinder fahen mit Wohlgefallen flaunend auf ihren 
belebten’ Vater hin, welcher in einer Sprache, davon 
fie nichts verftanden, fo angelegentlich mit feinen Gaͤ— 
ften redete, und fühlten fich geehrt in ihm. Die Nach— 
richt, daß es deutfche Künftler. feyen, erreäfe in ihnen 
den Wunfh, daß diefe ein Gaſtgeſchenk ihrer Kunft: - 
fertigfeit in der Mühle zuruͤcklaſſen möchten, und fie lagen 
den Water art, jene darum zu bitten. Diefer wies fie 
ab, weil es fich nicht fchide. Hubert aber bemerkte 
es, und fagte ed. zu Erwin und Kaspar, welde | 
auch nicht abgeneigt: wiyren, ihr Verlangen zu erfüllen. 

Nach der Mahlzeit führte der Müllermeifter feine 
Säfte in der Mühle umber, indem er ſich Erwins 
Math über etwa mögliche Verbefferungen verfelben er: 
bat, und die Mängel auseinanderfeste, da die Mühle 
ſchon über ein Sahrhundert geftanden habe. Erwin 
legte fogleich den Maßſtab an, und bemerkte; fih Alles 
genau in feiner Schreibtafe. Dann holte er fein 
Reißzeug hervor, und zeichnete auf ein Stuͤck Perga— 
ment, welches er bei fich führte, den ganzen Grundriß 
und Aufriß zu einer neuen Mühle hin, indem er dem 
Müllermeifter die fünftliche Struktur derfelben erklärte, 
und dann dem Hocherfreuten diefen ſchnell vollendeten 
Bauriß zum Gaftgefchent darbot. Der Müller, wel: 
cher über dieſe Eünftlerifche Fertigkeit des jungen Frem— 

Erwin von Steinbach. II. 18 


274 


den ganz verwundert war, da er felbft ein wenig vom 
Mühlenbau verftand, und biöher an den alten Rädern 
nach beften Kräften geflit hatte, bot ihm zum ohne 
ein anfehnlihes Stuf Geld an; Erwin aber fpradh: 
» Nehmt Diefes geringe Saftgefchenf ohne Weiteres, und 
laßt nicht den Mammons-Goͤtzen zwifhen uns treten! 
Wenn Ihr in der neuen Mühle aber bequemer mit 
Euren Hausgenoffen wohnt, und dort Euer gutes Brot 
findet, dann denkt freundlich an den Meifter aus Straße 
burg, Erwin von Steinbad!« 

Der Müller fhloß ihn in feine Arme, und Füßte 
ihn wiederholt und Iebhaft, indem er ausrief: » Ihr 
alfo feyd der berühmte Schloßbaumeifter zu Bielbo, 
von dem fo viel Redens ift, Ihr feyd der fo wadre 
Ritter auch, welcher unfre gnädige Prinzeſſin aus den 
Klauen des Bären, und aus den fchlimmern des Holm- 
geir, errettet hat! Man erzählt von Eurer Kunftfer: 
tigfeit die wunderfamften Dinge, und nun ift es mir 
nicht mehr befremdend, daß Ihr meine neue Waſſer— 
müble in einer Stunde fo aus freier Hand hingezeich- 
net habt. Wohlan, Meifter, der Mammon fol nicht 
zwifchen uns treten; aber ftatt deffen will ih Euer 
Freund feyn, der fih in der Noth bewähret; denn unter 
diefem Kittel fchlägt ein freies, fchwedifches Männerherz! 
Nehmt das zum Gaftgefchenf, und hütet Euch vor den 
Hoffchranze®in Bielbo.« 

Erwin ward gerührt und danfte ihm; denn es 
hatte ihn das Wort ganz durchdrungen, das der Mül- 
ler wie ein Prophet gefprochen. Mit Sorge dachte er 
an feine nächfte Zukunft und an Birgers Heimkehr, 

) 


275 


welcher feit lange nicht an ihn gefchrieben hatte, und 
durch böfe Zmwifchenrede von ihm abgewandt zu feyn 
fhien. Doppelt fehmerzlih fühlte er nun die Tren— 
nung vom guten alten Könige und von den lieblichen 


Fürftenfindern, welche ihm fo aufrichtig zugethan 


waren. 

Unterdeffen war die Zeit der Weile in diefer friebli- 
hen Mühle verftrichen, und die Freunde rüfteten fich zur 
Abreife. Hubert bot dem Müller zum Gaftgefchent 
ein Gemälde des Eöniglichen Antlitzes Eriks, welches 
diefer mif® den Hausgenoffen fogleich als höchft ſpre— 
chend erfannte, und das von den Eltern und Kindern 
mit großem Subel aufgenommen wurde, indem man 
es fogleich unter einem Eleinen Spiegel befeftigte. 

Kaspar dagegen zog einen norwegifchen Waſſer— 
fall, fe gemalt, aus feinem Felleifen hervor, und bot 
es dem Müller zum willkommnen Angebdenfen, indem 
er die Landſchaft fogleich neben Hubert3 Bilde be— 
feftigte. Die Millerfamilie konnte das Natürliche der 
Schaummellen daran nicht genug rühmen, und fragte 
immer von Neuem, womit das gemacht fe? — So 
finden alle Naturmenfchen nur immer das Wirkliche, 
nicht aber dad Schöne und Ueberfinnliche in der Kunft, 
und darum wird der höhere Werth eines Bildes fo fel- 
ten verftanden. Der Menfh muß erſtgelbſt befreit 
ſeyn von der blinden Naturgewalt, fo wie von der 
fchlimmern der weltlihen Meinungen und Vorurtheile, 
wenn er zu dem ftillen Tempel der Künfte eingeweiht 
werben fol. Es ift auch nicht genug, baß er ein tie- 
fes ‚religiöfes Gefühl, ein treues Herz, und eine fefte 

18* 


Er 


. 


276 


Sitte habe; der wahre Gefhmad ift die harmonifche 
Frucht aller diefer höheren Seelenfräfte, und verlangt 
immer eine bedeutende Bildungsftufe des ganzen erfen- 
nenden, fühlenden und werkthaͤtigen Menfchen, welde 
nur von wenigen zartgefchonten Seelen erreicht werden 
dürfte. Doc hatte auch das lebhafte Anerfennen die— 
fer redlihen Müllerfamilie für unfere $reunde einen 
Werth, und fie fchieden gar herzlich mit aegenfeitigen 
Berficherungen des warmen Angedenfens, indem fie ihre 
Reiſe weiter fortfegten. 

Hubert beflieg nun Erwins Roß, Ind Kas— 
par feste fich flatt feiner zu ihm, indem er vieles von 
Norwegen erzählte. Schon neigte fi der Tag, als 
fie einem Wanderer in Pilgertracht begegneten, welcher 
eine Laute im Arme hielt, und feinen langen Stab mit 
dem Kürbisfläfchchen weit vorausſetzte, indem er rafchen 
Schrittes ihnen vorübereilte. Doc plöglich ſtand er 
ftill und rief: » Halt!« — Alsbald erfannte Erwin 
den Einfiedler von Alt-Upfala, und diefer reichte. 
ihm die fnöcherne Hand, indem er fprach: » Sch wandre 
ist ins heilig etand, um, nach dem Befchluffe der nor- 
difchen Brüder, meine fihweren Sünden am Grabe 
Chriſti abzubügen, und alsdann über Rom heimzufeh: 
ven, ob der heilige Water mir die vollfommene Abfolu: 
tion fprecben wolle! — Kommt mit mir, wenn Ihr 
flug feyd! st in Bielbo Alles flehen und liegen, 
wie die Zünger ihre Boote und Netze am See Gene: 
zareth! Denn was Fann der Menfc geben, daß er 
feine arme Seele wieder löfe, und die Eurige ift wahr: 
lich noch hart gebunden.« — 


277 


Erwin dankte ihm freundlich, und bat auch, für 

ihn am heiligen Grabe zu beten, denn er fey durch 
Pflichten hier gebunden. 

»Shr wollt alfo nicht mit?« rief der Einſiedler; 
„nun, fo hört noch zuleßt die Wahrheit von mir: Der 
einzelne Erden-Menſch ift wie ein fallendes Blatt; aber 
fchliegt Euch meinem heiligen Orden an, fo werdet Ihr 
flarf feyn wider alle Eure Feinde, deren Zahl zu 
Bielbo nicht gering ift! Wollt Ihr noch mehr wiflen, 
fo fchreibt an den Klofterbruder Auguftino in Alt: 
Upfala. Gott befohlen!« 

Der Pilgrim drüdte ihm Eräftigft die Hand, und 
fchied mit großen Schritten hinweg, ohne feine Antwort 
abzuwarten. 

»Heute will mich doch Alles bange machen, « fagte 
Erwin lächelnd; »felbft diefer halbwahnwigige Mönch 
hat mir einen neuen Schauer ins Herz geworfen, doch 
fol es meinen guten Glauben nicht erfchättern!« — 
Kaspar erzählte von ähnlichen Schauern, die ihn be- 
rührt, aber weiter feine Folgen gehabt hätten, und nannte 
fie Geifter des Abgrunds, welche nur kaͤmen, um das 
arme Menfchenfind zu verfuchen, Doch den wadern 
Chriſten nicht anfechten koͤnnten. 

Hubert, welcher ed gehört hatte, lachte des Pil- 
grimd und fagte: »Solche Gefpenfter und Abend: 
Schatten der Menfchheit müffen auch da ſeyn, damit der 
Bernünftige daran feine Spiegelfolie finde, welche die 
Strahlen des guten Geiftes um fo fräftiger zurüd- 
bricht. — 

Unterdeffen näherten fi die Freunde dem Ziele 


278 


ihrer Tagesreiſe; denn fchon erblidte Erwin den be= 
kannten See, und bald fuhren fie auch über die lange, 
hohe Arkaden Brüde, welche zum Schloſſe Bielbo 
führte; fie hatten einen andern Weg, ald den gewoͤhn— 
lichen, gewählt, weil diefer verfchneiet war, und waren 
fonach auf der Straße von Upfala gekommen. Die 
Gegend fchien unferm Freunde ganz verändert; die fcho- 
nen Schwäne hatten die ftarrende Fluth verlaffen, wel- 
che in diefen Falten Lagen fchon nad) dem Lande zu 
mit Eid fich belegte. 

Ueber den weißbereiften Waldbogen fehimmerte nur 
ein mattes Abendroth, gleich wie fehmerzliche Erinne- 
rung, und die welfen, röthlich= gelben Blätter von den 
nächften Baumgruppen wurden im Winde ungeflüm 
durch die Lüfte geführt. An der Zugbrüde forderte der 
Thürmer das Wort, und während er die Ketten nie: 
berließ, betrachtete fih Erwin die dunklen Mauern 
mit dem dichtaufranfenden Epheu, welche auf den Zin- 
nen mit glänzendem Schnee ſchon bededt lagen, und 
dadurch ihm noch ernfter erfchienen. So ernft und flill 
war auch fein Gemüth, als fie durch das hallende Thor 
einfuhren. Niemand Fam ihnen entgegen, und ausge— 
ftorben fchien diefe Burg. Um fo erfreulicher erfchien 
ihm dad neue Schloägebäude, welches, faft ſchon voll 
" endet, wie ein alter Freund in der Fremde, ihm wohl: 
befannt entgegentrat, und mit feinen großartigen Ver— 
bältniffen,, als Kind feines Geiftes, ihn begrüßte. 
Kaspar ritt über den oͤden Schloßhof nahe zu ihm 
binan, und rief: » Das bift Du felbft, Bruder!« Und 
Hubert verficherte, daß er an Schlöffern der Art et= 


279 


was fo Einfach» Erhabned noch niemals. gefehen habe. 

Sndeffen trat ein Diener aus dem Portale des al: 
ten Schloffes mit einer Tadel an den Wagen, und 
führte Erwin mit feinen Freunden die Treppen hinauf, 
indem er einem andern zurief, die Sachen nachzutragen. 
Im Hinauffteigen verficherte er, daß man fie fchon Längft 
erwartet habe, und feit mehreren Tagen der Bau einen 
Stilftand genommen, weil die Öteinmeßen den Ges 
horfam aufgefündigt hätten. 

Erwin fühlte fih fhwer an Herz und Gliedern, 
und trat mit den Freunden in fein altes Arbeitszimmer 
ein, wo Alles noch auf demfelben Fleck ftand, und an 
frohere Arbeitätage erinnerte. Bald fand fi) auch 
Emund ein, und mit Inbrunſt umarmten fich die 
Baumeifter; dann begrüßte der Alte Erwinsd Freunde 
mit biederm Handſchlag, und meldete, daß die Herzo— 
gin fie gleich zu fprechen wünfche, da Manches für den 
andern Morgen zu verabreden fey. Nun erzählte er 
kurz, was fich feither ereignet habe, und wie er es nicht 
an Strafen und Vermahnungen habe fehlen laffen, um 
die gute Ordnung unter den Maurern zu erhalten, daß 
zulest aber, durch einige Gefellen, die ganze Maſſe der 
Steinmetzen fo aufgewiegelt fey, daß er alle habe ab: 
lohnen und auseinandergehen laſſen müffen, bis ber 
Obermeiſter angelangt wäre. 

Noch redete er, als Erwin mit feinen Freunden 
fhon durch einen Kammerdiener zur Herzogin geforbert 
wurde. Der Rath Lido empfing fie gleich im or: 
zimmer, und begrüßte fie mit Herzlichfeit, indem er 
feine Freude über Erwins Genefung ausſprach; doch 


280 


—— 


lag eine Wolke uͤber ſeiner Stirn, welche ſich nicht auf— 
klaͤren wollte. 

Bald fuͤhrte er ſie in das innere Gemach, wo die 
Herzogin mit Graf Jertha Schach ſpielte. Als Er— 
win mit den Freunden und Emund eintrat, empfing 
fie dieſelben mit ihrer gewohnten Huld, indem ſie ſich 
bei Erwin nach dem koͤniglichen Bruder und ihren 
Kindern erkundigte. Graf Jertha bot unferem Freunde 
bie Hand, und fah ihn fortwährend durchdringend an, 
ald wenn er einer Sache auf den Grund kommen wollte, 
während er fich nach feinem Befinden erfundigte, und 
der Hemmungen des Schloßbaues in feiner langen Ab- 
wejenheit gedachte. - Ä 

Hubert nahm das Wort und verficherte, daß der 
Leibarzt nicht früher feine Rüdreife habe zulaffen wol- 
len, audy der König demfelben beigeftimmt hätte. Die 
Herzogin ſprach nun das Mißfallen ihres Gemahls über 
diefe Verzögerung auf eine fehr fchonende Weife gegen 
Erwin aus, und bat ihn dringend, jetzt um fo mehr 
die Arbeit zu fördern, damit er ſich und ihnen allen 
feine Unannehmlichkeiten zuziehen möge; denn der Her— 
309 ſey einmal wider ihn eingenommen. Die nöthigen 
Maßregeln wurden verabredet, und fo für den Abend 
der Sache nicht weiter gedacht. 


281 


Zweites Kapitel. 


Am andern Morgen lieg Erwin, als Obermeifter der 
Bauhütte, alle Steinmegen des Schloßbaues zufam: 
menberufen, und hielt einen Gerichtötag nach den Sta— 
tuten. Emund, einige Werkmeifter und Altgefellen 
der Zunft waren feine Beifiger. Die Aufrührer wur: 
den verhört, überwiefen, und zur Gefängnißftrafe oder 
Landesverweiſung verurtheilt. Die durch fie Verfuͤhr— 
ten wurden ernftlih, bei Strafe des neuen Uebertre- 
tungöfalles, ermahnt und zum Gehorfam zurüdgeführt. 
Dann wurden die Gefehe der Bauhütte verlefen, und 
alle Steinmeben gelobten von Neuem, ihnen Folge zu 
leiſten. Zuletzt hielt Erwin noch eine kurze Rede an 
die Zunftgenoſſen, worin er ihnen feine Betrübniß über 
ihren Ungehorfam, fo wie feine Liebe zu ihnen aus— 
fprach, und nachdem er die Unmöglichkeit feiner frühes 
ren Ruͤckkehr ind Baugefhäft bewiefen hatte, feine 
Wünfche und Hoffnungen zur rafcheren Vollendung des 
Schloſſes ihnen ans Herz legte. Alle Steinmeßen wa— 
ren gerührt, und viele eilten herbei, um ihm die Hände 
zu kuͤſſen, und fo ihre Schuld ihm abzubitten. Er ließ 
ed aber nit zu, Sondern fchloß die Altgefellen an 
feine Bruft, und fchüttelte den Lehrlingen die Rechte, 
wodurh er ſich denn allgemeinen Beifall erwarb. 


282 


Emund und die anwefenden Meifter bemunderten feine 
BVolksthümlichkeit, und Graf Sertha lobte laut das 
weife und edle Verfahren des Obermeifterde. Hubert 
und Kaspar aber hatten ihre ftille Freude daran, und 
Lido berichtete fofort der Herzogin den guten Erfolg; 
denn ein ganz neuer Eifer für den Bau befeelte von 
nun an alle Steinmeßen der Burg. Erwins Feinde 
aber, welche ſchon meinten gewonnenes Spiel zu ha: 
ben, und feinen Fall für gewiß hielten, biffen die Zähne 
zufammen, und fchmiedeten neue Nänfe; denn allein 
von ihnen war die geheime Aufwieglung der Steinme- 
gen ausgegangen. 

Erwin griff nun den Schloßbau mit neuem Feuer 
an, und war allenthalben gegenwärtig, wo es der Auf- 
munterung und Nachhülfe bedurfte. Auch blühte feine 
Gefundheit von Tage zu Tage wieder auf, und jeder 
Steinmeg hatte feine Freude an ihm, wenn er auf ho— 
hem Gebälfe fo kuͤhn und fröhlich einherfchritt, als 
ob er auf ebner Erde gehe. Er dachte nichts, als 
feine Kunft, und felbft Freya's Bild wich in feiner 
Seele zurüd vor dem ernften Zwecke der Vollendung, 
welchen er mit männlicher Beharrlichkeit verfolgte. Am 
Abend der Werktage war er fo ermübet, daß er nur 
noch eben fein Gebet thun Fonnte, um fi dem will: 
kommnen Schlafe in die Arme zu werfen; am Morgen 
raffte er fich fo fchnell auf, daß er zu feinem andern 
Gedanken Zeit behielt, als in der neuen ſchon vollen- 
deten Schloßfapelle feine ftile Andacht zu halten, und 
dann zu feinen Arbeitern zu eilen. Auch ward er im= 
mer mit einem freudigen Gruße empfangen, und feine 


283 


Gegenwart befeelte alle Eunftfertigen Hände. An Aus- 
theilung von Speifen und Getränken ließ er’s eben- 
wohl nicht fehlen. So trugen ihn Lehrburfchen und 
Gefellen faft auf den Händen, und waren ftol; auf ih: 
ren Obermeifter, der eben fo freundlich und freigebig, 
als tüchtig und gerecht ſich bezeigte. Emund hatte 
wohl manches erfpart, um fich bei dem Herzoge beliebt 
zu machen; Erwin dagegen vertheilte nicht nur das 
Beſtimmte, fondern legte aus feiner Taſche noch zu, 
um durch fröhliche Stimmung der Arbeiter den Bau 
zu befchleunigen. Emund verlangte von den fremden 
Gefellen und Lehrlingen eine gemeffene Ehrerbietung in 
Zeichen und Geberden, mit dem ftrengften Gehorfam, 
indem er fie fein Webergewicht oftmals fühlen ließ; 
Erwin dagegen war wie ihr Bruder und Freund un- 
ter ihnen, welcher felbft angriff, wo er einen Schwa= 
chen fand, auch ihnen das Abziehen der Kappe vor ihm 
verbot, damit fie nicht bei ihrer Arbeit geftört würden; 
aber eben dadurch fich aller Herzen bemeifterte und bie 
höchfte Ehrerbietung erwarb. Seine Feinde und Nei- 
der verläfterten diefes Betragen als ein Streben nad) 
Bolfsgunft, unter der Dede der Uneigennüßigkeit und 
Anfpruchölofigkeit, und gründeten darauf neue Anklagen 
bei dem Herzoge, indem fie ihn gefährlicher politifcher 
Umtriebe. befehuldigten, ja, diefe Zwecke wieder mit fei- 
ner Liebe zur Prinzeffin in Verbindung flellten. Die 
Eoleren des Hofes zwar, unter denen Graf Sertha 
und Lido an der Spike flanden, nannten es laut uns 
zmweifelhafte Beugniffe feines edlen und liebenswuͤrdi⸗ 
gen Charakters; dieſe aber ließen es dabei eben auch) 


284 


bewenden, ber guten Sache vertrauend; fo wie Sene 
dagegen raftlos arbeiteten, ihn aus der Gunft des ent: 
fernten Herzogs zu flürzen. 

Bon dem Allen nun merkte unfer Freund nichts, 
fondern ging wie ein Nachtwandler auf des Daches 
Binne, ohne zu ſchwindeln, und lebte nur feiner er— 
habnen Kunft, fo wie den erquidenden Erinnerungen 
an Hildegard und feine Heimath, welche ihm, er- 
wärmend und ſtillend, wiederum viel näher getreten 
waren. 

Hubert und Kaspar, nachdem fie einige Tage 
bei ihm verweilt und feines regen Lebens fich erfreut 
hatten, begaben fich, nach der Abrede, wieder zum al- 
ten Könige in Brofd zurüd, um dort ihre angefange- 
nen Gemälde zu vollenden, und dann, wenn er ihrer 
bebürfe, oder der Herzog fie fordern follte, wieder zu 
ihm zurüdzufehren. Sahen fie ihn doch in voller 
Kraft und Gefundheit, und fürchteten für ihn Feine 
Gefahr, da er in der fchönften und harmlofeften Wirf- 
ſamkeit ftand. 

Sao hblieb unfer Freund für feine tieferen Gefühle 
auf fich felbft zurüdgewiefen, und hätte die Kunft nicht 
feine ganze Seele erfüllt, fo würde fich eine große Lüde 
gezeigt haben, und ein ſcharfes Weh nicht zu vermei— 
den gewefen feyn; . denn dag er Freya nicht mehr 
hatte, und daß er fern von Hildegard und Die- 
terich war, durdfchauerte bisweilen fein Herz wie 
Todtengeläut und Grabeshauch. Auh Serenius 
fehlte ihm oft, wie ein Vater, und er fehnte fich ver— 
gebend, feine lichtvollen Lehren zu hören, feine treue 


285 


Hirtenhand zu faſſen. Elifabeth ſchien ihm aus ber 
Ferne zuzurufen: »Kehre bald zurüd, wir find noch da 
und lieben Dich! « 

Unterdeffen rüdte der Schloßbau, von den zahl: 
lofen Händen gefördert und durh Erwins Geift be— 
feelt, fo rafch fort, daß nach einem Monat fchon die 
gewölbten Deden des oberften Gefchoffes gefchloffen 
wurden, auch das platte Dach gelegt ward, und der 
Nitterfaal in feiner ganzen Pracht fich zeigte. Selbft 
Ermwind bitterfie Feinde mußten die Schönheit und 
Schnelligkeit der Arbeit bewundern, und mander un- 
ter ihnen ſprach es geheimnifvoll aus, daß diefer 
Straßburger im Bunde mit dem Böfen ftehe, wel- 
cher bei Nacht mehr für ihn arbeite, als feine rafchen 
Steinmegen bei Tage. Erwin, der es vernahm, la: 
chelte, und gedachte, was man einft in Köln aud 
über Meifter Dieterich und feinen Vater ausgebrei- 
tet hatte. 

‚Herzog Birger, welcher öftere Botfchaft an feine 
Gemahlin und Graf Sertha fandte, und noch immer 
durch neuausgebrochne Unruhen in Tawaſtland zur 
rüdgehalten wurde, erfundigte fih mit Sorge nad) dem 
Fortgange des Baues, indem er dem Grafen befahl, 
den deutſchen Baumeifter zu feiner Schuldigfeit firen- 
ger anzuhalten. Man fah deutlich, daß er mehr und 
mehr wider ihn eingenommen wurde, und Da weder 
Jertha, noch Lido für Erwin daraus ein Geheim- 
niß machten, fondern vielmehr ihn warnten, indem fein. 
Lob in ihren Briefen an. den Herzog feine Wirfung 
mehr habe, und man alfo von den Läfterzungen, die 


286 


fein Ohr hätten, das Schlimmfte befürchten fönne: fo 
ftörte eS bei allem Kunfteifer doch zu Zeiten den Frie- 
den unfers Freundes, und gleichfam ein großer, ſchwar— 
zer Schatten trat unerwartet in feine höhere Lichte 
welt ein, weldes ihn auf Augenblide fehr betrübt 
machte. 
» Habe ich doch nichtö verbrochen,« fprah Erwin 
einft zu Lido und Emund in einer vertraulichen 
Stunde, »habe ich doch gethan, was ich zu thun ſchul— 
dig war, und wenn Gott mich auch einen unnüßen 
Knecht nennt, fo hat fich doch der Herzog nicht über 
mich zu beflagen, da ich erft mein Blut für feine Toch— 
ter vergoß, und nun alle meine Kraft und Habe .an 
feinem Schloßbau erfchöpfe. Thue ich es doch nur aus 
Liebe zu ihm, und nicht um des Gewinnftes willen; 
was Fann ihn denn fo fehr wider mich aufbringen, daß 
er mich nicht einmal einer Zeile, noch eines Grußes 
würdigt; fondern vielmehr durch Euch, wie einen 
Sklaven, mich bedrohen läßt, und wie einen faulen 
Tagelöhner, mit dem man fich baldigft abfinden möchte, 
um ihn zur Rechenschaft zu ziehen, mit Vorwürfen mic) 
überhäuft?« | 

„Nichts,« verfehte Lido, »gar nichts, als die Ein— 
flüfterungen Eurer Neider, welche alle Eure guten 
Werke bei ihm verdrehen, und felbft Eurer Popula= 
rität, welche uns einen fo rafhen Fortgang fchafft, ge— 
fährliche politifche Abfichten unterlegen. « 

»Molitifche ?« rief Erwin erflaunt aus; » was habe 
ich mit der fchwedifchen Politik zu thun, da ich binnen 
furzem wieder in mein Vaterland gehen will, und nur _ 


287 


um meiner Kunft willen, und um meines gegebenen 
Worts, hier noch verweile!« 

»Und doch,« verfegte Lido fehr theilnehmend, »ha- 
ben fie eben Euren lobenöwerthen Eifer, als einen An- 
fer ihrer Verlaͤumdungen, in dad Herz des mißtraui- 
fhen und ehrgeizigen Herzogs eingefchlagen, indem fie 
ihn glauben madten, daß Ihr das Volk zu gewinnen 
fuht, um durch einen Aufruhr in feiner Abmefenheit 
die Zügel des Staats an Euch zu reifen und Freya 
in Euren Befiß zu befommen, da Eure Liebe zu ihr 
ihm im vergrößerten Maßftabe vorgeftellt, und mit den 
gehäfligften Zuſaͤtzen begleitet wurde.« 

»Sa, fo ift es,« rief Emund aus, „und Eure 
Bermundung hat ihn nur in der Meinung beftärft, daß 
Shr feine Tochter abfichtlih in Gefahr gefegt habt, um 
ihr Herz defto fihrer zu gewinnen, und mit Darbie: 
tung Eured Lebens defto vollfommner fie an Euch zu 
feffeln. Der Herzog fieht darin nichts, als eine blinde 
Leidenfchaft, welche zu den größeften Verirrungen fä= 
big ift, und die das gegebne Ehrenwort langft ſchon 
gebrochen hat. Wir wollen für Euch beten, mein Bru— 
der, und Gott danken, wenn ohne zündenden Blisftrahl 
das Ungewitter an Euch vorlibergeht.« 

Erwin fiel wie aus den Wolfen. Es war ihm 
nun Alles Ear, was ihm in dem lauernden Betragen 
der Höflinge dunkel geblieben war. Er mußte es fich 
eingeftehen, daß er nicht ganz ohne Schuld fey, wenn 
gleich diefe nach einer ganz andern Geite hinausfalle, 
als feine VBerläumder angaben. Es erneuerte fich der 
Vorwurf in ihm, daß er der Stimme feines Gewiffens 


288 


nicht ganz gefolgt fey, und der Prinzeffin nicht feft wi: 


derfprochen habe, da fie nad Chennekulle zu reiten 


begehrte. Auch fühlte er klar, daß feine Liebe zu ihr 
ihn ganz leife von der Bahn abgelenkt habe, welche 
er zuerft betreten und als die richtige erfannt hätte. 


Mochte er auch noch fo fehr das Außerordentliche ihrer | 


Perfönlichkeit zu feiner Entfhuldigung aufrufen, und 
die himmliſche Reinheit diefer Liebe, welche ihn für al: 
le8 Edle und Große begeifterte, geltend machen; 
mochte er ihre Natur, ſich für Andre zu opfegn, ‚als 
das wahre Zeichen der höheren Menfchheit, für fich in 
Anſpruch nehmen; fo Fonnte er doch dagegen nicht leug- 
nen, daß er die Kluft der außeren Verhältniffe zu fehr 
überfehen habe, und dadurch auch mit fich felbft, wie 
mit feiner erften Liebe, zum Theil zerfallen ſey. — 
Es war ihm, ald müffe er gleich umkehren, . und das 
that ihm unausſprechlich weh, weil er jenen Weg für 
den geraden Weg des Lichtes hielt, in dem Fein Makel 
fey; denn wie wenig auch feine Liebe auf Erden einen 
Buchftaben finden Fonnte, fo fühlte er doch ihr ewiges 
Recht im Geifte fo Elar, daß er fie nur mit feinem Xe- 
ben aufgeben mode. 

»Ales wird wiederfehren, und, wie aus einem 
Lichtbade, verklärt hervortaucdhen,« ſprach er zu ben 
Freunden in Bielbo, »nur daß wir und nicht durch 
das verzerrte Bild meiner Perfönlichkeit, in dem Hohl- 
fpiegel der Welt und ihrer böfen Gerüchte gefehen, irre 
machen lafien, und die legten Schritte zu thun uns 
nicht ſcheuen. Der Herzog kann nicht fo unedel han— 
deln, daß er mir Gutes mit Böfen vergelten follte, 


a. 


289 


und» nicht fo ſchwach feyn, daß er meinen Neidern ge: 
"gen Euer redliches Zeugniß Glauben beimaͤße. So laßt 
mich denn Alles vergeflen, und freudig arbeiten. dieweil 
es noch Tag iſt!« — 
Sido ſchuͤttelte den Kopf, und ſchlug ihm vor, 
daß er ſelbſt an Birger-Jarl ſchreiben möge, um 
bei Zeiten die boͤſen Maͤuler zu ſtopfen; Emund hatte 
fogar allerlei Bedenken gegen fein längeres Hierbleiben, 
und rieth ihm, nach Lund zurüdzueilen, Erwin aber 
beishfoß fein Werk hier zu vollenden, und rubig zu er— 
warten, was tiber ihn verhängt fen, ohne jenen Wegen 
der Finfterniß entgegenzumwirfen. | 

Eines Abendd, da er in der gewehnlichen Gefell- 
ichaftsftunde mit Graf Jertha Schach fpielte, waͤh— 
rend die Herzogin fih mit Rath Lido und den Hof- 
leuten unterhielt, traf ein Eilbote von Upfala cin. 
Es war ein Hauptmann von der Leibwache des Kb: 
nigs, und der fehwarze Flor um Hut und Degengriff 
verfündigte bei feinem Eintreten eine wichtige Zrauer: 
botfchaft. Die Herzogin entfärbte fih, und war der 
Ohnmacht nahe, da er,ihr von der Tochter Hand einen 
fchwarzgefiegelten Brief überreichte, und ſtumm zurüd- 
trat. Sie ahnete den großen Berluft, doch faßte fie 
fih, und löfte das Siegel, indem fie ſich erfchöpft auf 
einen Sefjel nieberließ. Alle Anweſende verfammelten 
fih in banger Erwartung um fie her, und nachdent fie 
einige Zeilen gelefen hatte, ſprach fie mit einem tiefen 
Seufzer, als ſey es der lebte ihres Lebens: „Ia, mein 
koͤniglicher Bruder, der vielgeliebte, ift fanft entfchlafen 
zu einer beffern Welt. Geftern in der Morgendaͤmme— 

Erwin von Steinbach. TI. 19 


290 


rung ging feine himmlifche Seele zu dem, der fie uns 
geſandt hatte.« 

Ein Thränenftrom erftidte ihre Morte, und fie 
winkte den Hofleuten, daß fie abtreten möchten, indem 
fie Jertha, Lido und Erwin verweilen hieß, unter 
denen der Kebte tief erfchüttert war. »Ihr Fennt ihn,« 
forach fie nach einer Paufe, da fie ruhiger geworden 
war, » Ihr habt ihn geliebt wie Euren Water; befon- 
ders dieſer Juͤngling,« indem fie auf Erwin wies, 
»hat Großes an ihm verloren. Go bleibt bei mir in 
meinem Leide, und hoͤrt, was Freya von feinem Ende 
fchreibt!« — Sie entfaltete das Blatt, und las mit 
zitternder Stimme: 


„Meine arme, innig geliebte Mutter!« 


„Es ift gefommen, wie Du gefürdtet, Du haft 
ihn nicht wiedergefehn; doc, über ein Kleines wirft 
Du ihn wiederfehen. — Darum faſſe Dih in Gott, 
der Alles wohl macht! Mir war e$ befchieden, heute 
im Morgenroth dem theuren, freundlichen Oheime, dem 
beften Könige, nach kurzem Kampfe, die müden Augen 
zuzubrüden. Sch ftand zu feinem Haupte, mein Bru— 
der Erik zu feinen Süßen, da Gott ihn auflöfte. So 
verlangte er ed, nachdem der Erzbifchof ihm die Ießte 
Delung gegeben hatte. Unausſprechliche Liebe hat er 
mir bewiefen, und Vieles habe ich erlernt an feinem 
Sterbebette, was mir noch wohl thun wird in meiner 
legten Stunde. Doc wo fol ich anfangen Dir zu er: 
zahlen, und wo aufhören mit dem vollen Herzen? Es 
it wie ein Meer, welches fich vor meinen Augen be— 


291 


— — ——— 


wegt. Da liegt der Heilige in ſeinem Schmucke der 
ſilbernen Locken, und uͤber das laͤchelnde Antlitz haͤlt 
ein Engel die unſichtbare Siegerfrone — mehr als ein 
Priefter, mehr ald ein Held: der gute Knecht des gro: 
Ben Unbekannten. Möchte unfer aller Hingang feyn, 
wie der feinigel«e — 

»Nun höre denn mich an! Als wir ihn vor we: 
nigen Sagen nach Upfala begleiteten, war er noch 
ganz wohl und heiter. Wir kamen von feinem reizen- 
den Sagdfchloffe, welches noch immer im Winter fon 
ift, und wo er fi des marmornen Flahbildes von 
Meifter Steinbahd Hand fehr erfreut hatte. Man— 
cher harmlofe Scherz floß über feine Lippen in Betreff 
des Bären und des Ritters, worin ich nur fühlte, wie 
innig er mich liebte. Mit kleinem Gefolge alter Freunde 
und Diener langten wir in der Hauptſtadt an, und 
der König war den erften Abend unter feinen. Kron- 
beamten und Würdenträgern noch fehr gefprächig und 
munter, indem er Zanz und Banfett gab. Ich mußte 
neh mit Erik vor ihm unfern National tanzen, und 
er Schloß uns zum Lohne an feine Bruft; doch bei dem 
Schlafengehn Elagte er ſchon über aroße Ermattung, 
und der Leibarzt mit dem alten Kammerdiener blieben 
die Nacht in feinem Zimmer auf. Früh am Morgen 
fhon ließ er mid) rufen und vor fein Bett kommen. 
Das Auge war getrübt, der Athem ging fchnell, eine 
befondere Bläffe hatte fein Antlig überzogen, und der 
Leibarzt war fehr beforgt geworden. Der König er: 
zählte, wie viel er von uns geträumt, und infonder: 
beit mich in großen Gefahren erblidt habe, doch zuleßt 

19* 


293 


— 





ſey ich in einem Tempel ihm verſchwunden, und ein 
einziger Orgelton habe ihn beruhigt. Da er gefragt, 
wer den Tempel erbaut, habe man ihm geantwortet: 
Erwin von Steinbach; darauf ſey der Kuͤnſtler 
in Banden und mit verdecktem Angeſichte ihm voruͤber— 
geführt, und ald er den Befehl ertheilt, ihn zu entfef- 
feln und zu ihm zu bringen, habe eine ftarfe Stimme 
gerufen: »Du bift nicht mehr König in Schweden, 
Dein Reich ift zu Ende!« Darüber fey er beftürzt er- 
wacht, doch wieder eingefchlafen, und von Neuem mit 
Träumen beunruhigt worden, welche er uns auch er- 
zählte, und die alle eine eigne Färbung hatten. Der 
Arzt fuchte ihn durch Fühlende Arzeneien zu beruhigen, 
und gegen Mittag ward dad Auge wieder Elar, der 
Geift wieder fröhlihd. Er nahm einige Speife zu fi, 
und ließ feine Sfalden vor ihm Heldenlieder fingen 
und die Darfen rühren. Doch bald fandte er fie fort, 
und behielt mich und Erik mit dem Leibarzt und dem 
alten Diener allein bei fih. Das Fieber zog gegen 
Abend wieder vor, und ward in der Mitternacht fehr 
ftarf, jo daß die Pulfe gewaltfam Flopften, und er an: 
fing, irre zu redes. Bald fah er mich als feinen Todes— 
engel, bald als feine erfte Braut, bald als fein verlor- 
nes Kind, welches, untergefchlagen, er nun endlich wie- 
dergefunden habe. « 

» Seine Freude darüber rührte mich fehr, und ich 
durfte feine Hand nicht loslaffen. Am folgenden Mor- 
gen, da das Fieber abgenommen hatte, jedoch die große 
Mattigkeit ihm den nahenden Tod verkfündigte, ließ er 
alle feine Freunde, Waffengefährten und Diener vor 


293 


ſich kommen, und dankte ihnen in den berzlichften Aus: 
drüden für ihre, ihm bewief’ne, unmwandelbare Treue, 
indem er ihnen den. Segen gab, und einem Jeden die 
Hand reichte; Alle Enieeten vor feinem Bette, und kuͤß— 
ten fie inbrunftiglid.. Es war eine hohe Feier, und 
das lange eben mit den Getreuen drängte fid) in die— 
fen wenigen Augenbliden zufammen wie ein glänzen: 
der Stern. Sie entfernten ſich ſchluchzend und ftille, 
einer nach dem andern, und er begleitete fie noch mit 
feinen liebenden Bliden, wie ein Vater feine fcheiden: 
den Kinder. Nur der alte Reichsdroſt und Kanzler 
blieben vor feinem Bette fisen, bis es Abend wurde. 
Er redete noch Manches mit ihnen über das neue Ge: - 
ſetzbuch und die Keichsverwaltung , indem er unfern 
Bater als den Reichsverweſer einfegte, bis ein neuer 
König gewählt fey, auch ließ er darüber feinen lebten 
Willen niederfchreiben. Sein Zeftament hatte er ſchon 
früher gemacht, und einen jeden feiner Diener darin 
liebreich bedacht. « 

„Auf Bruder Waldemar deutete er ald Nach— 
folger des Throns, Doch müffe das den Ständen über: 
laffen bleiben. Nur wiederholte er öfter: »Haltet 
Friede, und feyd ſtark in Eintracht! darin allein ehrt 
mein AUndenfen!« | 

„Gegen die Naht, da das Fieber ftärfer wurde, 
winkte er dem Reichsdroſt und Kanzler freundlich, fich 
zu entfernen. Gie fenkten fi) vor ihm nieder, er zog 
fie an feine Bruft, Füßte fie lebhaft, und fprach mit 
alter Heiterkeit: »Gute Nacht, meine Waffenbrüder, ich 
gehe ein zu meiner Ruh’ nach manchem harten Strauß, 


294 





wo Ihr mir zur Seite ftandet. Sch danfe Euch, gönnt 
mir diefe Ruhe, bald werden wir und wiederfehen. « 
Diefe Worte waren fo fröhlich, daß alle Zhränen ver: 
wifcht wurden, und der Reichödroft mit dem Kanzler 
in männlicher Haltung fich leiſe entfernten. — »So, 
nun find wir allein,« fprach der König zu mir und 
Erik, »ſetzet Euch fraulid zu mir, wie vormals zu 
Bielbo am Bah und am Hügel! Mit der Welt habe 
ich mic) ganz abgefunden, die alten Freunde find ent- 
laflen, doc mit Euch will idy plaudern, bis der Mor: 
genftern blinkt, und bis der Tag anbriht.« Mir 
mußten und nun auf fein Bett feßen, er faßte unfre 
Hände und ſprach: »Ja, ich habe Feine Kinder meines 
Leibes, aber Ihr ſeyd meine Kinder; denn Shr gleicht 
der fanften Mutter, meiner Ingeborg, und habt nur 
die Hoheit vom Bater. So haltet Euch fanft und 
menfchenfreundlich in allen Lebensprüfungen, und tragt 
mit Geduld, was nicht zu ändern iſt! Du, Erik, 
wirft ein Freund des Volks heißen; fo erbarme Dich 
Deined Volks, und gieb dem drmften Hüttenmann bie 
belfende Hand! — Du, Freya, wirft glänzen auf Kö- 
nigsthrone und dad Herz Deines Mannes haben; fo 
Ienfe fein Herz zum Guten, und gieb ihm, was Du 
ihm geben Fannft, und fey eine Mutter der Verwaif’- 
ten und Berlaffnen! Du bift ſtark, Mädchen, ſey ſtark 
in Gott!« Und dann fagte er, indem er mich füß 
füßte: »Grüße Deinen Freund und meinen Freund aus 
dem fremden Rande, der mich vermiffen wird. Er ift 
ein edler Menſch, und hatte mich lieb, wie Wenige. 
Danke ihm dafür!« — ww 


295 





Die Herzogin hielt inne zu lefen, da Erwin, 
von Schmerz überwältigt, fchluchzend in einen Seffel 
fanf, auch fie felbft von diefer Stelle überrafcht wurde. 
Lido trat zu ihm und drüdte ihm die Hand, Graf 
Jertha blidte ihn freundlich theilnebmend an, und 
nad) wenigen Minuten las fie weiter: 

»Um Mitternacht fing der König an, irre zu reden, 
und hatte große Angft, indem er dad Reich wie aus 
feinen Angeln gerüdt fah, und vergeblih, wie an ei— 
nem ſchweren Körper, arbeitete, um es wieder einzu: 
richten, auch nannte er es öfters feinen verrenkten Arm, 
der fchneller Hülfe bedürfe. Gegen Morgen kehrte die 
flare Befinnung zurüd, und es war eine. große heilige 
Stunde für und, da ſich das Kichtwefen, fein Geift, aus 
dem Afchenhaufen losrang. Er fprah zu mir und 
Bruder Erik wundervolle Worte des Friedens, welche 
feine Feder niederfchreibt, Worte des fiegenden Geiftes, 
der zur räthfelhaften Reife fich bereitet, und die. er 
und mit feligem Lächeln wie ind Ohr flüfterte. — 
Sie waren nur wie ein Hauch und Klang, fein Budy: 
ftabe vermag fie zu fallen. So umfchlang er ung feft 
noch, ſank mit brechenden Augen zurüd, und verfchied 
in unfern Armen. Die Morgenröthe flammte eben 
durchd Fenfter auf, und übergoß mit weisfagendem 
Schimmer die verflärte Hülle; die Rechte hing tief 
vom Lager herab, als ruhend von aller Mühe und Ar: 
beit. Wir Enieeten nieder und Eüßten fie, indem wir 
einige Gebete für feine Seele fprachen. Der Erzbifchof 
hatte ihm kurz zuvor noch das heilige Mahl gereicht 
und bie legte Delung gegeben. Er fnieete an einem 


fleinen Hausaltare und betete mit und. Sch denfe aber, 
daß es deffen für ihn nicht bedurfte, da der Erlöfer ihn 
gewiß bereits an feine Bruft gezogen hatte. Es ent: 
ftand cine große, wunderbare Stille, und, waren es bei 
mir die durch Nachtwachen gereizten Sinne, oder war 
es wirklich ein goͤttliches Geficht; genug, ich hörte eine 
Muſik, wie aus feligen Höhen, und mic wurde Dabei 
ganz unausfprechli wohl. Niemald werde ich dieſe 
Klänge vergeffen! « 

»Nach einer Stunde erfhienen der Reichsdroſt und 
der Kanzler, der Hofmarfhall und alle hohen Kron: 
beamten, um ihre Aemter zu erfüllen. Das Volk drängte 
beran und weinte laut, der Vater des Reichs wäre ge: 
ftorben; die Mütter hoben ihre Säuglinge empor, und 
nannten fie Waifen, mit vielen Thranen. Man ließ 
die Aelteften des Volks hereintreten, um im Borfaale 
ihren verblichnen König zu fehen, und verhieß den ans 
dern vom Balkon, daß fie ihn bald auf dem Katafalt 
erbliden folten. Da ward es ruhiger in der Menge. « 

»Nach act Zagen wird der Leichnam des guten 
Oheims zur Erde beftattet. Bruder Erik weint viel, 
und fein Hofmeifter Fann ihn noch immer nicht beruhi— 
gen, eben fo wenig der Erzbifchof Sarlerus. Der 
arme Joͤns ift untröftlih, und meint feft, die Welt 
wird untergehn. Mir ift fehr ernft, aber ftille; ich habe 
mich audgeweint. Die Stände haben ſich zum Reichs— 
tage eiligft verfammelt, und man fchreitet zur Königs- 
wahl, welche, wie man meint, auf Waldemar fallen 
wird. Eilboten find zu ihm gefandt, und er wird mor: 
gen hier eintreffen. . Den entfernteren Vater wird Diefe 


297 


— — — — 


Nachricht ſehr uͤberraſchen, und ſein Feldherrnamt in 
Tawaſtland ihn verhindern, zu uns zu eilen. Alles 
wird anders werden; Gott helfe uns! Gruͤßt mir mei— 
nen lieben Marſchall und ſagt ihm, er moͤge nicht zu 
ſehr trauern, wie viel er auch verloren habe. Bald 
wuͤrde ich ihn wiederſehen, und bei meiner Hochzeit 
duͤrfe er nicht fehlen. Euch aber, geliebte Mutter, die 
das Herz und die Hand des Bruders verlor, moͤchte 
ich unter und Allen die Verwaiſetſte nennen. Der Al: 
erbarmer. . one 0en « Hier hielt die Derzogin 
inne, und ein Thränenftrom, der aus ihren Augen 
ftürzte, verhinderte fie, zu Ende zu leſen; fie faltete 
den Brief zufammen und entfernte fih fchnel, indem 
die Oberhofmeifterin ihr folgte. 

Erwin war tief erfhüttert und mannichfaltig be- 
wegt. Ein Meer von Gefühlen wogte dur feine 
Seele auf und ab, und blieb ohne Geftalt. Lido hatte 
ihn theilmehmend um die Schulter gefaßt. Graf Ser: 
tha blickte hinaus über den gefrornen See, unverwen- 
det, doch) ging fein Auge ganz nach innen, wie in eine 
weite Ferne, und ein fchmerzlicher Ernft verbreitete ſich 
über alle feine Züge. Endlich fand er auf, und ging 
raſch EÄinigemal im Zimmer auf und nieder; dann blieb 
er vor Erwin ſtehen und fpradh, indem er ihm die 
Hand bot: „Ritter, Ihr habt Euren Schußgeift verlo- 
ren, und ich theile es mit Eu; e3 muß ein tiefer 
Schmerz feyn, denn der befte Menih in Schweden 
war Euer Freund. Aber wir Alle haben ihn verloren, 
der Friede und das Necht find mit ihm zum Simmel 
aufgeflogen. « 


m en — nn — 


Erwin verjegte: »Ich danfe Euch, Graf, denn 
Ihr habt wahr geforochen; doch wachfen hier die Früchte 
feines Lebens, und bleiben feinem Volfe gewiß. Was 
der Geift faet, wird auch der Geift erndten; aber meine 
Stellung ift freilich eine ganz andre geworden. « 

»Die ſich auch aufklären wird,« fagte Lido milde; 
»denn das Gute hat feine Stunde, wie das Böfe, und 
ehrlich währet, mit Eurem Volke zu reden, am Längften. « 

»Ja, Freunde follt Ihr auch an uns finden, « ver- 
feste Jerthba, »wenn gleich nicht zum Erfaße,« und 
drüdte ihm die Hand. 

Während nun Lido und Graf Jertha über den 
Reichstag und die Thronfolge ein fehr ernftes Gefpräch 
begannen, ging Erwin erleichtert in den Garten hin 
ab, und-zu dem Sommerhaufe, wo er die Sonne klar 
über den mwinterlihen Wald hinabfinfen ſah. Als er in 
ihre Gluthen blidte, gedachte er des mweisfagenden Mor: 
genroths, welches fich über den Schlummernden, da er 
ihn zulegt fab, und fpäter über den Leichnam hinlegte. 
Freya’s Worte waren ihm wie Sterne in der Nacht, 
und daß fie ihn noch auf ihrer Hochzeit wünfchte, war 
ihm bitterfüß. Er eilte auf fein Zimmer, wo er Briefe 
auf dem Zifche fand. Sie waren aus Deutfchland, 
und da er fie entfiegelte, erkannte er zuerft Hilde- 
gards Scriftzüge. 





Drittes Kapitel. 


Wenn uns in einem fremden Lande und in bebenflichen 
Lagen Worte von den Zreugeliebten aus der Heimath 
zufommen, fo orbnen fie das Verworrene, und verbinden 
da3 Zerriffene wie mit einer höhern Macht. Wir finden 
und Elar, wo wir furz zuvor noch getrübt, entfchloffen, 
wo wir unentfchieden waren. Es ift, als reichten über 
Länder und Meere geiftige Arme zu und herüber, welche 
und erheben und tragen. So war ed unferm Freunde, 
als er zuerfi Hildegard Brief las, — folgender⸗ 
maßen lautete: 


»Theurer Erwin! 


Deine lieben Worte von Bielbo und Broſoͤ em— 
pfingen wir durch den Geheimſchreiber des Geſandten, 
und danken Dir herzlich. Er beruͤhrte unſere Stadt auf 
ſeiner Reiſe nach Italien, und hat uns viel von Dir 
erzaͤhlen muͤſſen. Der Vater und Bertha waren ganz 
Ohr uͤber Deine Abenteuer und Thaten, welche Du ſo 
beſcheiden verſchweigſt; ich aber freute mich, noch 
immer denſelben Erwin zu finden, wie er zuerſt 
bei uns eintrat und ſo ernſt mich anblickte. Dieſer 
Ernſt trieb Dich auch wohl in den Dienſt der ſchoͤnen 
Freya, Dein Leben Ihr als Marſchall aufzuopfern, und 


300 


Du haft Deine tiefen Wunden für ein ritterlich Werk 
empfangen, welches Niemand, wie ver alte von Fin- 
fenftein fagt, tabeln fol. Gewiß verdient fie es, und 
der hohe Adel ihrer reinen Gefinnungen fcheint noch 
weit den Adel ihrer Geburt zu überfteigen. So preifen 
Dich bier alle Ritter, und alle Steinmetzen rühmen fid) 
ihres wadern Genoffen. Auch der Vater meint, Du 
feyeft dadurch erft ein rechter Mann geworden, und wer: 
deft nun Deine Kunft noch viel großartiger ausbilden. 
Sch aber bitte Gott, daß Deine Wunden heilen mögen, 
und nichts von dem Weh in Dir zurudbleibe, was 
das gewaltige Verhängniß fo leicht und einprägt, wenn 
nicht ein Engel vom Himmel es mit leifer Hand abwiſcht. 

Diefer Schußengel ift vielleicht die fromme Eliſa— 
beth in Lund, und ich wünfchte, Du wäreft erft da 
bei dem edlen Serenius, denn nun ſtehſt Du mitten 
in der eitlen Welt. So fey wachſam und fiehe wohl 
zu, daß Du nicht ftrauchelft! Wir hörten leider auch, 
Du habeft bei dem Herzoge viele Neider und Feinde. 
Gehe mitten durch fie hin, gürte Dich feft mit der an- 
geftammten Tugend, und gieb der Wahrheit die Ehre! 
Sollteft Du auch dortin Banden und Kerker fommen, 
weiche nicht, o freier Maurer, von der heiligen Schnur! 
Das läßt Dir mein Vater fagen, welcher heute nicht 
fchreiben kann. 

Der Dombau geht fort, wenn auch Krieg und 
Verwüftung unfere arme Stadt umringen. Der ftolze 
Churfürft bat und verlaffen und halt fein Hoflager in 
Bonn, da unfer Rath das Münzrecht nicht aufgeben 
wollte, und, ihm zum Trotze, harte Thaler prägte. Von 





sol 
dort aus überzieht er und mit verborgener, wie offenba- 
rer Fehde. Sein Feldhauptmann, von Bittingbofen, 
bat fchon öfter unfere Mauern berennen laflen, und da 
dies ihm nicht Bahn machen wollte, wiegelte der Chur- 
fürft die zahlreiche Weberzunft gegen die alten Gefchlech- 
ter auf, und bewirkte eine gefährliche Empörung in un- 
fern friedlichen Mauern. Der Erfolg war, daß fich die 
Zünftigen gemwaltfam in den hohen Rath eindrängten, 
die Schöffenftellen aus ihrer Mitte befehten und die Zahl 
der Rathmänner über dad Dreifache vermehrten, fo daß 
num die alten Gefchlechter, zu Gunften des Churfürften, 
überftimmt wurden. Daraus ift viel Zumult und 
Herzeleid erwachfen. Die alten Gefchlechter trieben mit 
dem Degen in der Hand die Empörer zu Paaren, der 
Unfchuldige fiel mit dem Schuldigen, und Bürgerblut 
hat felbft unfere Kirchen befudelt. Endlih Fam es zum 
Bergleihe, und mehrere alte Gefchlechter find aus dem 
hohen Rathe getreten und haben unfere gute Stadt 
verlaffen. Die Zunftmeifter fpielen hier nun eine große 
Role, und fuchen mit churfürftlichen Goldgülden 
die noch getreuen Bürger zu beftechen. Dein Gön- 
ner, der Kaufmann Jakob Niffen, hat fid) dieſem 
Unfug männlich widerfeßt, ift dabei aber fchwer verwun⸗ 
det worden, und hat den größten heil feines Vermoͤ— 
gend in einem angeflifteten Brande verloren. Doch 
bleibt er gutes Muths, und befucht täglich fchon wieder 
das große Arbeitöhaus, das Du kennſt als ein bleibendes 
Denkmal feiner gemeinnüßigen Tugenden. Züngft ſprach 
ich ihn am Stapelplaße. Er trug noch den Arm in ber 
Binde, und erfundigte fi) mit Herzlichfeit nach Dir. 


302 


Sein Agent in Stodholm habe ihm gefchrieben, Du fte- 
beft bei dem König Erif in großem Anfehen, und fchon 
manches Schloß on Deiner Hand rühme feinen Meifter. 

Nun wilft Du auch von uns hören, nicht wahr? 
Mein lieber Vater ift gefund, und thätig zur Arbeit. 
Meifter Gerhard unterftügt ihn wader, doch haft Du 
von uns das ftille Wohlgefallen mit Dir hinweggenom- 
men. . Er redet wohl lebhaft und viel mit dem weltfun- 
digen Gerhard, auch der alte Ritter von Finken- 
ftein hört nicht auf, aus den Morgenlanden zu erzäh- 
len: doch nicht3 davon dringt in meines Vaters Ohren, 
nichtö berührt fein Herz. Es geht vielmehr wie Schat- 
ten und Zraumbild an ihm vorüber, und mit tiefer 
Sorge blickt er oft in die verwilderte Zeit, in Das ent: 
artete Gefchleht. »Wäre Erwin nur hier,« fagte er 
geftern, ald er von dem Dombau heimfehrte; »ich Fünnte 
doch ein innerlihes Wort mit ihm reden, was die Seele 
fpeifet, und wohltfut. Nun find es nach dem Zagewerf 
nur immer Zerfireuungen der langen Weile, welche die 
Zeit tödten und das Herz leer laſſen. Wie geiftreich 
auch der von Trond redet, und wie bieder der von 
Finkenſtein, es lebt und erfreut mich nicht, wie das 
Einfachfte aus Erwins Munde, und auh Du,« fagte 
er, »bift, feit er weg iſt, verfchloffener geworden.« — 
Da haft Du den guten Vater, wie er ift. — | 

Bertha wohnt nun immer bei mir aufdem Lande, 
und wir fuchen die Welt mit ihren Tüden in der heili- 
gen Mufica zu vergeffen, indem fie unfere Fleine Haus— 
orgel meifterlich fpielt, und ich dazu fingen muß. Die 
älteften griechifchen und lateinifchen ‚Choräle nehmen wir 


303 


nn mm — — — —— * 


am liebſten vor, und was Du mir am Abſchiedsabend 
von der Kirchengemeinſchaft ſagteſt, tritt mir dadurch 
immer naͤher, fo daß ich wohl mit allen Menſchen, wie 
dieſe heiligen Choräle es anftimmen, Fort und fort leben 
möchte. Wie platt und ernftlos ift Dagegen das Men- 
fchenwort, wenn es nicht aus einer Liebenden Bruft tönt, 
und was ift felbft der lebhafteſte Ausdruck der Liebe im 
Mort, wenn er nicht aus Gott hervorbriht? — Ich 
höre Bann nur immer, gleich wie Wafferfälle, Sturm: 
wind und Vogelſang, nicht den Geift, der Alles belebt 
und Alles durchdringt, weil er von Gott kommt und zu 
‚Gott fahrt; — das giebt uns nur jene herrliche alte 
Kirchenmufif, wie ein inneres, wogended Meer. Auch 
Du, lieber Erwin, gabft es aus der tiefen Seele. 
Deffen gevenft Bertha oft gegen mich, und nennt Dich 
den Paradiesvogel, der im Reiche Atlantis fein Neft 
bauen will. Sch nenne Dich dagegen umfern treuen 
Freund, und wir Beide grüßen did) von ganzem Herzen. 
Der fihönen Freya, die mir durch Dich einen Gruß 
fandte, bezeuge meine herzliche Ehrerbietung. Oft ers 
greift mic) ein ahnungvolles Grauen über ihre hohe 
Kraft und Wohlgeftalt, wie über ihre mundervollen 
Gaben, und ich kann ed Dir, nach Allem, was ich 
hörte, nicht verdenfen, daß Du ihr huldigender Diener 
mwurdefi! Doc damit laß ed auch genug ſeyn, und 
fehre, fobald fie mit Norwegs König vermählt ift, zu 
Serenius und Elifabeth zurüd, und von ihnen dann 
beim zu Deinen deutfchen Freunden und zu Deiner un- 
wandelbaren Schweliter 
Hildegard.« 


304 

Erwin faß lange finnend und unbeweglich da, 
nachdem er dieſen Brief geleſen hatte, den Kopf in die 
hohle Hand geſtuͤtzt, und eine Thraͤne nach der an— 
dern rollte von ſeinen Wangen auf das Blatt. Hilde— 
gard war ihm im Geiſte gegenwaͤrtig, und ihre ein— 
fachen Worte griffen maͤchtig an ſein Herz. Ihr Bild, 
als ſie am Abſchiedsabende ſtumm in ſeine Arme ſank, 
ſtellte ſich ihm faſt leibhaftig dar, und erwaͤrmte 
ſeinen veroͤdeten Buſen mit ſanften Flammen der Liebe 
und Sehnſucht. Was er in Schweden gelebt und gelit— 
ten, erduldet und geſtrebt hatte, erſchien ihm jetzt wie 
ein dunkler Traum; und wenn er nicht auf ſeiner klei— 
nen Arbeitsſtube die Bauriſſe von ſeiner Hand geſehen, 
wenn er nicht die Hammerſchlaͤge der Steinmetzen un- 
ten am neuen Schloffe gehört hätte, wenn ihn felbft 
nicht der MWachholder auf den Fliefenfteinen des Eſtrichs, 
in künftlichen Bogen unter Zifche und Bänke gelegt, an 
das nordifche Land erinnert hätte, fo würde er geglaubt 
haben, daß er in Köln erwacht ſey, und nur wenige 
Schritte noch zu feiner Hildegard habe. ES dünfte 
ihm Alles nun kalt und öde hier. Er löste faft mecha- 
nifch das Siegel des zweiten Briefes, und Konrads 
Schriftzuge fielen ihm wohlbefannt in die Augen. Zau— 
dernd las er, denn er fürchtete des Freundes verweiſende 
Worte. Der Inhalt war folgender: 


»Mein Herzensfreund! 


So habe ich denn doch wider meinen Wunſch recht 
behalten, denn der Geheimfchreiber des Faiferlichen Ge: 
fandten hat mir Alles haarklein erzählen müflen, was 


305 


Dir begegnet ift, und Gott gebe, daß Dich nicht noch 
Schlimmeres treffen möge! Könnte ich zu Dir eilen 
auf den Flügeln der Freundfchaft, und Dir Deine Wun- 
den verbinden, wenn fie nicht ſchon heil find! Könnte 
ih Dich dann mit mir nehmen aus dem unwirthlichen 
Schweden, wo Du zwar große Ehre, aber auch 
große Feindfchaft gefunden haft! Könnte ich Dich von 
Kiefen und Drachen befreien, welche Dich in den wilden 
Leidenſchaften der Nordländer bedrohen, und vor Allem 
aus dem Zauberfreife der wunderbaren Schönen ent: 
'üden, die Dein Herz Dir geftohlen zu haben fcheint; 
md koͤnnte ich Dich ganz fachte dann in das Haus 
Deiner lieben Eltern niederfegen, damit Du den Werth 
der Nahen erfennteft, Deinem Wolke dienteft und un- 
ter uns Bürger würdeft zu Straßburg! 

“ber ich kann ed nicht, mein Geliebter, darum 
war, und hoffe und bete ich; darum befchwöre ich Dich 
auch bei unferer alten Freundfchaft, laß Dich nicht wei— 
ter von Deinem Hange zum Großen, Unbekannten und 
Winderbaren hinreigen, wie fehr auch Deine Kunft dabei 
gwinnen dürfte und Dein Geift dadurch bereichert würde; 
fmdern erhalte und Dein theures Leben in ber einfa= 
hen Schale, und lege Hand an Meifter Dieterichd 
Merk, oder baue mit Deinem Bater zur Ehre Gottes 
und zum Ruhme der Nachwelt einen eigenen Thurm. 

Deine alten XAeltern find noch wohl auf; aber Va— 
ter Eberhard wird doch fteif im Rüden und fchwächer 
auf den Beinen, fo daß er jüngft zu mir fagte, ald er 
ben alten Münfterthum befteigen mußte, um einige ge: 
löste Steine zu befeftigen: »Ich wollte doch, daß ver 

Erwin von Steinbach. TI. 20 


306 


Zunge bier wäre, und ftatt meiner den Weg hinauf thun 
koͤnnte; denn das Steigen wird mir nachgerade ſchwer, 
und dad Büden fauer.« Hätteft Du das mit angehört, 
ih glaube, Du würdeft Deine Siebenfachen fogleich 
zufammengepadt haben, um mit dem erften Schiffe nad) 
Deutfchland überzufahren, und zum Frühjahr in Straß: 
burg zu feyn. Zwar hat er mir nicht aufgetragen, es 
Dir zu fchreiben; auch will er durchaus nicht, daß Du 
deshalb Deine angefangenen Arbeiten abbrecheft; doc) 
liegt etwas Schmerzliches oft in feinen Gefichtözügen, 
wenn von Dir die Rede fommt, ald wollte er fagen- 
»Sollte ich es wohl noch erleben, meinen Erwin wie- 
ber zu fehen?« — Das muß ih Dir fagen, damit Du 
wiffeft, wie es bier fteht. Deine Mutter Gutta ſaß 
heute mit Vater Eberhard und mir in der herbftli en 
Laube am Weiher, da eben ein heller Sonnenftrahf ın3 
hinauslodte. Die gelben Weinblätter ftöberte der urd⸗ 
wind um unfere Köpfe her; die Enten klatſchten ftig 
im angefüllten Zeiche, welcher zu gefrieren beginnt; ein 
dunkelgraues Gewoͤlk ftieg über die kahle Stoppel des 
Hügel3, und ein einfamer mwinterlicher Vogel zirpte in 
den nadten Zweigen; — da fprah Gutta: »MWäre doh 
unfer Erwin bier und Fünnte und den einfamen Herbft 
und Winter mit feinen holden Erzählungen verfüßen! 
Kämen dann auch die lieben Freunde von Köln dazu, 
fo wären wir wohl die glüdfeligften unter allen Men- 
fchen!«e — Der Vater aber brummte und fprach: »Laß 
doch den Sungen fein Werk vollführen, und befchneide 
mir nicht mit Deiner Mutterliebe feinen berühmten Na: 
men, der in den Norblanden ſchon hoch aufwächft, und 


307 


ihnen ben deutſchen Geift in ihren Steinen predigt. Nur 
daß er ſich auf fo vielerlei Dinge einläßt, welche nicht 
zu feiner Kunft gehören, ald Marfchall und Ritterthum, 
und Paladin fehöner Prinzeffinnen, das fteht mir nicht 
recht an. Doc wer weiß, wie es dort Sitte ift, und 
rein wird er doch bleiben, dafür fage ich gut.« — Go 
fprady er nachdenklich und fand auf, indem er mit lan— 
gen Schritten ind Haus zurüdging, und nachzufolgen 
uns ermahnte. Da lad ich ihnen noch am hellen Ka- 
minfener aus dem Nibelungenliede, bis die Nacht: 
foft aufgetragen wurde, und der Vater ſtieß mit ung 
den grünen Römer voll Rüdesheimer auf Deine Ge- 
nefung an. 

- So leben wir hier, mein Freund. Auch mar ich 
jüngft in Köln, und fah Hildegard an des großen 
Meifters Dieterich Seite. Welch ein herrliches Maͤd— 
hen, voll deutfcher Art und Treue! Wir fprachen von 
Dir, und ihr Auge glänzte_ wie ein Edelſtein. O Du 
Stüdfeliger, aus der Fülle ihres Liebenden Buſens ge: 
meint zu fein! denn daß fie feinen Andern meint, als 
Dich, iſt mir nun gewiß geworden. Welch eine Se- 
ligkeit winkt Dir von Ddiefem Mädchen zu, wenn 
Du zu und heimfehrft! Schon der Wiederfchein Dei- 
ner, ald Deines Freundes, leuchtete mich fo heil von, 
ihr an, daß ich verfchrumpfter und veralteter Rechenmei- 
ſter durch und durch davon erwärmt wurde, und bald 
darüber ben Kopf verloren hätte; — und doch waren 
ed nur die Hülfen der Erftlinge deffen, was Du, Fluͤcht— 
ling, einft in ganzer Fülle feiner heiligen Kerne befißen 
ſollſt. Nie fah ich ein fo ſtarkes Mädchen von Geift 

20* 


308 


und Charakter, nie eine fo gute Zochter und ein fo ftil- 
led, häusliches Weib. Ich fage Dir, wenn fie Deine 
Frau wird, und ich kann mich noch rühren, fo bin ic) 
alle Abende Dein Gaft; denn Du und fie, zwei Sterne 
von biefem Slanze, machen mich zu ihrem gehorfamen 
Planeten. Sch mußte ihr und dem Water viel von 
Deiner Kindheit erzählen, und fie lächelte fo anmuthig drein, 
ald wenn auch Deine feltfamften Einfälle fie gar nicht 
überrafchten. Daß Dir das Kernen in der Stadtfchule 
fo fauer geworden fey, machte fie faft wehmüthig, und 
vollends Dein Gefpräch mit mir unter dem wilden Birn- 
baum lockte Thraͤnen aus ihren fehönen Augen. — Ad), 
wenn doch Einer in meinem ganzen Leben fo um mich 
geweint haͤtte, wie viel wollte ich darum geben! Deine 
Eltern haben mich lieb, und die Stadt ehrt mich um 
meiner Ordnung und Gemiffenhaftigkeit willen; Bor: 
mundfchaften find mir auch mehrere übertragen, und 
meine Mündel folgen mir gern; das ift die gute Profa 
meines Lebens, aber weiter geht ed auch nicht: ich werbe 
als Hageftolz verborren müffen und feine Spur zurüd- 
laſſen. — Darum, mein Erwin, fey glüdlih, und 
erlaube dem Freunde dann, daß er Dir zur Seite ftehe, 
und ſich Deines Gluͤcks und Deiner Bräutigamäftimme 
fletö freuen möge! Denn eine folche Freude follte mir 
billig wohl, wie dem guten Johannes, zu Xheil 
werben. | 

Vater Eberhard und Mutter Gutta grüßen 
Did von ganzem Herzen, und dba ich ihnen diefen Brief 
porgelefen babe, fo miflen fie für heute nichts binzuzu- 


309 


fügen, als mit mir den deutfchen Gruß und Handfchent‘: 


Gott befohlen ! 
Dein Konrad.« 


»Treuer Freund, Du bleibft immer doch derfelbe,« 
rief Erwin bewegt aus, »und Du ſollſt mir geroißlich _ 
zur Seite ftehen, wenn Deine Träume wahr werden und 
Gott der Herr mir ein Haus baut. Daß Du Hilde: 
gard faheft, ift faft fo, als hätte ich felbft fie wiederge— 
fehen, und Deine Berficherung thut mir unausfprechlich 
wohl. Nun will ich auch Alles erdulden, was hier über 
mich verhängt feyn möge; denn ich fehe das Ziel meiner 
Wallfahrt ſchon, und fein hoher, Arm wird 
mich nicht verlaflen!« — 

Erwin theilte diefe Briefe auch Bihn und Emund 
mit, welche lebhaft Xheil daran nahmen, und ihn 
gluͤcklich prieſen um der reinen, edlen Seelen willen, 
welche er getroft die feinen nennen durfte. Die Bau: 
arbeit ging ihm nun mit unglaublicher Schnelligfeit von 
Händen, fo daß er auch Gefellen und Lehrlinge durch 
fein Vorbild begeifterte, und ein Jeder fich felbft zu 
übertreffen fchien. 

Oft ftand er mit Emund noch im Sternenlichte 
auf der Zinne des abgeflachten Daches, während bie 
Gefellen dort die feharfbehauenen Granitplatten legten, 
und redete mit ihm über ihre heilige Kunft, fo daß der 
Alte davon ganz belebt und durchwaͤrmt wurde. Unter 
Anderm fprachen fie auch einmal über das Wefen ber 
griechifchen und römifchen Säulenordnungen, und Er: 
win ließ fich darüber alfo vernehmen: 


310 


»Die Säule ift das Geheimniß der Schönheit, und 
die dorifche möchte ich die heilige unter ihnen nennen. 
Sie ift ohne allen Schmud, hat die ftärffte Verjuͤngung, 
dad einfachfte und niedrigfte Kapital, und flieht ohne 
Sodel, gleichfam mit nadten Füßen, auf dem Boden. 
Ihr einziger Schmud find die «tiefen Hohlfehlen, welche 
von oben bis unten ausgehen, und dadurch ihre beträcht- 
lihe Dice in fehmale Felder vertheilen, fo daß Alles an 
ihr in die Höhe zu ftreben feheint, wie bei unfern Thür: 
men, und durch ftärfere Verjüngung dem Obelisk fich 
nähert, ohne doc) feine abfchließende Nabelfpige, welche 
ind Kleinliche geht, mit aufzunehmen. Statt des eige- 
nen Poftaments ruht oft ihr einfacher Säulenfhaft auf 
fortlaufenden Xempelftufen, und fo ift ihre Form im 
Chor der Schweftern gleich wie ein aus der Tiefe her= 
vorfleigendes Gebet, welches ſtill und heilig den großen 
Werkmeiſter aller Welt lobt. Bisweilen findet fi, als 
Bafe, eine fehlichte Plinthe; doch gewöhnlich fteht Die 
dorifche Säule, wie ein frommer Büßender, der nichts 
Eigened begehrt, auf den behauenen Felfenftufen, und 
fleigt mit ihren Schweftern, wie ein Baumflamm, aus 
dem Boden empor. Hier find Natur und Geift un: 
mittelbar noch verbunden, und ed ift, ald wenn der 
Schöpfer fie in ihren fteinernen Gliedern felbft einge- 
pflanzt hätte, um feinen Namen zu loben. — So fah 
ih die Tempel zu Päftum in Sicilien mit immer 
größerem Staunen, und der fanfte Abendhauch, welcher 
durch die Säulenreihen fäufelte, war wie der Odem des 
Alliebenden; — ich faß, bis es ganz finfter wurbe, und 
konnte nicht wieder wegfinden. 


311 


Dagegen iſt die ioniſche Ordnung, obgleich auch 
einfach, doch ſchon reizender und zierlicher, gleich dem 
Volksſtamme, deſſen Namen ſie fuͤhrt. Ihr Poſtament 
und Kapital eignen ſich zu allem erotiſchen Sinnendienſt, 
aber es fehlt hier die ſtarke Furcht Gottes. Man freut 
ſich ihrer Schlankheit am Iliſſus-Tempel in anmu⸗ 
thiger Natur, und fie haben etwas Ruͤhrend-elegiſches; 
boch der heilige Gurt der Nieren ift in weicher Anmuth 
bei ihnen fchon gelöst worden. Die Schneden am Ka: 
pital nehmen diefer Ordnung vollends das Große und 
Klare, was die dorifche hat, und das höhere Gebälk, 
mit feinem Laubwerk und feinen Gierverzierungen, fo 
wie oft auch die Eier zwifchen den Schneden des Kapi- 
tald, rauben ihr den heiligen Schmud der erniten 
Mürde. 


Die Forinthifche Säulenordnung, mit ihrer Pracht 
und Blätterfülle am Kapital und Gebälke, finkt völlig 
in das MWeichliche und Weltliche hinab. Ihr hoher Saͤu— 
lenſchaft erfcheint ſchwaͤchlich und eitel; ihre Baſe ift er- 
böht in Selbftfucht, und die Basreliefs ihrer Friefe neh— 
men alle. üppigen Geftaltungen in fih auf. Sie ver- 
führt mit ihrer Schönheit, und fteht zur Schau mit ih- 
rer Tugend, wie eine geſchminkte Mebe. 


Die römifche Säulenordnung endlich ift ein Raub 
aller griechifchen, mit Heldenthum verbunden. Ihre Ein- 
beit in diefem Flickwerk ift nur eine Außerliche; ein flar- 
red Gefeß geht durch alle ihre entweiheten Glieder. Sie 
nimmt die Größe der dorifchen, den Liebreiz der ionifchen, 
die Pracht der Eorinthifchen auf, und ftellt ſich mit ihrem 


312 


langen Schafte auf ein hohes Poftament, indem fie ftolz, 
aber in fich verbunfelt, auf alle Reiche der Welt hinab: 
blidt. Diefe Dronung haben die Neuern am mehrften 
aufgenommen, und damit allerlei Unfug getrieben bei 
Kirchen und Paläften, bis auf unfere Zeit. Die erhabene 
Spisbogenform mit aufftrebendem Kreuzgewölbe muß 
endlich ihrer Abgötterei ein Ende machen, und im grö- 
Beren Style des Chriftenthums der dorifchen Einfalt fich 
wiederum anfchließen. In beiden ift das reine Aufftre- 
ben vorherrfchend; nur daß wir Feine Säulenreihen, fon- 
dern flatt deffen durchbrochene Wandfelder haben, welche 
in der Pfeilerform fich vieledig abſetzen. So wie die 
Säule ſich nach oben hin yerjüngt, fo erweitert fich da- 
gegen der Pfeiler im Auffteigen durch den Spitbogen, 
welcher Höhe und Breite im Anbeginn ſchon verbindet, 
und Daher keines Kapitald und Architravs bedarf. Sa, 
ed ift ein großer Unſtand, wenn den Pfeilern ein Kapi— 
tal, etwa das Forinthifche mit Akanthusblättern, und 
noch fchlimmer, wenn ihnen ein griechifches Gebälf ge: 
geben wird. Das Unendlihe der Spisbogenform wird 
wieder in ein Endliches der horizontalen verwandelt, und 
anftatt daß die Gurten des Kreuzgewölbes eine frei aufz 
firebende höhere Macht bezeugen, welche aus dem Pfei- 
ler hervorwächft, wird er hier wieder zum Laftträger er- 
niedrigt. « 

Emund verfeßte Tächelnd: »Ihr redet ja über die 
Bauglieder der Kunft, wie von guten und böfen Men- 
hen, und macht alles Sinnliche moralifh. Ich Eönnte 
Euch) die ganze Nacht anhören, und würbe nicht muͤde; 
aber Wenige werden Euch bier verftehen, und vielleicht 


313 


bei folhen Gedanken mit dem armen Jöns Euch in 
eine Klafle werfen. « 

»Mag fenn,« fagte Erwin, »wenn fie nur meine 
Baumerke verftehen, und ihr höherer Sinn ihrem Herzen 
nicht ganz fern bleibt; denn manches Geheimniß fpricht 
ein Stein beffer aus, als die bewegliche Zunge. « 

Diefer ſtillen, friedlihen Wirkfamfeit Erwins und 
feiner Baugenoffen gegenüber aber zeigten große politi- 
fche Bewegungen durch den erledigten Thron den bebeu- 
tenden Moment der Zeit. Das mächtige Gefchlecht ver 
Folkunger erhob von Neuem dad Haupt, und da fo- 
fowohl der Swerkerſche Koͤnigsſtamm, ald der Erifs 
des Heiligen ausgeftorben war, indem der König Erik 
Läspe, ald der Letzte dieſes Stammes, Feine Leibeser- 
ben hinterließ, fo fuchte ein Philipp, König Knuts 
des Langen Sohn, beftärkt von feiner Mutter Helena, 
des Folkes Tochter, feine Anfprüche auf die Thronfolge 
geltend zu machen. Auf der andern Seite wollte Brof, 
der die Sigrid, Tochter des Königs Kanuth, zur 
Gemahlin hatte, feinen Sohn Kanuth mit Gewalt der 
Maffen auf den Thron feßen, und gewann einen mäch- 
tigen Anhang aus feinem Gefchlechte der Folkunger, 
wie aus einem großen Theil der einflußreichen Geift- 
lichkeit. 

Mächtiger jedoch war der Anhang des Birger— 
Jarl, welcher auch aus dieſem Geſchlechte ſtammte, aber, 
als Schwager des verſtorbenen Koͤnigs, ſchon ſeit Jah— 
ren die Zuͤgel des Reichs gelenkt hatte. Ihm allein 
traute man die Kraft zu, jene gefaͤhrlichen Praͤtendenten 
zu zuͤgeln, ihm allein die Weisheit, dem Reiche nach 


314 


Außen und Innen den Frieden zu erhalten. Deshalb 
verfammelten fich die Reichöftände unverzüglich, nach alter 
Sitte, zur Königdwahl bei den Morafteinen, und da 
fie meinten, nicht ohne große Gefahr Birger- Jarls 
Ankunft aus Finnland abwarten zu fünnen, wiewohl er 
ihnen gemeldet hatte, daß er Alles dort beruhigt habe, 
und eiligft herbeieilen würde, fo festen fie den angefehen- 
ften Mann unter ihnen, Ifwar Bloo von Gröne- 
borg, in feiner Abmwefenheit zum Reichsverweſer ein, 
und fammelten die Stimmen über den zu wählenden 
König. Die Wahl fiel, nach kurzer Berathung, auf des 
Herzogs Birger älteften Sohn Waldemar, weil er 
durch die Mutter Ingeborg der nächfte Blutövermandte 
des verftorbenen Königs, und alfo auch ber rechtmä- 
Bigfte Thronfolger war. Jedoch hatte er noch nicht die 
Jahre der Mündigkfeit erreicht, und ward demnach für’3 
Erfte unter die Vormundfchaft des Neichöverweferd ge: 
ftellt, welche Würde Sfwar fo lange verwalten follte, 
bis Birger-Jarl, den ber verftorbene König dazu er: 
fehen hatte, von Tawaſtland zurüdgefehrt fey. — So: 
mit wurde Waldemar der Erſte ald König von 
Schweden bei den Morafteinen audgerufen, und das. 
zahlreich verfammelte Volk bezeugte dazu feinen Beifall, 
wenngleich der Prinz Magnus ihm lieber, und der 
jüngfte Prinz Erik ihm der liebſte geweſen wäre. Doc) 
erkannte ed das Recht der Erfigeburt an, und hoffte, 
aus dem Stamme feines verflärten Königs einen guten 
Negenten zu empfangen. Das Herz des Volkes aber 
hatte Prinz Erik in feiner vom Oheim angeflammten 
Zeutfeligfeit, und wußte es nicht, dachte auch an Feine 


315 


Kronen, fondern faß untröftlich, und meinte viel an des 
theuern Oheims Grabe, deſſen Leiche, nach dem letzten 
Willen, in dem Klofter Warnhem beigefeßt ward. 
Unterdeffen wählte der Reichsrath für den neuen 
König in feiner Minderjährigkeit den berühmten Staats- 
mann und Gelehrten Biden Naͤf zum Führer und 
Lehrmeifter, und hoffte, auf diefe Weife den Wünfchen 
des mächtigen Herzogs Birger Genüge geleiftet zu ha— 
ben, fo wie der alten löblichen Ordnung gefolgt zu feyn. 
Einige Tage fpäter erſt traf Birger in Upfala 
ein, und war fehr entrüftet, da er mit Sicherheit erwar- 
tet hatte, daß man ihm felbft die Krone anbieten werde. 
Demnach ließ er die noch anweſenden Reichöftände fo- 
‚fort wieder verfammeln, und machte ihnen bittere Vor— 
wuͤrfe, daß fie ohne feine Zuziehung, und ohne feine An- 
funft abzuwarten, zur Königswahl gefchritten wären. 
Sie entfchuldigten fich damit, daß fie ja den nächften 
Thronfolger, feinen älteften Sohn, erwählt hätten, und 
nicht anders glauben Fönnten, ald daß diefe Wahl feinen 
vollkommenen Beifall haben würde. Birger aber 
fragte mit Heftigkeit die NReichöverfammlung: »Wer uns 
ter Euch hat ſich zuerft unterfangen, ohne mich zu fra= 
gen, diefen minderjährigen König Waldemar zu wäh- 
len?« Alle verftummten, aus Furcht vor feinem Zorne; 
da erhob fich aber Ifwar vom Sitze ald Reichsverwe— 
fer, und fprach mit Stolz und. Würde: »Ich habe zu= 
erft für Waldemar geflimmt, wie ſich's gebührt, und 
Ihr, Herzog, folltet bei Euren vorgerüdten Jahren nicht 
fo eifrig nach der Krone trachten, welche junge Kräfte 
verlangt. Sollte Euch aber die Wahl für Euren Sohn 


316 


nicht angenehm feyn, fo könnte noch wohl für einen an- 
dern König unter und Rath werden!« 

»Wen folltet Ihr denn wählen Eönnen?« fragte 
Birger fpöttifch und mit verbiffenem Grimm. 

»O,« rief Jfwar Bloo mit ſtolzem Selbftgefühl, 
und fchlug auf feine Bruftbekleidung, »unter diefem Man- 
tel Eönnte man wohl einen König finden.« Die Stände 
freuten fich des kuͤhnen Wortd, und Birger wußte dar: 
auf nichtd zu erwiedern, indem er fürchtete, daß die 
Krone feiner Familie entzogen werden möchte, und wirk— 
lich der edle Ifwar zum König ausgerufen werben 
koͤnnte. Deshalb lenkte er ein und billigte die Wahl 
des Waldemar. 

Ifwar legte fogleich fein hohes Amt nieder, und 
die Stände wählten den Birger-Jarl zum Reichsver— 
wefer und Vormund feines Füniglichen Sohnes, wie der 
alte König ed verordnet hatte. Sofort ergriff er mit 
Macht die Zügel des Reichs; Ifwar aber kümmerte fich 
nicht weiter um hohe Ehren und Würden, fondern zog 
ſich auf fein Schloß Gröneborg zurüd, und lebte dort 
den Wiflenfchaften und dem Aderbau, nachdem er das 
freie Wort gefprochen hatte. Birger frug ihm nach— 
mals den Hofmarfchalldienft an, welchen er aber ausfchlug. 

So flanden die Angelegenheiten in der großen 
Welt, ald der Herzog-Regent feine Gemahlin Ingeborg 
nach Upfala zu ihren Kindern entbot, um im Glanze 
des neuen Hofes zu erfcheinen, und die Hochzeit Freya’s 
mit König Hakan durch eine würdige Morgengabe vor: 
zubereiten, wie auf ihr verfchloffenes Gemüth mwohlthätig 
einzuwirken. 


317 


»Ich reife morgen ab, theurer Marfchall,« fagte die 
Herzogin eines Abends beim Weggehen zu Erwin, 
»habt Ihr auch an meinen Gemahl und an meine Kin- 
der etwas zu beftellen? denn wir werden und vielleicht 
lange nicht wiederfehen. « 

» Sagt dem Herzog: Regenten, Eönigfiche Hoheit, « 
verfegte Erwin befcheiden, »daß fein Schloß nach vier- 
zehn Tagen fertig feyn fol, und die Maler ihr Wert 
beginnen koͤnnen. Dankt der Prinzeffin auch für ihren 
freundlichen Gruß und Wunfch; ich würde nach meinen 
Kräften ihn zu: erfüllen fuchen. Sagt dem Prinzen 
Erik auch, daß ich feine füße, fröhliche Liebe als ein 
Kleinod in meinem Herzen trüge, und nichts mich daran 
irre machen fole; — und fagt dem armen Joͤns, 
wenn Shr wollt, daß, wenn die Weifen meine Feinde 
würden, er mein Freund bleiben möchte! Zuletzt verzeiht 
meine Dreiftigkeit, Eöniglihe Frau! — Gott fey mit 
Euch und Eurem Haufe immerdar! — Für alles Gute 
nehmt meinen warmen Danf hin. « 

Die Herzogin reichte ihm die Hand zum Abfchiebe, 
indem fie ſprach: »Gott fegne Euch, trefflicher Baumei- 
fter, lieber Freund meiner Kinder! Er gebe Euch alles 
Heil, wad mein Herz Euch wünfcht! Betet für mich 
und die Meinigen!« — »Das will ich,« verfeßte Er— 
win und füßte ihre Hand. Sie entfernte fich mit einer 
Thräne im Auge, welche fie durch fchnelles Weggehen 
zu verbergen fuchte. 


318 


Viertes Kapitel. 





Mac einigen Wochen war der Schloßbau, zur Ver- 
wunderung aller Kunftverftändigen, wirklich vollendet, 
und Erwin brachte dem Grafen Serthba die Schlüffel, 
indem er ihn erfuchte, den Bau nach Riß und Vorfchlag 
durchzugehen und entgegen zu nehmen. Der Graf um— 
armte ihn gerührt, und reichte ihm vom Negenten fech3- 
hundert Goldgülden zum Lohn. Erwin verficherte, daß 
er hiefe große Summe nicht verdient habe, und wollte 
die Hälfte zurückweifen. Der Graf aber bemerkte, daß 
ed des Herzogs Wille fey, welcher geehrt werben müffe, 
und drang fie ihm mit Ungeftüm auf. Dann folgte er 
ihm ind neue Schloß durch alle Säle, Gemächer und 
Keller, indem er fie mit dem Bauriffe in der Hand ver- 
glich, und das Ganze, ald völlig befriedigend, im Namen 
Birger- Sarls entgegen nahm. Der fchöngewölbte 
Kitterfaal, mit den heitern Wandfeldern und hohen, Fla= 
ren Senfterbogen, durch welche man frei und kuͤhn in 
die weite Winterlandfchaft hinausblidte, und auf deffen 
Eftrih man die anmuthigften Mifchungen von Marmor: 
arten ſah, erregte in ihm ein lebhaftes Wohlgefallen. 
Die ftile Kapelle dagegen, mit ihren ernften und bebeut- 
famen Baugliedern, machte fein Auge düfter, und er fah 
mit wehmüthiger Theilnahme den jungen Meifter an, 
als wollte er fagen: » Weißt Du, was bald bier gefchee 


319 


hen wird? Die Du fo innig liebft, reicht bald einem 
Könige fürd Leben die Hand.« Erwin verftand ihn und 
druͤckte fich eine ftille Thrane aus den Augen; denn fie 
galt nur der Erinnerung. Dann führte er den Grafen 
durch alle Korrivore und Zimmer beider Flügel, wie des 
Hauptgebäudes, endlich aber zu den kleinen Thurmftuben 
der ritterlichen Haft, und zulekt an dad melancholifche 
Burgverließ, welches, wie ein tiefer Bergfchacht, durch 
alle Stodwerfe bis in dad Kellergeſchoß fich hinabfenkte, 
und nur von oben «in ernftes, trübes Licht bis in Die 
fchwindelnde Ziefe empfing. »Wer mag hier der Erfte 
feyn?« fragte Erwin, unbefangen lächelnd. Der Graf 
rieb fich die Stirn und wandte fich fchnell von ihm 
weg. »Shr habt trefflich gebaut, Meifter von Stein— 


bach,« fprach der Graf nach einer Weile, indem fie die 


breite marmorne Schloßtreppe wieder hinunterfliegen und 
ind Freie traten. »Jedes Bauglied ift an feiner rechten 
Stelle, und jedes Gemach fpricht würdig feine eigen- 
thümliche Beftimmung aus. Es iſt hier gleichfam eine 
ganze Welt geiftiger Schöpfungen, darin man fich heiter 
und gemüthlich bewegen kann. Wäre unfer Staat nur 
halb fo feft und übereinftimmend gebaut, als Diefes 
Schloß, wie glüdtich koͤnnten Alle darin leben! Aber 
dort fahren manche Wirbelwinde der Leidenfchaften noch 
hindurch, und zerbrechen oft die morfchen Mauern, weil 
es nicht in Loth und Wage fleht, und auch ein undich- 
ted Dach hat. Dieſes Dach heißt der Ehrgeiz, und jene 
fchiefen, verſenkten Mauern find das Mißtrauen. Gott 
gebe, daß es bald beſſer werde!« 

Der Graf ging trübe hinweg, und Erwin begab 


320 


fich zu Meifter Emund, um mit ihm für morgen eine 
Arbeit der Nebengebäude abzureden und die Steinmeßen 
dort anzuftellen. Emund war jet fein einziger Um: 
gang, und er fühlte fich faft vereinfamt, da das Schloß 
vollendet fand, und Lido der Herzogin nah Upfala 
gefolgt war. Der kurze, innige Abfchied des Raths 
ſchien ihm ein baldige Wiederfehen zu verheißen, und 
doch lag etwas fo Unbeflimmtes in feinen Scheidewor⸗ 
ten, daß an Feine nahe Zeit zu denken war. 

Erwin fchlief ruhig die Nacht hindurch, und war 
fchon wieder früh bei feinen Steinmetzen, welche an ei- 
nem großen fürftlichen Marftalle arbeiteten, der dem 
neuen Schloffe in geringer Entfernung fich anſchließen 
follte. Eben meißelte er über dem Thore deffelben ein 
Flachbild aus, um einem Zunftgefellen zu zeigen, wie er 
ed nach dem Modell behandeln müffe. Da trat plöß- 
ih die Schloßwache zu ihm heran, und forderte ihn ge: 
bietend zum Grafen Jertha. Erwin flußte, aber flieg 
ruhig von feinem Gerüft hinab, und folgte bis zum 
Zimmer ded Grafen, wo die Zrabanten Halt machten. 
und ihm die Thür öffneten. Al er eintrat, ſtand Jer— 
tha, die linfe Hand auf einen Tiſch geftemmt und in 
der Rechten eine Pergamentrolle haltend, indem er trübe 
und büfter vor fich hinblickte. Nach einer Eleinen Weile 
fprach er zu Erwin mit fehmerzlichem Zone: 

»Daß der Herzog Regent Feine andere Diener hat, 
um feine tyrannifchen Befehle auszuführen, als mich, 
Euren Freund! Ihr feyd mein Arreftant. Höret Die 
Ordre!« 

Er entrollte nun dad Pergament und las Folgendes: 


— — — — 


»Ich, Herzog-Regent von Gottes Gnaden und 
nach dem Willen des ſchwediſchen Volks, gebiete 
Euch, meinem Statthalter von Weſtergothland, 
Schloßvoigt zu Bielbo, daß Ihr ſofort den Bau— 
meiſter Erwin von Steinbach, wegen angefchul- 
digten Hochverraths, nachdem Ihr ihn für den voll- 
endeten Scloßbau mit fechshundert Goldgülden 
belohnt habt, durch meine getreuen Leibtrabanten 
fefleln und in das von ihm erbaute neue Burgver- 
ließ hinabſenken laſſet, wo er, bei Waſſer und Brot, 

ſitzen fol, bis unter meinem Vorſitz das hochpein- 
liche Gericht das Urthel über ihn gefällt hat. Ihr 
haftet mir für ihn mit Eurem Kopfe, und ich ver- 
;- traue Eurer Klugheit und Eurer reue. 


"te zu Upfala- Schloß. | 
Birger- Jarl.« 


% 

, Während der Verleſung des Obigen war unferm 
jungen Freunde das Blut flarf in die Wangen geftie- 
gen, doch nachdem der Graf geendet hatte, ſprach er 
ruhig: »So ift es ihnen dennoch gelungen, was ich 
nicht glauben wollte; denn ich hielt den Herzog für ei- 
nen großen Mann, aber irrte mih. Wohlen, Graf: 
Statthalter, ich bin Euer Gefangener, doch bitte ich um 
ehrenvolle Haft, ald Ritter und Obermeifter; denn ich 
habe Fein WVerbrechen begangen, und am wenigften einen 
Hochverrath.« 

»Ich weiß ed wohl, Ritter,« erwieberte Sertha 
fehr milde, » aber e8 fteht nicht in meiner Gewalt; denn 
der Befehl des Negenten ift bier Geſetz, und da Ihr 

Erwin von Steinbach. II. 21 


322 


— — — — — 


unſchuldig leidet, ſo kann es nur zu Eurer Ehre dienen, 
wenn Alles erſt offenbar wird. Bis dahin habt Geduld. 
Ich werde meines Theils nichts verſaͤumen, um der gu— 
ten Sache den Sieg zu verfchaffen.« 

Bei diefen Worten drüdte er ihm bieder Die Hand, 
und zog dann eine Glode. Die Zrabanten traten als— 
bald herein und legten Erwin die Fefleln an, um ihn 
zum Burgverließ abzuführen. Er ließ es gefchehen und 
fprach mit einem bittern Lächeln: »Ein Tyrann Tann 
. mir wohl mit Obmacht die Hände fefleln und mich ins 
tieffte Verließ hinabfenken laſſen, aber meine Seele bleibt 
frei und mein Geift ungebeugt, bis ich vor einem höhern 
Richter ſtehe. Ihr, Graf=-Statthalter, koͤnnt nichts 
dafür. « 

Indem er diefe Worte rief, führte ihn die Wache 
fhon ab, und Sertha fah ihm mit einem fcehmerzlich- 
theilnehmenden Blide nad). 

Der Weg zum Burgverließ leitete über den Schloß— 
hof, und ald die Zrabanten mit ihrem Gefangenen an 
dem neuen Marftalle vorüberzogen, wo viele der Stein- 
meben arbeiteten, fo erblidten diefe zu nicht geringem 
Erftaunen ihren Dbermeifter gefeflelt und als einen 
Verbrecher abgeführt, der noch kurz vorher feine Befehle 
unter fie ausgetheilt hatte. Wie ein Lauffeuer verbreitete 
fi die üble Botfchaft unter der ganzen Zunft, die dort 
arbeitete, und alle Steinmegen erhoben ein wildes Ge- 
fchrei des Aufruhrs, indem fie von ihren Gerüften her— 
abfprangen und der Wache fluchend geboten, ihren 
Obermeiſter auf der Stelle frei zu geben, wenn fie nicht 
des Todes ſeyn wollten. Da die Zrabanten aber Dar: 


323 


— 


auf nicht ſonderlich achteten, ſo drangen ſie unter einem 
donnernden Hurrah mit ihren Hammern und Steinärten 
fo gewaltfam und unmiderftehlich auf fie ein, daß die 
Schaar der Hellebardierer in wenigen Augenbliden zer- 
fprengt wurde, und der vielgeliebte Meifter wieder frei 
unter ihnen fland, indem fie ihm jubelnd die Feffeln loͤs— 
ten und feine Hände ihm kuͤßten. Dann führten fie 
Erwin im Triumphe zurüd, und bildeten vor dem 
neuen Schloffe um ihn ber einen zweifachen Kreis, in- 
dem fie ihn baten, von hier hinweg zu ziehen, und fich 
erboten, ihn ficher zu Serenius nad Lund zu bringen. 

Erwin gedachte des alten Königs Traumgefichts, 
und fprach lächelnd zu Jer tha, welcher beftürzt herbei- 
geeilt war, und den Aufruhr durch begütigende Worte zu 
dämpfen ſich bemühte: »Der Herzog-Regent, Herr 
Graf, kann mir die Ehre, welche er mir durch unwuͤr— 
dige Haft und Feflel nehmen wollte, nicht wieder geben. 
Aber ein höherer Regent hat fie mir bewahrt, und ich 
bin frei durch feine Macht. Diefe ſtarke Zunft ift bereit, 
mich zu fchüsen und zu Serenius nah Schonen zu 
geleiten, wo Euer Herzog nichts vermag. Doc) gebe ich 
mich freiwillig in Haft zurüid, wenn Ihr mir, bis zur 
entfchievenen Sache, ein ehrenvoll ritterlich Gefängniß 
verfprecht, wie ed einem freien und bisher unbefcholtenen 
Manne gebührt.« ' 

»Ich verfpreche es Euch mit Ehrenwort,« verfebte 
der Graf heiter; »die Nothwendigkeit wird mich hinlaͤng— 
lich entfchuldigen. Doch Ihr dagegen gebt mir Euer 
vitterlich Wort, daß Ihr aus biefer Haft nicht entwei- 
chen wollt, bis das Gefeb Euch losgeſprochen hat.« 

3 Ba 


324 


— ur 0 mn 


»Ich gebe es,«“ fagte Erwin fefl, »und meinen 
Handfchlag dazu, der mehr gilt, ald alle Weltehre. Der 
Graf empfing feine Hand, und bat ihn, die Steinmeben 
zu beruhigen, da er auf dem nördlichen Thurm ritterliche 
und feflelofe Haft empfangen folle, um die Wahrheit 
an den Tag zu bringen. Erwin redete zu ihnen in 
diefem Sinne, und die Steinmeben riefen ihm ein Lebe— 
hoch zu, indem fie feine Abficht billigten, und ein Seder 
fih wieder an feine Arbeit begab. Graf Jertha aber 
führte felbft unfern Freund in den nördlichen Thurm, 
indem er ihm fuͤr ſeine Maͤßigung dankte. 

»Es iſt mir lieb,« ſprach er, da ſie in das kleine 
achteckige Gemach des dritten Geſchoſſes eintraten, » daß 
es eben ſo gekommen iſt. Denn nun habt Ihr Gehor— 
ſam gezeigt und zugleich Eure Ehre behauptet. Das 
ſpricht gegen Eure Feinde. Der Herzog wird ſchelten, 
aber muß Euch achten und anerkennen.« 

Als Jertha ſich freundlich entfernt hatte, ſandte 
er den Meiſter Emund zu Erwin, der ihn mit Buͤ— 
chern, Reiß- und Schreibzeug verforgen mußte, fo wie 
mit Allem, was zu feiner Bequemlichkeit dienen konnte. 
Emund war anfangs fehr erfihroden, doch warb er 
bald durch Erwins Gründe beruhigt, und befchloß, den 
Ausgang mit ihm fill zu erwarten. 

Da auch Emund wieder an feine Gefchäfte ge- 
gangen war, fühlte fich unfer Freund auf diefem Thurm- 
gefängnig im rauhen Norden unendlich allein. Doch 
bald trat zu feiner betenden Seele der himmlifche Mitt- 
ler freundlich herein, und bereitete ihm auch bier, ge— 
trennt von allen feinen Geliebten, ein füßed Heim. Er 


325 


dachte ftille über feine wunderbaren Führungen nach, und 
fühlte feine höhere Hülfe fehr erquidlich. In viefer 
Stimmung fohrieb er öfter an die Freunde abgeriffene 
Gedanken in fein Tagebuch, welche wir dem Leſer in 
nachſtehenden Fragmenten mittheilen wollen, um Er— 
wind Inneres in der eintönigen Gefangenfchaft einiger: 
maßen barzuftellen. 


* * 


»Es ift fo gefommen, liebe Hildegard, wie Du 
geahnet haft. Meine Neider und Feinde haben mich in 
den Kerker gebracht. Das ift jedoch ein ritterlih Ge— 
fängniß, und ich weihe num die felbft erbaute kleine 
Thurmftube ein. — Der Herzog muß unerhört ver= 
blendet fein. Sch weiß nicht, was mir bevorfteht, doch 
meine Seele ift ftile zu Gott, der uns hilft, wenn wir 
reines Herzend find... Man hat mir das Gute mit Boͤ— 
fem vergolten; fo frage ich meinem Herrn dad Kreuz 
nach, und er hat mich gewürdigt, um ihn zu leiden, 
wiewohl ich ein armer Sünder bin. Daß ed dahin 
fommen fonnte, habe ih von dem Vater Freya’s 
nicht gefürchtet; doch wo viel Licht ift, da ift auch viel 
Schatten, und der flammende Geift Birger-Jarls 
läßt wohl in feinem Leben manche ſchwarze Kohle zu: 
ruͤck. — Mein Herz verzeiht ihm das Unrecht, was aus 
Ehrgeiz und Mißtrauen hervorgeht. Ich bitte Gott, daß 
er ihn nur vor größerer Gewaltthat an meiner Ehre 
und meinem Reben bewähren wolle. « 


— — —h — — 


326 


„Es ift Nacht, mein Konrad, dunkle Schneewolfen 
ziehen am tiefen Himmelsbogen, aber die ewigen Sterne 
funfeln doch hell durch vorüberfliehende Finfterniffe. So 
ift mein eben, fo mein Muth in der drohenden Ges 
fahr. Ale Freunde find fern, nur Einer nicht, der 
über Alle wacht. Konnte der dem Petrus die Ket- 
ten löfen und die Thüren öffnen, fo daß er frei 
wurde, fo wird er auch mich in die Freiheit führen, 
wenn ed fein Wille if. — Morgen, fagt man, wird 
der Herzog mit dem Generalftabe und mit den Räthen 
des peinlichen Gerichts hier eintreffen. Sch möchte fra= 
gen: »Wem gil’3?« und die Antwort: »E3 gilt Dir!« 
fommt mir faft vor wie eine höhnende Stimme aus dem 
Reiche der Finfterniß, wo die Lüge an den Ufern der 
Bosheit aufwaͤchſt, und, wie ein geiled Kraut, von dem 
Strome der Käfterung getränkt wird. in Unbegreifli- 
ches geht aus dem andern hervor, und das Ganze ift 
wie eine fchlechte Ueberfegung. meiner Thaten, gefchrieben 
von feiner liebenden Hand. « 


»Es heißt, mein guter Vater, ein Blutgerüft wird 
aufgefchlagen, und der deutfche Baumeifter, Dein Sohn, 
welchen die Gnade fo hoch erhob, fol nunmehr da für 
alle feine Frevel buͤßen. Sch muß doch über die tragifche 
Poſſe des Nordens lächeln, denn fie ift ohne allen Sinn 
und Berftand; fie fchreitet als ein hohles Gefpenft an 
mir vorüber, und ich traure nur über den tiefen Verfall 
der Menfchheit, da felbft ein großer Mann fo weit fich 
vergeflen Eonnte. Jertha fcheint jeßt auch um mich 


327 


beforgt, und der treue Meifter Emund klagt mir ven 
ganzen Tag vor, indem er mein junges Leben bejam- 
mert. Ich weiß nicht, was ich davon denken fol. Vie— 
led wirb mir verborgen, doch wäre es befler, man fagte 
mir ed; denn ich bin auf Alles gefaßt. Wo bleiben 
Kaspar und Hubert, wo Bonnevil und die nor- 
difchen Brüder, welche mir. Hülfe verfprahhen? Wirken 
fie für mich aus der Ferne, und können nur nicht durch 
das eiferne um diefes Schloß gefpannte Neb? Denn 
zahllofe Reiterfchaaren umringen die Burg, und ich fah 
heute früh ihre Waffen und Helme im erften Sonnen 
ftrahle bligen. « 


»Merkſt Du, liebe Hildegard, wie fie Deinen 
Freund bier ehren, da fie um ben einen wehrlofen 
Mann im Thurme fo große Anflalten treffen! Ich denke, 
fie haben das dunkle Gefühl, daß doch noch ein Ande— 
rer, welcher fich dad Leben und die Wahrheit nennt, 
neben ihm ftehe, und möchten gern feine heilige Stärfe 
durch der Hölle Pforten erfchüttern, aber Fönnen es 
nicht. Darum treiben fie wohl fo große Kriegsfchaaren 
zufammen; aber er geht den geraden Weg mitten unter 
ihnen hindurch, und ich flehe nur: »Abba, lieber Vater, 
leite mich auf Deiner ebnen Bahn!« 


— — —— — — 


»Der Herzog-Regent iſt angelangt, das hochpeinliche 
Gericht hat ſich ſchon im Ritterſaale verſammelt, nach 
einer Stunde, mein Vater, ſoll Dein Sohn ins Verhoͤr 


| 328 


fommen. Graf Iertha war früh bier und ſprach mir 
Muth ein; doch konnte er feine große Sorge um mich 
nicht bergen. Unter ver Steinmebzunft ift, wie man 
fagt, eine ſtarke Gährung; doc) werben fie der Weber: 
macht. weichen müffen. Meine Todfeinde triumphiren 
fhon, und eben der Hauptmann Hugh, welcher mich 
zu Brofd aud dem Sattel heben und zu Schanden 
machen wollte, aber nicht Fonnte, fteht nun an ihrer 
Spite. Die Herzogin und fürftlichen Kinder find auf 
Befehl des Negenten in Upfala geblieben. Mein Gön- 
ner Serenius wird die böfe Botfchaft zu fpät nach 
Lund empfangen. Alles bier ift eingefchüchtert oder 
entfernt, was mich liebte. So fieht’3 dunkel; doch blißte 
die Srühfonne vom Schneegefilde mich fo freundlich und 
weiffagend an, und eine höhere Sonne ftrahlte zugleich 
im Gebet fo warm durch mein Herz, daß ich hoffe und 
fröhlich bin, wie ein Kind. Sollten dies aber meine 
festen Worte feyn, fo lebt Alle mir wohl, Ihr Lieben, 
und glaubt, daß ich zu einer höheren Beftimmung und 
zu einem unvergänglichen Bau von - unferm göttlichen 
Obermeifter abgerufen wurde. Sein Wille gefchehe!« 


* * 
* 


Erwin von Steinbach hatte fich zu der ver- 
hängnißvollen Stunde des Verhoͤrs durch, ernftes Nach— 
denken und Gebet bereitet. Sein ganzer Lebenslauf lag 
vor ihm, wie ein aufgefchlagenes Buch. Das gute Ge— 
daͤchtniß führte ihn bis in feine früheften Kinderjahre zu— 
rüd, und dann weiter, ald er an Konrads Seite durch 


329 
die dumpfe Klofterfchule in das freie, aber ernfte Leben 
eintrat. Er hatte feine Jugend nicht genofien, wie man 
zu fagen pflegt; denn fein höheres Streben fonderte ihn 
von den mehrften feines Alters ab. In dem tiefen 

Drange nach etwas Großem und Unausfprechlichem der 
That widerte ihn an ihr verfchlemmtes Leben der Lifte 
oder der flachen Vergnügungen,, welche nur den Tag 
tödten, fo daß er für flolz galt und immer unter ihnen 
allein ftand, wie freundlich fie ihn auch, um feiner Tuͤch— 
tigkeit willen, begrüßten und auffuchten. In Wien 
hatte er in den Sahren der erften Blüthe am St. Ste: 
phansdome gearbeitet, und durch tiefe Wiffenfchaft fich 
fhon dort fehr hervorgethan; dann in harter Kriegszeit 
an dem Rathhaufe zu Prag... Ad es aber Friede 
wurde, wanderte er, wie wir fchon wiffen, gen Stalien, 
um mit eigenen Augen zu fehen, was et in feinem Vi— 
truv fludirt hatte. Obgleich er hier nicht fand, was er 
hoffte, fo ſank doch ein heiliger Funfe in feine Bruft, 
und er fuchte im hohen Norden nun das unentweihete 
Bild feines Strebend. — Die Ahnung, wie er fie einft 
dem Freunde Konrad, am Abende vor feiner Abreife 
nah Schweden, ausfprach, hatte ihn nicht getäufcht; 
aber zugleich war er unerwartet an den Rand eines 
Abgrundes gerathen, und ein fchwarzes Blutgerüft erhob . 
ſich hier vor feinen Augen. Es ward ihm klar, wie bie 
Faden feines Schiefals ſich aus feinem Charakter ent- 
fponnen und fo .leife zufammengemwebt hatten, bis ein fe 
ſtes Neb aus denſelben ihn ungerreißbar umfchlungen 
hielt. Er mußte faft lächeln, daß die fehöne Liebe zu 
Freya den Aufzug zu dieſem Gewebe gebildet habe. 


330 





Ale Worte Elifabeths erfchienen ihm nun als Pro- 
phezeiungen, alle Warnungen von Serenius als gol- 
dene Sprühe. Serenius und Elifabeth duͤnkten 
ihm feine Schußengel zu feyn. Won dort her hoffte er 
noch Hülfe, alles Andere war ihm dunkel geworden, und 
die ganze Zentnerlaft der betrügenden und felbft betroge- 
genen Welt drüdte zentnerfchwer auf fein Herz. Gr 
feufzte zu Gott auf. 

Da trat der Hauptmann und Ritter Hugh mit 
einigen 2eibtrabanten in das Gefängnig und hieß ihn, 
im Namen des Regenten, gebieterifch und ftrenge, ſo— 
gleich folgen, win fich vor Gericht zu ftellen. 

»Das habt Ihr wohl nicht gedacht,« forach der 
Ritter Hugh, und fah ihn haͤmiſch Lächelnd über vie 
Achfeln an. 

»Gewiß nicht,« verfeßte Erwin ruhig; »denn ich 
dachte immer von meinen Feinden nur dad Belle; doc) 
nehmt Euch in Acht, daß nicht Alled auf Euren Kopf 
zufammenbreche!« 

Der Hauptmann würdigte ihn Feiner andern Ant 
wort, als eines verächtlihen Blicks, und fchritt rafch 
voran, indem er ihm Eile gebot. Nach wenigen Minus 
ten waren fie am Orte; der Hauptmann öffnete die 
Thür und Erwin trat in den hochgewölbten Ritter— 
faal, welchen er mit Freuden erbaut hatte, nun aber, 
von Menfchen angefüllt und in eine Gerichtöftube ver: 
wandelt, kaum wiedererfannte. Sein erſter Bli fiel 
auf Birger-Jarl, welder vom Throne herab ihn zor— 
nig anblidte, und von den Großen ded Reichs, wie von 
einer zahlreichen Ritterfchaft umringt faß. Als er von 


331 


ferne ftehen blieb, rief der Herzog-Regent mit firengem 
Munde: »Tretet vor, Ritter Erwin von Steinbad! 
BVertheidigt Euch, wenn Ihr könnt, gegen bie peinliche 
Anklage auf Hochverrath und gebrochne Kitterpflicht!« 
Sofort ſprach der Oberrichter, am Tiſche ſitzend: » Klä- 
ger, klaget an!« 

Erwin trat ruhig vor, und der Ritter Hugh er- 
hob zuerft die Klage, mdem er mit ftolzer Miene ſprach: 

»Ich Plage den Baumeifter und Ritter Erwin 
von Steinbach ungern, doch der Wahrheit gemäß und 
auf hohen Befehl, nichts zu verfchweigen, des Hochver— 
raths und der verletzten Ritterpflicht an. Zuerſt des 
Hochverraths auf verdedte Weife, da er fich gleich an= 
fangs, durch übermäßige Freigehigfeit und Herablaffung 
gegen die Steinmeßen zu Bielbo, ihr unbegrenztes 
Vertrauen erwarb, und in eben dem Maße fie durch al- 
lerhand zweideutige Reden von ihrem rechtmäßigen Ober: 
bern abwandte; dann aber durch fein pflichtvergeffenes 
Verweilen in Brofdö, wodurch er mit Hülfe feiner 
Berfchwornen den gefährlichen Aufftand unter ihnen ver 
anlaßte, welcher Kaum gedämpft werden fonnte, und 
nachmald bei feiner Ruͤckkehr nur zum Schein von ihm 
beftraft wurbe. Seine Unentbehrlichkeit und Macht war 
dadurch den. Zaufenden der Bauleute Fund geworben, 
und immer höher fliegen feine Anmaßungen, indem er 
wie ein König unter ihnen waltete, und fie durch Geld 
und flarfe Getränke, wie durch die wegwerfendfte und 
einem Ritter unmürbigfte Gleichftelung, unbedingt in 
feine Gewalt brachte, um zur gelegenen Zeit die Kappe 
abzumwerfen und ald Demagoge gegen den Regenten auf: 


332 
zutreten. Diefer Zeitpunkt Fam, da der Berhaftbefeht 
an ihm vollftredt werden follte, und das Burgverließ, 
bis zur Unterfuchung feiner Verbrechen, ihm auf des 
Kegenten Befehl angewiefen wurde. Die ihn abführende 
Mache ward, nach tapferer Gegenwehr, von der zahl: 
reichen und wiüthenden Steinmeßzunft, auf feinen Wink, 
überwältigt, er von feinen gerechten Ketten befreit und 
im Triumphe von ihnen, ald ihr Herrfcher und König, 
welchen fie mit ihrem Blute fchüsen und fürs Erfte 
nah Schonen begleiten wollten, aufgeführt. Er aber 
ftellte fich, feiner Sache gewiß, mit fcheinbarem Edelfinne 
von Neuem unter das Gefeß, auf ritterliche Haft, beru- 
higte, nach des Graf-Statthalterd Wunfch, Die aufgeregte 
Zunft, und hoffte wohl defto ficherer im Herzen Schwe— 
dens feine Macht zu begründen, auch mit feiner ftarf 
angewachfenen Partei, in dieſer ſchwankenden Zeit nad) 
König Eriks Tode, den Herzog zu einer ſchimpflichen 
Abtretung von Land und Leuten zu bewegen, indem er 
ſich troßig fchon auf einen höhern Negenten, wen anders 
als den Dänenkönig, wie Bundesgenoſſen berufen hatte. 
So ift der Hochverräther entlarot. Früher ſchon hatte 
er feine heilige Ritterpflicht als Marfchall an der Lochter 
des Herzog-Regenten und der Braut des Königs Hä- 
fan gebrochen, indem er fie verleitete, mit ihm nad) 
Chennefulle zu reiten, da man doch den Holmgeir 
und feine Rotte nahe wußte, und alfo abfichtlih fie in 
große Gefahr brachte, um durch feine Tollkuͤhnheit fich 
ihr unentbehrlih zu machen, mit Darbietung feines 
Lebens fie und einen Thron an fich zu reißen, und das 
Hohe Kleinod, was ihm zu getreuen Händen von feinem 


Herrn anvertraut war, wenn’s glüdte, für fich zu behal- 
ten, wie man aus manchem feiner unbefonnenen Worte 
genugfam abnehmen kann. Doch fiehen hier zum Ueber: 
fluß die Zeugen, welche beeidigt und verhört werben 
mögen. Sie werden bezeugen, was er gefagt und was 
er gethan hat. « 

Nach diefer Klage des Ritters Hugh fragte, der 
Dberrichter, was er dagegen vorzitbringen habe, und 
Erwin fprach mit erhöhetem Selbftgefühl : 

»Der höhere Regent, auf den ich mich berufen habe, 
ift nicht der Dänenfönig, auch Fein König der Erbe, 
fondern der König aller Könige, Gott der Herr. _ Auf: 
ruhr habe ich unter der Steinmebzunft zu Bielbo nicht 
angeftiftet, da ich an meinen Wunden zu Brofo krank 
lag, wohl aber den ohne mein Wiflen und Willen ent- 
fiandenen und von meinen Neibern angeblafenen Auf: 
ruhr bei meiner Heimkehr unterfucht und nach dem Ge- 
feß beftraft, wie mir dazu in der Bauhütte die Macht 
verliehen war. An einem öffentlichen Gerichtätage, mit 
würdigen Beifigern, wie. Graf Jertha und Rath Lido 
e3 bezeugen Eönnen, ift dieſes Gericht mit aller Unpartei- 
lichkeit und der fchmedifchen Ordnung gemäß vollführt. 
Ih habe Keinen gefhont und Keinem Unrecht gethan. 
Der lebte Aufftand dagegen, welcher allerdings der ge: 
fährlichfte war, weil er durch die Verlekung meiner Mei— 
fter- und Nitterehre entftand, und von ber unmwürbigen 
Behandlung herrührte, da man mich, ald einen gemeinen 
Verbrecher, feffelte und ind Burgverließ werfen wollte, 
fonnte nur von mir geftillt werden, indem ich mir die 
ritterliche Haft vorbehielt, und mein Ehrenwort gab, bis 


un 334 





zur richterlichen Entfcheidung nicht aud dem Thurme zu 
entweichen. Schon darin feht Ihr meine redliche Ab- 
ficht. Wenn ich midy aber in unverbienter Schmach 
und Feſſel auf Lund berufen habe, fo dachte ich an kei— 
nen Hochverrath , fündern nur an meinen edlen Gönner 
Sereniud, der mir gewiß eine Freiftätte bei fich ge— 
gönse. haben würde; denn er liebt die Gerechtigkeit, und 
fürchtet Gott mehr,„ald die Mächtigen diefer Erde. Daß 
ich aber in Brofd fo lange verweilen, und meine Bau- 
pflichten zu Bielbo bis dahin dem Emund übertragen 
mußte, geſchah auf des Königs und feines Leibarztes 
ausdruͤcklichen Befehl, wie auch des Negenten Kinder e8 
bezeugen können, da meine tiefen Wunden der fortwäh- 
renden Ruhe bedurften, um gründlich geheilt zu werben. « 
| »Aber diefe Wunden,« rief Birger- Sarl, im 
Zorne fich vergeffend, »Ihr empfingt fie nicht fo ehren 
voll, wie Shr und glauben machen wollt.. Ein Berbre- 
cher; 309 fie Euch zu, da Ihr ald Marfchall meine Toch- 
ter, König Haͤkans Braut, durch den Ritt nach Chen— 
nefulle in große Gefahr an Ehre und Leben gebracht 
habt. Nur dur ein Wunder Gottes, und nicht Durch 
Eure tollfühne Gegenwehr , ward fie aus Holmgeirs 
Händen errettet, und durch ein zweites Wunder aus 
Euren ftrafbaren Bewerbungen, um mit ihr ein Reich 
‚zu gewinnen. Gottes Gnade hat es anders gelenkt, und 
Euch bi hieher zur Nechenfchaft geführt. « 

»Ja, bis hieher,« rief Erwin voll Schmerz, »und 
nicht weiter! — Ich war unvorfichtig genug, dem 
Wunfche der Prinzeffin nachgebend, mit ihr allein nach 
Ghennefulle zu reiten, da ein feindlicher Ueberfall 


335 





drohte. Doch Feine ftrafbare Abficht führte mich dahin, 
fondern die reinfte Verehrung für die geheiligte Perfon 
Eurer Tochter, und die Liebe, die nur in einer unbe- 
fleten Bruft wohnen Fann. Ich fhüßte fie, ald ihr 
Marſchall und Ritter; ich vergoß für fie, ald das theu— 
erfte Unterpfand, von Eurer Fürftenhand mir anbefoh: 
len, mein Blut. Weiter wollte ich nicht3 und weiter 
dachte ich nichts. Nach einer Krone hat mich nie gelü- 
ftet, und noch weniger nad, einer verlobten Königsbraut. 
Mar ih im Herzen ſchwach, Ihr mwußtet ed, da Ihr 
mic zu ihrem Marfchall ernanntet, und durch Ritter— 
pflicht mir die heiligen Grenzen zogt. Sch habe dieſe 
Grenzen nie überfchritten, und meine ritterliche und mei- 
fterlihe Ehre, durch ernften Willen mich beherrfchend, 
ſtets bewahrt. Wer es anders weiß, der frete vor und 
fage es mir nochmals unter die Augen, wie der Ver— 
laumder Hugh, fo foll mein gutes Schwert, womit der 
große König mir den Ritterfchlag gab, ihm die blutige 
Mahrheit unauslöfchlich auf die Stirn fchreiben, fo daß 
Sedermann fie leſen koͤnne. Ich rühme mich wohl nicht 
meiner Thaten, aber ich muß hier thörlich mit dem Apo- 
fiel reden: Nicht umfonft habe ich mein Leben dargebo- 
ten in der Treue gegen die Prinzeffin; nicht umfonft 
habe ich mein Geld verfchwendet, um Euren Schloßbau 
zu fördern und, nach Eurem Wunſche, ihn baldiaft zu 
vollenden. Nicht umfonft habe ich mich dem geringften 
Arbeiter gleichgeftellt, und des Tages Laft und Hige mit 
ihm getragen, um meine Hände zu vervielfältigen, und 
Euh ein Schloß zu erbauen, was feines Gleichen in 
Schweden nit findet, Euh und Euren Erben zur 


336 
Luft und mir zum Aiten SReifkeriohn, Euer Gold ward 
zu reichlich mir geſchenkt, Eure Gnade aber zu Earg. 
Eure Ehre verlange ich nicht, mein Recht aber fordere 
ih von Euch, ald ein freier Mann. Laßt mich ziehn, 
wie ich kam, und fprechet Recht, wie es dem Regenten 
eines chriftlichen Volks gebührt! Diefe Mauern, darin 
wir ftehen, werden noch lange bezeugen, daß ein gutes 
Gewiffen fie erbaute. Ja, ich fühlte mich fchwach, aber 
der Herr hat mich geftärkt, der in den Schwachen mäch- 
tig ift, Laßt und ihn loben mit der That, der auch 
Euch ald Sieger gluͤcklich aus den Heidenlanden heim- 

führte und Euch als Regenten das Heft in die 
Hand gab!« » — 

»Amen“« rief eine Stimme, die mie ein neues Le— 
ben mit ihrem Wohllaut in Erwins Herz Drang. 
„Amente rief fie nochmald, und Serenius trat aus 
dem Nebenzimmer in die offene Thür ein und ftellte fich 
mit feiner unverwüftlichen Heiterkeit vor Birger- Iarl 
bin. — Der Herzog legte erfchüttert feinen Stab nie- 
ber und eilte ihm entgegen. Er fchloß den Erzbifchof 
an feine Bruft, der es zwar herzlich erwiederte, aber 
alsbald zurüdtrat und dem Angeklagten die Hand reichte, 
indem er ſprach: »Mein Sohn, Du haft Dich gut ver- 
antwortet, denn der allmächtige Gott war mit Dir.« 

»Das Gericht hat für heute ein Ende,« rief der 
Herzog fhnell; »man führe den Beklagten in feine Haft 
bis auf morgen zurüd. Alle Anwefenden find entlaffen, 
denn ich will allein feyn und habe Wichtige mit dem 
Erzbifchof zu reden. « 

Alle entfernten fich fogleich, doch die Kläger und 


337 


Zeugen beftürzt über Serenius unerwartete Eintreten 
und beflommenen Herzens, da fie fchon heute das Todes: 
urtheil über Erwin gefällt wünfchten, und die Sache 
nun eine ganz andere Wendung nehmen fonnte. 

Da Erwin in feine Gefaͤngnißſtube zuruͤckgekehrt 
war und allein blieb, fo dankte er Gott auf feinen 
Knieen für den zugefandten Freund in der Noth, und 
war voll bemüthiger Freudigkeit. Als fpäter Meifter 
Emund zu ihm eintrat und ihm Gluͤck wiünfchte, wenn: 
gleich nicht ohne Sorge, fo fprach er zu ihm getroft: 

»Nun will ich gern, wenn es ſeyn foll, auf dem 
Blutgerüfte ſterben; denn Gott hat mir feinen Engel ge- 
fandt, der meineh mir bereiten fol. So habe ich 
fehon genug gelebt. « 

„Fuͤr Euch wohl, verfeßte Emund, indem er ihm 
die Hand fehlittelte, »aber nicht für und. Nun erft foll 
Euer fchönered Leben angehn, und auf dem Naden En: 
rer Feinde werdet Ihr defto fefter ftehen. « 

»Ich mag auf Keined Naden ſtehen,« fagte Er⸗ 
win ſeufzend, »es iſt genug, daß mein eigener Nacken 
nicht unters Joch ſich beugt.« 


Erwin von Steinbach. II. 22 


338 





Fünftes Kapitel. 


ars * 


Um Mitternacht ward Erwin durch ein Geraͤuſch vor 
ſeinem Zimmer erweckt, und als er aufblickte, ſo ſtanden 
vier Maͤnner vor ſeinem Lager, unter denen er zuerſt 
feinen Freund, den Waſſermuͤller, erkannte, der eine Blend⸗ 
Laterne in der Hand hielt. 

» Steht auf und fäumet nicht,« rief er ihm zu, »fie 
wollen Euch and Leben, und wir haben uns durchge— 
fchlihen, um Euch zu befreien. Alle Thüren find geöff- 
net, auf einem unterirbifchen Gange führen wir Euch) 
bi3 an den See. Dort wartet eine Barke, die Euch 
and jenfeitige Ufer führt, dann fehnelle Roſſe der nordi- 
fhen Brüder. In wenigen Stunden ſeyd Ihr aus al- 
ler Gefahr; der mächtige Orden hat ſich Eurer Sache 
angenommen, und wird Euch ficher nach Schonen bis 
zur Meeresküfte geleiten. Dort liegt ein Kriegsfchiff der 
Hanfa fegelfertig, und bringt Euch mit den Freunden 
nach der Freiſtadt Luͤbeck, wo Ihr, auf deutfchem Bo— 
den, des Hetzogs lachen Eünnt.« 

Erwin hatte fi) von feinem Lager gerade aufge: 
richtet, und erkannte nun auch in den andern Männern 
die Freunde Hubert, Kaspar und Bonnevil, welde 
ihm die Hände reichten und des wadern Miüllermeifters 
Bitte unterflüßten, indem fie verficherten, daß ihm mor- 


339 


gen unfehlbar das Urthel gefprochen, und das Todesloos 
fallen würde. Serenius, erzählten fie, habe Alles ver- 
fucht, um den Regenten umzuflimmen, aber er ftehe feft 
auf feinem Sinn, und fey durch Erwins freimüthige 
Verantwortung noch mehr erbittert, welche Stimmung 
die Feinde trefflich zu benußen müßten. Der Erzbifchof 
babe fich ganz zurüdgezogen, und die Schaar der Stein- 
metzen wäre durch zahlreiche Reiterfchaaren von der Burg 
abgefperrt. Freilich herrfche unter dem Volke eine dumpfe 
Sährung, aber die Kriegsmacht fey zu groß, um derfel- 
ben Widerftand zu thun. Flucht fey die einzige Rettung 
für ihn, und feine Minute übrig. 

Die Freunde befchworen ihn aufs dringendfte, fich 
eilig anzukleiden und ihnen nachzufolgen. Kaspar er: 
wähnte auch Dieterichs und Hildegards, fo wie 
Eberhard und Konrads, denen er für fein Leben 
verantwortlich wäre, wenn er ihn nicht diefer Gefahr 
entreiße. 

»Sagt, was Ihr wollt,« rief Erwin aus, »ich ehre 
Eure Gründe, ich erkenne Eure Freundfchaft, aber ich 
kann es doch nicht; denn ich habe mich freiwillig unters 
Geſetz geftellt und mein Ehrenwort gegeben, nicht von 
hier zu weichen, bis der Richterfpruch erfolgt fey. Ich 
bleibe und erwarte eine ehrenvolle Losfprechung oder den 
Tod. Mein Gewiſſen bindet mich, mein Glaube giebt 
Muth, meine Feinde follen nicht über mich, wie tiber ei- 
nen Wortbrüchigen, triumphiren. Ich danke Euch für 
Eure Opfer in der großen Gefahr. Eure Liebe rührt 
mich. Gott. wolle ed lohnen. Auch den nordifchen Brü- 
dern bringt meinen Danf, daß fie mich Unverdienten in 

| 22* 


340 


ihren Schuß nahmen. Aber Lift und Waffen nüßen bier 
nichts, fondern allein das Flare, offenkundige Recht und 
Geduld. Der Regent, welcher mir gewaltfam die Frei- 
heit nahm, muß felbft fie mir wiedergeben und die Ver: 
laͤumder ftrafen, oder ich fterbe ruhig für die Wahrheit. 
Mein Blut ift für diefe heilige Weltbezwingerin, gegen 
welche alle Schwerter flumpf werben, ein fehr geringes 
Opfer. « 

Die Sreunde, da fie fahen, daß feine Gründe un- 
widerleglich waren, fo Liegen fie mit Bitten nad) und 
verfanken in flile Trauer. Nur Bonnevil fuchte ihn 
zu überzeugen, daß man folchen unredlichen Leuten, wie 
Birger-Jarl und feine Helferöhelfer, nicht Wort hal: 
ten müffe, da ſchon der Erzbiſchof durch feinen Proteft 
gegen fie entfchievden habe. Was fie dazu freibe, fey 
nicht, als wüfte und blinde Leidenfchaft, und da man 
fich felbft lieben folle als feinen Nächften, und den Naͤch— 
ften als fich felbft, fo ſey es vielmehr für ihm Pflicht, 
ihren Händen fich zu entziehen, bevor fie in diefer wahn- 
wibigen Verblendung an ihm und an fich felbft das größefte 
Verbrechen begangen hätten. Ueberdies dürfe man ja 
nichtö verfprechen, was mit Pflicht und Vernunft flreite, 
wie jest fein Bleiben hier. Darum möge er, wenn nicht 
um fein felbft, doch um feiner Feinde willen, fich ihrer 
Muth entziehen, weil ein Mord nicht wieder gut zu 
machen fey, wie bitter auch einft ihre Neue werden 
möchte. 

Erwin lächelte und ſprach: »Bruder Bonnevil, 
Du haft mir eine Hinterthär geöffnet. Da es aber 
meine alte Gewohnheit ift, aus der Vorderthuͤre hinaus 


341 


zu gehen, unb da, wie Du weißt, ich die Hinterthüren 
nicht mag, fo bleibt eS bei meinem Worte, und alles 
Andere wird Gott verfehen.« — » Du bift ein flarrer Deut- 
fcher,« rief Bonnevil fchmerzlich, und drehte fich um, 
indem er eine Thräne aus den Augen rieb. » Kommt, 
Brüder,« ſprach er zu den Andern, »laßt und andere 
Mege bahnen; denn fein Wort ift eine unzugängliche 
Burg. « 

Die Freunde fchloffen Erwin nun ſtill an ihre tief: 
bewegte Bruft, und entfernten ſich Einer nach dem An: 
dern, indem ber Waflermüller, welcher der Letzte war, 
ihm die Hand fihüttelte und fprach: »Ihr feyd Doch ein 
Ehrenmann!« 

Sobald Erwin allein war, kleidete er fih an, da 
der Morgen ſchon dämmerte, und wandte fich dann zum 
Gebet, indem er vor einem Fleinen elfenbeinernen Kru- 
zifire niederfniete, welched Serenius ihm einft geſchenkt 
hatte. Er kuͤßte es wiederholt mit großer Inbrunft und 
erflehte fich von dem Gefreuzigten Kraft und Standhaf: 
tigkeit, Sanftmuth und Ergebung, wenn ed Gottes Wille 
wäre, baß er unfhuldig auf dem Blutgerüfte fterben 
folle. 

Lange mochte er jo im Gebet auf den Knieen ge- 
legen haben, als die Thür plöglich unfanft geöffnet 
wurbe und der Hauptmann mit der Wache eintrat, wel: 
cher ihm mit barfcher Stimme gebot, augenblidlid zum 
letzten Berhöre zu folgen. Der wiberwärtige Haupt: 
mann, Ritter Hugb, ſah ihn heute noch hochfahren 
der an, ald geftern, und ein tieferer Spott ſchien ſich 
allen feinen eifernen Gefichtözügen eingeprägt zu ha— 


342 


ben, als wenn er fich feines Siegs über ihn gewiß feh. 

Unfer Freund, befchämt, im knieenden Gebet von 
ihm überrafcht zu feyn, raffte fich fchnel auf und trat 
mit männlicher Haltung mitten unter fie, indem er von 
der Wache abgeführt und bis an die Thür des Ritter⸗ 
faales geleitet wurde. Als er eintrat, beflieg der Her— 
zog-Regent eben den Thron, und die Richter des peinli- 
chen Rechts waren um ihn her verfammelt. Sobald 
Birger-Jarl fich niedergelaffen hatte, nahmen auch 
fie ihre Sige ein, und eine große Schaar von Nittern 
füllte ven Saal, indem eine ftarfe Abtheilung der her— 
zoglichen Leibtrabanten vor den Eingängen die Wache 
hielt. 

Nach Berlefung der Akten nahm der Oberrichter 
dad Wort, und befchied den Angeklagten näher heran, 
um feine Fragen deutlich zu beantworten. Da fand 
Erwin allein vor dem Stuhle des Erdenrechts, und fah 
fi) vergeblih nach einem theilnehmenden Freunde um. 
Der Herzog blickte ihn mit firengen Augen an, und je= 
des vormals ihm gewogene Geficht fehien ihm jetzt ver- 
büftert und verfchloffen zu feyn. Dennoch fühlte er ei- 
nen flarfaufwallenden Muth und eine aus dem Inner— 
ſten fich erhebende Freudigkfeit ded guten Gewiſſens. Auf 
die verfänglichen Fragen des Richters waren feine Ant— 
worten kurz und Elar, und durch ihre Entfchiedenheit ward 
jener oft verwirrt und von feinem vorgefeßten Ziele ab— 
gelenkt. 

Man befchuldigte ihn, daß er, nach allen feinen 
fhon durch Zeugen erwiefenen Vergehungen, auch Die 
Ehrfurcht gegen die Majeftät des Herzogs-Regenten in 


343 


feiner geftrigen Vertheidigungsrede aus den Augen gefeßt 
habe, welches, ald ein neuer Angriff auf Die geheiligte 
Perfon, eine gefchärftere Strafe erheifche.. Man forderte 
von ihm einen Widerruf jener troßigen Worte und ein 
offnes Bekenntniß aller feiner Verbrechen, indem dadurd) 
allein das Urthel gemildert werben dürfte. Man. hielt 
ihm nochmals, auf den Zeugeneid geftüßt, die Verletzung 
feiner Ritterpflicht und hochverrätherifche Anftiftung des 
Aufruhr der Steinmegen vor Man fchloß mit der 
Drohung, daß die Frift der Gnade furz fey, und man 
ihn, wenn er fich noch länger mweigere, die Wahrheit zu 
befennen, auch ohne Eingeftändnig, nach fonnenflaren 
Beweifen, das Todesurthel fprechen werde, welches dann 
nah dem Buchftaben des fchwedifchen Geſetzes, ohne 
Milderung, vollzogen werden folle. 

Erwin verlangte, daß man ihm feine Kläger ge: 
genüberftele, und die vermeinten Zeugen in feiner Ge— 
genwart abhöre. Da diefes in der Form des Rechts 
war, fo trat der Ritter Hugh mit feiner Sippfchaft 
hervor und wiederholte die Klagepunfte, indem man bie 
Zeugen aus ihren Knappen und Troßbuben, wie aus al- 
lerlei Pöbel der Handlanger des Schloffes aufftellte, die 
alles ihm Befchuldigte gefehen und gehört haben woll: 
ten, und mit Eiden ed zuvor gegen den Richter ſchon be= 
fräftigt hatten. 

Da ftand nun vor unferm Freunde die ganze Macht 
der Finfterniß, wie eine eherne, undurchdringliche Mauer, 
und er ſchauderte zufammen vor der Gewalt der Lüge 
und des Unverftandes, da viele feiner harmlofen Worte, 
die er unter den Steinmeßen gefprochen, theild verbreht, 


344 


theild mißverftanden, andere dagegen böswillig hinzuge- 
feßt und erfonnen waren. Zum erſten Male fah er in 
dem hohlgefchliffenen Zrugfpiegel der Welt, flatt feines 
natürlichen Antliges, ein fchiefes Frabengeficht, und ward, 
wie aus einem füßen Traume, unfanft aufgerüttelt. Den 
Abgrund der Dummheit und Bosheit vor ſich erblidend, 
wie einen ungeheuren Schlund, fprah Erwin Elar und 
feft: | 

»Ich kann nur meine geftrige Wertheidigungsrede 
wieberholen, daß ich Eeinen Aufruhr geftiftet, Feine Rit- 
terpflicht verleßt, Feinen Hochverrath begangen habe. Wie: 
wohl ich vor Gott ald ein Sünder ftehe, fo find doch 
meine Lippen und Hände rein von jeglichem folcher Ver: 
brechen, deren ich angefchuldigt bin. Auch kann der Kit: 
ter Hugh mit feiner Sippfchaft Fein glaubwürdiger Klä- 
ger und Zeuge feyn; denn er beneidet mir den Marfchall- 
bienft und ift mein Todfeind geworben, weil ich ihn zu 
Brofd, da er mich im Turniere zu Schanden machen 
wollte, mit der Lanze aus dem Sattel hob und zugleich 
vor dem Sturz vom Pferde durch meine Hand bewahrte, 
und Lob dafür von König Erik empfing. Das kann 
fein wüfter Ehrgeiz mir nie vergeben und darum lechzt 
er nach meinem Blute. Eben fo wenig Fönnen die von 
ihm. aufgeftellten Zeugen wider mich und meine gute 
Sache zeugen; denn fie find theild die Knechte meiner 
Seinde, theild aus der Hefe des Volks entnommen, die 
ohne Verftand alle meine Worte verbrehen, und unbe— 
denklich für ein Stuͤck Geld falfche Eide ſchwoͤren, weil 
fie nicht willen, was fie thun. Nur der Zufammenhang 
macht den Sinn einer Rede, und die That muß geprüft 


345 


werben. Beides vermögen weber jene erbitterten Klä- 
ger, noch diefe umverfländigen Zeugen, dem Richter ind 
Klare zu bringen. Ich verlange unparteiifche und glaub- 
würdige Kläger und Zeugen, wenn ich zu Rechte ftehen 
fol; denn die vorgebrachten Klagen gegen mich find 
nichts, ald grobe Mißverftändniffe oder Lügen. Auch 
habe ich in meiner geftrigen Wertheidigungsrede nicht die 
Ehrfurcht gegen des Negenten Majeftät aus den Augen 
gefebt, fondern nur freimüthig die Wahrheit bekannt 
wider die Falfchheit und Hinterlift niedriger Seelen, die 
mich in der Gunft meines Fürften zu flürzen drohen, 
nachdem König Erif, mein Befchüser, geftorben  ift. 
Ich Fam ald ein freier Mann, auf guten Glauben zu 
Birger-Jarl, er empfing mich aus der heiligen Hand. 
Sch war von dem Adel des Helden begeiftert, und in 
diefem Sinne habe ich ihm fein Schloß erbaut und feine 
Tochter befchirmt. Seines Golded Fülle verdiente ich 
nicht, wohl aber fein Vertrauen. Will er mich richten 
als einen Sklaven, ohne Beweis und Necht, fo bin ich 
von nun an meines Ehrenworts entbunden; ich ſtehe 
nicht mehr in feiner gefeßlihen Haft, und berufe mid) 
auf den verfammelten Reichsrath zu Upfala, als höch- 
fie Inftanz des peinlichen Rechts. Wollen die fehwedi- 
fhen Reichsſtaͤnde mich zum Tode verurtheilen, fo leide 
ich ihn bereitwillig; wo nicht, fo foreche man mich los, 
und fielle meine Ehre wieder her!« 

» Genug,« rief der Herzog, »der Rebell ift reif, man 
führe ihn ab und foreche das Urthel!« 

Der Obertichter und die Schöffen bereiteten ſich, 
nachdem Erwin abgetreten war, das Urthel, nach des 


346 


Herzogs Machtgebot, zu fällen, und ließen, nach kurzer 
Berathung, den Angeklagten wieder eintreten, indem der 
Geheimfchreiber das Pergament entrollte und es ihm 
mit lauter Stimme vorlad. Der Inhalt war, daß Er: 
win, ald SHochverräther und Rebell, wie um manche 
andere fchwere Vergehungen, zum abjchredenden Erem- 
pel, mit dem Schwerte vom Leben zum Tode gebracht 
und Öffentlich auf dem Schloßhofe zu Bielbo enthaup- 
tet werben ſolle. Jedoch folle ihm zur Beichte eine 
Stunde Frift gegeben werden, und, um feiner hohen 
Berdienfte ald Baumeifter, ein ehrliches Begräbniß in ge= 
weihter Erde vergoͤnnt feyn. 

Erwin hatte das mit fefter Haltung angehört, und 
feine ftreitenden Empfindungen niedergefämpft. Noch aber 
hatte der Regent es nicht unterzeichnet, noch war das 
weiße Stäbchen nicht über den Delinquenten gebrochen, 
als fich unten auf dem Schloßhofe fihon ein wildes Ge— 
tümmel erhob und ein betäubendes Gefchrei des Auf: 
ruhrs erfchallte, wie wenn Tauſende das Schloß erftür- 
men wollten. In eben dem Momente hörte man auch 
eine ftarke, doch wohltönende Stimme, die aus dem Ne— 
benzimmer rief: »Haltet ein, noch ein Wort des Frie- 
dens!« Ä 
Es war der Erzbifhof Serenius, der mit einem 
langen Gefolge von Aebten und Prieftern in den Nitter- 
faal und vor den Herzog hintrat. Birger fprang zor- 
nig auf und eilte nach dem Fenfter zu, von wo aus er 
auf dem Schloßhofe zu feinem nicht geringen Befremden 


die Leibwachen zurüdgedrängt, und den ganzen Raum 


mit bewaffneten Steinmeßen angefüllt fah. Ed mochten 


I 


347 


mehrere Tauſende feyn, unter denen man auc einige 
ſchwarze, gepanzerte Ritter, mit gefchloßnen Vifiren, 
Helmbüfhen, Schwertern, Spießen und Scilden, auf 
hoben Streitroffen erblidte, welche die wilde Menge 
anzufeuern ſchienen. Die Zugbrüde der Burg war be- 
reit$, nachdem die Ketten zerhauen worden, gefunfen, 
und das Thor geöffnet. Eine Maffe Volks ſtroͤmte ju- 
beind herein, fo daß der Hof fie nicht faflen konnte, 
und Biele auf Mauern und Dächern ihre Pläbe fuch- 
ten. Der Aufruhr wogte wie ein wildes Meer. Mit 
Entfeßen rief der Herzog=Negent: » Verrath und Em— 
pörung!« Er faßte fich aber fogleih, und gab mit an— 
foheinender Ruhe einigen Hauptleuten leife Befehle, 
welche frhnell hinauseilten. Dann feste er fich wieder 
auf feinen Thron, und fragte den Erzbifhof mit Fal: 
tem Stolze: „Was wollt Ihr hier mit Euern Prieftern, 
Biſchof? Es fieht Eriegerifh aus, und es fcheint faft, 
als wenn Ihr mit darum wüßtet. Glaubt aber nicht, 
als wenn Lift oder Gewalt von mir ertroßen koͤnne, 
was dad Recht verfagt! Der Delinquent empfange ſo⸗ 
fort fein Urthel, und meine Ritter werden den Pübel 
.zerftreuen. « | 
»Euere Ritter, Herzog,« verfegte Serenius Ealt, 
»find ſchon in des Volks Gewalt, und bald werbet 
auch Shr es fein, wenn Ihr nicht umkehrt. Nicht Mit: 
wiffer, aber Helfer aus Noth, fo komme ich zu Eud. 
Kennt Ihr mich erft feit geftern? Wer gab Euch den 
Frieden zu Skenninge? Wo mwäret Ihr jebt, hätte 
ih nicht gefchlichtet? Denn das Wort Gottes ſchneidet 
fchärfer ald Euer Schwert. Ich fage Euch, gebt den 


348 


Süngling los, der ohne Schuld ift, und richtet feine 
Verlaͤumder nach gerechter Wage, damit Ihr nicht aus 
einem großen Manne zu einem Eleinen werdet! Das 
Mißtrauen und die Ehrfucht, Euere alten Fehler, haben 
Euch in diefe Gefahr gebradht. Ueberwindet fie erft, 
vor andern Feinden, damit Ihr nicht überwunden zu 
Boden fallet! Verzeihet dem Meifter der freien Kunft 
auch feine freie Nede, obgleich fie hätte befcheidener 
feyn follen. Er glaubte an Euren Geelenadel, und 
fürchtete nicht Eure Herrfchermaht. Ich gab ihn in 
Euern Dienft, er ging mit Vertrauen auf Eure Größe 
und war begeiftert für Euch. Die alten und die neuen 
Götter mahnen Euch: Vergießet nicht unfhuldig Blut, 
und laßt die gaftlihe Schwelle nicht von dem Gräuel 
der Ungerechtigkeit triefen! Koftbar jest find die Mi— 
nuten, überwindet Euch felbft, orönet ein neues, ge= 
vechted Gericht, und ftillet das Volk! « 

Der Herzog war gerührt und erkannte fein Unrecht. 

»Ich bin zu weit gegangen,« fprady er, und ums - 
armte den Erzbifchof. »Verzeiht dem Kriegsmanne, der 
zu raſch daherfährt! Haltet Ihr das Gericht, und 
wählet die Zeugen! Vor Allem aber daͤmpfet den Auf: 
ruhr mit Eurem geiftlihen Anfehn; denn fchon brechen 
fie die Dächer ab, und flürmen die Thüren des Schlof- 
ſes! Sagt ihnen in meinem Nanıen, der Gefangene fey 
frei, und feine Verlaͤumder follten zur Rechenfchaft ge— 
zogen werden! Bei offnen Thüren fol unter Euerem 
Vorſitze das Recht gefprochen, und dad Urtheil gefällt 
werden, damit das Volk wieder Vertrauen gewinne! 
Eilet, Eminenz! 


349 


Die Worte ded Herzogd wurden von dem Tu— 
multe übertäubt; der Erzbifchof neigte fi) vor ihm mit 
feinen Prieftern, und eilte dann auf ben Balkon des 
Schloffes, wo er die Aufrührer alfo anredete, indem 
er mit ftarfer, aber verfühnender Stimme zu ihnen hin= 
abrief: »Friede, fchwedifche Männer und Maurer der 
edlen Zunft! Friede fey mit Euh nun und immerbar!« 

Alle hörten durch das Getöfe die einnehmenden 
Laute feiner deutlichen Rede, und ed entftand fofort 
eine erwartungsvolle Stille. Alle blidten auf feine 
würdige Geftalt hin, die von den Prieftern umringt 
war, und er fuhr alfo fort: 

» Brüder, braucht feine Gewalt, denn Euer Ober: 
meifter, Erwin von Steinbad, ift frei gefprochen, 
und des Regenten Gnade hat ihn. in meine Hand ges 
geben. Das Gerichtfoll, von mir geleitet, von Neuem 
beginnen, und bei offnen Thüren gehalten werben, da—⸗ 
mit feine Feinde zu Rechte ftehn und ihre Strafe em— 
pfangen. Sendet ald Zeugen einige Altgefellen herauf! 
Stillet den Auflauf, haltet Ordnung dort unten, und 
vergießet Fein Blut mehr! Ich verfpreche Euch, bei 
meinem heiligen Amte, die Wahrheit wird fiegen, und 
d ieLuͤge gerichtet werben.« 

So ſchloß Serenius feine Rede, und das Volk 
erhob unten ein Subelgefchrei, indem mehrere Stimmen 
tiefen: »Das ift brav von Birger-Jarl. Es lebe 
unfer Obermeifter! Es lebe Sent Serenius und der 
Regent!« 

Die Thuͤren des Schloſſes wurden nun auf des 
Herzogs Befehl geoͤffnet, und die Aelteſten der Maurer 


350 


hereinberufen, indem die Zunft felbft eine Wache ftellte, 
fo daß Niemand mehr eindringen Fonnte. Die Ruhe 
kehrte unter dem Volke bald zurüd, und das wilde To— 
ben verwandelte fich fofort in eine gefpannte Erwar— 
tung, die nur biöweilen von leifem Murmeln unterbro- 
chen wurde. Der Gerichtötag ward von Neuem eröff- 
net, indem Serenius des Herzogs Stelle einnehmen 
mußte, und diefer fi in ein Nebenzimmer zurüdzog. 
Sertha, Lido und Emund wurden zu Zeugen auf: 
gefordert, und von dem Dberrihter aufs Grünplichfte 
vernommen. Dem losgefprochnen Erwin aber febte 
man einen Stuhl, um Zuhörer zu feyn. Auch bedurfte 
er wohl der Unterftüßung ; denn er fühlte fich unendlich 
erfchöpft, und befand fich wie in einem wunderbaren 
Traume, der fihnell von einem Unbegreiflichen in ein 
Anderes übergeht, und ganz die Wirklichkeit auslöfcht. 

Der Ritter Hugh, welcher mit feinem Anhange 
bei diefem Wandel der Dinge vergeblich zu entfliehen 
fuchte, ward mit demfelben vor Gericht geführt, und 
nach Jertha's und Lido's Zeugniffen wurden ihre 
Anklagen gegen Erwin bald ald die fehändlichften Luͤ— 
gen und Verlaͤumdungen enthüllt. Alles Verworrene 
ordnete fich leicht nun an Serenius führender Hand 
zu einer Maren Erkenntniß, indem er die Grundfäden 
des böfen Gewebes mit überfchauendem und durchdrin— 
gendem Geifte auseinanderlegte. Alle Gegenmwärtigen 
fonnten nun deutlich in den Abgrund der Dummheit 
und Läfterung, wie in einen zu age ftehenden Berg- 
ſchacht, hinabfehen, wo. die willführlich = zerrißnen Fel- 
fenglieder, darin Fein Gefes der Natur mehr erfcheint, 


351 


ein unwillkuͤhrliches Graufen erregen. Betroffen und 
verwirrt ftand nun der Ritter Hugh. mit feinem An— 
bange da, als Einer, der fich in feinem eignen Nebe 
gefangen fieht. Plöslic verlor er Muth und Zuver: 
fihbt, und der eben nod jo. trogige und hochfahrende 
Ritter flehte nun, mit den demüthigendften Ausdrüden, 
um Gnade und Erbarmen, indem er fich öfter auch zu 
Erwin bittend um. feine Fürfprache wandte. Der 
Herzog-Regent aber war unerbittlih, und befahl, von 
Scham und Zorn glühend, daß den Verläumdern die 
Zungen follten ausgefchnitten, dann Alle auf dem erbaus 
ten Schaffot mit dem Schwerte hingerichtet, Hugh 
Leib aber aufs Rad geftoßen werden. 

„Nein,« rief Serenius mit feiner eigenthümli- 
hen Milde, »Ihr habt mir den Vorſitz gegeben, fo 
laßt mich auch die Sache zu Ende führen, als ein 
Priefter Gottes, der Fein Blut fließen läßt. Schenkt 
den Verbrechern das Leben, aber verweifet fie aus 
dem Lande und fendet fie ind Elend, damit fie ihre 
Sünde bereuen zu koͤnnen Zeit gewinnen mögen! 

»Mohl,« rief Birger-Sarl, »Euere Weisheit 
fieget immer, und ift am unmiderftehlichften in der 
Mäpigung. Euer Wille gefchehe! Führt den Hugh 
und feine Sippfhaft auf Schlitten über die Grenze 
nad) Lappland, und mer von ihnen auf Schwedens 
Boden fich wieder betreffen läßt, der fterbe unter dem 
Beile! Ihre Wappenfchilde aber follen zerbrochen, ihre 
Namen und Bildniffe an den Galgen geheftet und ihre 
Güter eingezogen werden, zum abfchredenden- Beifpiel 
für alle Käfterer und Verlaͤumder!« 


352 


Ale lobten die Gerechtigkeit des Herzogs, umd 
priefen die Lindigfeit des Erzbifhofs. Alle im Saale 
eilten fodann zu Erwin, um ihm Glüd zum Siege 
zu wuͤnſchen. 

Das Urthel ward ſofort vollſtreckt, und vn Hugh 
tief gebeugt an Erwin vorübergeführt wurde, ſprach 
der Unglüdliche, wie zur VBerfühnung: „Ihr habt doch 
Recht gehabt, Alles ift auf meinen fchuldigen Kopf 
zufammengebrochen. Sehr glüdlich preife ih Euch.« 

»Mögt Ihr e8 noch einft werden,« verfeßte 
Erwin, und bot ihm mit verfühnender Wehmuth die 
Hand dar. Hugh preßte fie frampfhaft an feine 
Bruft, wild ftarrten feine Augen, und er verließ mit 
den Mitfchuldigen, wie ein Gebrandmarfter, den Saal 
und dad Reich auf immer. | 

Nunmehr. trat Birger-Jarl auf Erwin zu, 
und umarmte ihn vor der ganzen Berfammlung, indem 
er ihn bat, die Ueberceilung und das erlittne Unrecht 
zu vergeben, und der Hochzeit feiner Zochter auch als 
ihr Marfchall mit beizumohnen. »Sie mag ed an Euch 
gut machen, edler Ritter, was ich verborben habe, « 
feste er freundlich =begütigend hinzu; „ich verſtehe es 
nicht, wiewohl ed mir fehr leid thuf.« 

„Amen,« fprah Serenius, »wir find Alle ſchwa⸗ 
che Menſchen; aber wer ſich ſchwach bekennt, der iſt 
ſtark.« 

Erwin war gerührt und erſchuͤttert, indem er dem 
Herzöge dankte. »Bergebt mir auch meine breiften 
und unbefcheidnen Reden, darin ich die Majeftät ver- 
legte, fo wie jene ftrafbare Unvorfichtigkeit, die Euere 


355 


edle Tochter in große Gefahr brachte,« verfeßte er 
bittend. »Ich habe nur die Baukunſt erlernt, aber 
nicht das Leben in der großen Welt. Ich verftand es 
nicht beſſer, und mußte erft durch Schaden klug werden. « 

»Laßt und Alles auslöfchen in der göttlichen Gna- 
de,« rief der Herzog, »und eine frifche Furche pflügen, 
ohne uns umzufehn! So nur werben wir gefchidt zum 
Keiche- Gottes feyn. « 

Serenius freuete fich diefer aufrichtigen Worte, 
und reichte Beiden mit Innigkeit die Hände. » Ich 
habe Euch alfo wiedergemonnen,« fprad er fehr hei: 
ter, »nun folt Ihr mir auch nicht wieder verloren 
gehn; es ift ein Eöftlih Ding, wenn das Herz feft 
wird. Der Regent, wie der Künftler, dienen dann 
einem Herrn, und wandeln vor feinem Angefichte. 

Serenius faßte mit diefen Worten unfern Freund 
. traulich unter den Arm, da der Herzog von Sertha 
abgerufen wurde, und ging mit ihm auf feine Stube. 
Der Bifhof fühlte, daß Erwin der Seelforge bes 
dürfte, und lockte daher mit Liebreihen Worten fein 
Herz auf die Zunge, indem er ihn die verborgnen 
Seiten feined Innern Eennen lehrte, und ihm den Spruch 
vorhielt: »Wer da meint, er ftehe feft, der fehe wohl 
zu, daß er nicht falle! « | 

Erwin erwahte wie aus einem Traume, und 
fagte feufzend: »Gewiß bin ich fehr fchwach geweſen, 
und wußte es nicht. So laßt mih Euch danken, als 
meinem Schußengel, und gönnt mir die Freude, Euch 
als einen Heiligen zu verehren!« 

Serenius füßte ihm die thränenfchweren Augen, 

Erwin von Gteinbach. II. J 23 


354 


und erzählte von Elifabeth, welche ahnungsvol ihn 
hinweggetrieben habe, um fih nach dem deutfchen 
Freunde umzufehn, der gewiß in großer Gefahr fchmebe. 
Denn immer habe fie von ihm angftvoll geträumt, und 
in den lebten Tagen fey ein ſchwarzes Blutgerüft vor 
ihren Augen aufgeftiegen, darauf ein blanfes Beil und 
ein blutiges Haupt gelegen, welches fie ald Erwins 
erfannt habe. Darum wäre er auf ihre Bitten meh: 
tere Tage vor der beflimmten Zeit nah Upfala zu 
den Kirchenverhandlungen gereifet, wo Freya ihn bei 
feiner Ankunft befchworen habe, fofort nah Bielbo 
zu eilen, um ben Freund aus Todesgefahr zu erretten. 
Mit den fchneliften Rennern aus des Königs Erik 
Marftall habe er in unbegreiflich Furzer Zeit den Weg 
zurüdgelegt, fo daß er zum erften Verhör eingetroffen 
fey. Doch wäre alles Bemühen vergeblih gewefen, 
wenn nicht der wadere Waffermüller, da Erwin die 
Flucht verweigerte, die ganze Zunft der Steinmegen 
auf dem verborgnen unterirdifchen Wege in die Burg 
gebracht hätte. Jedoch habe er davon nichts zuvor 
gewußt, fondern nur den entfcheidenden Moment be= 
nußt, um Alles zum Beſten zu kehren. Alfo fey nicht 
er, fondern der Waflermüller der Helfer aus der Noth 
geweſen, und ihm gebühre allein der Dank nach dem 
barmherzigen Gott. 

»Wackeres Schweden=- Herz!« rief Erwin bewegt 
aus, » Du haft mir den Mühlenriß gut bezahlt! Möge 
ed Deinen Rädern nie an Waſſer, und Deinem Tiſche 
nie am Brote fehlen, fo lange Dein Geflecht in der 
Muͤhle fchaffet! « 


355 


Da Serenius um eine Erklärung diefer Worte 
bat, fo erzählte er ihm den ganzen Vorgang bei ih- 
rer erſten Befanntfchaft , und der Bifchof rief, in- 
dem er fröhlih in die Hände klatſchte: »Da habt 
Shr den Kern unferd Voll! Throne hätten flürzen 
fönnen, und Königreiche auseinanderbrechen, er würde 
dennoch fein Wort gehalten und Euch frei gemacht 
haben. « 

Nun erkundigte fih der Bifhof nach dem Waſ— 
fermüller, aber Niemand erinnerte fih, ihn gefehen zu 
haben. Endlich erfchien der arme Joͤns, und fehmiegte 
fib an Erwins Seite, indem er ihm die Hände 
füßte, und fprah: »Immer fomme ich doch zu fpät. 
Der Waffermüller hat’3 beffer verftanden; ich begegnete 
ihm auf dem Wege, er hat mir Alles erzählt und läßt 
Euch vielmald grüßen. « | 

Erwin freuete fich feiner treuen Freunde, und 
außerte gegen Serenius den Wunfch, auf eine Zeit 
dad verhängnißvolle Brofd zu verlaflen, und mit 
deutfchen Künftlern eine Reife ins hohe Nordland zu 
machen, dahin ſchon ein frühes Sehnen ihn getrie- 
ben habe. Der Bilchof billigte es fehr, und der 
Narr rief: »Nehmt mich auch mit bis an den Nord- 
pol; denn da muß es fehr ftille feyn, und ich möchte 
mich mit Euch von dem Geraffel der Welt zurüd- 
ziehn, welches mir noch immer in die Ohren gellt. 
Befonderd mit dem WBlutvergießen ‘habe ich nichts zu 
thun. Wird es erſt Mode, die Freunde enthaupten 
zu laflen, was fol man den Feinden erweifen? Kurz, 
die Melt ift närrifh, und die Vernunft ift albern 


23* 


356 


geworben, feit Vater Erik tobt if. Laßt uns ei: 
lends von Sodom hinwegziehn! Prinz Erik will 
auch mit, ich verbürg’s. Das wird eine luſtige Ge: 
fenfhaft werden, und der alte Einfiedler im: Nacht: 
reich wird fih wundern, wenn fo geehrte Gäfte fein 
Haus füllen. Da wollen wir, Better, auf eigne Hand 
recht felig und närrifch leben, denn bier ifts doch bei 
dem geftrengen Herzog ein zu gefährlih Ding. Haͤt— 
ten wir zwei Köpfe, möchte e8 gewagt werden; nun 
aber würden wir doch zu arm, wenn der eine abge: 
hauen wird. Auch fchidt es fich nicht einmal, Fopflos 
zu gehen. « Ä Ä 

Sereniusd lächelte mitleidig, und Erwin ver: 
fprach dem armen Sons, ihn, wenn er die Erlaub: 
niß erhalte, an ihrer Reife theilnehmen zu laffen. 


Schöted Kapitel. 


— — {onen 


Birg er-Jarl ſuchte den nachtheiligen Eindruck ſei— 
ner fruͤheren Uebereilung und erlittnen Demuͤthigung 
bei Ritter und Volk durch glaͤnzende Feſte auszuloͤſchen, 
und die zahlreiche Zunft der Steinmetzen, welche ihre 
Kräfte erprobt hatte, durch Großmuth und Herablaſ— 
ſung wieder ganz fuͤr ſich zu gewinnen. Deshalb hieß 


357 


er fie, noch am Abend des verhängnißvollen Gerichtö- 
tags, das fhwarze Schaffot abbrechen, und fofort aus 
den Brettern und Balken auf dem Schloßhofe ein gro— 
ßes Zelt auffchlagen, um dafelbft, weil das alte Schloß 
nicht alle Arbeiter faffen Efonnte, von ihm bewirthet zu 
werben, und es fich an feinen Zifchen wohl feyn zu 
laffen. Mit großem Subelgefchrei des Volks ward die— 
ſes Gebot volführt, und das Blutgerüft der Ungerech— 
tigkeit auseinandergefchlagen, indem Mancher fich der 
fallenden Bretter und flürzenden Sparren freute, und 
einen Lappen des fchwarzen Tuchs zum Andenken mit 
nach Haufe nahm. In wenigen Stunden ftand fchon 
an defien Stelle das geräumige Zelt, in welches an 
lange Tiſche die Lehrlinge und Handlanger zum fröh- 
lihen Gaftmahle entboten wurden, während die Par— 
lire und Altgefellen im alten Schloffe an einer großen, 
wohlbefesten Tafel ihre Ehrenpläße fanden, und, unter 
Meifter Emunds VBorfiß, von den herzoglichen Haus: - 
beamten reichlichft mit Fleiſch und Meth bedient wur: 
den. Birgers Freigebigfeit ging jo weit, daß er 
auch das zufammengelaufne Landvolk, welches noch im 
Burghofe blieb, unter freiem Himmel bewirthen ließ, 
fo daß Alle mit einem Munde ihn ald ihren gütigen 
Herrn preifen möchten. Auch gelang ihm dieſe Abficht 
vollfommen; denn jeder Zünftige freuete ſich des guten 
Ausgangs der bevenklichen Unternehmung , Seder pries 
die Weisheit des Erzbiſchofs, und Die Großmuth des 
allzurafihen Herzogs, indem man fich feiner jüngflen 
glänzenden Siege in Tamaftland erinnerte, und das 
Gefhehene mit dem Feuer des Helden entſchuldigte. 


358 





— — 


Doch Erwin von Steinbach war an dieſem Tage 
ihr Stolz, und alle Maurer ruͤhmten ſich, lauter oder 
ſtiller, ihres Obermeiſters der Huͤtte, welcher durch 
ſeine Standhaftigkeit einen ſo glaͤnzenden Sieg uͤber 
alle ſeine Feinde davongetragen haͤtte. Jeder Ein— 
zelne hatte das behagliche Gefuͤhl, daß auch ihm ein 
Antheil dieſer Ehre gebühre. So kam den Schmau— 
ſenden und Trinkenden die Nacht herbei, und der ſchwe— 
diſche Mann erhob den Regenten mit dem alten 
Wahlfpruhe: Ein Gott und ein König! 

Unterdeffen führte der Herzog felbft unfern Freund, 
ald er mit dem Narren von Serenius zurüdkehrte, 
in den neuen KRitterfaal, welcher nun, hellerleuchtet, 
eine lange Tafel fehen ließ, und wo eine große, glän- 
zende Gefellfchaft ihrer fchon zu warten fchien. Als 
auch. bald nachher der Erzbifchof eintrat, fo feßte man 
fih zu Zifche, und Birger-Sarl, der dem Baumei- 
fter Erwin den Platz fich gegenüber freundlich ange— 
wiefen hatte, brachte mit vollem Humpen den erflen 
Trinkſpruch aus, und fagte: »Wir weihen heute das 
neue Schloß ein. Dank dem edlen Baumeifter, Ritter 
und Marfchall, Erwin von Steinbadh! Sein Ruhm 
fieht feft, wie diefe gediegnen Mauern. Seine Ehre 
ift gereinigt, wie diefes pure Gold des Pokal! Gein 
Gluͤck erhebe fih, wie diefes hohe Kreuzgewölbe! 
Sein Angedenfen daure unter und fort, wie Ddiefes 
tiefe Selfenfundament des Schloffes, und gehe uns nie 
aus dem Loth! Es lebe die Baufunft und ihr großer 
Meifter!« 

Ale Ritter und Künftler riefen ein lautes Hoch, 


359 


und, Serenius fagte nach verhalltem Getöfe fehr 
milde: »Es lebe auch die fromme Liebe, welche fich rei: 
nigte von Schwachheit, wie die Flamme vom Rauche!“ 
Die Gefelfhaft warb von den fanften Worten gerührt, 
und Erwin feste mit verhaltner Bemegung hinzu: 
»Und es lebe vor allem die Weisheit des Heiligen, 
welche fie lenkte, und die Gnade des Regenten, welche 
fie fchirmte.« Er neigte ſich mit diefen Worten ehr: 
erbietig vor dem Herzoge und Erzbifchofe, die neben 
einander faßen, und Serenius fah ihn freundlich: 
ernft mit feiner ganzen Heiterfeit an, wie ein reiner, 
unbewölfter Himmel, fo daß ihm unausfprechlich wohl 
wurde. Birger-Sarl aber reichte ihm fchnell über 
Tafel die Hand und fprach muthig: »Ich danfe Euch, 
Marichall, von nun an fey alles Weh unter und ver- 
geben und vergeſſen! Bleibt mein Freund, wie ich der 
Eurigel«e Erwin faßte die Hand Birgers, und 
wußte nicht, wie ihm gefhah. Er war tiefbewegt, 
und fand Feine Worte, die feine mannichfachen Empfin= 
dungen hätten ausdruͤcken koͤnnen. Es war Freya’s 
und Eriks Bater, er fhien ihm ganz verändert, und 
eine bhinreißende Anziehungskraft ftrömte gleichfam 
aus den Augen des Helden zu ihm herüber. Er drüdte 
ftil die harte Hand, und blidte ihn innigft dankend an. 

„Nun erft find wir am Ende,« ſprach Sereniuß, 
„und unfer ift in Ehrifto der Sieg; denn wer fich felbft 
erniebriget, wie unfer Fuͤrſt, der wird von Gott erhö- 
het werden. « 

Die zahlreiche Gefellfchaft ftimmte jubelnd im Bei- 
fall mit ein, und ein langverhallender Zrompetenftoß 


360 





verkündigte, als die Becher Freif’ten, den Steinmeßen 
auch unten im Zelte und alten Schloffe, was der gute 
Geift hier im neuen, weihend, vereinigt hatte. Bald 
kam zu ihnen davon die nähere Kunde, und fie brach— 
ten fofort dem Herzoge ein lautes Hoch mit fchöner 
Blasmuſik, indem fie ihm und feinem erhabnen Haufe 
alles Heil wünfchten. 

Es war ſchon tief in der Nacht, da man noch um 
den fröhlichen Herrfcher des alten Weins fich erfreuete, 
als Serenius unvermerft aus der lauten Gefellfchaft 
fich entfernte, und dann Erwin zu fich winkte. Unſer 
Freund folgte gern, und der Bifchof führte ihn in die 
Heine Stube des nördlichen Thurms, den Ort feiner 
früheren Haft. Die Thür fand nun offen, und Feine 
Mache davor. Der Mond= und Öternen- Schimmer 
füllten magifch=helle das einfame Gemach, und die er— 
hellten Schneegefilde leuchteten geifterhaft mit ihren blaf- 
fen Wiederfcheinen an den Wänden umher. 

»Siehe, mein Sohn,« fprah Serenius, als er 
fih mit Erwin ſtill auf das Lager gelebt hatte, 
»wir kommen aus der lauten Welt und von ihrer ver: 
gänglichen Herrlichkeit in Dein ftummes Gefängniß. 
Du bift von dem gnädigen Gott frei gemacht. Bleibe 
es nun auch im Geifte, und huͤte Dich vor aller Lei— 
denfchaft; denn was kann der Menfch geben, daß er 
feine Seele wieder loͤſe? Nichts fol ihm zu theuer, 
nicht3 zu herrlich duͤnken, damit er fich den Frieden er— 
kaufe. Du haft ihn hoch bezahlt, aber laß ed Dich 
nicht gereuen, denn er wird Dir Herz und Sinn be- 
wahren und ftärken in dem göttlichen Erlöfer, der aller 


Güter Fülle hat, und der alles Schönen Meifter ift. 
Was fein ift, fol auch Dein werden. Aus feinem 
feufchen Geifte im Gehorfam der Wahrheit wird Dir 
ein neues Leben in der Bruderliebe aufblüben, und 
nicht ift Dir verloren, wenn Du glauben möchteft. « 

Erwin neigte ſich auf des Biſchofs Hand, und 
füßte fie mit Inbrunft und heißen Thränen. 

»Verloren,« fprad er, „für dieſe Welt, aber ges 
wonnen für eine beſſere. So faßte ih Euer hohes 
Wort, und fo will ichs glauben. « 

» Und wirft Deines Glaubens leben und Früchte 
bringen,« verfeßte Serenius, und führte ihn aus dem 
Thurme auf bie. Flur, indem er ihm freundlich eine 
gute Nacht wünfchte, und in fein Schlafgemach fich zu— 
ruͤckzog. Erwin eilte in den Ritterfaal, um die Freunde 
aufzufuchen. Der Herzog hatte fich fehon mit den äl- 
teren Rittern entfernt, die jüngeren Männer zechten 
nod fort, und unter ihnen faßen Hubert und Bon— 
nevil; denn Kaspar und Emund waren ſchon auf: 
geftanden, da fie die raufchenden Freuden nicht liebten. 
Hubert beluftiigte die Gefelichaft mit humoriſtiſchen 
Liedern, indem Bonnevil, mit dem Munde allerlei 
Snftrumente nachahmend, aufs drolligfte fie begleitete, 
fo daß Alle ein unausloͤſchliches Gelächter erhoben, wer 
nigſtens die noch aufrecht faßen; denn viele lagen fhon, 
vom Bacchus überwunden, lallend anı Boden oder 
auf den Bänfen umber. Der Kontraft mit. Erwind 
Stimmung war zu groß, ald daß Hubert ed nidht 
gleich bei feinem Eintreten bemerkt hätte. Er fprang 
auf, und eilte ihm, mit der Laute im Arm, entgegen, 


362 


indem er mit einer leichten Wendung von der Iuftigen 
Geſellſchaft Abfchied nahm und ausrief: »Fragment 
ift das Leben, jo lebt Alle denn wohl mitten im Liebe! 
Er fafte mit diefen Worten den ernſten Freund unter 
den Arm, und eilte mit ihm hinaus, indem Bonne- 
vil Iullend ihnen folgte, wiewohl die zechenden Ritter 
mit Ungeftüm ihr Bleiben verlangten. Schon waren. 
fie aus dem Saale und unten auf der Flur, ald das 
wilde Gefchrei ihnen noch nachtönte. Sie gingen Arm 
in Arm durch das hohe Portal die breite Marmortreppe 
hinunter, und traten ins Freie auf den fternhellen Schloß- 
hof, wo es noch im großen Zelte luftig zuging. Der 
verhängnißvolle Tag, mit feinen großen Widerfprüchen, 
füllte ihre Seele, und verfchloß ihre Lippen. Es war 
das Ganze, was von Morgen bis Abend gefchehen, für 
Erwin wie ein wunderbarer Zraum. Nur die Freund- 
ſchaft dünfte ihm darin das Wirklihe, und er fchloß 
fih, im frommen Danfgefühl gegen Gott und Men: 
fhen, 'fefter noch den treuen Gefährten an. So ge: 
langten Sie, wie Traͤumende, in das alte Schloß, 
und traten in den Saal der Altgefellen, wo fie auch 
Kaspar, Emund und Bielfe trafen, und von den 
Altgefellen mit lautem Subel empfangen wurden. Der 
ältefte Parlier brachte, im Namen Aller, dem Obermei- 
fier den Trinkſpruch und das Lebehoch zu, welches die: 
ganze Zunft mit lauter Stimme wiederholte, und, nach: 
dem Erwin es mit einem Wunfche und Trunk erwie- 
derte, fo begab er fich mit den Freunden auf feine alte 
Urbeitöftube, wo fie an befannten Bauriffen und Stu: 
/dien fich erft wieder heimathlih zurecht fanden. Da 


363 


ward nun über die befchloßne Nordlandsreife Rath ge: 
pflogen, und Hubert entdedte ihnen dann lächelnd, 
daß er mit Bielfe ſchon im Stillen alle Anftalten 
dazu getroffen, nachdem der arme Sons, der aud 
Grlaubniß vom Herzoge empfangen hätte, fie zu be= 
gleiten, ihm das große Geheimniß anvertraut habe. 


Bielke erbot fih, im Auftrag feines Deren, zu 
ihrem Begleiter und Wegweifer, da er öfter ſchon die 
Winterreife in den Polarkreis zu feinem alten Freunde, 
dem Einftedler Salmar, gemacht habe; doch rieth er 
fehr, nach allen diefen angreifenden Begebenheiten noch 
einen Zag in Bielbo auszuruhn. 


Erwin aber fprach das Verlangen aus, ſchon am 
nächften Morgen in aller Frühe von diefem verhäng- 
nißvollen Drte abzureifen, den er noch immer mit ei— 
nem ftillen Schauder betrachte, und durch veränderte 
Umgebung feine Gemüthöruhe baldigft wieder herzu- 
fielen. Man koͤnne dann übernachten, wo man wolle. 


Die Freunde fielen ihm bei, und Emund berich— 
tete, daß er durch feine Gefchäfte zwar verhindert wer: 
de, fie zu begleiten, da er auf die Ausführung der 
Mandmalereien in den Flügeln Acht haben müffe; von 
feinem gnädigen Derzoge aber den Auftrag habe, fie bis 
zum Luftfchloffe am Mälarfee, wo Prinz Erik ih: 
rer warte, und fchon von ihrer Norbreife unterrichtet. 
fey, mit Schlitten und Borfpann zu verforgen, und 
durch Vorfpänne die Winterreife zu befchleunigen. Prinz 
Erik werde dann weiter fie fördern, und felbft fich ih— 
nen anfchließen. Man faßte alfo den Beſchluß, fogleich 


364 





den Vorboten abgehn zu laffen, und dann mit a 
nenaufgang die Wallfahrt anzutreten. 

Emund reihte dem Erwin die Hand und ſprach: 
»Ich möchte wohl gern mit Dir, mein Bruder, aber 
ich Fann nicht; denn Alles muß bier doch in feiner 
Drdnung bleiben, und Niemand achtet darauf, als ich 
allein. 

Man begab ſich nun endlich zur Ruhe, und nad) 
wenigen Stunden Schlaf8 hielten die befpannten Schlit- 
ten ſchon vor dem Schloffe, indem der Morgen anbrad). 
Die Eleine Karawane feßte fi noch vor der Sonne in 
Bewegung; denn fie hatten bis zum Jagdſchloſſe am 
Mälar eine weite Zagereife. Erwin fuhr mit Kas— 
par, Hubert mit Bonnepvil, und deralte Bielke 
nahm den armen Sons zu fih in den Sal in⸗ 
dem er den Zug anfuͤhrte. 

Es war ein ſtiller, ſchneeflockiger und roͤthlicher 
Wintermorgen, da ſie von Bielbo-Schloß abreiſ'ten, 
“und fo laſſen wir fie denn fahren durch die weiße, 
feiernde Dede, bis fie Abends fpat im Eöniglichen Jagd— 
fchloffe am Mälar eintreffen, unferem Freunde noch 
wohl befannt, wo Prinz Erik ihnen im Fadeljchein 
der Diener lebhaft am Portal entgegenfprang. Der 
Narr begrüßte ihn zuerft mit einem Schwanfe, den er 
im gleihen Sinn erwiederte. Doch lief er ihm fchnell 
vorüber, als wenn fein Herz nichts Damit gemein habe, 
und eilte auf Erwin zu, indem er fich ihm fchluchzend 
in die Arme flürzte. 

„Hab? ich Dich endlich wieder, mein füßer Bau: 
meifter!« rief er aus. »D, was hab’ ich gelitten, und 


365 


wie viel verloren, feit ich von Dir getrennt bin! Mein 
guter Oheim ift geftorben, und Du warft dem Tode 
nahe, und ich durfte doch nicht zu Dir. Mein Bater 
war von Deinen Feinden verblendet. Gottlob, daß 
ihm die Augen geöffnet find, da ed noch Zeit war. 
Deine Neider find verbannt, und Du ftehft frifch und 
gefund vor mir. Nun will id auch wieder fröhlich 
feyn, denn ich habe viel geweint und mochte mich nicht 
tröften laffen. Die Schwefter war auch fehr betrübt, 
aber nicht fo fehr, als ich, oder fie wußte es beffer 
zu verfchließen. Schönftens laͤßt fie Dich grüßen, 
und rechnet auf ihren Marfhall, wenn fie Hochzeit 
macht. « 

Erwin erwiederte nur ftille feine lebhaften Lieb- 
fofungen und Schmeichelreden, wiewohl fie feinem Her— 
zen eine langentbehrte Speife waren. Eriks reine 
Jugend, mit ihrer anmuthigen Wärme, thaten ihm nach 
allem Süngfterlebten unausſprechlich wohl. Er fühlte 
den Bruder der Freya fänftigend und belebend an fei- 
nem wunden Bufen, und faßte neue Hoffnungen für 
fein Leben. Der Prinz führte ihn ſchnell in das Schloß, 
indem er flüchtig nach dem Flachbilde über dem Portal 
hinwies und fprah: „Daran hat fich der Oheim zu— 
legt noch fehr gefreut, und die Schwefter Freya durch 
feine Scherze oft roth gemacht. Es iſt ein meifterlich- 
fchönes Bildwerk, fprechen alle Kenner, und ich fage 
dann: Das hat mein Freund gemacht. « 

Unter folhen anmuthigen Gefprächen war ihnen 
die übrige Gefelfchaft in den Speifefaal gefolgt, wo 
ein helles Kaminfeuer brannte, und eine gafllihe Ta— 


366 





fel zu ihrem Empfange gededt ftand. Der Prinz, als 
Wirth, begrüßte fie Alle aufs freundlichfte. Man er- 
wärmte fich an der hochlodernden Flamme, und feßte 
fih dann zum Genuſſe der mwohlfchmedenden Speifen 
und Getränfe, welche nach der falten und angreifenden 
Tagesreife um fo beffer mundeten. Der alte Bielfe 
machte bier den Schaffner, der Narr ließ es an Ein: 
fällen zum Lachen nicht fehlen, und Prinz Erik faß, 
wie die neue Zeit, auf der Stelle feines verftorbnen 
föniglihen Oheims, indem er ihm auffallend an Mie- 
nen und Geberden glih. Erwin gedachte jener Jagd— 
gefenfhaft mit ihrem gütigen Wirthe, und Thränen 
füllten feine Augen. Es waren noch die nämlichen 
Stühle und Zifche, die nämlichen Spiegel und Bilder 
an den Wänden, die nämlichen Diener, welche die Spei— 
fen auf: und abtrugen. Der alte, herrliche König aber, 
die Seele des Ganzen, fehlte unter ihnen, und fein 
lieblicheö, verjüngtes Ebenbild war nicht zur Krone be: 
flimmt. Der ſtolze Waldemat follte den Zepter des 
milden Erik führen, und der Herrfchfüchtige das bie- 
dere Volk regieren. Bald mußte Alles in Schweden 
anders werden, und felbft die alten, mit Sagdftüden 
bemalten Zapeten waren, fo dünfte ihm, wie mit ei- 
nem Trauerflor überzogen. 

Solche Gedanfen und Empfindungen bewegten 
Ermwins Seele, bis er am andern Morgen mit Prinz 
Erik und den Gefährten das Sagdfchloß verließ, und 
die Reife nach dem hohen Nordlande in ihrer Gefell« 
fchaft fortfegte. Noch einmal nahm er Abfchied von 
feinem Flachbilde, und warf der hinfinkenden Schönen, 


367 
fo trefflih von Hubert dargeftellt, den legten ſehnen⸗ 
den Blick zu. 

Der junge Prinz nahm den Freund in ſeinen 
Schlitten, und die Geſellſchaft wechſelte oͤfter die Plaͤtze, 
um ſich ®ielfeitiger und allgemeiner zu unterhalten; 
denn der Winter im hohen Schweden hat etwas fo 
Eintöniges und Leichenartiges, daß der Geift des Men- 
ſchen mit Gewalt dagegen arbeiten muß, um fich nicht 
davon überwältigen zu laffen, daher denn auch die 
Glocken und Scellen bei ihren Schlittenfahrten nicht 
zu verachten find, 

Sn Erwins Bufen war es aber wieder warm 
geworden, wie ein Maitag; denn der liebliche Prinz 
erzählte ihm Vieles von feiner Schwefter in Upfala, 
woraus hervorging, daß er noch bei ihr in gutem Ans 
denfen ftehe, und oft von ihm die Rede fey. 

Unter folhen Gefprächen erfchien ihm unerwartet 
denn die alte Königsftadt Upfala mit ihrem neuen 
Dome, welcher fchon, wie ein Gebirg, über alle Haͤu— 
fer, Paläfte und Kapellen in die Wolfen ragte, und 
ihn deutlich jene Linien fehen ließ, die er felbit gezeich— 
net hatte. 

»Da haft Du es!« rief Bonnevil ihm aus Hu— 
berts Schlitten zu, »fchau’an Dein Werk! Nicht wahr, 
wir find fleißig gewefen?« 

»Ueber al’ mein Erwarten, « verfetzte Erwin. 
»Möchte meine Anſcharkirche erft fo weit gediehen ſeyn, 
dann wollte ich mich freuen.« Bielfe, der es hörte, 
rief aus dem nächften der Schlitten, welche nun in ei= 
ner geraden Linie neben einander auf Dem glatten Maͤ— 


368 


lar:See fuhren: »Es wird nicht viel daran fehlen ; 
denn in Lund find der Arbeiter genug, und der. brave 
Jaͤrnſtrong läßt nicht die Hände feiern. Nur die 
Eunftvollen Durhbrechungen warten auf Euere Hand. « 

Erwin freuete ſich diefer Botfhaft ganz befon- 
ders, und da fie nun fo nahe neben Upfala wegfuh- 
ren, daß er deutlich die Fenfter des Königsfchloffes fe- 
hen und die Scheiben darin zählen Fonnte, fo ftieg eine 
ftarfe Sehnfucht tief aus feiner Bruft, nur einmal die— 
jenige hinter den Gläfern zu fehen, welche noch immer 
feine ganze Seele erfüllte, wie ernftlih er auch von 
ihr fich zu entwöhnen bemüht war. In Eis und Schnee 
wuchs diefe Sehnfucht, wie eine Himmelsblume, aus 
reiner Gefinnung empor, und hing wie eine volle duf- 
tende Rofe am ſchwanken Stengel, deren Wohlgerüche 
der befcheidne Wanderer nur aus der Ferne einzuſau— 
gen begehrt. Vergeblich aber war atl’-fein Suchen und 
Forfhen, eben wie am Morgen des Abſchieds von 
Brofd. Hinter den grünen Vorhängen der Fenfter 
erfchien Fein menſchlich Antlitz, Alles war dort wie ver- 
ödet und auögeftorben. So ward fein Sehnen ftiller 
und fliller, und feine Lippen blieben verfiegelt von dem 
zarten Geheimniß, bis fie die Stadt ſchon laͤngſt im 
Rüden hatten, und auch ihre Thürme im Nebel ver: 
fhwanden. 

Prinz Erik hatte auch dahin geblidt, und ſprach: 
»Menn doc die gute Schwefter wüßte, daß wir ihr 
fo nahe vorüberreifen, fie würde uns gewiß ein Zeichen 
geben. Aber fie hat mit ihrer Ausfteuer zu thun, und 
ichneidet das ein zu, darum fieht fie nicht einmal auf. 


369 


Ermwin feufzte, und ein bitterfüßes Etwas drang 
ihm durch Mark und Bein. Er nahm fich feft vor, 
diefen thörichten Gefühlen fernerhin Feinen Raum -zu 
geben, und fing bald mit Meifter Bonnevil, der fi 
zu ihnen feste, ein wiffenfchaftliches Gefpräh an, da— 
tin er die eigenthümliche Konftruction der nordifchen 
Baukunft, in ihren nothwendigen Abweichungen vom 
Süden, nad) verfchiednem Klima und Material fcharf 
und gründlich zu beflimmen ſich bemühte. Bonnevil 
war über die geiftige Klarheit feiner Rede entzuͤckt, 
merfte aber nichts von dem tiefen Seelenfchmerz, der 
fie hervorgerufen hatte. Nur der arme Joͤns, welcher 
unbemerkt hinten aufgehudt war, fiel endlich in feine 
Rede und fprah: »Vetter, diefe Gründlichkeit greift 
Dich zu fehr an, und wird Dich zu Grunde richten, 
wenn Du nicht bald wieder die Oberfläche ſuchſt. Du 
fiebft fo blaß aus, wie ein mondfüchtiges Mädchen. 
Schlage Dir alfo die verliebten Grillen aus dem Kopfe, 
und fey leicht und munter, wie unfer Einer! « 

„Joͤns, Söns,« rief Erwin, nad ihm fich um— 
fehend, »hüte nur Deine Nafe vor dem Erfrieren, und 
fümmre Di nicht um mein Herz! « 

„Vetter, wer fol fi) denn darum befümmern?« 
verfeßte der Narr; »denn Niemand verfteht Dich hier, 
ald ich, der keinen Verftand hat. Die Weifen preifen 
Deine Thorheit, und die Thoren Deine Weisheit. 
Mer hat nun Recht? Sch denke, der Dich liebt, wie 
Du bift.« 

Bonnevil und der Prinz lachten laut, aber Er— 
win konnte über den breiften Schwäßer nur halb I&- 

Erwin von Steinbach. IT. 24 


370 


heln; denn er hatte dad Verborgne ihm fchmerzhaft 
enthüllt. 

So ward die Nordreife mehrere Tage ohne merf- 
würdige Ereigniffe ungehindert fortgefegt, und da man 
fich der fchnelfften Zraber bediente, gelangte man bald, 
unter Bielkens Leitung, bis zu den Grenzen des be= 
bauten Schwedenlandes, und mußte bier ſchon die 
Dferde mit Rennthieren verwedfeln. Die Natur ward 
immer öder, und bie Gebirge fenften fich zuſehends. 
Die Wälder ſchwanden mehr und mehr. Dagegen bra- 
chen breite, gewaltige Ströme fih Bahn durd) eifige 
Klippen, und ftürzten. donnernd in die Tiefe hinab. 
Dft bildeten ihre hohen Waflerfälle im Morgenlichte 
einen einzig prächtigen Anblick, indem fie mit ihren, 
. zum Theil erflarrten Schaumwellen, wie Millionen Kry: 
ftalle an dunfelgrüne Waldrüden ſich anhängten, über 
welche fich immer neue Fluthen lebendig ergoflen, bie 
am Ende aus den fhwarzgrünen Kieferngruppen zauber: 
bafte und riefengroße Eispaläfte bildeten. 

Diefed gab unfern Künftlern reichen Stoff zu den 
tühnften Ideen und den Iehrreichften Betrachtungen, in: 
dem die Natur des Lichtd und feiner Farben in dieſer 
kryſtalliſirten Eiöwelt fich wunderbar prismatifch vor ih- 
ren Augen verklaͤrte, infonderheit auch der architeftoni- 
fche Charakter, zur großen Freude Erwins und Bon- 
nevils, in jenen gefrornen Wafferfällen mit undenf- 
barer Kühnheit und Herrlichkeit fich aufbauete. Oef— 
ter rief Erwin ganz begeiftert aus: » Hätte ich das 
nicht gefehn, ich würbe ed nimmermehr glauben. Denn 
wer Bann diefe Fuͤlle der Geftaltung faflen, und wer 


371 


kann ihre Großheit nachahmen? Unerfhöpflich reich ift 
die Bildkraft des heiligen Fingers! Mas find unfere 
höchften Tempel und Dome anders, ald Kinderfpiele gegen 
dieſen allmächtigen Eisbau? Alles hier ift in feinen 
Formen nothwendig und ewig, wenn ed auch morgen 
fhon in donnernder Stromfluth zufammenbriht. Denn 
immer neues Gebild thürmt der göttlihe Meifter über 
die eingefunfnen Truͤmmer, fo daß man das Herrliche 
über das Herrlichere vergißt, und Alles das wie eine 
heilige Muſik fi) vor unfern fhmwindelnden Augen be— 
wegt. Hier Eönnt Ihr Baukunft erlernen, und, Bruͤ— 
der, ich habe mich nicht geirrt.« 

Während Erwin fo begeiftert zu den Freunden 
redete, hatte Kaspar unterdeffen, fo weit die Kälte 
ed verftattete, ein hohes Eisgewoͤlbe, welches fich über 
den Waflern, wie die Eingangshalle zu einem pracht— 
vollen Marmortempel, gebildet hatte, durch welchen 
fhäumende Wogen fich herabftürzten, und der wie ein 
deutfcher Dom mit zahllofen Thürmchen gekrönt war, 
forgfältig dargeftelt. Die röthlichen, grünlichen und 
bläulihen Wiederfcheine des Eifes, wie die Haltung des 
wunderfamen Ganzen, deutete er ſogleich mit einigen 
Paftel-Farben an, und hob die Pracht der Lichtmaffen 
durch das trübe dunfelgraue Gemäffer im Vorgrunde, 
fo wie dur den tiefen Zuftton noch mehr hervor. 
Er war ftille bei der Arbeit gemwefen, und hatte es fehon 
vollendet, da Erwin und Hubert zu ihm trafen, und 
zur Fortfeßung der Reife mahnten. 

„Ich bin fleißig gewefen, während Ihr deflamirt 
habt,« fprach er troden, indem er fih nah Erwin 

24.* 


372 


umfah. ⸗»Ich habe wohl Deine warmen Worte gehört, 
aber fie mir nicht hinter Ohr, fondern bier aufs Per: 
gament gefchrieben. Da ftehts! Nimm es hin und be- 
wahre e5 zu meinem Angedenfen!« 
| Erwin erflaunte über die Wahrheit und Schönheit 
dieſes Bildes; Hubert nicht weniger, welcher fogleich 
die malerifhen Kontrafte hervorhob, und die Urfache 
der großen Wirkung angab. Erwin dagegen Fonnte 
feine Worte finden, fondern fchloß den lieben Freund 
an feine Bruft und bat ihn nur, bis Straßburg 
bad Bild für ihn aufzubewahren, um ed dort mit 
neuen Augen zu genießen, und es feinem alten Vater 
zu zeigen. Der wird fagen, wenn ich ihm von biefer 
Anſicht erzähle: »Junge, Du übertreibft.« Dann will 
ih ihm das Bild vorhalten, er wird fich vermundern, 
und Hubert foll mir in diefem Moment des ftillen 
Anerkennens den Alten malen, wie er leibt und Iebt.« 

»Topp,« rief Hubert freudig, »und mein Bild 
foll in der alten Familienftube, der Landſchaft Kas— 
pard gegenüber, bangen. « 

Aud Prinz Erik war mit Bonnevil und dem 
Narren herbeigefommen, um fie abzuholen, da der alte 
Bielfe über die lange Verzögerung entrüftet fey. 
Aber auch fie wurden noch einige Minuten mit Bes 
wunderung vor Kaspars Gemälde gefeffelt, und in— 
bem die Freunde endlich zu den Schlitten zurüdeilten, 
um es nicht gänzlich mit dem Alten zu verderben, fprach 
der Narr: | 

»Ich könnte heute unter Euch ein vernünftiger 
Menfch werden, wenn es nicht fhon Mode wäre, mi ' 


373 


ald einen Narren zu behandeln ; denn die Narrheit hat 
in Euerer Kunftbegeifterung ihren Gipfel erreicht. Mit- 
ten im Eife und Schnee über ein wenig trodne Farbe 
fo entzüdt zu feyn, ift ein Föftlih Ding, und bleibt 
dem Verftändigen ganz unerklärbar. « 

»Eben fo unerflärbar nur,« verfeßte Erwin, »als 
die Freundfchaft und Liebe, welche und Alles vergeffen 
laffen, und lauter Zeichen aus einer höheren Geifterwelt 
find. « 

»Mag feyn,« rief Bielke aus feinem Schlitten 
verdrießlich, »doch wäre es rathfam, die Erde nicht ganz 
zu vergeflen, um noch vor Nacht ins Quartier zu kom— 
men, und nicht in diefer Schneewüfte zu erfrieren. « 

Die Freunde gaben lachend dem Alten Recht, und 
Hubert feßte fi zu ihm, um mit Iuftigen Schwän- 
fen feine böfe Laune zu begütigen. Man trieb bie 
Rennthiere ſchneller an, um bei einem Priefter zu über: 
nachten, bei dem der Worbote fie angemeldet hatte. 
Erft fpat im Sternenflimmer langten fie vor feiner 
einfamen Wohnung an, und fanden Alles zu ihrem 
Empfange bereit. Der ehrwürdige Geiftliche führte fie 
freundlich and helle Kaminfeuer, wo. feine Familie fie 
begrüßte, und dann zu einer wohlbefesten Zafel, wel: 
che auf ihren guten Appetit zu warten. fchien, indem 
es an fchönen Fifhen aller Art und an flärfendem 
Meth nicht fehlte. Die Hausfrau würzte das Mahl 
durch ihre fehr gemüthliche Weife, und die Kinder 
durch ihre neugierigen Fragen, fo daß ihnen die Ruhe 
nachmals in den wohlerwärmten Lagerftellen defto will: 
fommner war. 


574 


Erquickt und neubelebt durch die gute Aufnahme 
der gaftfreien Leute in der winterlihen Dede, feßten 
fie am frühen Morgen ihre Reife fort, und ver alte 
Bielke ermahnte ernftlih, fich nirgends aufzuhalten, 
da fie die längfte Zagereife zu machen hätten, und 
nothwendig heute die Wohnung des Einſiedlers errei- 
chen müßten, da fich Beine nähere Herberge finde. 

Die einfame Straße führte die Eleine Karawane 
an den Ufern eines Stromes fort, welder tief unter 
ihnen zwilchen fchwarzen Felfenftüden und aufgethürm- 
ten Eismaſſen braufend, ſchaͤumend und donnernd da— 
binrollte, indem an den hohen Waldhangen der Kies 
fernadeln fich der glänzende Reif wie ein feiner Schleier 
bis zum Fuße derfelben herabfenfte. Nach dem neuen 
Geſetz, darauf Bielke fehr firenge hielt, durfte Kas— 
par nur flüchtige Linien aus feinem Schlitten zeich— 
nen, fo wie die Rennthiere mit Windeseile den fehön- 
ften Anfihten vorüberliefen; doch hielt Bonnevil un- 
merklich öfter die Thiere an, um dem ihn begleitenden 
Kaspar Muße zu verfchaffen, da diefer ihm verficherte, 
daß er die köftlichen Umriffe jener Felfen und Ströme 
um Alles nicht miffen möchte. 

Schon naheten die Grenzen der Lichtwelt, denn 
die Sonne blieb nur eine kurze Zeit über dem Hori— 
zonte, und Morgenroth granzte mit Abendroth wie 
Smillingsfchweftern, welche ſich die Hände bieten wol- 
len. Dagegen war der Sternenfchimmer unendlich, 
und der Nordfchein faft hell wie der Tag, beide fpiel: 
ten ihre magifchen Lichter in den großen Strom, wel- 
cher, wie der Priefter fagte, niemald gefriere, da er 


375 


von warmen vulkanifchen Quellen erzeugt werde. Auch 
flieg öfter ein Dampf, wie fiedendes Waſſer, aus feis 
nen Ziefen empor, und umnebelte biöweilen die ganze 
Umgegend. Die Natur fchien fih in ihm gleichfam 
gegen die große flarrende Kalte zu wehren, und ihre 
warmen Blutadern durch den winterlihen Tod zu er: 
gießen, wenn auch fein Laut, als etwa dad Heulen 
eines Eisbären, oder eines hungrigen Wolfs, feine hehre 
Leichenpracht und Stille unterbrach. 


Die Freunde fuchten fi) gegen die Betäubung 
der Kälte dur muntere Gefpräche zu fihüßen, und 
der gütige Wirth der lebten Herberge hatte fie fo reich 
lich mit Speife und Getränk verforgt, daß noch bei ber 
wohlfchmedenden Mahlzeit unter freiem Himmel in der 
Mittagsftunde feiner unerfhöpflihen Gaftfreundfchaft 
lobpreifend gedacht wurde. 


Endlih war es denn wieder Nachtzeit geworden, 
als fie, von den Fadeln des Nordſcheins geleuchtet, 
an einem waldigen Abhange, nicht weit vom großen 
Strome, die Wohnung des Kinfiedlerd erblidten, aus 
welcher ein gaftliches Lichtlein ihnen entgegenleuchtete, 
Das Haus war ein feftes, fleinernes Gebäude von gro: 
Gen Duabderftüden, auf deffen hohem Biebeldache inmit: 
ten ein fpißed Thürmchen ruhte, darin eine Glode zur 
Hora lautete. Durch einen Kiefernwald ſchlug man eir 
nen näheren Seitenweg ein, welchen die Rennthiere 
fhon zu kennen fchienen, und Bielke ſah fih nach 
den Gefährten um, als wolle er fagen: Nun endlich 
find wir am Ziele. 


376 


Das Haus, nach Norden durch den höher aufftei: 
genden Wald gefchügt, gewährte, von einem Hügel her= 
ab, auf den Strom hin und nah Süden eine unbe: 
grenzte Ausfiht. Die runde Bogenthür öffnete fich, 
noch ehe fie Elopften, und ein großer, fattliher Mann 
trat heraus, indem er fie wie altbefreundet grüßte, und 
liebreich einzutreten bat. E3 war Salmar, der Ere- 
mit, und Bielfe warf fih an feine Bruft, ihm alt: 
befreundet. 

»Seyd mir herzlich im Herrn willlommen, « forach 
er, indem er fie Alle in ein geräumiges Gemad) führte, 
wo eine hohe Kaminflamme gaftlich Toderte, und weiche 
Polfter, mit Fellen bedeckt, zum Siben einluden. Er 
bat fie, es fich nach der langen Winterreife bequem zu 
machen und erft zu erwärmen, indem er die Polfter 
näher and Feuer rüdte. Dann bediente er fie mit al- 
lerlei gebratnen Fifhen und mohlfchmedenden Mehl: 
fpeifen, fo wie mit Meth und Wein, welche fchon auf 
einem großen Zifche, wie zu ihrem Empfange, bereit- 
fanden; denn Bielfe hatte durch dem Vorboten ihn 
ihre Ankunft wiffen laſſen. Unterdeffen trugen einige 
große Hunde, als treue Diener des Einſiedlers, das 
Gepäd unferer Reifenden in die angrenzenden Schlaf: 
fammern, und fchienen Alles dort, wie man mit Erſtau— 
nen bemerkte, finnvoll und nach feften Gefeß zu ord— 
nen. Auch einige Geierarten traten von der Küche her— 
ein, und trugen in ihren frummen Schnäbeln einige 
Henkelkoͤrbe mit weißem Brote bei den Gäften umher, 
indem fie gar ehrerbietig im Darreichen ihre großen 
Flügel ein wenig lüfteten. 


377 


Nachdem unfere Reifenden ſich alfo erwärmt und 
gelabt hatten, ſprach der Einſiedler: 

»&8 ift doch in der langen Winternacht nichtö er— 
freulicher, als eine gute Geſellſchaft von dhriftlichen 
Seelen, und daß Ihr Alle folche feyd, fagt mir zum 
voraus der Geift. Irre ich nicht, fo find Menfchen 
aus allerlei Volk hier, was Gott fürdtet und recht 
thut, felbft Fönigliches Geblüt. Doc bleibt fih im 
Ganzen der Menſch immer gleih, wenn er Chriftum 
befennt und ein Kind Gottes if. Da machen die Un: 
terfchiede der Länder und Sprachen nicht viel aus, 
denn ed ift dennoch des guten Hirten Heerde. Und 
fo laßt uns denn ohne Vorrede vertrauen, und wie 
, Brüder einander mittheilen, was Leben und Erfahrung 
einem Seden erworben haben!« 

Prinz Erik fragte Findlich neugierig, ob ihm die 
Zeit hier nicht lang werde, und Jalmar verſetzte 
guͤtig laͤchelnd, indem er ſich zu der ganzen Geſellſchaft 
wandte: »Schon ſeit Monaten trat ich die lange Nacht 
an, doch die Stunden werden mir nicht lang; denn 
der Tag, da die Sonne ausbleibt, iſt mir ſtets ein ho— 
her Feiertag. Ich begehe ihn mit Pſalmen und Lob— 
liedern; denn der Herrgott iſt dann meine einzige 
Sonne, die nicht untergeht. Sein Nordſchein und Ster⸗ 
nenflimmer bringen mir ihn näher, als das Tagsge— 
ftirn, und wenn liebende Seelen dann bei mir. einfpre- 
chen, wie wohl thutd dem armen Herzen; denn da ift 
der treue Hüter. mitten unter und.* 

Erwin fragte, ob nicht die Nacht im hohen Nor⸗ 
den oͤfters etwas Grauenhaftes fuͤr ihn habe. 


378 


»Nein,« verfeßte Salmar, »die Nacht ift mir wie 
der Sag. Doc bald wirds noch eine tiefere Nacht ge= 
ben, wo fein Nord= und Sternenfhein leuchtet. Was 
thuts! Sein Licht weiß uns auch da zu finden, und 
feine Rechte wird und führen aus dem ftodfinftern 
Orte zu der. hellen, himmlifchen Aue. « 

» Womit befchäftigt Ihr Euch denn außer -Euern 
Andahtftunden?« fragte Bonnepil, und Hubert 
feßte mildernd hinzu: »Ich möchte auf jene fügfamen 
Thiere rathen, welche uns eben fo zierlich bebienten, 
und dad Gepäd fo forgfam m die Kammer trugen. 
Sie find von Euch wohl mit vieler Mühe dazu erzo— 
gen und ausgebildet? « 

»Sie find meine Gefellfhafter,« erwiederte Sal: 
mar, »und fo lernen fie auch täglich von mir, und 
werden gezaͤhmt und vermenfchlicht durch menfchliche 
Sitte; denn auch die Kreatur, in ihren ftraffen. Eitel: 
feitöbanden, fehnt fich nach der herrlichen Freiheit ber 
Gotteskinder. Dazu bearbeite ich mein Gärtchen und 
Feld, und fifche im Strome, oder fchreibe an der Ge— 
fchichte meines fchicfalreichen Lebens. Auch immer weis 
ter forfche ih im Buche. der Natur; ordne, wie ein 
Bergmann, Steine und Metalle in nahverwandte Rei: 
ben, fammle für mich felbft und meine Thiere heilfame 
Kräuter, ſchaue nach den Bahnen der Geftirne, und 
lefe meine große Bibel. neben der kleinen. Doc ges 
nug. für heute, es ift ‚Zeit zur Ruhe, die Reife hat 
Euch erfhöpft, morgen: wollen wir weiter reden. « 

Mit diefen Worten führte der Einfiedler fie zu ih⸗ 
ren wohlerwärmten Schlafftellen, und wünfchte ihnen 


379 


einen. ftärkenden Schlummer, indem er fich in feine Zelle 
zuruͤckzog. 


Siebentes Kapitel. 


— — — — 


Da Erwin nach feflem Schlummer am andern Mor: 
gen erwachte, fo wunderte er fih, daß es noch nicht 
Tag fey; denn er hatte vergeflen, daß die Sonne nicht 
aufgehe. Es war indeflen hell genug, um alle Ge— 
ſchaͤfte des Tags zu befhiden, und er fah aus dem 
Fenſter, wie ber Einfiedler feine Morgenandacht unter 
den Thieren hielt, nachdem er fie alle zuvor aus ih- 
ren Ställen gelaflen und gefüttert hatte. Einem jeden 
derfelben gab er feine eigne Haltung, die Hunde feßte 
er mit den Vorderpfoten aufrecht, die Rennthiere, Bier 
gen und Schafe ftellte er mit aufgeredtem Haupte 
nah Morgen zu; fo mußten auch die großen Vögel, 
den Kopf und rechten Fuß erhebend, nach dem Auf: 
gange bliden, und, nachdem Alle ihm willig gehordt 
batten, als wenn fie ihn fehon verftänden, fo flimmte 
er fein Eoblied an, und beſchloß den. Gottesdienſt mit 
einem inbrünftigen Gebete. | 

Die Handlung war vor dem Haufe unter freiem 
Sternenhimmel, und die finnigen Thiere, welche einen 
Halbfreis, der nach Morgen fich öffnete, um ihn her 
fchloffen, ſchienen mit befonderer Feier, jedes auf ei- 
genthümliche Weife, ander Andacht ihres Herrn Theil 


380 


zunehmen, bid er wieder ihre Stellungen auflöfete, und 
fie an ihren Ort gehen ließ. 

Erwin war durch das Loblied des Einfiedlerd zur 
Andacht erhoben, und fein Gebet des Herzens hatte 
ihn tief bewegt. Er fühlte, wie glüdlich der Menfch 
fey, welcher vor Gott unverrüdt wandelt. Noch nie 
war ihm das hohe Gut der Kirche und ihrer Gottes— 
dienfte fo Elar geworden. Nachdem der Einfiedler ihm 
einen guten Morgen geboten und an die helle Kamin: 
flamme ins Verfammlungszimmer geführt hatte, fprach 
Erwin zu ihm: »Ihr habt wohl Fein Verlangen zu= 
rüd in die Welt?« 

»Mie follte ich,« verfegte Jalmar heiter, »nad: 
dem ich ihre bittern Hefen ausgeleert habe. Ach bedarf 
ihrer nicht, und fie nicht mein. Aber nach der wahren 
Kirche habe ich oft ein großes Verlangen, auch ftehe 
ih immer mit ihr durch Fürbitte und Anflehn zum 
Heil der Brüder in Verbindung, und fo find mir, in 
Ermangelung der Glaubendgenoffen , diefe dankbaren 
Thiere eine Eleine Gefellfchaft, welche meine Andacht 
mit mir theilt, und meine Gottesdienfte, fo wie es eben 
geht, mit mir feiert. « | 

»Ich habe es mit Verwunderung angefehn,« er: 
wiederte Erwin, »und glaube, daß fie durch Euern 
Umgang mehr und mehr vermenfchlicht werden mögen ; 
nur fcheint es mir ein Widerſpruch, daß Ihre. unver: 
nünftigen Seelen an Gott denken Fönnten. « 

»Denfen?« fragte der Einfiedler lächelnd. »Muß 
denn aber auch Alles gedacht feyn, was Religion ift? 
Ah, mein junger Freund,« fuhr er fort, „wie weit 


381 


würde der arme Tagelöhner mit feinem Denken kom⸗ 
men, wenn ber barmherzige Schöpfer ihm nicht noch 
eine andere Gnabdenthüre geöffnet hätte? Denkt Ihr 
denn bei einer fchönen Kirchenmufif, und macht eine 
Reihe Vernunftfchlüffe, um Euch von dem Dafein Got: 
tes zu überzeugen? Iſt der heilige Gott nicht vorher 
fhon da, und Euch nahe im Geifte Euerer Empfin: 
bung, wie dad Sonnenliht, was Euern Augenftern 
trifft? Daͤchtet Ihr auch an Feine Sonne, fie würde 
fih Euch fhon Fund geben, indem. Shr die Augenlies 
der vor ihren Strahlen ſchließen müßt. So ift aud 
im Herzen eine verborgne Thür, die der Allliebende 
den Einfältigen aufmadht, und fiehe, ed wird Licht, 
wo weiland Finfternig war. Diefe Thür heißt — 
»Glaube« — der Glaube madht uns felig, nicht die 
Vernunft und das Denken. Denn heilig erdenten kann 
fih Niemand, wohl aber durch den Glauben geheiligt 
werden, und feined Glaubens leben. Ich glaube, da— 
rum rede ih; und jene gelehrigen Hausthiere hören 
mich gern an, wenn ich meinen Gottesdienft halte, und 
beharren bis and Ende in ihrer ehrerbietigen Stellung, 
wie wir Menfchen im Knieen, Händefalten und Aufs 
fehben, welches Acußerliche keineswegs gleichgültig ift: 
Sp bildet fih audh in ihnen an meinem Glauben 
ein gewifles Vertrauen, an meinem Gehorfam eine 
Art von Gehorfam, und ein ferner Schimmer des ewi— 
gen Himmelölicht3 fällt in ihre tiefe Nacht der Unver— 
nunft und Eitelkeit, welches ihre Geberde bezeugt, und 
mit Recht ihre Religion genannt werden kann. In 
Wahrheit fehnen fie ſich mit Angftlihem Harren nach 


\ 382 


meinem Bottesdienfte des Geiſtes, nachdem ich ihnen 
ihr Sutter gereicht und fie gefättist habe. Ein un: 
ausfprechliches Verlangen zeigt fi öfter nach meinem 
Gebete in ihren Augen und Mienen. Denn die willi: 
gen Hausthiere, infonderheit aber die verftändigen 
Hunde und geiftreichen Geier, welde täglich alles Aeu— 
Gere mit mir theilen und midy freu bedienen, find auch 
dem Innern und Geiftigen bis auf eine gewiffe Grenze 
nicht verfchloffen. Diefe Grenze aber ift eben die Ver: 
nunft, welche den Menfchen bezeichnet und unterfchei- 
det, fo wie auch unfere Menfchheit auf Erden ihre fe— 
ften Grenzen hat, die erft der Engel überfchreiten Tann. 
Glaubt alfo nicht, mein junger Freund, daß wir Men: 
fhen fo abgefchloffen in der heiligen Schöpfung da: 
ftehn, als die Liebhaber der Weisheit behaupten. Nein, 
ed gehn unendliche Stufenleitern von und hinunter in 
alle Kreaturen, ja bis zur Pflanze und zum flarren 
Geftein, fo daß wir allenthalben Theilnehmer unferer 
Gottesdienfte finden, und die Voͤglein in den Lüften, 
die Thierlein in den Klüften, ihren Schöpfer mit uns 
loben fönnen. « 

Nah einer Paufe, da Erwin fehwieg, fuhr er 
fort: »Gewiß ift der vernünftige Menfch ein Herr der 
Erde, wenn er ein wahrer göttlicher Menfh, und feis 
nem Erlöfer Ahnlich würde. Dann wirft er wie ein 
Lichtpunkt auf alle Kreaturen, und predigt ſchon Evan: 
gelium durch fein bloßes Daſeyn.« 

»Dagegen fteht mancher Menfchenftamm durch fitte 
lihe Verwilderung tief unter den Gefchlechtern der ed⸗ 
leren Thiere, welche Freundfchaft, Liebe und Dankbar: 


383 


Feit fühlen, und mit unverbrüchliher Treue ihrem 
Herrn. anhangen. Sie find alte fefte Naturftämme, 
und ich denke, dem ewigen Geifte viel näher, als der 
entartete Adamite, welcher durch Unvernunft und La— 
fterhaftigfeit tief unter fie hinabfinft. Darum hat der 
Zhierdienft bei den Egpptern feinen heiligen Grund; 
denn Unmwanbelbarkeit ift dad Wefen Gottes. Wir fe: 
ben diefes Thierifch= Heilige in der Stärfe des Stiers, 
in der Treue bed Hundes, in dem Edelfinn des Rof- 
feö, in dem finnigen Berftande, wie in der zarten Danf- 
barkeit des Elephanten, in dem Mitgefühl des Del: 
phins, und in der Klugheit mancher Vogelarten. Sie 
warten nur mit allen guten Gaben, daß der Menſch 
ihnen vorantreten foll, um fich mit ihm feiner herrli— 
chen Freiheit der Kindfchaft Gottes zu freuen. O, es 
ift höchft rührend, wo fich diefe Andeutungen in den 
Thieren Eund thun, und koͤnnte mehr als Alles die 
ftumpfen Gewiffen fhärfen, wenn man nur aufmerfen 
wollte. « 

Erwin verfehte: »Ich habe Aehnliches gefühlt, 
doch hat ber Menfh vor allen Thieren die Thrane 
voraus. « | 

„Nicht vor allen,« erwiederte Salmar; »denn 
es giebt eine Art edler Rofje, die über den Leichnam 
ihre Herrn weint; auch der fterbende Delphin foll 
Thraͤnen vergießen, und feinen Mörder mit einem un 
ausfprechlihen Blide anfehn. Doch habt Ihr Recht, 
die fchöne Thraͤne des Mitleids gebührt dem Menfchen 
allein. « 

»Und der Andacht,« fprah Erwin. 


384 


»Wohl, mein Sohn, « rief der Einfiedler, »laß uns 
dabei verharren und von feinem flilen Umgange uns 
nicht entwöhnen! Aber in Deinen Augen glüht noch 
ein fremdes Feuer, obgleich die Gnade in Dir mäd: 
tiger geworben if. Du haft die ſchoͤne Kreatur ein 
wenig zu fehr geliebt, um ohne Wandel mit Deinem 
Schöpfer zu leben. Doch nun bift Du auf einem gu= 
ten Wege. « 

Erwin drüdte, getroffen, dem Einfiedler die Hand 
und fhwieg; denn fchon hatte ſich die Reiſegeſellſchaft 
um fie im Saale verfammelt, und begrüßte ihren 
freundlichen Wirth. Er führte fie ans lodernde Feuer, 
wo ringsum Speifen zur Frübkoft ftanden, und bat, 
davon zu genießen, weil er zum Fifchen ausziehen 
müffe, um ihnen dad Hauptmahl für den Abend zu 
bereiten. 

Erwin erkundigte fich angelegentlich, ob alte Bau— 
werke in diefer Gegend wären. »Ja wohl,« verfebte 
der Einfiedler, »Fommt nur Alle mit mir, ich will Euch 
in meinem Boote zum Snfelhain führen, wo ich zu 
fiſchen pflege, da koͤnnt Ihr reichlich Euere Wißbegierde 
befriedigen; denn es find wohl dort die älteften Baus 
werfe in der Welt. « 

Erwin brannte vor Ungebuld nach biefen Sel- 
tenheiten, und nach dem Frühftüde Iud der rüftige Greis 
das Netz auf die Schulter, und fchritt ihnen voran, in— 
dem Alle ihm gern nachfolgten. 

Eine Feine Stunde mochten fie ea ge= 
gangen ſeyn, ald fie an eine Landzunge famen, wo 
der Fluß fich erweiterte, und im ftilleren Gewaͤſſer eine 


385 





bemwaldete Felfeninfel mitten in feinem tiefen Bette fe- 
hen ließ. An der MWaldzunge lag das Fifcherboot, und 
der Alte, nachdem er das Nek in Orbnung gelegt hatte, 
nöthigte fie Alle, einzufteigen. Bielke fette fih, wie 
mit Allem befannt, and Steuer, und Salmar ergriff 
die Ruder. Der Strom war in dem breiteren Bette 
noch immer reißend genug, und fie hatten Mühe, hin— 
durchzudringen, fo daß Erwin dem Einfiedler im Ru: 
dern zu Hülfe fommen mußte, um bei hoher Fluth 
nicht wegzutreiben. Endlich landeten fie, und aus 
einem Haine immergrüner Kiefern hauchte ihnen eine an- 
genehme Wärme entgegen. 

»Das hat uns heute einen Schweiß gekoftet, denn 
der Strom geht in ungewöhnlicher Höhe,« ſprach Sal: 
mar zu Erwin. »Dafür aber folt Ihr auch Werke 
der Kunft fehen, wie Eudy wohl noch nie vorgefom: 
men find, denn ich achte diefe Trümmer aus der tief: 
ften- Borwelt und von der herrlichfien Bauart, fo weit 
ih auch in der Welt umbergereift bin. Hier war ges 
wiß ein großes Deiligthum. « 

Erwin erftaunte nicht wenig, da nun feine tiefe 
Sehnfuht nach Norden, und fein Fölner Traum am 
Rheinftrom, aus welchem ihn die Bleicherinnen erweck— 
ten, plößlih in Erfüllung zu gehen fchienen. Denn 
der alte Bielfe, weldher am Steuer faß, ſah ihm 
ganz wie der fremde Vogel mit dem weißen Kopfe 
und dem Habichtöfchnabel aus, auch blidte er ihn eben 
fo feltfam= freundlich, wie jener, beim Ausſteigen an« 
Noch mehr aber ging das Traumbild in die Wirklich- 
keit über, ald er in den hohen Kiefernhain eintrat, und 

Erwin von Steinbach. I. 25 


386 


die Eunftreichen Truͤmmer eines herrlichen Tempels er- 
blidte, welche theild noch mit ihren Säulen und Ar— 
chitrab aufrecht fanden, theild weit zerftreut in Stuͤ— 
den umherlagen. Er trat wie auf heiliges Land, und 
bei jedem Schritte offenbarten fi ihm und feinen Ge— 
fährten neue Wunder der kuͤhnſten und großartigften 
Baukunſt. Das Material war von gefledtem, dunfel- 
braunem Porphyr, und die einzelnen Werfftüde ver 
Säulen und Kapitäle im egyptifhen Style, wie ver 
Tempel zu Elephantis, davon er eine Zeichnung in 
Rom fah, meiſterlich ſcharf behauen und geglättet. 
Die tiefgereiften Säulenfchäfte fliegen hoch empor, und 
trugen noch am öÖftlihen Eingange das ſchwere Ges 
baͤlk. Die Kapitäle waren abwechfelnd ein Blumen: 
Eorb und ein Sarg. An dem Friefe des Gebaͤlks wa- 
ren Flachbilder aus einer Fülle von Figuren darge- 
ſtellt, darin alle Kreaturen fich zu verfchmelzen fchie= 
nen. Man ſah Thierföpfe auf Menfchenleiber gefebt, 
und wiederum Menfchengefichter auf Löwen und Adler- 
leibern. Aus Blumenftengeln und Blätterfülle wuchfen 
die fhönften Kindögeftalten, welche in Rofen und Li— 
lienkelchen fich fchaufelten, und auf Inftrumenten fpiel- 
ten. Sphinre von der hehrſten Schönheit fchienen dieſe 
bunte Gefellihaft mit ihrem Raͤthſel zu bewachen, "und 
in die Fülle der Zeiten zu ſchauen. Der Grund des 
Friefed war gefchliffen, die Geftalten matt polirt, und 
fchienen von der Luft nichtd gelitten zu haben. Aus 
einem Brombeergefträuche wühlte Erwin mit feinem 
Hammer die ebelften Formen auf, und erftaunte über 
die finnreiche Verſchmelzung des Furchtbarften mit dem 


387 


Lieblichften, indem zarte Jungfrauen, mit der ganzen 
Heiterkeit der alten Götter im lächelnden Antliß,. fich 
in lange Drachenſchwaͤnze endeten, oder, ftatt der Beine, 
in einen Schlangenfnäuel ausdehnten. Er wußte nicht, 
ob er mehr die gründliche Anatomie, oder die meifter- 
hafte Führung des Meißeld bewundern follte. Hubert 
war ganz entzüdt, Kaspar fland unter den Säulen 
felbft wie eine Säule. Bonnevil deflamirte em— 
phatifih Stellen aus alten Heldengedichten. Prinz 
Erik wand fich einen Epheufrang um den Hut, wel: 
chen er von einer umgefunfnen Säule abgelöft hatte, 
während er im XAnfchauen eines gewaltigen -Wolfes, 
der ein zartes Reh im Maule hielt, ganz vertieft war. 
Nur der Narr pfiff fein luftiges Liedchen, und hüpfte von 
einer Säule zur andern, bid er an die dampfende und 
fprudelnde Quelle kam, wo er fehöpfte und trank. Der 
Einfiedler hatte fih mit Bielfe zum Filchen beur- 
laubt, indem er bemerkte, daß ihnen die Zeit auf der 
Snfel nieht lang werden koͤnne, und nach allem Kunft: 
genufje ein guter Fifch auch nicht zu verachten fey. 
Erwin fah fie dahinfahren und das Neb audwer: 
fen, und über den mächtigen Tempeltruͤmmern erfchien 
ihm der bewegliche Kahn, wie er mit den beiden Grei- 
fen in den Strudeln des Stroms hin= und herſchwankte, 
wie das ungewiſſe Schidfal feines Lebens, welches 
fi über Trümmer der Zeiten aufbauet, und am elter- 
lichen Haufe feinen Lauf gewinnt. Die Trümmer la . 
‚gen groß und feft in feinem Herzen, feit er fih von 
Freya losriß; Doch das häusliche Gluͤck, welches am 
Leben der alten Eltern hing, ſchwankte noch ungewiß, 
25* 


388 


tie auf fhäunenden Wogen, vor feinen Augen hin. 

Traͤumeriſch-ſinnend hatte er eine Zeit lang ihnen 
nachgeblidt, da trat er mit den Gefährten aus der 
zertrümmerten Vorhalle in die eigentliche Zelle des 
Tempels, von der noch die untern Mauern aufrecht 
ftanden, aber die Dede ſchon eingefunfen war. Die 
Thür verengte fi auf egyptifhe Weile nach oben zu, 
und die innern Umfaflüngsmauern bildeten einen Kreis: 
bogen, welcher fich dem Allerheiligften anfchloß, und 
durch eine Wand von demfelben gefchieden war. In 
diefer befand ſich wieder eine fpißige Thür, die ver: 
fchloffen ſchien. Die Binnenmauern der Belle waren 
mit Skulpturen feltfamer Art bededt, die auf eine viel 
ältere Zeit, ald die Odindlehre geht, hindeuteten, und 
wenige große, allegorifhe Beftalten darftellten. Nichts 
fand man hier von der nordiſchen Gdtterwelt, wie auf 
anderen alten Denkmaͤlern Schwedens; fondern, wie 
ed fihien, einen Dienft des Unfichtbaren, der in allerlei 
Gleichniſſen und Räthfeln durch die Kunft nur bezeich- 
net würde, So bemerfte man hier im Flachbilde von 
Porphyr einen riefenhaften Alten, welcher auf einer 
MWeltkugel faß, und feinen Mantel im Bogen mit weit- 
auögebreiteten Armen über dem Lodenhaupte ſchwang. 
Auf dem Mantel waren alle Bilder des Thierkreiſes 
deutlich eingegraben, und er ſchien benfelben einem 
nadten Weibe, welches in fchöner Jugend bis an bie 
Hüften aus dem Meere fich erhob, überwerfen zu wol: 
len. An der gegenüberftehenden Wanpfläche fa man 
eine ſehr große Lotosblume Auf dem wogenden Ozean 
ſchwimmen, und in ihren auffpringenden Blättern fehlief 


389 


ein füßer Knabe, auf welchen ein furctbarer Jäger 
von der Höhe des Felfens einen Pfeil abſchoß. Aber 
ein Adler in den Wolfen ergriff mit feinem Schnabel 
den fliegenden Pfeil, und fchien ihn dem großen Alten 
zuführen zu wollen, welder hier dad Lockenhaupt aus 
den Himmeln hervorbeugte, An der Wand rechts da= 
gegen erfchienen auf einer langen Wieſe lieblichſchaͤ— 
fernde Mädchen, harmlos Blumen lefend, indem: fich 
ein gräßlichegefehuppter Drake aus. dem Strome ers 
bob, und, vielföpfig, mit feurigen ‚Zungen, auf fie. bins 
zuflürzen und fie zu verfhlingen drohte, Die letzten 
der Mädchen erblidten ihn, und ergriffen „alle, ihre 
Blumen aus dem Schurz. verfchüttend, angſtvoll die 
Flucht, indem die erften, ungewarnt, ‚ihre Blumenleſe 
fortießtem und. in ihr Verderben gingen. Auf der ins 
fen Tempelwand dagegen zeigte ſich in graufiger Höhle 
eine Schmiede, wo nadte Männer: an einem. großen 
Schlachtſchwerte haͤmmerten, und wie mit Schweiß 
uͤbergoſſen waren, indem ein Koͤnig, mit flammendem 
Haar und ſtrenger Geberde, den Arm mit dem Stabe 
ausſtreckend, ihnen Die: ſaure Arbeit gebot, und in der 
andern Hand eherne Ketten hielt. Viele herrliche Waf: 
fen hingen ſchon vollendet in ber Höhle ringe umher, 
und eine unbefchreibliche Dual erfchien in den Gefichtär 
zügen der Schmiedeknechte; ‚aber Durch sine Spalte bed 
Gewoͤlbes fah man won eben her ginen been Stern 
hereinblinken, den jedoch Ried in der Schmiede zu 
bemerken ſchien. | 

Unter dieſen großen Zlachbildern waren noch am 
Sockel der. Mauer niele kleinere angebracht, bie. Scenen 


390 


aus dem bürgerlichen Leben vorftellten, ald Kriegszuͤge 
und Hochzeitöfefte, Leichenbegängniffe und Freuden 
mahle, ja Alles, was der Tag bringt, doch die Geſtal— 
ten in fremden Trachten, wie aus einer andern Welt, 
mit den lebhafteften und ausdrucksvollſten Geberden und 
Mienen. : Bäume des Nordens und Südens, Thiere 
und Pflanzen der heißeften und Fälteften Zone, fanden 
beiſammen hier, und Alles wie mit Sonnenftrahlen um— 
webt. Keine Stelle der Wandfläche war unbenußt. ge: 
blieben, und Geftälten entfalteten fih aus Geftalten im 
dunklen, gefchliffnen Porphyrfteine, unendlich, unergründ- 
ich, in zahllofen Reiben. 

* Hubert: Augen glühten, und er rief aus: » Eine 
ſolche Arbeit ift nicht: von einzelnen Meiftern gemacht, 
ein: ganzes Volk fpricht fich darin aus, und ein ganzes 
daͤdaliſches Geſchlecht muß fie mit diefeni Tempel 
ausgemeißelt haben.«e Erwin pries befonders die ge= 
naue Fügung der Steine und den einfach - großartigen 
Rundbau. » Stände dad Gewölbe noch,« fprach er zu 
Bonnevil, »fo würden wir etwas lernen; denn die 
Byzantiner find dagegen. Kinder gewefen.« — » Ich 
denfe, auch wir,« verfeßte Bionnevil. »Ja wohl,« ers 
wiederte Erwin, „denn nicht die große Mafle, fon 
dern die Vollendung im Natürgemäßen bezeichnet den 
Mann in der Kunft.« Kaspar fügte hinzu: »Ich 
muß am meiften hier die ‚Erfindung rühmen; denn fie 
fegt einen fo hohen Grad von allgemeiner Geiftesbil- 
dung voraus, wie man fie nur im Fabelreich Atlantis 
zu finden meinte. Doch bier fteht es und ald-eim Das 
gewefnes und Wirkliches vor Augen, und macht mir 


391 


beinahe den Kopf drehen. Laßt und nun in das Al: 
lerheiligfte eingehen, wo ſich der Auffhluß zu allem 
Früheren ergeben muß, wenn wir auch feine Hoheprie- 
fter find. « 

Die Freunde fielen ihm bei, und Erwin öffnete 
mit feiner Steinart die alte eherne Thür, welche nur 
angelehnt war, und mit einem lieblichen Klange auf 
ihren Angeln fi aufthat, ald wenn es ins Reich der 
Töne gehe. Angenehm davon überrafcht, traten fie ein, 
und da ed drinnen ganz dunkel war, fo zündete Prinz 
Erif draußen eine Fadel an, und frug fie jubelnd 
hinein, um alle die Heiligthümer beim Lichte zu bes 
fehen. Wie wurden fie aber überrafht, da fie nichts 
ald ein Siebened, mit glattpolirten leeren Wänden 
fanden, und inmitten einen einfachen fleinernen Zifche 
kaſten. 

„Was heißt denn das?« rief Bonnevil — 

»Sch denke,« verſetzte Erwin laͤchelnd, »Du ſollſt 
Dir von mir, Deinem Gott, kein Bildniß machen, we— 
der das auf Erden, noch im Himmel, noch im Meer, 
noch unter der Erde iſt. Kennſt Du freier Meiſter der 
Kunſt nicht mehr Dein erſtes Gebot?« 

„Ja, fo iſts in Wahrheit,« rief Bonnevil, abet 
wir find durch die Worhalle verwöhnt worden. « ' 

»Warum laßt Ihr Euch auch fo fchnell verwöh- 
nen,« fprach der Narr, welcher von dem Sprudel her: 
beifam. » Ich habe: unterbeffen einen. frifchen Trunk 
gethan, und kann mit hellern Augen ſehen 

„Ja, Narr, wo nichts zu ſehen iſt,« verſetzte Prinz 
Erik lachend, und ſchlug ihn auf die Schultern. 


392 


»Doch, doch,« rief der Narr, »leſ't da die Buch: 
fiaben an der Oſtwand; fie bedeuten gewiß etwas, das 
mir zu hoch ift. « 

Hubert leuchtete hin und fand Hieroglyphen, die 
er nad) einigem Beſinnen, da ein Kopte in Venedig 
ihm darüber einige Aufſchluͤſſe gegeben hatte, alfo ents 
räthfelte: »O Frembdling, lerne, wem man bier dienen 
fol! Er heißet: Sch bin, der ich bin.« 

»So Stehen wir denn auf dem beiligften Grunde,« 
rief Erwin. Ale verftummten, und ihre Gedanfen 
wurden ein ftille8 Gebet. Nach einer Weile traten fie 
wieder hinaus, und der Einfiedler mit Bielke famen 
ihnen fröhlich entgegen, indem fie vom Fifchfange ei: 
nen großen Lachs mitbrachten, welchen Salmar an 
den Kiemen trug. Prinz Erik und der Narr fchrieen 
laut auf vor Freude, Alle bewunderten den großen, 
herrlihen Fiſch, und Bielfe mahnte zur warmen 
Sprubdelquelle, um ihn darin zu kochen und dann die 
Mahlzeit zu halten. Man folgte ihm nicht ungern, 
da der Hunger ſich bereitd einftelte, und ald man am 
Sprudel, unter den Baͤumen, die gaftlihe Tafel auf 
einer Steinplatte gededt, und, neben dem wohlgefoch- 
ten Fifhe, mit weißem. Brote und altem Wein befegt 
hatte, fo ſprach der Einfiedler das Danfgebet des 
Pfalmiften und rief dann: »Merft die heilige Stunde, 
und blidt empor!« 

Ale blieten auf, und fahen im Mittagöfreife eine 
fhöne Morgenröthe auffteigen, welche den ganzen Him⸗ 
mel überzog, ald wenn die Sonne dem Aufgange. nahe 
fey. Und wirklich war fie 88; denn ihre Strahlen roͤ⸗ 





393 


theten die Spigen der hohen Kiefern, und fielen aus 
den Wolfen mit warmen Wiederfcheinen in den dun— 
felgrünen Hain, und die ganze Infel ward wie mit 
Sonnenflimmer ummwebt, obgleich die Lichtfcheibe unten 
blied. Jalmar fiimmte dem Vater des Lichts ein 
Loblied an, welches Alle zur Andacht erhob, und noͤ— 
thigte dann, fi zum Mittagdmahle niederzulaffen. 

Nach der wohlfchmedenden Mahlzeit füllte Jal— 
mar einen großen filbernen Becher in fchöngetriebener 
Arbeit mit altem Weine an, und ließ ihn von Hand 
zu Hand unter den Gaͤſten Freifen. Nachdem man 
getrunfen hatte, und den Becher bewunderte, fprach 
er heiter: »Diefer fchwere Becher hat chen viel mit 
mir erlebt, und bot mir den Labetrunf in Wohl und 
Weh. Weit ift er auch gereifet, denn er war mit mir 
im gelobten Lande und an Kaifer Friedrichs Hofe. 
Den Wein darin fchenkte mir ein alter Freund zur 
Erquickung für mich und meine Gäfte! Alfo trinkt dar— 
aus, und ſeyd guter Dinge ; denn fo jung fehen wir 
und nicht wieder! « 

Die ganze Geſellſchaft ward fehr vergnügt, und der 
Narr rief emphatifch aus: 

„Es ift ein ganz herrlicher Einfall, daß Eure Hei- 
ligfeit und bier auf diefer Iſis- oder Hertha= Infel, 
welche auch eine Zauber = und Sonnen nfel heißen 
fönnte, ein fo mwohlfchmedendes und herzerfreuendes 
Gaftgebot bereitet haben; denn es heißet hier: »Friſche 
Fiſche, gute Fifhel« — und wiederum: „Ein. alter 
Mein ift wie ein alter Freund, laß ihn jung werben, 
fo wird er Dir wohl fchmeden. « 


394 


— — 


»Umgekehrt, Narr,« rief Prinz Erik, und ſchlug 
ihn lachend auf die Schulter, »es heißt: Ein junger 
Freund iſt wie ein junger Wein; laß ihn alt werden, 
ſo wird er Dir wohlſchmecken.« 

»Das läuft auf Eins hinaus, Vetter,« ſprach der 
Narr, und that, da die Reihe eben wieder an ihn Fam, 
aus dem Becher einen tiefen Schlud. »Ich hoffe, « 
fuhr er fort, nachdem er den Becher feinem Beifißer 
gereicht, »ich hoffe, daß unfere Freundfchaft, Erik, 
niemals alt werden, noch graue Haare befommen fol. « 

»Gewiß,« rief der Prinz lachend, » Deine Narrheit 
bleibt immer jung und ftirbt niemald auf Erden aus.« 

Die Gefenfchaft ergößte fih an dem Narren und 
an dem Prinzen, welche heute in ihrer beften Laune 
waren, und der Einfiedler ſprach, nach vielen Scher— 
zen, zuleßt gütig=lächelnd: »Es giebt auch eine göft= 
liche Zhorheit, welche alle Weisheit der Erde befchämt 
und eine vollfommne Weisheit in der Schrift genannt 
wird. Diefe Thorheit fol leben und Alle, die ihr zu— 
gethan find. « 

»MWohl,« rief Erwin, »auch ich hin ihr Schüler 
und Liebhaber, fie lebe hoch!« 

Der Becher Freifete auf diefen neuen Trinkſpruch 
noch einmal, und der Narr, indem er abfeßte, ſprach 
bedaͤchtlich: »Mir, Ihr Herren, galt die Gefundheit 
und ich bedanfe mich ſchoͤnſtens. Denn ich bin voll 
göttliher Thorheit und felig hat ſie mich bereits ge— 
macht; was brauche ich mehr, wenn ich nur nicht wie- 
der vernünftig und unfelig würde. « 

» Dafür ift leider geforgt,« verfeßte der Einftedler 





395 


ernft,« doch der Herr trägt ja auch die Verſtandesbloͤ— 
den, fo wird er von Deiner Armuth wenig zurüdfor- 
dern und wolle Dir gnädjg feyn, mein Sohn! « 

Joͤns war bei diefen Worten plößlich ernfthaft, 
ja nachdenklich geworden und wiſchte ſich etwas von ei- 
ner Thraͤne aus den Augen, indem er fich bei Seite 
Ihlih und ind Boot feßte. Darin fih ſchaukelnd, 
blidte er nach den rothen Wolfen, als fey ihm etwas 
ind Herz gedrungen, bald aber fing er wieder fein Lie— 
del zu pfeifen an und hatte Alles vergeffen. 

Der Einfiedler erbob fih mit feinen Gäften vom 
Mahle und fang, ftatt des Gebet, ein altbefanntes 
lateinifches Loblied, darin die Gefellfchaft mit einftimmte. 
Die Röthe am Himmel war unterdeffen erlofchen, und 
die warmen Quellen der Inſel dampften hoch in die Luft, 
wie ein Opferrauh, fo daß fie ringsum einen Nebel 
verbreiteten und man bie jenfeitigen Ufer ded Fluffes 
nicht fehn fonnte. Er ſchien wie ein Meer ohne Gren— 
zen, und braufete ftärfer an den Felfenwänden, ald wenn 
er die Freunde bier fefthalten wollte. Erwin gedachte 
wieder feines Zraums, und ein angenehmes Grauen 
überfiel ihn. Der Einfiedler aber ſprach: »Nun, meine 
Brüder im Herrn, laßt und noch einmal zum Tempel 
der Vergangenheit gehn; denn wahrfcheinlich habt Ihr 
das Beſte darin nicht gefunden. « 

Mit diefen Worten führte er die Gefellfhaft wie: 
der durch die Vorhalle und Zelle in das Allerheiligfte, 
und öffnete die Thür voll lieblichen Klangd. Die Fadel, 
welche Hubert angezündet hatte, wies er zurüd und 
ſprach: »Wir brauchen hier nicht des fremden Feuers. « 


396 


Sie ftanden nun, da die Thür fi von felbft wieder 
ſchloß, im ftodfinftern Orte; der Einfiebler aber hatte 
fhon die Platte des Tiſches ergriffen, und drehte fie 
leicht um ihre Angel, fo daß fich unter derfelben eine 
Lade mit einem Gitter eröffnete, und ein fihönes, wei— 
Bes Licht ftrahlte plößlich aus der Tiefe hervor und er- 
hellte liebli) das ganze Gemad). 

»&3 geht ganz natürlich zit, « EBEN Salmar zu 
den ftaunenden Fremden, »kein Wunder noch Zauber 
verurfacht diefes Licht, fondern ein Phosphor aus dem 
Felſenſchooße, welchen die weife Vorwelt zu diefem wuͤr— 
digen Zwecke benußt hat. Nun aber feht diefe Hand— 
fchrift in der Lade! Sie enthält die Spruͤche ältefter 
Meisheit und ift an einer Goldfette in dem Gitter 
befeftigt, daß Niemand fie herausnehmen oder entwen- 
den fol. Der Einfiedler hob die Handſchrift aus der 
Lade und legte fie auf die zurüdgefchobene Zifchplatte. 
Der Einband war von Silber, Gold und Elfenbein 
über eine flarfe Eberhaut gefchlagen. Jalmar zeigte 
dad Buch und öffnete es. Man fah auf röthlichem 
Pergament alte Runenfchrift mit allerlei farbigen Bil- 
dern, »Mir haben nicht viel Zeit heut’, Darin zu lefen, « 
ſprach er, »doch will ich Euch eine Probe daraus geben. 
Gefällt es Euch, fo könnt Ihr wiederfommen und- weis 
ter forfhen.e So hub er an und las mit Flarer 
Stimme: ° 

»Es ift nur ein Goft und in Ihm find alle Din- 
ge. Er ift über Alles, und durch Ihn entfteht und 
vergeht Alles. Was aber eine vernünftige Seele bat, 
das bleibt in Ihm. « 


397 


— — — —— 


»Der Einige iſt in einer fortwaͤhrenden Offenba— 
rung begriffen, und dieſe iſt der ewige Sohn, das Wort 
der Macht; denn es hat Alles gemacht und ruft Alles 
ind Dafeyn.« 

»Der Sohn lebt in Metall und Geftein, in Pflanze 
und Thier, in Waffer und Luft, in Feuer und Erde, 
in Sonnen und Geftimmen, Aber für dich, o Men: 
fchenfind, ift er ein Menſch geworden und hat fich dir 
offenbaret im Wort der Gnade, damit du an ihn glau— 
ben und durch ihn felig werden mögeft.« 

»„Nimmft du fein Zeugniß an, fo wird er auch ein 
Menfh in dir, und du gemwinneft feine Geftalt und 
wirft durch ihn ein Kind Gottes. Nimmſt du es nicht 
an, obwohl du es gehöret haft, fo ſpricht er dir das 
Gericht. « 

»Du felbft, Menſch, Fannft dich nicht offenbaren 
und Far machen, denn du bift nicht ohne Sünde; aber 
der Sohn Gottes, ohne Sünde, Fann fih in dir of: 
fenbaren, und offenbart fih in dir, als dein wah— 
red Leben, wenn du ihn liebfl. Dann bift du, Menfch, 
durh Ihn ein lebendig Gottes-Wort geworden und 
eine Zunge, die ihn lobet aus dem heiligen Geifte. 
Dann hangſt du als ein Mitglied an feiner Gemeine 
und an feinem ewigen Leben, und Niemand Fann dich 
aus feiner Hand reißen. Dann bift du dir Flar ge— 
worden in dem Seyn Gottes, und wirft bleiben in 
dem, der da ift, und der da war, und der da feyn 
wird. Mo nicht, fo gehft du in unerhörte Qual und 
in den ewigen Tod; denn bu bijt nicht, der du bift, 
und das ift dein Weltgericht. « 


398 


» Genug von diefer myftifchen Art,« rief der Ein: 
fiedler, und fchlug mehrere Blätter um. »Nun hört noch 
einige Spruchworte und Lebensregeln! « 

„Willſt du einen Freund finden, fo fey ſtets auf: 
richtig und dankbar! « 

„»Willſt du einen Feind verfühnen, fo verleugne 
dich felbft und komme ihm mit Ehrerbietung entge- 
genl« 
»Willſt du um ein Weib werben, fo geh’ ihr mit 
Zucht und mit Muth entgegen, Daß fie den Freund 
und den Mann erfenne!« 

„Willſt du ein Kind erziehen, fo bete zu Gott um 
ein reined Herz und fey forgfältig!« 

»Wilft du in den Krieg ziehn, fo gürte dich mit 
Standhaftigkeit und thue den Uebermuth weg!« 

»MWilft du ein Haus bauen, fo mach’ zuvor den 
Ueberfchlag, ob du es bezahlen Eönneft!« 

„Willſt du ein Schiff führen, fo unterfuche zuvor, 
was es laden fünne!« 

»Willſt du ein Richter werden, fo fieh nicht die 
Perfon an, und frage nicht nah Vater und Mut- 
ter ! « 

„Willſt du ein Priefter werden, fo wandle vor 
Gott und fey fromm!« 

»MWilft du ein Arzt werden, fo lerne Erbarmen; _ 
denn Mitleid heilet die Kranken!« 

»Dein Gebet fey wie eine That, und deine That 
wie ein Gebet!« 

»Auf dem Wege zum Freunde laß Fein Grad wach— 
fen!« 


399 





»Mit Schwertern fpiele nicht, aber wenn du das 
Schwert ergreifen mußt, fo leg es nicht nieder, bis du 
Recht geichafft haft!« 

»Laß dein Wort nicht wie ein Schwert fein, und 
laß dein Schwert nicht wie ein Wort feyn!« 


»Alles bat feine Zeit, nur nicht das Gebet. Bete 
ohne Unterlaß!« 


» Dein Umgang mit Gott fey, wie ein Freund mit 
- feinem Freunde umgeht! Das ift der Weisheit An- 
fang und Ende!« 

Wiederufh ſchlug der Einfiedler viele Blätter um 
und lad weiter; 


»Den Gaſt, welcher mit Falten Knieen zu bir 
tommt, führe ans Feuer! Der Fremdling, welcher die 
Berge durchlief, bedarf Nahrung und trodner Klei- 
der!« 

»Maffer gieb, um fich die Hände zu wafchen, dem, 
der fih an deinen Tifch fegt. Aber rede zu ihm ver: 
ftändig, wenn du willſt, daß er dir zuhöre und ant- 
mworfe.« 

»Der Reifende braucht Weisheit. Zu Haufe Fann 
man thun, was man will. Wer nichtö weiß, zieht fich 
verächtlihe Blide zu, wenn er neben wohlunterrichte- 
ten Zeuten fißet. « 

»Der Thor glaubt, er lebe ewig, wenn er die 
Schlacht vermeidet. Aber wenn die Lanzen der Feinde 
ihn auch verfchonten, fo giebt ihm das Alter doch Fein 
Quartier. « 


400 





»Der Freffer frißt, wenn er nicht Acht giebt, fei- 
nen eignen Tod, und die Gefräßigfeit des Narren ma— 
chet die Weifen lachen. « 

»Ich bitte Dich, ſey verfihtig, aber auch nicht zu 
fehr! Sey e8 aber, wenn du zu viel Meth getrunken 
haft! oder, wenn du nahe bei dem Weibe eines An 
dern fißeft! oder, wenn du dich unter den Räubern be— 


findeft! 


» Halte dich nicht auf, noch lache über deinen Wirth 


oder über einen Fremdling. Die zu Haufe bleiben, 


wiffen nicht, wer der befuchende Gaft fey. « 
»Es giebt feinen Zugendhaften, det nicht irgend 
ein Laſter hätte, und Eeinen Zafterhaften, der nicht ir: 


gend eine Tugend hätte. « 


„Lache nicht über einen Greid, noch über deinen 
alten Ohm! denn es geben oft aus den Runzeln der 


Haut Worte der ewigen Weisheit hervor! « 


»Das Feuer vertreibt die Krankheiten, der Eich— 
baum die Strangurie, das Stroh beſchwoͤret die Be— 
zauberungen, die Runen zerftören die Verwünfchungen, 
die Erde verfchluddt die Ueberfhwernmungen, der Tod 
löfchet den Haß aus. « 

» Genug für heute!« ſprach der Einfiedler, indem 
er das Buch zumachte und wieder in die Lade fenkte. 
„Es wird Zeit, daß wir heimfahren ; denn meine dienft- 
willigen Thiere werden uns fchon längft erwartet ha= 
ben. « | 

Mit diefen Worten drehte er die Porphyrplatte wie— 
der zu, fo daß es im Allerheiligften ganz finfter wur— 
de, und durch einen Drud feiner Hand öffnete fich fo- 


401 


fort die Thür mit einem leifen Klange, wie ſchwer fie 
aud) war. Der Nordfchein Teuchtete ihnen, aus einem 
dunklen Kerne auffteigend, hell und ſtark entgegen. 
Seine geheimnißvollen Gluthen überftiegen faft die Schei— 
telhöhe de Himmelögewölbes, und die Sterne funkel: 
ten nur matt durch die röthlichen Strahlungen, welche 
wie aus einer mildhweißen Lichtmaffe fich entzündeten. Es 
bünfte unferem Zreunde diefe Erfcheinung wie eine my: 
ftifhe Sonne des Nordpols, welche fih, gleich einem 
Zraumbilde, an die Stelle der wahren geſetzt hatte, 
und in ihrer Abweſenheit alle ihre Dienfte verrichtete. 

Kaspar war ganz im Anfchauen verfunfen, und 
malte fi) im Innern das wunderfame Bild aus, mie 
es ihm hier über den breiten Strom und feine verblaf”- 
nen Nebelufer fo zauberhaft vor Augen ftand. Erwin 
gedachte mit Sehnfucht an Hildegard, doch vermifchte 
fih ihr Bild mit Freya's, und ward von demfelben 
oft ganz verdunkelt, indem die Hohe, wie durch ihr 
Nordlicht verklärt, in ganz wunderbarer Herrlichkeit 
vor feiner Seele aufftrahlte. 

Der Einfiedler führte unterdeffen die Gefellfchaft 
aud den Ruinen ded Tempels geradeswegs zur Boots: 
ftelle, um eiligft abzufahren. 

Der Narr hatte fih lange im Kahne gefchaufelt 
und auf eigne Hand Eleine Liedchen gefungen, um fich 
die Zeit zu kuͤrzen. Doch war er endlich, im feften 
Vorſatz zu wachen und zu warten, aus langer Weile 
feft eingefchlafen, dazu denn auch der ungewöhnliche 
Weingenuß feinen Theil beitragen mochte. So lag er 
im Bordertheile des Fiſcherboots wie ein ungeftalteter 

Erwin von Steinbach. II. 26 


402 


Klumpen zufammengerollt, und man ließ ihn ruhig 
fchlafen, bi$ vom Lande abgeftoßen war. 

Der Einjiedler ergriff fröhlich die Ruder, und ber 
alte Bielke führte wieder das Steuer. Der Strom 
war jest mit ihnen, und fo erreichten fie bald die fchon 
befannte Zandzunge, wo man wieder das Scifflein an 
einem Felfen befeftigte, und dann fih zur gaftlichen 
Wohnung des Einfiedlers begab. 

Ein helles Licht Teuchtete ihnen auf dem Wege 
aus dem Haufe entgegen, und da Erwin verwundert 
fragte, wer dad angezündet habe, fo verſetzte der Ein— 
fiedler lächelnd: »Das haben meine Hunde gethan.« 
Und wirklich bemerfte man deutlih, wie Ddiefe ver: 
ſtaͤndigen Thiere einen Heinen Rollwagen, mit Scheits 
bolz beladen, durch die offne Hausthür zogen, nad): 
dem fie fich felbft eingefpannt hatten, während andere 
derfelben aus der Quelle eine Waffertonne mit Eimern 
füllten und fie dann auf einer ähnlihen Rollmaſchine 
in die Küche fchafften. 

Der arme Joͤns, welder erft am Eandungäplage 
gewedt wurde, fah fich verwundert um, und, nachdem 
er fich ermuntert hatte, fprang er, luftig tanzend, vor 
der Gefellfchaft ber. Da er aber auch nun von ferne 
die emfigen Hunde erblickte, fo rief er frohlodend aus: 
»O Wunder, feht, die Thiere find vernünftig worden, 
und zählen fih nun zu des Menfchen Orden; was doch 
eine gute Erziehung wirken fann! Am Ende müffen 
wir auch noch die Neffeln und Steine erziehn, daß jene nicht 
brennen und diefe nicht faullenzen, fondern reden und 
fingen lernen, wie es Gott gefällt. « 


403 


Mit Ernft verfeßte der Einfiedler: »Und Dich, daß 
Du fchweigen lernft, wie e8 Gott gefällt, um nicht feis 
nen Namen unnüßlich zu führen, « 


Achtes Kapitel. 





Die Freunde hatten fchon mehrere Tage bei Salmar 
verlebt, und es duͤnkten ihnen fo viel Stunden; die Zeit 
fchien bier ihre Macht zu verlieren, und die Iehrreichen 
Geſpraͤche des gütigen Wirths brachten fie ganz in Ver: 
geffenheit. Erwin befuchte täglich mit den Malern die 
Sonneninfel, wo fie einen reihen Schat zum Zeichnen 
und Nachbilden fanden. Die milde Luft dort begünftigte 
ihre Arbeiten, und im Allerheiligften am Phosphorlichte 
ward oft das alte Buch aufgefchlagen. Zu allen Räth- 
feln hier ſchien e8 ihnen den Schlüffel zu geben. Bon: 
nevil that faft nichts, ald darin leſen und darüber re= 
ben. Erwin dagegen legte oft den Maßſtab an, und 
fchöpfte fchweigfam aus den zertrümmerten Säulen und 
Gewölben befondere Auffehlüffe für feine Kunft, da die 
Formen eine tiefe MWiffenfchaft und der Steinfchnitt eine 
hohe Meifterfchaft verriethen. Hubert war der Fleißigfte 
‚von ihnen, und zeichnete rafllo® die Umriffe der 
Flahbilder und Wanpfelder, fo wie auch die ganzen 
Statuen, mit Liht und Schaften aus. Er nannte 
diefe wohlgelungenen Studien: Elemente zur Welt- 
geſchichte. In ihrem freien Naturleben fand er eine auf- 
26* 


404 


fallende Aehnlichfeit mit den Reliefs des Minerventem: 
pel3 zu Athen, „welhe dem Phidias zugefchrieben 
werden, und ben Kunftgeift eines "ganzen Volks aus— 
fprechen. Nur fchien er hier im Norden von einer ent— 
gegengefeßten Seite zu kommen, und nicht, wie jener 
des alten Hellas, aus dem Sichtbaren ins Unfichtbare, 
fondern vielmehr aus dem Unfichtbaren ins GSichtbare 
gebildet zu feyn. Daher waren alle Formen ftrenger 
bier, und alle Schönheiten Feufcher. Es duͤnkte ihm, als 
‚wenn die Endpunkte der Menfchheit fih am Pole zu: 
fammenfnüpften, und Erwin ftimmte ihm bei; denn 
auch in feiner Kunft war ihm bier ein Gleiches offenbar 
geworden. 

»Es ift doch eine herrlihe Sache,« fagte Hubert, 
„wenn fich das Leben einmal fo vollflommen aufrollt, 
und gleihfam ganz aus fich heraustritt, fo dag auch 
nicht ein dunkler Punkt zurüdbleibt. Sch möchte es 
eine heilige Schrift der Kunft nennen, und wahrlich, die 
größeften Beweiſe ihrer Göttlichfeit giebt und die An— 
fchauung. Hier gilt's; weil wir fehen mit Thoma, fo 
glauben wir und fprechen anbetend: »Mein Herr und 
mein Gott!« 

» Nichts ift Elarer, « verfeßte Erwin, »nichts ift über- 
zeugender von dem wirflichen Gott, als diefe Truͤm— 
mer; doch wie viele Millionen von Menfchen erkennen 
nicht mehr darin, ald der arme Joͤns? Deshalb, mein. 
Freund, muß dad Erdenkind zur Wahrheit getränft 
und zur Weisheit erzogen werden, ehe es erfennen mag, 
was der wahre Gott fey. Darum find auch fo viel ver: 
geßliche Hörer des Worts der Gnade, und darum kann 


405 


die wahre Religion nur nach und nach ein Gemeingut 
der Menfchen werden.« 

Während die Freunde fich öfter fo bei ihrer Arbeit 
unterrebeten, war Prinz Erik ein aufmerkfamer Zuhörer; 
denn er begleitete Erwin auf Stegen und Wegen, als 
wenn er bie kurze Beit feines Bleibend noch ganz an 
feiner Seite genießen wollte. Kaspar Dagegen faß ein- 
fam auf den Zrümmern, wie in Gedanken verfunken, 
und zeichnete fleißig in der goldenen Mittagsftunde, wenn 
die Sonne dem Horizonte fich näherte, und Morgen: 
und Abendröthe fich berührten. — Er malte dann viel 
in Paftell, um die warmen Wiederfcheine aus den Wol- 
fen in dem Getrümmer mit wahren Lofaltönen kraͤftig 
darzuftellen, und nahm immer als bedeutenden SHinter- 
grund den großen Strom mit feinen neblichten Ufern. 
Die bereifte Waldferne machte gegen das frifche Grün 
der Kiefern und die dunkelbraunen Porphyrfaulen einen 
fehr fchlagenden Gegenfaß, und zog fich hinaus, wie in 
unendliche Weiten. So fnüpfte er den Winter mit dem 
ewigen Frühling zufammen, ald wären fie Zwillings- 
brüder, und niemals gefchieden. — Eine ftille Begeifte- 
rung erfüllte ihn dann, feine Seele ſchien aus dem Leibe 
zu wandern, und Erwin mußte befennen, daß er nie 
etwas fo. Großartiged und Heiliges in der Kandfchaftd- 
kunſt gefehen habe. Kaspar freute fich des Lobes, fo 
wie ein abgefchiedener Geift mit reiner Erhebung des 
Ruhms fich freuen möchte, melden er in der Welt zu— 
rücließ, und befchloß, dem Freunde davon ein Andenken 
zu machen. Daher mählte er feinen Standpunft. auf 
einer Nachbaräinfel, und zeichnete von dort dad Sonnen- 


* 


406 


eiland in der Mittagsftunde, und malte ed, wie von 
Goldglanz umgeben, mit feinem hochdampfenden Brun⸗ 
nen, ein Wunder der Natur, dad, von weißen Schaum- 
wellen umraufcht, einfam in Falter, winterlicher Dede 
lag. Auch ward nicht‘ vergeflen das dunfelblaue, gold» 
geranderte Gewoͤlk um die grünen Kiefern und Fichten, 
und ed machte einen gar prächtigen Eindrud. in gül- 
dened Neb von Sonnenftrahlen fehien alle Felfen, Bäume 
und Ruinen zu ummeben, und mochte aud dem aufffei- 
genden Phosphorlichte, welches mit der Morgenröthe zus 
fammenfloß, wie aus dem einwirfenden Norbfchein zu 
erklären feyn. Genug, Kaspar malte, wie er fah, und 
fchenfte e8 dem Freunde ald ein wahrhaftiges Abbild 
ſeines Kölner Traums, welchen er ihm oft erzählte, 
und der nun in Erfüllung ging. 

»Brav,« rief Hubert, als er dad Bild fah, »es 
ift eben fo ſchoͤn ald wahr, und eben fo wahr als fehön. 
— Was wollen wir mehr! es ift des größeften Meifters 
würdig.« | 

Erwin fand feine Worte für die Gabe; er fchloß 
mit Snbrunft den Freund an feine Bruft, die von man— 
nichfaltigen Empfindungen bewegt wurde; Prinz Erik 
aber rief lebhaft aus: »Das müßte Schwefter Freya 
fehen, denn es ift ganz ein Bild wie fi. Mit den 
Sonnenflimmern und Reifeshängen und Nebelfernen hat 
ſie's immer zu thun, und ihr hochadeliger Sinn würde 
darin eine rechte Lebe finden. « | 

»So wie Du am mir findefi, Better Erik,« rief 
‚ber Narr, indem er herangefchlichen fam und feinen fur- 
zen, dicken Hald überbeugte, um auch etwas zu fehen. 


407 


Alle lachten, aber der junge Prinz verfeßte ernſt: »Nur 
daß Freya’s Liebe ein wenig vernünftiger ift, ald bie 
unfrige, mein armer Joͤns, und u auch ein grͤſeres 
Recht hat.« 

»Recht?« rief der — — hat jedes —— 
Wort! Punktum!« 

Erik faßte ihn am Kragen, tanzte mit ihm im 
Kreiſe herum und warf ihn endlich zu Boden, indem er 
dazu fang: »Punktum, armer Joͤns, Punktum, das 
iſt Dein Recht. Stehe wieder auf und geh nach Haufe, 
das ift Punktum.« 

Der Narr aber blieb unbeweglich liegen und blickte 
in die Wolfen. »Was mahft Du denn?« fragte der 
Prinz lachend. Der Narr erwieberte: »Ich mache mein 
Teſtament und betrachte den Himmel, ob er mir einen 
guten Einfall ſchenken möchte, denn die Erde ſchenkte 
mir einen übeln Einfall, und alle meine Gebeine find 
wie zerbrochen, nachdem prinzliche Arme mich auf ihren 
Schooß warfen. Sie heißt zwar unfere Mutter, aber 
fie ift eine Rabenmutter, und frißt ihre Kinder, oder 
zerbricht fie an ihrem harten Bufen. « 

»Verzeih, mein Joͤns,« fagte Erik betroffen und 
richtete ihn mitleidig auf, »verzeih mir, ed war fo bö8 
nicht gemeint, als Du gefallen bift. Sch war ein gro: 
ber Bube; ich will Dir Schmerzengeld geben und einen 
Becher Wein; fey nur wieder luſtig!« 

»Thut nicht3, thut nichts, « rief der Narr und tanzte 
hinkend im Kreife; »wenn Prinz Erik mich liebt, fo 
mögen alle meine Gebeine zerbrechen. « - 

In dieſer Art Iebte die Gefellfchaft auf der Son- 


408 


neninfel die mehrſten Stunden in Ernft und Scherz, 
während Jalmar mit Bielke zum Fiſchen auszog oder 
zu Haufe fich befchäftigte; denn die Alten waren Jugend- 
freunde, und haften ſich viel zu fagen, dazu fie Feines 
Dritten begehrten. Abends aber verfammelten ſich Alle 
am hellen Kaminfeuer zum gaftlihen Mahle, und wenn 
die lodernde Flamme hoch in den fichtnen Scheiten auf: 
flieg, wenn der erfreuliche Wein ihre Herzen belebte, fo 
wuchs das Verlangen, von Jalmar erzählen zu hören, 
ed fen Gefchichte oder Sage; denn in Allem, was er 
fprah, Tag ein tieferer Sinn und eine höhere Be— 
beufung. 

Sp waren fie denn auch eines Abends einträchtig 
am Fnifternden Feuer verfammelt, und der junge Prinz 
ließ nicht nach, den Einfiedler zu bitten, er möge ein 
Polarmährchen erzählen, welches er ihm fchon früher 
verfprochen hätte; denn an diefer Sagenart fand der 
lebhafte und wißbegierige Knabe ein befonderes Wohl: 
gefallen. Jalmar ſchwieg noch eine Weile; dann flrich 
er den Bart und hub lächend an: 


Die Sage von. Ingwe und Balder. 


Bor alten Zeiten herrfchte im Runenland ein Kb: 
nig, welchen man Odin, den Göttlichen, nannte. Seine 
Gemahlin hieß Frigga, hochbegabt mit Schönheit und 
Weiſſagung. Odin war mit ihr und feinem Afenftamme 
qus dem Morgenlande gekommen, weil ein. Orakel ihm 
verheißen hatte, daß ex im: hohen Norden ein mächtiges 
und. herzliches Reich gründen würde, von dem Licht über 


409 


alle Welt ausgehen folle, und wirklich hatte e8 den gu— 
ten Anfchein; denn Odin zeugte mit Frigga fieben hel- 
denmüthige Söhne, die große Könige wurden, und von 
denen der ältefte Balder der Gute, der jüngfte aber 
Ingwe genannt wurde Von dem jüngften ſtammt 
dad mächtige Gefchlecht der Ingwelinger ab, welches 
die Nordlande mit feinen Zhaten erhellte. 

Balder war ein Ebenbild des Vaters an herrlicher 
Geftalt, großer Leibesſtaͤrke und Friegerifchem Muthe; 
Ingwe dagegen glich) der Mutter an zarter Schönheit 
und hohen Geiftesgaben. Beide, fo verjchieden an Alter 
und Gaben, Fonnten fich doch nimmer entbehren, denn 
die innigfte Bruderliebe vereinigte fi. A3 Ingwe das 
achtzehnte Jahr erreicht hatte, bat er feinen Vater, daß 
er ihn. mit dem Bruder Balder, der fchon ein großer 
Kriegsheld geworden war, auf Abenteuer wolle auszie— 
ben lafjen, wie Königsföhne pflegen, um fich unter den 
Menfchen einen Namen zu machen. Dpdin aber fchwieg 
ftil und beftieg den Sleipner, fein Leibroß, um erft 
dad Balfamhaupt des Kiefen in Mimurd Brunnen zu 
Rathe zu ziehen, ob und wie er feine Söhne entfenden 
folle. Das Balfambaupt antwortete ihm aus der wür: 
zigen Quelle: 


Mit dem Federhute und dem leichten Mantel, 
Ohne Schwert und Bogen, 

. Wie ein Friedensbote, 
Einfam in dem Schiffe, 
Auf bes Meeres Rüden, 
Alſo fouft Du Ingwe, den Iüngften, entfenden. 
Dod Balder mit dem Schwerte | 
Und mit bem goldnen Helm, 


410 





Die Schienen ftahlumglänzt, 

Sm flählernen Panzerhemb, 

Auf Sleipner, Deinem Roß, 

Wie Königsföhnen ziemt, 

Mir ftarker Kriegesfhaar 

Und mit der Wagen Prunf, 

Alſo fol Du Balder, den Aelt'ſten, entfenden. 


Odin fragte abermal: »Wohin fol ich fie entfen- 
den?« Das Haupt antwortete fogleich: 


Hin nah Morgen fende Ingwe 

Auf Skydbladner, Deinem Schiffe, 
Durch das Meer ber Meere, Harborg, 
Zu dem frommen, weifen Manne ; 
Nah am Aufgang liegt die Inſel, 
Stets umwebt von Sonnenftrahlen ; 
Mie die Spinne ihr Gewebe, 

Alſo fpinnet fie die Sonne. 

Balder aber fend’ nad Abend, 

In das Land der ftarken Rieſen; 
Denn beifammen Eönnen Beide 
Bleiben nidt auf ihrem Zuge. 
Balder doch wird Ingwe ſchuͤtzen 
Und viel Heldenwerk vollbringen; 
Ingwe doch wird Balder retten 
Wohl aus tiefen Todesnoͤthen. 

Spaͤt erſt und nur kurze Stunden 
Werden ſie zuſammen wohnen, 

Doch es wirket in die Ferne 

Ihres Bundes hohe Kraft. 


Mit dieſer Trauerbotſchaft kehrte Odin zu ſeinen 
Soͤhnen zuruͤck, aber die Reiſe mußte gethan werden, 
weil das Balſamhaupt ſie beſtaͤtigt hatte. Der Koͤnig 
richtete alſo ein großes Opfermahl an, dazu viele Roſſe 
und Widder geſchlachtet wurden, und rief mit allen Sar- 


411 


— — — — —— 


len des Reichs zum Allfader um ein gnaͤdiges Geleit 
für feine Söhne, die von ihren Aeltern und den verſam⸗ 
melten Großen fofort Abfchied nahmen. Odin fchenfte 
feinem Balder ein Schwert, wad auf dem haͤrteſten 
Steine Feine Scharte befommt, und in der gerechten 
Sache wie eine helle Sonne leuchte. Frigga aber 
wand ihm weinend eine himmelblaue filbergefranzte Schärpe 
um ben Leib, welche die finkenden Kräfte im Kampfe er- 
neuern und alle Krankheiten von ihm abwehren follte. 
Dem Sohn Ingwe dagegen hing der Vater ein Kreuz 
auf die bloße Bruft, aus dem Holz der Erfenntniß ges 
fohnitten. Die Mutter aber fledte ihm einen Ring an 
den Finger aus dem Holze ded Lebens, und fchenkte ihm 
einen Nunenftab, darauf zu fchauen. Die Föniglichen 
eltern umfingen noch einmal ihre fcheidenden Söhne, 
und ein lauter Trompetenftoß verfündigte dem Volke ihre 
Abfahrt. Balder beftieg in voller Rüftung den Sleip— 
ner und fprengte mit feiner Reiterſchaar gen Norden 
nach Niefenland, fo daß die Funken von den Hufen 
ftoben. Ingwe aber ging einfam in das Schiff Skyd— 
blabner, welches von felbft fich lenket, wohin die Ge- 
danken ſtehen, und hatte Feine andern Begleiter, als 
Odins Rabenpaar, den Sinn und ven Vorbewußt, 
genannt Huggin und Munnin, welche fich mit ihm 
auf den Bord des Schiffes ſetzten und mit ihren Flü- : 
geln einen guten Fahrwind machten, fo daß auch Styd- 
bladner, fehnell, wie der Gedanke, mit ihm zum Auf: 
gang enteilte. - 

Balder mit feinem Gefolge — ſchon in der 
Abenddaͤmmerung das Rieſenland, und kehrte bei einem 





412 


Waffenfchmied ein, der ein Freund feines Vaters war. 
Ale wurden gaftli aufgenommen, und der Schmied gab 
dem Balder einen ftählernen Hammer, daran der Prinz 
ein beſonderes Wohlgefallen hatte, zum Gaſtgeſchenk, 
welches Balder mit einem herrlichen güldenen Becher 
aus getriebener Arbeit feinem Wirthe erwiederte. Diefer 
ward hocherfreut. Er warnte ihn vor den Gefahren der 
Nordlandsreife, infonderheit aber vor dem großen Strom 
und dem fchwarzen Niefengeier am Pole, der mit feinem 
Flügelfchlage Alles erftarren mache. Balder dankte, 
und brach mit der Morgenröthe auf. Gegen Abend erft, 
nach ſcharfem Nitte, erblidten fie den großen Strom, 
deſſen jenfeitige Ufer kaum zu erkennen waren. Der 
graue Fahrmann wartete ſchon, vom Geifte unterrichtet, 
und nahm fie alle in das weite Boot auf. Auch war 
der Alte heute, wider Gewohnheit, fehr beredt, und der 
fonft Stumme und Griesgrame erzählte Gefchichten der 
Götter und Helden, welches Balder alö eine üble 
Borbedeutung anfah. Auch. farbte fi bald der klare 
Himmel fchwarzgrau, und ed fam mit Hagelfchlag und 
Schneegeftöber eine Windsbraut, ald wenn hundert ei- 
ferne Wagen durch die Wolfen rollten, und zerriß die 
Fluthen mit Donner und Bligen. Gelbft die große 
Midgardsfchlange regte fich in der Tiefe, und der 
biuftriefende Fenris wolf fperrte den Rachen auf, um 
die Sonne zu verfchlingen, als kaͤme der jüngfte Tag. 
Die Waſſerwogen thürmten fich mit ihren weißen Schaum- 
kaͤmmen hoch wie Berge auf, und nieder ſank Nacht. 
— Der eiögraue Fahrmann zog die Ruder ein, ermahnte 
bie Helden, dem Tode ſich zu weihen, und fang ber 


— 


413 


bleichen Rahn fein Schwanenlied, indem er die Arme 
weit auöbreitete. Schon war dad Schiff mit Welten 
überfchüttet, und Balder konnte nur eben: nody den 
Sleipner befteigen, um der Todesnoth zu entrinnen; 
denn dieſes Roß ſchwamm wie ein Fiſch, oder rannte 
über die Wellen, ohne die Hufe zu: beneben. 

Mit großer Betrübniß ritt Balder and Land, da 
er alle feine lieben Kampfgenoffen vor feinen Augen 
mit dem Fahrmanne ertrinfen ſah, und war fo tief in 
Gedanken verfunfen, daß er felbft nicht wußte, wohin 
das Pferd ihn trug. Als es ſchon ganz finfter ward, 
hörte er tief unten in der Erde wie das Hämmern einer 
Schmiede. Ein mwanderndes Kicht zog vor ihm her und 
führte ihn abwärts auf viele Stufen, bis er vor einer 
großen Eſſe hielt, wo das Volk der Zwerge ihre Werk: 
ftätte hatte. Ihr König, mit langem, weißen Barte und 
einem bligenden Kröndhen auf dem Haupte, trat ihm 
gaftlich entgegen, und bot ihm einen goldenen Becher 
mit Meth gefüllt, indem er ihn bei Namen anredete, 
darüber fih Balder fehr verwundert. Dann führte 
der gütige Wirth ihn in einen hohen Saal, wo an uns 
abfehbaren Zafeln viele Zaufend Zwerge fehmausten, und 
auch Balder zur Nacht Eöftlich bewirthet wurde. Als 
der Morgen fchon graute, und Balder zur Abreife fich 
bereit machte, ſprach der König zu feinem edlen Gafte: 
»Odins Sohn! Nahe ftehft Du am Nordpol, und 
morgen Abend wirft Du den Nabel der Erde berühren. 
Merke wohl, was ich Dir fage, damit Du nicht um= 
fommft, fondern den Sieg gewinnft! Ein fehr großer 
Adler figt am Rande des Bergkeſſels und verbreitet durch 


414 


das Schlagen feiner Flügel eine gar grimme Kälte, 
Diefer ift der Zauberriefe Thiaffe, welcher in Örwan- 
del, die ſchoͤne Tochter des Pols, verliebt ift, und nichts 
Lebendiges, aus Eiferfucht, in feiner Nähe duldet; denn 
ein Seher fagte ihm, ein Königsfohn werde fie ihm ent: 
reißen. ÖSrwandel ift flumm, wie ein?Fifch, bis die 
Liebe ihr den Mund aufthut, zu reden; doch fingt fie 
fchön, wenn fie in ihrem Schwanenwagen vorüberfährt, 
und das ift die größte Gefahr. Haft Du den Riefen 
mit Deinem Flammenfchwerte verjagt und feine Kälte 
Dir vertrieben, fo merke, wenn fie daherfährt, und laß 
Dich von ihrer Stimme nicht einfchläfern. Stürze viel- 
mehr mit gefenftem Schwerte auf fie los, als begierig, 
fie zu erwuͤrgen; dann wird fie auffchreien und ihren 
Schwanenwagen anhalten. Faffe fie am Knöchel der 
rechten Hand und hefte diefen Ring — er loͤſet den 
ftärkften Zauber — an ihren Goldfinger; hüte Dich aber, 
fie zu umarmen, denn fonft bift Du ein Kind ded To— 
des! Eile zurüd, denn Du haft noch mit dem Riefen 
einen neuen Kampf zu beftehen; doch wirft Du ihn 
überwinden, wenn Du wader bift, und Dir mit dem 
Ringe die verlobte fchönfte Braut glüdlich heimführen. « 
Mit diefen Worten ſteckte er ihm einen ftählernen Fin— 
gerreif an die Hand, welcher genau paßte, und wiünfchte 
ihm eine glüdliche Fahrt. 

Balder ſetzte getroft feine Reife fort, und ihm be= 
gegnete nichts, als ein Rabenvolk, welches mit Elingen= 
den Flügeln die Lüfte durchſchnitt und Menfchengefichter 
hatte, auch mit Menfchenzungen redete. »Wunderlich 
Land,« rief er, »wo bie fchönen Sungfrauen flumm find 


415 


und die fhwarzen Raben reden Fünnen!« — »MWunder: 
licher,« forach fein Roß, »wenn Heldenblut ein wächfern 
Herz hat und Mannedarm einen lahmen VBerftand, wie 
Du, Sohn Odins.« Balder fehte dem Roſſe erzürnt 
die Sporen in die Seiten, daß Blut entfprißte und bie 
Funfen von den Hufen ſtoben. Es Enirrte die Kälte, 
und wie eine Sonne leuchtete Nordfchein; der Polſtern 
fah auf feinen Scheitel, und die ganze Erde drehte fid; 
auf ihrem Abfabe um. Es begegneten ihm zwei Greife, 
der eine nannte fih Schnee, der andere Reif. Gie 
hatten fich unter die Arme gefaßt, und ihre glänzenden 
Bärte hingen auf den Boden. 

Balder bot ihnen einen guten Abend. »Huͤte 
Dih, Sohn Odins,« fprad Schnee, »daß Du Dein 
Ziel nicht überfpringft, denn es iſt nah!« — »Fürchte 
Dich, Kind Frigga’s,« fprach Reif, »daß Du Deinen 
Ruhm nicht verlierft, denn er fißt lod.« Da trat aus 
der Hütte ein altes Mütterchen mit wadelndem Kopfe 
und rief ihm zu: »Nimm Di in Acht, mein Goldfinf, 
vor der Leimruthe der Schönheit! Hangft Du erft dran, 
fo kannſt nicht wieder los, und läffeft viele weiße Blät- 
ter in meinem Buche fliehen; Saga ift mein Name.« 
Balder achtete nicht darauf und ritt fürder. Die 
Alten aber gingen in ihre Hütte, opne fi » weiter um 
‚ihn zu befümmern. 

Noch nicht lange war er geritten, ald mit einem 
ſtarken Nordwinde eine große Kälte Fam, und da er fich 
umfah, erblidte er einen ungeheuren Adler, auf einem 
Bergkeffel figend und mit den Flügeln fchlagend. Als⸗ 
bald fpornte er ſein Roß an, und Sleipner war fo 


416 


fhnell, daß Balder dem auffliegenden Adler die Spitze 
feines vechten Flügeld abhieb, welche raufchend zur Erde 
ſtuͤrzte. Laut Ereifchte der Adler auf, und erhob fich bis 
in die Wolfen. Aldbald ließ die grimme Kälte auch mit 
dem Nordfturm nach, und es ward gutes Wetter. 

Da vernahm er ein fanfted Raufchen auf dem flim- 
mernden Schnee, und fiehe, ein glänzendweißer Mufchel- 
ichlitten Fam daher, befpannt mit acht Schwänen, und 
in der großen Perlenmufchel faß eine Schöne mit gold: 
flatternden Haaren und filberhellem Gewande, welche die 
fliegenden Schwäne gar anmuthig mit himmelblauen 
Zügeln lenkte, und alfo fang: 

Örmwandels Schwanenmwagen 
Zieht aus vom Vaterhaus, 
Die hohe Kund’ zu fragen 
Weit in die Welt hinaus. 

Die Kunde ift gar fhaurig 
Bon meines Lebens Traum, 


Das Herz ift mir fo traurig 
Am hohen Eſchenbaum. 


Die Helden find wie Blüthen, 
Verblüh’n in einer Nacht, 
Und alle Ddins= Güten 
Verſchluckt der tiefe Schadt. 


So mwandle, wandle, wehe! 
So bleibe, bleibe, wohl! 
Wohin ich immer fehe, 

Sind Menfchenherzen hohl. 


Sie träumen bin und lallen 
Sid in den Schlummer ein, 
Kann ich Dir fo gefallen, 
Dann, Balder, bift Du mein. 


417 


Die Jungfrau blickte ihn träumerifch an, und .eim 
unwiderftehliche Müdigkeit befiel ihn, die er nur dadurch 
überwand, daß er fogleich vom Pferde forang und mit 
gezuͤcktem Schwerte auf fie eindrang, als begierig, fie zu 
ermorden. Da that fie einen hellen Schrei, der ihn. völ: 
lig ermunterte, und hielt ihre Schwäne an. Chrerbietig 
das Schwert fenkend, faßte er die Knöchel ihrer Rechten 
und ftecfte ohne Hinderniß den Stahlring an ihren Hei: 
nen alabafternen Goldfinger, auf den er paßte, als 
wenn er dazu gemacht waͤre. Schon wollte er fi 
umwenden, aber, o weh, ihr füßes Anblicken ftahl ihm 
das Herz. Ale Warnungen waren vergeffen, und, er 
wußte felbft nicht wie, er fchloß fie an feine Bruft und 
feine Lippen berührten ihren Mund. Da drang eine 
Eifesfälte durch alle feine Glieder, und fie ftieß ihn mit 
Unwillen von fich. Alsbald wandelten fi) die Schwäne 
in feurige Drachen, und trugen ihre Gebieterin in ver 
Mufchel über die hohen Wolken empor. Er raffte fich 
auf; fehon fand der Rieſe vor ihm, wie ein ganz eifers 
ner Mann, und forderte ihn zum Kampfe auf Leben‘ und: 
Tod. Balder bemerkte mit Betrübniß, daß fein Schwert! 
faft allen Glanz verloren habe; doch wehrte er fich tape 
fer, und fing damit die Keulenfchläge des Riefen auf, 
indem er ihn öfterS verwundet. So wie aber Bal- 
ders Arm ermattete, fo wuchfen die Kräfte des Niefen, 
und endlich traf deſſen Keule feinen Ellenbogen fo be- 
taubend, daß ihm das gute Schwert aus der Hand fiel. 
Da ergriff er den Hammer des Schmieds, der an fei- 
nem Gürtel hing, und fchlug damit den Thiaffe fo ge 
waltig aufs Haupt, daß diefer betäubt zu Boden fanf. 

Erwin von Steinbach, II. 27 


418 


Aber auch) Balder hatte alle Kraft verloren, und Ham: 
mer und Schwert waren ihm entfunfen. Schon wieder 
erhob fich der Rieſe, um ihm den Zodesftreich zu geben; 
ba öffnete Hela die Thüre des Nordpold und zog ihn 
fchirmend in ihre finftere Behaufung herab, indem Sleip— 
ner ihm nachfprang, und faft durch die enge Deffnung 
gefchunden wurde. Aldbald verfchloß fie das Goldgitter 
des Pols und behielt ihren Raub; Thiaſſe aber fluchte 
vergeblich der bleihen Hela, daß fie ihm die goldene 
Rüftung und das herrliche Roß entwandt habe. 


Ingwe, der Süngfte, fuhr unterdeffen auf dem 
fchnellen Schiffe Skydbladner, und war, geleitet von 
dem Rabenpaar Sinn und Vorbewußt, ſchon ins 
Angeficht der Sonneninfel gelangt, ald ihm ein anmu— 
thiges, aber gefährliches Abenteuer begegnete. Denn ein 
wunderfchönes Meerweib mit lichtflatterndem Haar und 
feeblauen Augen erhob fich plößlich nahe am Schiffskiel 
aus der Ziefe, und, indem fie mit blendendem Bufen 
auf den grünen Wellen fchaufelte, fang fie folgendes 
Lied mit melodifcher Stimme, welches die weißen Raben 
beantworteten. Sie fang: 

Komm herunter, Ingwe, Lieber, 

Freya's füßes Ebenbild, 

Da, in der Erpftallnen Grotte, 

Ausgelegt mit Perlemotte, 

WIN ih Dir die NRäthfel Iehren, 

Und die Zukunft Dir erllären, 

Komm’ herunter, füßes Bild! 
Dagegen fprach Vorbewußt, der auf dem Ausleger 
des Schiffes faß, mit nachdrüdlicher Stimme: 


419 


Laß Dich nicht von ihr bethören, 
Steure grad’ nah Oſten hin, 
Denk', Du bift des Odin Sohn, 
Den nod) nie ein Weib bethört! 


Wiederum fang das Meerweib mit fchmelzenden Tönen: 


Komm, Du mit dem Feberhute 
Und der feidnen Locken Glanz; 
Wil Dir Deine Jugend laben 
Und Dir ſchenken holde Gaben, 
Perl’ und Gold und Ebelfteine, 
Srifhen Trunk vom Götterweine. 
Komm herunter, holdes Bild! 


Dagegen rief Vorbewußt, indem er ſtark mit. den 
Flügeln fchlug: 

Höre nicht auf ihre Lieber, 

Denn nur eitle Worte find’s, 


Denke feft an Bruder Balder, 
Das allein bringt Dir den Ruhm. 


Noch füßer und Iodender hub fie an zu fingen: 
Komm herunter, Ingwe, Zrauter, 
Durch die purpurhelle Fluth, 
Niemand fol Dich hier verlegen, 
Selbſt die Weil’ Dein Kleid nicht netzen; 
Dod im tiefen Meereögrunde 
Zönt Dir wundervolle Kunde, 
Komm herab, Du Rofentindb! tr 


Sinn feste fih auf Ingwe's Schulter und fprad): 
Wie dad Meerweib auch Dir fchmeichelt, 
Glaube ihren Wunbern nicht! 
Wunder kommen nur von Oben, 
Liegen nicht im Meeresgrund. 
Alsbald verhüllte fich die Nire mit ihrem filberhellen 
Schleier und wich auf dem Meereöfhaum zurüd, indem 
27% 


420 


fie mit höchftrührender und Eläglicher Stimme, die da 
Felfen hätte erweichen können, ihm das Lebewohl fang: 

Kommft Du nit, o Gluͤcksgeborner, 

In mein Bernftein - Gemad) ? 

Ah, da möcht’ ih Did umfangen 

Süß, mit unbekannt’ Verlangen; 

Wil Dir auch Dein Schönftes geben, 

Purpurmwein im Götterleben; 

Ad, Du kommſt nicht, Wonnebild? 
Das Meerweib verſchwand in den Wellen, und Ingwe 
fühlte ein unwiderſtehliches Verlangen, ihr nachzuſprin⸗ 
gen. Da ſetzte ſich Sinn auf ſein Haupt und Vor— 
bewußt auf ſeine Schulter, und ſie ſprachen mit lauter 
Stimme zu ihm: 

Feft will fie Dich nun umſtricken 

Mit der Minne fübem Lohn, 

Doc zur Infel wend’ das Auge, 

Dort Dir glüht das hoͤchſte Gluͤck! 


Ingwe wandte zur Sonneninfel feine Augen hin, 
welche wie ein güldener Schild am Gefichtöfreife fchwebte, 
und ed ward ftill in feiner Bruft; er bereuete feine Thor— 
heit und fah fich nicht mehr nach der Nire um, fondern 
fteuerte gerade auf Dften zu, und bald fließ Skyd— 
bladner aufs Land. Da fand er am Ufer den Wei- 
fen, unter dem Palmbaum fißend; der grüßte ihn und 
ſprach: »Du kommſt zur guten Stunde, denn Du-haft 
Dich felbft überwunden. Gegrüßet fey mir, Sohn 
Odins, und wiſſe, Du bift an dem Borne des Lichts; 
lerne zu handeln!« Mit diefen Worten führte er ihn in 
eine nahe Grotte, wo ein Sonnenfprudel aus dem Bo— 
den auffprang, indem er die ganze Höhle erleuchtete und 


421 


die Wände rings mit gediegenem Golde überzogen hatte. 
»Was ift denn das?« fragte der Prinz, indem er bie 
Hände in den Sprubel tauchte, der mit feinem fließen: 
den Golde wie Quedfilber anmuthig auswich. ⸗Es 
heißt wohl Qued=-Gold?« fragte er wieder. Der Weife 
ſprach: »Es ift die Muttermilch der Sonne, welche fie ih: 
ver Tochter Erde durch dieſes Brüftlein noch zufließen 
läßt. Sie durchpringt das harte Geftein in Goldbäum- 
chen, und giebt der Erde das Mark; darum freuen fich 
die Menfchenfinder fo fehr dieſes Metalls, und machen 
es zu ihrem Gotte. Das himmlifche Gold aber ift die Weis— 
heitvon Allfader, darum lernefiehier und folge mirnach! « 

Er fügte den Prinzen auf beide Augen, und Ingwe 
rief erflaunt: »Wo bin ich denn? Iſt's Nacht oder Tag, 
iſt's Morgen oder Abend, iſt's Leben oder Zod?« — 
»Beides,« verſetzte der MWeife, und führte ihn zu feiner 
Hütte; »denn bier fehläft Niemand, und ftirbt Niemand, 
und irrt Niemand, und zürnt Niemand; doch Fannft Du 
nur drei Tage bei mir verweilen, dann mußt Du aus: 
gelernt haben, um Deine Wallfahrt- anzutreten. Auf 
Ellide, meinem Schiffe, entfende ich Dich fodann zur 
Spyfhilda; die wird Dir fagen, wie Du Deinen Bru— 
der Balder von der Hela erlöfen follft; denn er ift 
gefangen in ihrem Reiche der Finfternig. Ingwe ward 
über diefe Nachricht fehr betrübt, doch tröftete ihn ber 
Meife, indem er ihn kuͤßte, fo daß alle Traurigkeit ver- 
fhwunden war. Noch öfter fah er fich nach dem leuch- 
tenden Sprubel um; als fie durch Ernftallhelle Gewölbe 
wandelten; aber bald merkte er, daß Alles, was ber 
Weiſe fprach, aus eben diefer Sonnenquelle gefchöpft fey, 


422 


und hatte nach dem: Bilde Feine Sehnfucht mehr; denn 
er lernte im Wandern und erkannte im Erfahren, fo 
daß feine Augen Elarer und fein Herz rein wurde. Er 
fchöpfte eine Weisheit, die nicht in Büchern fteht, und 
meinte. auf diefem kurzen Wege, ſchon eine lange Zeit 
gelebt zu haben. Die Hütte lag unter hohen Gedern = 
und Eypreffen- Bäumen von uraltem Wırchfe, und als 
fie eintraten, fprach der Weile: »Nun folft Du auch 
meine Hausfreunde Eennen lernen, die nicht lange aus- 
bleiben werden. « 

Kaum aud) hatten fich Beide am gaftlichen Heerde 
niedergelaflen, fo trat ein Züngling von hohem Wuchfe 
herein, den der MWeife »Nord« nannte. Nachdem er 
mit Handfchlag gegrüßt und feinen blauen Bart ge 
firihen batte, fprah er zu Ingwe, mie altbefannt: 
»Ddins Sohn, ich bringe Dir frifche Botfchaft von 
Haus; Deine Eltern find gefund, aber forgen um 
Balder den Guten, weil Hela ihn zu fich gezo- 
gen hat. Der Rabe Vorbewußt meinte, Du wür- 
deft ihn erlöfen.« Nach diefen Worten überreichte er 
dem Weifen vom König Odin einen dunfelblauen Stab 
mit filbernen Runen. »Dein Bater fehreibt mir allerkei,« 
fprach der Weife zu Ingwe, »was mir aber am wich. 
tigften ift, daß Dein blödfinniger Bruder Hoder ſich 
wieder bei Hofe eingefunden habe, und mit dem böfen 
Lokke in vertrauten Umgange lebt. Die Midgards— 
Schlange hat fich auch wieder ftarf bewegt und große Ueber- 
ſchwemmungen vernfacht; Thor ift gegen fie auögezo- 
gen, um fie mit feinem Hammer zur Ruhe zu bringen. « 
Nord dedte unterveffen den Tiſch, und. flellte eine fil- 


423 


berne Schale mit EFöftlichen Beeren darauf; dann fehte 
er fich an den Heerd. Bald trat ein zweiter Juͤngling 
herein, der Eleiner, aber lieblicheren AngefichtS war; 
braune Loden umrollten die fehöne Stimm, und ein grün 
ſeidenes, mit Gold durchwirftes Gewand umhüllte die 
edlen Glieder. Der Weiſe, vor dem er nieberfiel und 
den Saum feines Kleides Ente, nannte ihn »Süud.« Zu 
Ingwe fprah er: »Nicht von Haus, wie Bruder 
Nord, aber von. der Blume der Schönheit bringe ich 
Dir einen Gruß; fie wartet Dein und träumt von Dir. 
Befreie fie, fo wirft Du Ruhm ernten!« 

Mit diefen Worten eilte er weg und ftellte ein gold- 
gereiftes Körbehen auf den Tiſch; darin waren Die wuͤr⸗ 
zigften Früchte, und erfüllten mit Balfamduft das ganze 
Haus. Kaum hatte Diefer zweite Freund fich geſetzt, fo 
trat ein Dritter ein, in buntem Kleide und lichtflattern- 
dem. Haar. Der Weife, den er mit auf der Bruft ges 
Freuzten Armen und tiefer Werbeugung grüßte, nannte 
ihn »Dfl.« Zu Ingmwe wandte diefer ſich fehnell und 
ſprach: »Die weiſe Syf läßt Dich mit freundlichem 
Gruße entbieten, daß Du zu ihr eilen mögeft, um mit 
Hülfe ihrer den Balder zu erlöfen.«e Nach diefen 
Morten wandte er fih um und trug eine kryſtallne Schüf- 
fel auf; darin waren die füßeften Trauben, wie von 
Ambraduft umhaucht und wie mit Myrrhenöl befprengt. 
Er feßte ſich und fchaute flarr in die Gluth ded Heer: 
ded. Da trat der vierte Haudfreund, fchlanf und zart, 
doch von feltfamer Geberde, herein. Sein feuerfarbnes 
Kleid war mit magifchen Charakteren, fchwarz und gol- 
den, durchwirkt, und flatternde, dunkelrothe Bänder, mit 


1 


424 


den Zeichen des Thierkreiſes, vurchfchlangen feine gold— 
nen Locken und fielen lang auf die Schultern herab. Sn 
der Hand trug er eine Leier, auf der Scheitel einen 
Zorbeerfranz, und feine Augen leuchteten wie Fadeln. 
Er legte die Hände aufs Haupt und beugte fich Drei 
Mal vor dem Weifen zur Erde, indem er ihm eine 
Schriftrolle überreichte. Zu Ingwe gewendet, fprach er, 
wie in Eile: »Ich bin »Weſt,« und bringe Dir einen 
Gruß von der Meerfrau; fie verkündet Dir großes Heil, 
da Du ihrem Gefange widerftanden haſt.« Alsbald 
wandte er ſich und trug in ſmaragdner Schuͤſſel die 
koͤſtlichſten Auſtermuſcheln auf, welche einen erfriſchenden 
und den Appetit erregenden Meerduft aushauchten. Man 
feste fi zur Zafel, und der Weife fprah: »Odins 
Sohn, lerne nun meine Hausfreunde Fennen und laß 
Dir von ihnen erzählen, denn fie find gar weit herum 
gefommen!« Ingwe Fam auch gleich mit ihnen tief 
ind Gefpräch, welches ihn bald fo fehr anzog, daß er 
darüber das Eſſen vergaß, und was, indem fie feinen 
Fragen fchon immer entgegenfamen, mit Botichaft aus 
aller Welt gar Fein Ende nehmen wollte. Sie ber 
fleißigten fi) der größten Deutlichkeit, und legten 
faft ganz ihre unbeftimmte Luftnatur ab, wie ber 
Weiſe ed wünfchte, fo daß er nur felten ein Saufen 
und Schwirren in ihren Stimmen vernahm, und Alles 
verftehen konnte. Endlich fand der Weiſe mit feinen 
Gaͤſten vom Mahle auf, und fprach zu Ingwe: »Es 
ift genug geredet, folge nun’die That! Biehe hin! Die 
ichnelle Ellide liegt am Ufer bereit, um Di, eilig 
wie der Gedanke, zur Syfhilda jenfeitö des Aufgangs 


425 


zu: bringen. Schon warft Du hier drei Erbenjahre; be- 
nube die Lehren und denke mein, bis wir bei Allfader 
dort oben und wiederfehen; denn dieſe Inſel findeft Du 
nicht mehr fortan. « 

Der Weife küßte den fchluchzenden Prinzen; fo tha— 
ten auch die Hausfreunde, und Weft begleitete ihn zu 
Schiffe und bi zur Infel der Syfhilda, indem er 
ihm ein Lied zur Laute fang. Noc war der erfte Vers 
nicht zu Ende, noch bebten in Ingwe's Augen die 
Thraͤnen des Abfchieds, als die fchnelle Ellide fchon am 
Niedergange der Sonne das Land berührte, und fo hef— 
tig auflief, daß die Funken fprühten. »Da find wir 
fchon taufend Meilen gefahren,« rief Well; »Du bift am 
Orte, nun fey klug!« Die fehnelle Ellide Fehrte als: 
bald von felbft um, und Weſt begleitete den Prinzen 
durch gewundene Waldwege der Inſel bis zu einem ho— 
ben Palafte von Bergkryſtall, der in einem Garten lag, 
und. mit einem goldenen Gitter umgeben war. Meft 
griff drei Mal in feine Leier, und es that fich fogleich 
eine Fünftliche Pforte auf, und indem eine liebliche Jung- 
frau den Ingwe bereinnöthigte, fehied Weſt mit einem 
Handedrud von ihm. Sommermette, fo hieß bie 
Schöne Dienerin, führte ihn durch das prächtige Portal 
die Treppe auf breiten Alabafterftufen hinauf, und dann 
durch glänzende Säle in das’ leuchtende Gemach ihrer 
Gebieterin Syfhilda. Eine Feine, gebüdte, runzlichte 
Alte, von befonderer Häßlichkeit, faß am Spinnroden ; 
doch trat fie ihm mit Flugen und wohlmollenden Augen 
entgegen, indem fie fprah: »Willkommen, Odins 
Sohn, in meinem einfamen Haufe! Ich habe Dich 


426 


fehon lange erwartet, und bin bereit, Dir zu Deinem 
adeligen Vorſatze behülflih zu feyn, wenn Du meinen 
Rathſchlaͤgen folgen wilft. Biſt Du doch ein Ebenbild 
meiner Freundin, Deiner Mutter Frigga: fo auch wird 
ed Dir nicht an Beſonnenheit und Vorſicht mangeln, 
und mit diefen Gefährten Fannft Du Deinen Bruder 
Balder befreien. Nun aber weile bei mir und laß 
Dich von meinen Jungfrauen bedienen, bis ich Dich be- 
lehrt habe und entfenden kann!« 

Dem Ingmwe warb bei diefen Worten der weifen 
Syf fo wohl zu Muthe, daß er den Ausdrud ihrer 
Mienen faft fchön fand, und ganz darüber ihre große 
Häßlichkeit vergeffen hatte. Sie rührte leife eine Glode, 
die den lieblichiten Silberflang gab, und herein traten 
zwei Dienerinnen von wunderfamer Schönheit, die fie 
Morgenroth und Abendroth nannte, indem fie ihnen ge- 
bot, dem Gafte die Füße zu wafchen und ihm Speifen 
vorzufeßen. Lächelnd bemerkte fie, wie der Prinz über 
ihre feltenen Reize augenblidlich verwirrt wurde, da fie 
fnieend zu feinen Füßen den Befehl erfüllten; doch freute 
fie fi innig, als fie feine verftändige Selbftüberwindung 
fah, und ftreichelte ihm die Wangen, indem fie fpradh: 
»Wohl Dir, Frigga’s Kind, daß Du Deinem Herzen 
nicht Raum giebft; darum wirft Du Alles DUDEN 
was die Norne Dir auferlegt hat. « 

Obgleich Ingwe diefe Worte nicht ganz verftand, 
fo war es ihm doch zu Muthe, ald wenn feine Mutter 
felbft zu ihm geredet hätte, und er faßte zur Syf ein 
rechtes Vertrauen, und erzählte ihr feine Gefchichte der 
Kindheit, indem er freimüthig alle feine Fehler ihr be- 


427 


kannte. Gar gütig lächelte fie dazu; denn fie wußte 
fchon Alles, und fing nun fogleich damit an, ihm bie 
Gefahren feiner Nordreife zu befchreiben, fo wie die Mit- 
tel zu nennen, wie er über alle Zauber fiegen koͤnne. 
Ingwe verlor Fein Wort ihrer Neden, da es das Glüd 
feines vielgeliebten Bruderd galt. Morgenroth und 
Abendroth, welche ein und aus gingen, ftörten und be- 
unruhigten ihn auc nicht mehr mit ihrem großen Lieb— 
reize; feine Augen wurden durch ihr Anbliden nur fri- 
fcher, um das innere Licht aus den Worten der Herrin 
mit vollen Zügen einzufaugen. Syfhildens milder 
Geift gewann vor ihm endlich eine wunderfame Schön 
heit in der melodifhen Stimme, und er ward ganz 
wie von kindlicher Liebe gegen fie entzündet, fo daß 
er die Reize von Morgenroth und Abendroth darüber 
vergaß. | | 
Einige Tage behielt ihn die gute Syf bei fich, und 
er war durch ihre Lehren fchon wie Kind im Haufe ge— 
worden; da fprach fie eines Abends zu ihm: »Nun ift 
es Zeit, mein Ingwe, daß Du morgen in aller Frühe 
von mir fcheideft, um Deine Nordpolöreife zur Erlöfung 
Balders anzutreten. Du kennſt nun alle Gefahren 
und alle Hülfsmittel dagegen; fo wife num auch, wer 
ich bin? Meine Abkunft ift hoch; denn mein Vater ift 
der Sternenhimmel, und meine Mutter ift die Nacht. 
Die Pathen bei meiner Zaufe waren: der Nordpol, der 
Suͤdpol und: die Milchſtraße. Unglüdlicherweife aber 
entzweiten fich die Eltern bald nach meiner Geburt, und 
Alfader ftellte den Scheidebrief fo, daß mein älterer 
Bruder, Tag, mit dem Vater ziehen folle, ich aber mit 


428 


meiner Mutter in ihr dunkles Reich gebe. Bon Neuem 
vermählte fie fich hier dem Könige der Metalle, und 
zeugte mit ihm den Schlaf und die Träume; doch ift fie 
ftetö in fliller Trauer, wie fehr er fie auch liebt, und 
fehnt fich oft nach dem erften Gemahl zurüd. Bei mei- 
nem ÖStiefvater bin ich erzogen, und erlernte von der 
weifen Mutter alle Geheimniffe der Unterwelt. Im 
fechzehnten Jahre ward ich dem liederreihen Braga 
vermählt, aber, ach! in der Brautnacht fiel er neben mir 
in einen tiefen, unerwedlichen Schlaf, und träumt nun 
fhon taufend Jahre lang in einer Erpftallenen Grotte 
unter dem Weltmeere, und finget da unbewußte ſchoͤne 
Lieder, davon alle Dichter Iernen. — Im Schlafe be- 
mwahrt er aber die ewige Jugend, indem ich wachend 
ohne ihn alt wurde. Die Finger feiner Hände und bie 
Zehen feiner Füße find durch diefen langen Schlaf in 
Lilienftengel verwandelt, welche unvermwelfliche Blüthen 
treiben. Das Balfamhaupt im Urdarbrunnen fagte 
mir, daß ein reiner Süngling aus hohem Heldenftamme 
einft alle Zauber brechen, in die Unterwelt hinabfteigen 
und ihn erweden würde. Dann folle Braga aud mit 
mir auf diefer Infel, welche die Mutter uns fchenfte, 
ein feliges und unverwelkliches Leben führen. Wir hoff: 
ten auf Balder, er hat die Probe aber nicht beftan- 
den; nun hoffen wir auf Di. — Nimm diefen Ster- 
nenmantel, welchen mein Vater der Mutter zum Braut- 
gefchen? gab. Er fol Dich fhüsen in allen Nöthen und 
alle Zauber brechen, wenn Dein Herz feſt bleibt. Du 
kannſt ihn gebrauchen, wozu Du willft: auf der Reife 
als Wolkenſchiff, im Abgrunde als Fallſchirm, gegen die 


429 


feurigen Pfeile des eiferfüchtigen Polarfterns als undurch⸗ 
dringlichen Schild. « 

Mit diefen Worten entrollte die Syf ein ftahlblaues 
Flohr, durchwirft mit filbernen Sternenbildern, und fo 
fein, ald ein Mettengewebe. Gie hing den Mantel um 
feine Schultern, und er entrollte in reichlichen Falten bis 
zur Erde; fie verfchloß ihn dann wieder in eine demantne 
Eichel, welche fie mit einer Schnur von ihren Haaren 
um feinen Naden befeftigte. »Darin nimm mein Ange: 
denken mit,« fprach fie, indem fie auf das Haar deutete; 
»es ift braun, wie in meiner Jugend. Du magft es 
Deiner Mutter ſchenken, wenn Du heimfehrft; Deinem 
Bater aber den Mantel; denn er kann ihn noch einft 
gegen den Fenriswolf brauchen. « 

Ingwe neigte fich mit Thränen vor der ehrwürbi- 
gen Greifin; er nahm auch von feiner Bruft dad Kreuz 
vom Holz; der Erfenntniß, und 309 vom Finger den 
King, aus dem Baume des Lebens gefchnitten, und 
überreichte fie Syfhilden, indem er fprach: »Zu mei: 
nem Angedenken nimm hin diefe alterlichen Zalismane, 
deren Kräfte ich nicht Fenne! — Denn nur fie habe ich, 
um Deine Huld und Gaftfreundfchaft zu ermiedern. « 

»Heil Dir, Götterfohn,« rief die Syf alsbald mit 
großen Freuden, und ftedte den Ring an ihren Finger 
und hing das Kreuz an ihre Bruft. Ploͤtzlich verwan- 
delte fich vor feinen Augen ihre alte verfchrumpfte Ge— 
ftalt, wie die Schlange fih hautet, und fie ward mit 
Sugend und Schönheit umftrahlt. Aus den treuherzigen 
Augen bliste nun ein überirdifches Feuer, und eine hohe 
Grazie begleitete alle ihre Bewegungen. Staunend fan 


330 


der Prinz zu ihren Füßen nieder, aber fie hob ihn wohl— 
wollend auf, und bat, fich nicht fo fehr zu verwundern; 
denn es fey die Natur des Ringes, die erfte Jugend 
berzuftellen, fo wie des Kreuzes, den Augen die erfte 
Klarheit zu verleihen. »Dir,« fprach fie, »wuͤrden viefe 
Kleinodien nur gefchadet haben, denn Du mußt durch 
eigne Zugend fliegen; mir dagegen geben fie das alte 
Gluͤck zurüd, und fo nur kann fich der Spruch des 
Balfamhauptes erfüllen. Du haft mich durch Deine 
Eltern erlöst, und wirft auch meinen Braga erlöfen 
durch Dich Felbft.« 

Morgenroth und Abendroth traten herein, um die 
Nachtkoft aufzufegen, und verwunderten fich nicht weni- 
ger, ald Ingmwe, über die Schönheit ihrer Gebieterin, 
welche nun weit die Reize ihrer Dienerinnen überftrahlte. 
Sie fielen vor ihr nieder und bezeugten mit flummen 
Geberden eine ſtaunende Verehrung, welche fich noch ver= 
mehrte, als fie, nachdem Ingwe ſich wegbegab, ihre 
fchöne Herrin auskleideten, und fie blühend, wie eine 
Roſenknospe, an ihrem ganzen Leibe erblidten. 

Der Prinz fchlief fanft die Nacht hindurch; denn 
diefe höhere Schönheit "hatte ihn nicht gereizt, wie Mor- 
genroth und Abendroth, fondern vielmehr ganz beruhigt, 
erheitert und wie mit einem Gottesfrieden überfchattet. 
Auch am frühen Morgen beim Scheiden war ihm fehr 
freudig zu Muthe, und er nahm Abfchied von der ſchoͤ— 
nen Syfhilda ohne ein anderes Gefühl, als des kind⸗ 
lichſten Dankes. 

Der Sternenmantel entrollte ſich ihm nun von ſelbſt zum 
Wolkenſchiffe, welches ihn hoch uͤber Meere und Laͤnder 


431 


duch die Lüfte entführte, und fcehon gegen Abend am 
Nordpol ihn abfeßte, wo eine Eleine fchilfgededite Hütte 
fland. Er widelte den Mantel wieder forgfältig in die 
demantne Eichel, hing fie an feine Bruft, und trat 
hinein. Zwei Greife und eine Greifin faßen am hellen 
Kaminfeuer, und grüßten ihn, wie alt bekannt, bei 
Namen, indem fie ihn niederfigen hießen, und gaftlich 
ihn aufnahmen. | 

„Klüger ald Balder bift Du,« fprah Reif in 
feinen Bart. »Er ift und, ohne einzufehren, vorüber- 
geritten,,« ſprach Schnee leife murmelnd. »Er wollte 
nicht unfern Rath hören, und fißt darum bei der blei= 
hen Hel’,« fprahb Saga, dad Mütterchen, mit zit- 
terndem Kopfe am Rocken fortfpinnend,, indem alle 
buntbefchriebnen Bänder‘ um ihre Muͤtze flatterten. 
»Meile! höre! denn es ift Nacht!« fprachen alle drei 
zugleih, und festen ihm einige Speifen vor, indem 
Saga zu erzählen begann. Ingwe hörte aufmerk: 
fam zu, wie fpät ed auch wurde, und endlich kamen fie 
wie von felbft auf die Abficht feiner Reife. Schnee 
ſprach zu ihm: »Morgen, Sohn Odin, wirft Du ei- 
nen heißen &ag haben.« Reif fprah: „Einen fehr 
kalten dazu.«e Saga rief: » Hätteft Du den Mantel 
nicht, fo würden die Gefchoffe der Eiferfuht Dich toͤd— 
ten.« Die guten Alten rathſchlagten nun leife mit ein= 
ander, und führten dann den Ingmwe zum alten Norb- 
pol in feinen Eispalaft. 

Der Pol freuete fi) über den Gruß, welchen 
Ingwe von Syfhilden brachte, aber. er ward fehr 
bedenklich und ſtill bei der Bitte des Prinzen, fich feiner anzu⸗ 


-432 


nehmen, und ihm die Mittel zu nennen, um Balder 
aus dem Vodtenreiche zu befreien. Endlich brach er 
das Stillfehweigen, da auch die Alten ihn darum ans 
flehten, und fprad : 
»Ingwe, Sohn Odins, es drohen Dir große 
Gefahren; Alles ift mir befannt. Ich kann in die Tie— 
fen des Abgrunds fehauen, wie in die Ziefen des Him— 
meld; denn alle Geftirne halten um meinen Palaft ih— 
ten ewigen Ringelveigen, und erzählen mir die Werke 
der Lebendigen und der Zodten. So wiſſe denn, daß 
Du zuerft mit Meerungeheuern, den Boten der Mid: 
gards-Schlange, ftreiten mußt. Bald aber wirſt 
Du fie mit Deinem Stabe bewältigen. Dann wird 
der Prabler Thiaffe auh Dich herausfordern, doch 
mit der Schleuder wirft Du. den Rieſen fällen. Dann 
wird Polarftern, der eiferſuͤchtige Freier, feinen Feuer- 
regen auf Dich herabgießen, dod mit dem Mantel 
wirft Du ihn auslöfchen. Nun aber merke, ed kommit 
Srwandel, mein einzig Kind, und fingt Dir das 
fchläfernde Lied vor; das ift die größefte Gefahr. Mit 
Deiner inwohnenden Tugend halte Dich munter dann, 
und erwärme mit Deiner Liebe ihre eiöfalte Hand! 
So wird fie Dir Balders Eifenring zeigen, und 
Dich bis an die Pforte der Unterwelt bringen. Bitte 
fie dreift um den Schläffel der Pforte, und laſſe fie 
felbft ja auffchliegen! Dann wird fie Rede befommen, 
und Deine Begleiterin in die Unterwelt feyn. Ent- 
brenne aber ja nicht für fie, denn fie ift Deines Bru— 
ders verlobte Braut! Durch wuͤſte Orte und graufige 
Finfterniffe wird fie Dich führen, bis Du erblidit die 


433 _ 


Sonne des Abgrunds. Fürhte Dih nicht! Da fihet 
neben der bleichen Hela Dein Bruder Balder, trau- 
rig; traurig hängt Sleipner das Haupt. Halte Dich 
nicht auf! Nimm dieſes achteckige Steinhen und wirf 
ed der Hel' ald Löfegeld für Balder in den Schooß. 
Laut wird fie dann aufheulen, aber Balder ift frei. 
Befteige der fein Roß, und hebe er die Braut, r— 
wandel, auf den Sattelbogen, und fprenge mit der 
leuchtenden Klinge dad Thor. Du aber hülle Dich 
in Deinen Sternenmantel ein, fo fann Hela Dich 
nicht fefihalten, und fahre fofort zu dem guten Metall: 
fönige, der wird Dich gaftlich bei fich behaufen, und 
feine Frau, die fohnelle Nacht, wird Dich zur Oberwelt 
heimführen. O fen wader, und fahr wohl!«a 
Mit diefem Befcheide entließ ihn der eisgraue Pol, 

und Sngme begab fich nun mit den drei Alten in ihre 
Hütte zurüd, wo er die Nacht im Frieden ausruhte. 
Am frühen Morgen fchon begleiteten ihn Reif und 
Schnee bis zum Eiömeere, nahdem Saga ihnen die 
Fruͤhkoſt bereitet hatte, und beim Abfchiede verfprach, 
fein zu gedenken. Als die Greife ihm ein herzlich Leb— 
wohl fagten, fo fchenkte ihm Schnee eine Schleuder, 
und Reif einen Stein, und wandten fi dann zu ih: 
rer Hütte zurüd. Ingwe aber lief auf Schlittſchuhen, 
die ihm Saga gegeben hatte, über dad Eismeer, wie 
der Wind, indem er mit feinem Runenftabe die Meer: 
ungeheuer, welche die Midgards- Schlange ihm 
entgegenfandte, vor fich hertrieb, als wären ed zahme 
Laͤmmer. Nachdem diefe zurüdgewichen waren, trat 
ihm der Rieſe Thiaſſe entgegen, wie ein eiferner _ 
Erwin von Steinbach. II. 28 


434 


Berg. Er ſchwang grimmooll feine Keule und ſprach 
ihm Hohn, indem er ſich rühmte, den Balder be- 
zwungen zu haben. Ingwe aber legte den Stein des 
Reifs auf die Schleuder des Schnees, und fraf ihn 
fo hart damit an feine Stirn, daß dem Riefen die 
Glieder gelähmt wurden, und er um Zrieben bat, in= 
dem er fih ihm und feinem Gefchlechte zum Dienft- 
mann ergab. Der Prinz fehte die Reife nun fort, fo 
wie Schnee ihm gefagt hatte, und bald ftand er ge= 
rade unter dem Polarftern, welcher feine feurigen 
Geſchoſſe auf ihn niederfandte; doch vergeblich, denn 
der Mantel fchirmte ihn, wie fehr auch der eiferfüchtige 
Freier ihn zu verderben bemüht war. Als auch diefer 
in fein Bereich zurüdweichen mußte, fo kam endlich 
auf fpiegelglatter Eisfläche in einem Mufchelfchlitten, 
von acht Schwänen gezogen, die fihöne Örwandel 
dahergefahren, und fang ihm das Lied zu: 
Srwandel wandelt heute 
Auf fohlangenglatter Bahn, 
Das, Ingwe, Dir bebeute 


Die Fahrt zur tiefen Rahn, 
Im dunklen Todes⸗-Kahn. 


Dein Licht der Roſenwangen, 
Dein unſchuldsvoller Blick, 
Wie bald ſind ſie gefangen 
Im eiſernen Geſchick, 
Im eiſernen Geſchick. 


Die Mutter ſchoͤn Dich ſchmuͤckte 
Mit Mantel und mit Stab, 
Wo wohnt die Hochbegluͤckte? — 
Hier findeſt Du Dein Grab, 
Hier findeſt Du Dein Grab. 


435 


O wallet, Meereswogen, 
O fliege, Windesbraut, 
Er kommt dahergezogen 
Und hat der Syf vertraut, 
Und hat der Syf vertraut. 


Weh, wehe, walle weiter, 
D meile wohlig hier, 
J Der Schlaf iſt Dein Begleiter 
Und nimmer wirſt Du mir, 
Und nimmer wirſt Du mir. 


Sie ſah ihn mit ihren ſeeblauen Augen traͤume— 
riſch an, und der Schlaf befiel ihn ſofort, wie ein un— 
widerſtehlicher Schwindel; fo daß er ſich auf feinen 
Stab ftüßen mußte; doch der Gedanke an Balder 
Noth hielt ihn wach und munter. Er trat ihr in den 
Meg, und faßte Die Knöchel ihrer rechten Hand, de: 
ren Kälte ihm wie einen Stich ind Herz gab. Aber 
durd feine fromme Liebe erwarmte fie bald, und die 
Schöne blidte ihn flaunend an, auf den Eifenring zei— 
gend. Er drehte ihn an ihrem Finger um, und bat 
fie, ihn bis zu Balder in die Unterwelt zu geleiten. 
Stumm führte fie ihn nun an ihrer Hand zu einem 
fenfrechten Felfen bin, darin ein goldnes Gegitter war, 
welches, wie die Skelette der herbftlihen Baumblätter 
fünftlich verfchlungen , fein Schlüffelloch zeigte. Er 
bat um den Schlüffel von Demant; fie zog ihn aus 
ihrem Schleier hervor, und überreichte ihn dem Prin- 
zen. Er wies ihn aber zurüd, und fprah: »Schließe 
felbft auf!« Da fuhrs wie ein Blitz durch ihr Antik, 
und alsbald fchloß fie das Gegitter auf, welches fich 
mit einem Knalle eröffnete; die Stumme ward redend 


28 


436 


nun, und ſprach: » Gottlob, ich bin frei, der Zauber ift 
gelöft durch Dein reines Herz, und ich folge Dir, wo— 
bin Du willſt.« Danferfüllt wollte fie in feine Arme 
ſinken; aber, fo fehwer es ihm wurde zu widerftehen, 
er hielt fie zurüd, aedenfend: Es ift Balders Braut. 
»Gieg!« rief eine Stimme von oben herab, und ber 
alte Nordpol neigte ſich freundlich über fie her, denn 
fhon fuhren fie auf dem Mantel in die Tiefen der 
Erde hinunter. Bunte Flämmchen tanzten vor ihnen 
her, und koͤſtliche Karfunfel leuchteten ihnen aus allen 
Belfenfammern entgegen. Endlih fuhren fie in eine 
unermeßliche Tiefe gedanfenfchnell hinab, bis fie fern 
bort in der dickſten Nacht die fchwarze Sonne des Ab- 
grunds erblidten, die den ganzen ungeheuren Schlund 
erhellte. — Eiben war ihre Strahlung, und, durch un: 
endlihe Dunkelkeit glänzend, glich fie dem Kerne der 
umfchalenden Naht. Da faß ein Gemaffneter, mit 
güldenem Helme und Schilde gefhmüdt, neben ihm 
Hela, die bleiche Göttin, und hinter ihnen ragte ein 
hoher Pferdefopf hervor. »Mein Balder!« rief 
Ingwe, und flürzte an feine Bruft. Jener aber blieb 
Falt und ftumm, wie ein Zodter, und Hela erhob 
brobend den langen  Beigefinger. Alsbald nun warf 
Ingwe das achtedige Steinhen, ald Löfegeld Bal- 
ders, ihr in den Schooß, und rief: „Er ift mein!« 
Die bleiche Frau heulte laut auf, fo daß der ganze 
Abgrund dröhnte, auch die Geifter alle wach wurden, 
und ächzend fie umfchwirrten. Balder aber um- 
armte freudig feinen Bruder Ingwe, und fprang auf 
fein Roß, indem er ÖSrwandel auf den Sattelbo- 


437 


gen hob; mit leuchtender Klinge fprengte er dann auf 
einen Schlag die Ketten des Thors. Die Zugbrüde 
des tiefen Stroms ſank donnernd nieder, und er jagte 
mit der Braut hinweg, fo daß die Funken von Sleip— 
ners Hufen fprühten; doch Hela rief ihm ein langes 
»Wehe« nah; denn fie hatte ihn lieb gewonnen und 
begehrte ihn zum Gemahle. Ingwe dagegen hüllte 
fih in feinen Mantel und fuhr zum Könige der Mes: 
talle bin, der ihn gaftfrei aufnahm, und zu feiner Ge— 
mahlin Nacht führte. Die fchnele Nacht war fehr 
erfreut, als fie von der Verjuͤngung ihrer Tochter hörte, 
und bat ihn, fih nicht aufzuhalten, um dad heilige 
Wert, von ihr geleitet, zu vollenden. Wie auch der 
Metalllönig fchmollte, daß man ihm den freundlichen 
Saft fo ſchnell entführte, fo mußte er Doch der lieben 
Frau gewähren, und fprach: » Fahr’ hin mit allen Göt: 
tern, und fomme wider Willen niemals zuruͤck!« Nun 
führte ihn die ſchnelle Nacht auf dem Fürzeften Wege 
zur Oberwelt, hart an der Sonne des Abgrunds hin- 
weg, welche, ald gerades Gegenbild der Himmeldfonne, 
ein unendliches Grauen bei ihm erregte; denn nichts 
am ihrer ftarren Finfterniß gleich), die nur in fich felbft 
fich erhellte, und allein feine fehr gefchwinde Führerin 
machte ihm den Eindrud, daran er zu fterben glaubte, 
erträgliher. » Ich konnte Dich diefed Schredbilds nicht 
überheben,« ſprach fie, »wenn wir nicht einen großen 
Umweg machen follten. Es ift das Licht der Ber: 
dammten, doch nimm von diefem braunen Safte, fo 
ſolls Dir nicht fehaden!« Sie fchlürfte ihm aus einer 
Blume den Saft ein, und er meinte Muttermilch zu 


438 


trinken. Nun fuhren fie bald an großen Feueröbrün- 
ften vorüber, deren Schwefelgualm fie zu erftiden droh— 
te; doch führte ihn die fehnelle Nacht fo reißend hin- 
weg, daß er fo lange, bis reinere Lüfte Famen, den 
Athem anhalten Fonnte; auch mußte er, auf den Rath 
der Nacht, bei den giftigften Ausbünftungen den Sters 
nenmantel vor den Mund halten, dadurch alles Uebel 
abgehalten würde. Als er in angenehmer Kühle nun 
wieder frei aufathmen Eonnte, fprach die Nacht: » Die 
Menfchenfinder fürchten mich ; bin ich doch ihre Mut: 
ter, und trage den ewigen Frieden in meinem Bufen. 
Sie follten nur den Teufel fürchten, welcher fich feind- 
lih in meinem Reiche eingeniftet hat, und mit dem 
Golde, was er meinem Gemahle entwandte, viel Un- 
heil und Zrübfal unter ihnen anrichtet. Doc ift fein 
Gebiet hier unten fehr befchranft, fo wie das feiner 
Muhme Hela, und ed wird hoffentlich immer Kleiner 
werden, ja endlich aufhören; denn geftohlnes Gut bringt 
feinen Segen. « 

So fprechend, fuhren fie durch wuͤſte Orte und 
große Einoͤden, wo Ingwe aus der Ferne die verur— 
theilten Menfchen = Seelen bei fchweren, doch unnüßen 
Arbeiten ſchwitzen ſah und ächzen hörte. Andere Un: . 
gluͤckliche erblidte er, die fi mit Goldklumpen und 

Edelfteinen bededten, um ſich einer unerträglichen Kälte 
zu erwehren; aber man fah, wie fie immer mehr ihrer 
Meifter wurde, während fie mit den Zähnen Flapper- 
ten, die Arme zufammenfhlugen, und mit den Füßen 
ftampften. » Das find die größeften Strafen,« ſprach 
zu ihm die ftile Nacht, »fie möchten alle Schmelz: 


439 


gluthen gegen diefe Todeskaͤlte eintaufhen, aber koͤn⸗ 
nen ed nicht. Ihr Verbrechen ift der Geiz, die Wur: 
zel alles Uebels.« 

Weiter fuhren Beide, und Famen an einer großen 
Kluft vorüber, wo felbft die Nacht ſich mit ihrem 
Schleier verhüllte. Ingwe erblickte dort die fehönften 
Fleifchesfinder in den üppigften Gruppen und fihamlo: 
feften Stellungen, wie fie unter grünen, überhangenden 
und fruchtbeladnen Bäumen ruhten, oder auf frifchen 
Wieſen wie im hellen Sonnenfcheine wandelten, und 
mit frecher Geberde die unzüchtigften Dinge begingen. 
Doc ein unendlicher Ueberdruß lag in ihrem Antlige, 
und die größefte Fülle der Lüfte ward ihnen zur uner- 
träglichften Quaal. — Die heilige Nacht führte ihn 
wie mit Blißesfchnelle daran vorüber, doch hatte er 
genug ſchon gefehen, um diefe Lüfte auf ewig zu ver: 
abfcheuen. 

Mrun ſchien fich ihr Weg fanft zu erheben, und fie 
kamen durch ftille fchattige Gefilde über tiefgrünes Land, 
und die Nacht ſprach, indem fie ſich wieder ent: 
huͤllte: 

» Nicht weit mehr biſt Du vom Ziele; denn hier 
wandeln fchon die Seelen der Guten, aber Unvollende- 
ten, bis fie für dad wahre Licht geläutert find. « 

Wirklich fah er auch mande bekannte Abgefchiedne 
bier zu ernften Gefprächen verfammelt, oder einfam 
im tiefen Nachdenken verfunfen, an einem großen, fanft: 
fließenden Strome auf: und niedergehend, ald wenn fie 
Jemanden erwarteten. 

Weiter führte ihn nun die fehnelle Nacht, und 


440° 


er hörte bald ein ſtarkes Braufen, wie von großen 
Waſſern. 

»Nun ſind wir dicht unter dem Ozean, und nahe 
bei der kryſtallnen Grotte, wo mein Eidam, der holde 
Schlaͤfer, ruht,« ſprach ſie, und ſofort that ſich auch 
eine klare Hoͤhlung auf, an deren durchſichtigen Wän- 
den unendliche Bergkryftalle blisten, und über welche 
man die hohen, fmaragdgrünen Meereswellen deutlich 
wogen fah. Sn diefer Earen, ftillen Grotte ruhte auf 
purpurrothben Moofen ein fchöner, ſchlanker Süngling, 
wie im tiefen Schlummer anmuthig hingegoffen, und 
fließ prophetifche Reden in hohen Bildern aus. Ein 
liebliher Blumenduft erfüllte die ganze Grotte; denn | 
feine Singer und Zehen endeten in Zilienftengel mit den 
föftlichften weißen Blüthen, welche bei dem Heben und 
Sinken feiner athmenden Bruft fi) bewegten und die 
Luft füß durchdufteten. »Das ift Braga, der König 
aller Dichter, « fprach die Nacht; »Götter und Men- 
ſchen haben ihn bisher nicht erweden koͤnnen, da der 
ftärffte Zauber ihn bindet; doch vielleicht ift jetzt feine 
Stunde gekommen. « 

Sogleich neigte fi Ingwe über den Schläfer 
bin, und füßte ihn zu dreien Malen Stirne, Augen, 
und Mund. Bei jedem Kuffe feufzte der Holde tief 
auf, ald wenn ihm ein großes Weh widerführe, und 
Ingwe bedeckte ihn fehnell mit dem Sternenmantel, 
fo wie die weife Syf ihn unterrichtet hatte. Wor 
Freuden und Wonnen zitterte die heilige Nacht. Plöß- 
lich flog der Mantel weit zurüd, und der Zauber hatte 
ein Ende. — Der Schläfer ſprang auf ald frifcher 


441 


Juͤngling, mit wohlgebildeten Händen und Füßen, und 
der füßbetäubende Lilienduft war verfchwunden. 

»Ich habe wohl lange gefchlafen?« fragte er. »Zu 
lange, mein Sohn,« fprah die Nacht; »denn ſchon 
taufend der Jahre find verfloffen. «— » Laufend Jahre? « 
fragte er verwundert ; »aber wo ift Syfhilda, mein 
junges Weib? Doc nicht beiden Todten?« — » Rein, fie 
fonnte nicht fterben ohne Dich,« rief eine liebliche 
Stimme vom Eingange ber, und Syfhilda flog, 
leuchtend von Jugend, Schönheit und Reiz, in feine 
offnen Arme. »Da bin ih, Du Langfchläfer,« ſprach 
fie verſchaͤmt, »und diefem jungen Prinzen verdanfft 
Du Deine Erlöfung und unfer hohes Gluͤck. Allfa= 
derhat ihn Dir gefandt, er iſt Odins Sohn. « —»Dod 
nicht der Balder, von dem ich träumte?« fragte er. 
»Mein, Ingmwe,« verfeste fie, und beide umfchloffen 
den Prinzen mit innigen Umarmungen. Auch die 
Nacht umfchlang fie mit ihren weichen Armen, und fie 
fegnete von Neuem das fchöne Paar ein. Dann führte 
fie Alle durch ein langes, hohes Kryftallgewölbe bis 
zur Oberwelt hinauf, und ald Ingwe zuerft and Ta: 
gesliht trat, welches ihm wie eine blendende Fluth 
‚ die Augen umfing, fo befand er fich überrafcht in 
Odins Burg auf dem Helvdenfaale, dazu dieſe ge: 
heime Treppe hinführte. Balder und Örmwanbdel 
eilten ihm aus der großen Gefellfchaft, als Glüdlich- 
Vermaͤhlte, zuerft entgegen, und umfchlangen ihn mit 
Entzüden. »Alled verdanken wir Dir allein, mein 
Ingwe,«“« fprah Balder der Gute, und Ingwe 
verfegte: »Alles, mein Balder, habe ich in Dir wie: 


442 


dergefunden, und nun laß uns bis in den Tod beifam: 
men bleiben!« Odin aber, der mit feinem NRabenpaar 
auf der Schulter herbeieilte, und feinen Sohn Ingwe 
fügte, fprach ernft: »Allfader danket zuerft, denn 
ihm gebührt die Ehre!« Frigga dagegen fügte hinzu, 
indem fie dem Ingwe füß die Augen füßte und ihn 
an ihren Bufen ſchloß: »Danken wir auch Syfhil- 
den, der Freundin, und dem Weifen, und der heiligen 
Mutter Nacht, die meinem Kinde den Weg zeigten. « 

Odin bezeigte nun der Naht und Syfhilden 
mit Braga, ihrem Gemahl, die größefte Ehrerbietung, 
und ließ ein herrliches Opfermahl zurichten, dazu uns 
ter vielen Sarlen des Reichs, fammt Riefen- und 
‚Bwerg-Fürften, auh Nordpol und die drei Alten ge— 
laden wurden. Der alte Pol aber ließ fich entichul- 
digen, und Iud dagegen die ganze Gefellfchaft auf Juhl 
in feinen Eispalaft, indem Thiaſſe nun, als treuer 
gebner Dienftmann des Odin: Gefhlehts, alle Kälte 
und Nordftürme zu jenem Fefte zu verbannen gelobte, 
und den Lehnseid hier ablegte. Dagegen fanden fich 
Schnee, Reif und Saga, auf Wölfen reitend, in 
der hohen Ddinsburg am Efchenbaume ein, und 
Ingame fand Gelegenheit, bier ihre Gaftfreundfchaft 
zu eriwiebern. Bei dem Opfermahle fang Braga feine 
neuen Lieder zum Entzüden aller Säfte. Selbft Schnee 
und Reif wurden dadurch ganz in Freuden verjüngt, 
und das Mütterhen Saga war hödhlichft vergnügt; 
fie hörte nicht auf zu erzählen, und Jeder vernahm fie 
gern. Nur ihre vielbefchriebnen Leibbänder und felt- 
famzalterthümliche Zracht fielen ein wenig auf; denn 


445 


fie waren nicht nach der Hoffitte gefchnitten. Schnee 
aber und Reif berichteten in ihrer kurzen und Falten 
Manier gar köftlihe Schwänfe, fo daß Odin, der 
Göttlihe, fih vor Lachen die Seiten halten mußte. 
Die Mutter Nacht übertraf jedoch Alle mit ihren wun— 
derfamen Gefhichten, und ihr Eidam Braga ließ von 
Neuem zum Gefange die Harfe erklingen, fo daß hohe 
Begeifterung alle Skalden erfüllte, und alle Riefen ent: 
zudt dazu laufhten. Da tanzten felbft die Fifhe im 
Meere, und aus den Wäldern und Klüften drängten 
fi die Bären und Wölfe heran, und die Vögel ſenk— 
ten fih aus den LKüften nieder, und feßten fich alle 
auf die Odinsburg, um den König der Sänger zu 
hören, der taufend Jahre gefchlafen hatte. 

Sogar die Regenbogen:Steine erflangen auf Bi- 
frofi-Brüde, und Igdraſyl, der heilige Efchenbaum, 
raufchte, einftimmend mit Menjchenzungen, in allen feir 
nen Blättern dazu. Das war ein Feſt! — Balder 
aber und Ingwe blieben bei einander, ald ein Herz 
und eine Seele, und die Nacht fprach beim Abfchiede, 
indem fie ihre Hände zufammenlegte: » Eine ſolche 
Liebe habe ich noch nicht gefehen. « 


444 


Neuntes Kapitel. 





CH ſchloß der-Einfiebler feine Erzählung, und Prinz 
Erif, welcher mit offnem Munde und flarrenden Au: 
gen zugehört hatte, fprach nach einer langen Paufe, da 
Ale von dem Geifte diefes Mährchens tief durchdrun— 
gen waren, und Feine Worte finden konnten: 

»Es ift ganz herrlih; aber wo bleibt der Ring 
und das Kreuz, denn Jeder muß doc fein Eigenthum 
wieder haben? « 

Laͤchelnd verfeßte der Einfiedler: »O Prinz, Du 
würdeft ein gerechter König werden, bad bürgt mir 
Deine Frage; darum wiſſe, daß der Ring und das 
Kreuz bei der Syfhilda blieben; weil Frigga ans 
dre Zaubermittel hatte, um ſich die Jugend zu erhal- 
ten, und alfo diefe gern der Freundin überließ. Denn 
wäre die Syf wieder alt und runzlig geworden, fo . 
hätte der Dichter- Gott, Braga, fih gewiß fehr be- 
teubt, und in feinen feligen Schlaf zurüdgefehnt.« 

Ale lachten, aber Erwin fprah: »Es liegt in 
diefem Mährchen fo viel Wahres, daß mir zu Muthe 
ift, als wenn dad Alles wirklich gefchehen feyn koͤnnte. 
Und was fuchen wir mehr in aller Gefchichte und Ue— 
berlieferung, ald diefe innere Wahrheit, welche uns ein 
Bild des göttlichen Wirkens giebt! Ob ein König ge: 


445 


lebt, ob eine Schladht gewonnen oder verloren, ob ein 
Reich zerftört fey, das kann uns ganz gleichviel gel- 
ten; aber wie er groß gelebt, und meife geredet, und 
tapfer gefiegt, und aus den Trümmern ein neues Reich 
auferbauet habe, das ift unferem Geifte erfreulich zu 
bören, und giebt erft die rechte Erfahrung. Darum 
dünft mir, ed find in der Weltgefchichte viele Dinge, 
welche gar nicht beachtet werden follten, weil fie nur 
die Weberficht verdunfeln. Nur das Nothwendige, um 
ein lebendiges Bild der Zeit zu entwerfen, follte nach— 
erzählt und aufbewahrt werden. Das finden wir aber 
befonders in der Sagen:Gefchichte mit kuͤhnen Strichen 
hingezeichnet, und fo bleibt fie, in der Form, das Vor: 
bild aller echten Gefchichtfchreibung. Gelehrtthum ift 
eben fo fehädlich, als abgefchmadt, und geht aus einem 
gewiffen Unglauben an das Höhere hervor, welcher Un: 
glaube auch im Reiche der Wiffenfhaften und Künfte 
die größten Verwüftungen angerichtet hat, und ein 
Erbfeind der Wahrheit, fo wie der Religion, ift.« 

Der Einfiedler verfegte: »Du haft Recht, mein 
Sohn; doch damit die Wage nicht wieder nach der an« 
dern Seite in dichterifche Träume hinüberfchlage, fo 
ift dem Gefchichtöfchreiber befonderd noth ein fchlichter 
Blick und ein treffender Ausdrud für das Wirkliche, 
was fich begeben hat, wie wir davon in unfrer heili= 
gen Gefchichte, infonderheit :ded neuen Bundes, das 
befte Vorbild haben. Es ift fo bedeutend, meil es fo 
wahr ift, und es ift fo wahr, weil es fo bedeutend ift 
— ein rechtes Wort Gottes. Das foll alle Gefchichte 
werden, und wenn fie ed auch in ihrem unbeiligen 


446 


Inhalte nicht völlig erreichen könnte, fo fol fie eg doch 
in ihrer göftlihen Form deutlich ausdruͤcken. Dann 
aber müflen unfre Gefchichtfchreiber erſt die Feder in 
die Hand nehmen, nachdem fie in einem würdigen und 
vielwirkenden Leben große Erfahrungen gemacht, und 
den ſeltſamen Weltgeift in feinen Höhen und Ziefen 
durch vielfeitige Ausbildung unter allerlei Völkern ken— 
nen gelernt haben. Denn das läßt fich nicht wie die— 
ſes Mährchen erfinnen, oder durch einige vorhandne 
Thatfachen in frommer Ahnung ausbilden. — Man: 
ches möchte wohl fo zutreffen, aber es würde immer 
doch eintönig bleiben, gleichwie eine Landfchaft am 
Ganges, welde unfer Kaspar, ohne fie gefehen zu 
haben, auf feiner Stube ausmalen wollte. — Wer die 
Geſchichte eines Volks fehreiben will, muß fich zu dem 
Volke Hinbemühen, und eine Zeitlang unter demfelben 
gefellig gelebt haben; und wer die Weltgefchichte ſchrei— 
ben will, der muß fih große Reifen um unfre runde 
Erde nicht verdrießen laflen, damit er das Vergangne 
mit dem Gegenwärtigen zufammenfnüpfen, und Eines 
aus dem Andern überfeßen möge. Dann freilich wird 
ihm manche Thatſache wie ein Mährchen erfcheinen, 
und manches Mährchen wieder zur höheren: inneren 
Thatſache werden, welche, gleich einem Kolben, die Fla— 
fhenzüge einer ganzen Volksgeſchichte trägt und die 
größten Laften heben kann; fo erfcheint das Schwerfte 
leicht, und das Höchfte einfach, weil es fo natürlich ift, 
und die wahre Gefdichte entwidelt e8 aus dem Geifte 
eines Volks, bequem und folgerecht, wie der Faden an 
einem Knaͤuel fich abrollt. 


447 


Erwin verfeßte: „Wie gern möchte ich von Euch 
die Gefchichte der Zeit erzählen hören, vorzüglich aber 
die Befchreibung Eures eignen Lebens, welches gewiß 
bedeutend und thatenreich feyn muß. Es erfüllt mich 
bier in der Nähe des Norbpols eine ganz befondre Ruhe, 
und die heilige, lange Nacht mit ihren funfelnden Ge— 
ftirnen und leuchtenden Norblichtern überfchüttet mich 
mit einem fo unendlichen Frieden, daß ich Jahre lang 
zu Euren Füßen niederfigen und Euch anhören Fünnte, 
ohne etwas Anderes zu begehren.* 


Die übrigen Freunde verficherten das Nämliche, 
und vereinigten mit Erwin ihre Bitten, daß Sal: 
mar ihnen feinen Lebenslauf erzählen möchte. 


»Er ift zu lang,« fprach der Einfiedler, »wenn ich 
ihn nicht ganz kurz machen will, und ob mir diefes 
gelingen dürfte, nah Meifter Erwins Vorbild, ift 
fehr zu bezweifeln; denn dad Alter macht redfelig und 
weitfchweifig, oder wird troden in der Kuͤrze.“ — Da 
die Gefellfhaft von Neuem um die Lebenögefchichte 
bat, hub Salmar alfo an: 


»In Griechenland Fam ich zur Welt, und bin ge- 
boren von einer griechifchen Mutter. Meine Augen 
ſahen das erfte Licht an den Ufern des Stiffus. Da 
fpielte ich mit glänzenden Kiefeln, und bud aus Thon 
abenteuerliche Geftalten von Gentauren und Sirenen. 
Auf der Götterburg vor Athen, auf den Stufen des 
Minerventempeld fah ich oft die Sonne auf- und 
untergehen, und freuete mich ihres lieblihen Scheines 
an den mächtigen Ruinen der würdigften Bormwelt. So 


448 


bildete fich frühe des Knaben Geift an dem Einfachen, 
Großen und Gediegenen empor. « 

„Mein Bater war ein fchwedifcher Jarl, welcher, 
mit einer Flotte am Piräus gelandet, meine Mutter 
in Athen lieb gewonnen und zum Weibe genommen 
hatte. Wenig aber habe ich ihn gefehen, da er immer 
auf Kriegsfahrten ausging, und nur felten zu Haufe 
war. „Ein Mal nur erinnere ih mi, ihn freundlich 
gefehen zu haben, ald er, von einem glüdlichen Zuge 
heimgefehrt, meiner Mutter, die mich auf dem Schooße 
hatte, kine demantne Kette um den Hals hing, und 
dann fie herzlich Füßte. Da war meine Mutter fehr 
fhön und freuete ſich des mächtigen Waters, der feinen 
firengen Ernft abgelegt hatte, meldet ihn ſtets fonft 
begleitete. Früh flarb er in einem Kampfe mit den 
türkifhen Seeräubern; ich war noch ein Bube von 
ſechs Jahren; meine gute Mutter weinte viel und 
lange. Sie widmete nun meiner Erziehung ihre ganze 
Sorgfalt. Ihre Kleinodien verkaufte fie, und Faufte 
dafür ein Fleines Haus am Strome mit einem Gar— 
ten, Weinberge und etwas Aderfeld. Davon lebten 
wir. Die väterlihe Familie in Schweden wollte ihr 
nichts von dem Nachlaſſe ihres Mannes zugeftehen ; 
denn fie verachtete fie, weil fie nicht ebenbürtig mar. 
Sie dagegen verachtete ihre Worurtheile und ſchwieg. 
Habe ich doc mein Kleinod in Dir, rief fie mit Thrä- 
nen aus, und herzte mich, als fie einen verleßenden 
Brief meined Vaterbruderd gelefen hatte, und warf ihn 
in die Flammen. — Bon dieſer liebenden Mutter em- 
pfing ich die erften Lehren des Chriſtenthums, und das 


449 


goͤttliche Licht fing an, in mir zu daͤmmern, wie fehr 
auch der Bilderdienft in der driechifchen Kirche die 
Wahrheit verdunfelte. « Zr 

»Bei einem Armenier lernte ich die Meßkunſt, 
darin ich ſchnelle Fortſchritte machte; auch in der Ster: 
nenfunde und Novigation unterwies er mich, welches 
mir nachmald Aute Dienfte gethan hat. Zu dem alt: 
griechifchen und lateinifchen Sprache ward ich von” ei: 
nem Prieſter angeleitet, und felbft in den morgenlaͤn— 
diſchen Zungen gab er fih die Mühe, mich auf den 
Weg zu führen, als wenn er meine Zukunft geahnet 
hätte. Meine Mutter wünfchte mich für den geiftlichen 
Stand: zu beftimmen; doch mein Sinn fand nur nach. 
Reifen, Heereszügen und großen Thaten. Die Kreuze 
fahrten regten auch meine Einbildungskraft auf, und 
ald Peter der Eremit mit der zahllofen Schaar über 
Griechenland in die Morgenlande gezogen, um das 
heilige Grab zu erobern, blieb mir von dieſer Erzäh: 
lung meines alten Lehrers ein fo tiefer Eindrud zu= 
rüd, daß ich im zwölften Jahre der Neigung nicht wie 
derftehen Fonnte, dem großen Kaifer Barbaroffa 
mit feinem Heere nah Palaͤſtina zu folgen. Er fah 
mich bei meiner Mutter, und erbat mich von ihr zu: 
feinem Knappen. Ich mußte immer um feine Perfon, 
und Bag und Nacht zu feinem Dienfte. bereit feyn.: 
Er hatte mich lieb, wie ein Vater, und wenn feine 
große Seele lehrend ſich dem Knaben aufthat, fo warb 
mir wohl, wie in meiner wahren Heimath. Da lernte 
ich Yefen aus dem großen Buche, deſſen Riefenblätter 
die Welt bededen, und deflen Schrift das vielgeftaltete 

Erwin von Steinbach. HH. 29 


450 


Leben iſt. Seinen legten Athemzug habe ich mit mei- 
nen Lippen aufgefangen, ald er in Armenien aus 
Seleph’s Kalten Gewaͤſſern erftarrt hervorgezogen 
wurde, nachdem er Fur; zuvor, in feiner vollen Kraft, 
den treulofen Sultan von Konpy gezüchtigt, und feine 
Hauptſtadt erobert hatte. Nah Barbaroffa’s Zode 
ging Alles für und unglüdlid. Es war in unferm 
Deere, als wenn die Seele dem Leibe entflohen fey; 
feine Glieder fielen erftorben aus einander. Vor An— 
tiochien wurden zahllofe Schaaren der Belagerer von 
Krankheiten hingerafft. Vor Akkons Mauern fiel 
Barbaroffa’5 zweiter Sohn, der tapfre Friedrich. 
Serufalem blieb unerobert, das ungeheure Heer ber 
Kreuzfahrer Löfte fih endlih auf. Der größte Theil 
deffelben fiel unter der Schärfe des Schwerts, oder 
warb von Hunger und Peftilenz aufgerieben. Nur 
Wenige erreichten ihr Vaterland; und Heinrich, 
Barbaroffa’s ältefter Sohn und Nachfolger, führte, 
als Kaifer der Deutfchen, ein trauerndes Häuflein nad) 
Schwaben zurüd. Ich diente ihm, wie feinem Vater, 
doch nicht mit Luft; denn er war habfüchtig und grau= 
fam, wenn gleich tapfer wie Barbaroffa. Wir fa- 
ben den Rihard Loͤwenherz in Feffeln fchlagen, 
und in unwürdiger Haft ſchmachten; wir fahen die 
italifhen Großen mit ausgeftochenen Augen auf glü- 
hende Throne gefeßt, und mit glühenden Kronen ges 
Erönt; unfer Herz wandte fi von ihm ab; kurz war 
die Zeit feiner Herrfchaft, frühe erloſch fein Leben, 
fihtbar wie die. Strafe von Gott. Philipp, fein 
Bruder, und Otto, der Welfe, gingen in.ihrem Kai- 


451 


ferthbume als leere Schattenbilder vorüber; erfterer er- 
mordet durh Otto von Wittelsbach, um der ihm 
verlobten und nachmals verfagten Zochter; letzterer fich 
felbft überlebend, da der junge hoffnungsvolle Frie- 
drich, Heinrichs Sohn und Barbaroffa’s wuͤr— 
diger Enkel, der zweite Kaifer diefes Namens, an feine 
Stelle trat, und bald durch feine glänzenden Gaben ei⸗ 
nen großen Anhang gewann.« 

»Ich hatte unter Kaiſer Heinrich meinen Abſchied 
genommen, und lebte eine Reihe gluͤcklicher Jahre bei 
der theuern Mutter in meiner Heimath, ihre einzige 
Stuͤtze und Freude auf dieſer Welt. Manche glaͤnzende 
Heirathsantraͤge hatte fie abgewieſen, weil fie nur ein- 
mal ihr Herz verfchenken konnte, und ale Männer ihr 
ſchwach erfchienen gegen den verftorbnen Gemahl. In 
mir fand fie fein Ebenbild wieder. Oft träumte fie 
fi) in die Vergangenheit hinüber an meiner Seite; 
ihre unverwelkliche Jugend vermehrte die Zäufchung. 
Wenn wir unter den Ruinen der atheniſchen Göt: 
terburg faßen, und auf den erhabnen Stufen des alten 
Minerventempeld die Sonne ind Meer finken fahen, 
fo daß der Sluthfchein in mein Geficht fiel; da Fonnte 
fie mich oft mit Inbrunſt umfchlingen und rief: »Du 
bift mein Harold, wie er leibte und lebte, wenn er 
mit hochgerötheter Wange aus der Schlacht Fam, und 
feinen Raub vor mir ausſchuͤttete. Dann war er fchön, 
auch milde, wie ein Kind, ich. aber das glüdlichfte Weib, 
wenn er meiner Liebe fich freuete; fonft aber war er 
wilder und. rauher, ald Du, denn der hohe Norden 
hatte ihn: geboren und gefäugt.« | 

29* 


452°. 


»Bei folchen Rüderinnerungen war die Mutter 
unausſprechlich liebenswuͤrdig, und entzündete in mir 
eine feltfame Leidenfchaft, welche mein ganzes Leben 
auffog, und in ihrer Tiefe bodenlos fchien. Sch mußte 
oft an des Dedipus Mutter denken, und wußte 
nicht, ob es Verbrechen oder Zugend fey, dad Weib, 
dad mich unter dem Herzen getragen, und mit Schmer: 
zen geboren, und an ihrem Bufen getränft hatte, fo 
zu lieben. Die Kirche verdammte ed; die Natur da— 
gegen ſprach: » Sie ift ein Weib, des Mannes mwerth, 
und feiner Liebe gerecht. Da ein Menfchenalter ihre 
Blüthe nicht zerftören Eonnte, fondern nur herrlicher fie 
auffchloß, wie einen alten föftlichen Wein, der mit fei- 
nem Feuer Dich labt, fo darfft Du Dich dieſes feltnen 
Wunders erfreuen, und getroft fie in Deine Arme ſchlie— 
gen. Da fie Sungfrau blieb in ihrem Herzen, und 
mit der erften jungfraulichen Kraft und Ahnungsfüle, 
fo ernft und fromm in Liebe, dich an fich 309, fo darfſt 
du fie ganz die Deine nennen. Denn was fo außer: 
ordentlich fih zufammenfindet, kann nicht nach menſch⸗ 
lichen Ordnungen gerichtet werden!« — Dagegen fprach 
die Kirche: »Es ift Blutſchande, hüte Dich vor den 
ewigen Strafgerichten Gottes!« — So kaͤmpfte ich 
mit mir felbft einen harten und langen Kampf. Die 
Mutter ſchien nicht weniger zu ringen, wiewohl fein 
Wort über ihre Lippen flog. Ed zog und etwas Un= 
endliches zu einander hin, wie eine Wonne ohne Na= 
men. So oft wir die Sonne auf der Götterburg fin- 
ten fahen, fanf auch eine neue Gluth in unſre Herzen 
herab. Da trat der Todesengel ind Mittel, und Löfete 


453 


den feften Knoten auf. Eines Morgens, ald ich, nach 
bartdurchfämpfter Nacht, zur Mutter ging, um meinen 
quälenden Empfindungen endlih Morte zu geben, fand 
ich fie, auf ihrem Lager audgeftredt, in das weiße Grie- 
chengewand eingehüllt, eine fhöne Leihe. — Ein uns 
endlicher Schmerz durchdrang meinen Bufen; ich kann 
ihn mit nichts vergleihen, ald mit dem Zode felbft. 
Doc Löfte er fich bald in eine Fluth von Thränen auf, 
womit ich, über fie hingeftredt, meine Lippen auf die 
ihrigen gepreßt, den Leichnam badete. Wie lange ich 
fo gelegen habe, weiß ich nicht. Meine Diener riffen 
mich endlich von ihr weg. Es fchien ein Leben in mir 
geftorben und mit jenen Thränenftrömen wegge— 
fhwenmt zu feyn. Ich fland auf, wie cin andrer 
Menfch, und berief den größten Meifter der Salbkunſt, 
einen Egyptier; er mußte mir den mütterlichen Leib 
mit dem Föftlichften Weihrauh und Myrrhenöl einbals 
famiren. Es gelang ihm fo volltlommen, daß fie in 
ihrer natürlichen Geftalt füß zu fchlafen fchien, ald er 
mich an den herrlichen Sarkophag führte, darin fie ver: 
fenft lag. Der Bufen fchien fih noch zu heben, als 
wenn holde Träume ihn bewegten. Ich durfte fie aber 
nicht berühren, und mußte mic) am Anfchauen begnügen. 
Der Meifter empfing von mir einen großen Lohn, und 
blieb mein Freund. Sch verließ bald darauf Grie— 
henland, und führte den Sarfophag immer mit mir. 
Sch pilgerte fo nah Rom, der heilige Vater, Inno—⸗— 
cenz ber dritte, nahm mic, liebreich auf, ſah den 
fhönen Leihnam mit Bewunderung, und ſprach mich 
[08 von meiner großen Sünde, nachdem ich ihm mein 


454 


ganzes Herz ausgefchüttet hatte. Eben bluͤhte des 
zweiten Frie drichs Ruhm am höchften; ich ging an 
feinen Kaiferhof, wo er die berühmteften Männer fei- 
ner Zeit um fi verfammelt hatte, und alles Große 
und Schöne in feinen Schuß nahm. Freundlic) ward 
ih von ihm empfangen, ald treuer Diener feines Groß- 
vaters und Vaters. Meine Schickſale mußte ich ihm 
erzählen, und er gewann mich lieb. Gern begleitete 
‚ich ihn in daS gelobte Land, und ward fein MWegmei- 
fer aus früheren Erfahrungen. So kam er bald zu 
einem glüdlihen Biele, fchloß mit Al-Kamul eine 
zehnjährige Waffenruhe, empfing von ihm Serufa= 
lem, Nazareth und Bethlehem ald Unterpfand 
der Zreue, und zog ald Sieger mit und in die heilige 
Stadt ein. Er betrat mit mir die Stätte des heiligen 
Grabes ald ein frommer Chrift, obgleich der Papft ihn 
in den Bann gethan hatte, und Fein Priefter vor ihm 
Gottesdienft halten durfte. Ich betete an feiner Seite, 
wo der Leichnam des göttlichen Erlöfers einft ruhte, 
und auf dieſen kalten Steinen ward meine Seele erſt 
wieder lebendig, und mein Herz geheilt. Es war mir, 
als wenn hier erſt der Erzhirte Jeſus mich losgeſpro— 
chen haͤtte, und des Papſtes Abſolution nur eine fromme 
Taͤuſchung geweſen ſey. Der Kaiſer Friedrich ſetzte 
ſich ſelbſt nun, da der Patriarch von Jeruſalem ſich 
weigerte, ihm den Dienſt zu thun, die Krone, in Ge— 
genwart aller feiner Helden, als König von Jeruſa— 
lem auf; denn er hatte Solanthen, die Königstoch- 
ter Serufalem3, geheirathet, und Dadurch diefes Recht 
fih erworben. Sie liebte ihn mit Begeifterung, ed war 


455 


ein fohönes Paar. Bald Fehrte er mit ihr und feinem 
Heere nah Italien zurüd, und fchloß mit dem 
Papſte Frieden; der Bann wurde gelöft, und der Kai- 
fer ftand auf dem Gipfel feined Ruhms. Seine De: 
muth im Glüde, feine Klarheit unter ven Schmeiche 
lern, fein weitumfaffender Blick für alles Würdige und 
Nüsliche glichen einer Sonne in feinem Reiche; feine 
raftlofe Thätigkeit in großen Gefchäften, das freie Spiel 
feined Geiftes in Wiflenfchaften und Dichtkunft, vor 
Allem aber fein Edelmuth gegen die Feinde und Wi- 
berfacher, deren Verdienfte er mit Gerechtigkeit wuͤr— 
digte, machten ihn zum Liebling feines Zeitalter und 
zum Erften unter allen NRegenten. « 

»Doch im Ueberfluffe herrlicher Gaben vermwilderte 
fein Gemüth; feine üppige Erziehung in Sicilien warf 
ihn in die Lüfte, und ließ ihn vergeflen, daß er ein 
Kaifer der Deutfchen fey, deflen fefte Burg Keufchheit 
und Gottesfurcht feyn fol. Darum ift er gefallen von 
feiner Höhe, darum empörte ſich wider ihn fein eigner 
Sohn Heinrich, und ftarb, von ihm befiegt, in Ket- 
ten. Darum ward fein Sohn Entius von den Bo— 
lognefern gefangen, und lebenslänglic in Haft ge: 
halten; darum verhallte fein Wort, als er die Fürften 
Deutfchlands gegen die eindringenden Zartaren auf: 
rief, darum flreiften die italifchen Städte dad Joch ab 
und drängten ihn hart, und darum fehmachtete er nun 
in Apulien, von allen Würden entfegt, im ohnmaͤch⸗ 
tigen Grame dahin. Das find Gottes Wege in den 
Verwuͤſtungen; denn wie er dad Menfchenkind herrlich 
macht in feiner Furcht, fo macht er es gleich wieder 


456 


klein, wenn e3 feine Gebote übertritt. Das Alles habe 
ich mit ihm erlebt und erduldet, doch davon laßt mich 
ſchweigen, ihr Freunde; denn nichts ift trauriger, als 
eine große Natur fich felbft überwachen zu fehen, und 
nicht8 ift herzzerreißender, ald wenn aus dem gebornen 
Erhalter ein Berwüfter wird. Der romantifche Glanz 
um ihn ber hat mich nie beftochen, aber fein fchönes 
Herz rübhrte mich tief. Doch Gott ift größer ald un— 
fer Derz, und erfennt alle Dinge. Er nahm ihn auf 
feine Wurffchaufel, und hat ihn zu leicht befunden. « 

» Satt und müde der weltlichen Herrlichkeit, und im 
Ueberdruffe ihrer Zügen, begab ich mich von Kaifer 
Friedrichs Hofe nach dem Norden, dahin immer 
fhon mein Sehnen ftand, und trat in König Eriks 
Dienfie. Er nahm mich, aus fhwedifhem Stamme 
entfproffen, und von Friedrich ihm empfohlen, freund: 
lih auf. Seine tiefe Rechtlichkeit und himmlifche Gute 
waren ein Balfam auf mein wundes Herz; denn es 
war mir fchwer geworden, von dem großen Kaifer und 
Enkel Barbaroffa’s mich loözureißen. Erik z0g 
mich in feinen engeren Freundeskreis, ich habe mit ihm 
fein Gluͤck und Unglüd getbeilt, und immer ihn als 
denfelben befunden. Ihm fehlte Alles, was Friedrich 
befaß, Schönheit, Geift, Beredfamfeit und hohe Gaben 
der Mufen; und doch war er ein größerer König und 
ein beflerer Menfch; denn: fein väterlihbes Herz war 
groß genug, um darin, als ein rechter Voͤlkerhirte, den 
Geringften, wie den Bornehmften feiner Unterthanen mit 
ſchuͤtzender Liebe aufzunehmen. Bald warb. mir von 
ihm eine $elvherrnftelle übertragen, und er fhenfte mir ' 


457 


in den größten Gefahren ein unbedingtes Vertrauen, 
welches er mir auch bis an fein Ende bewahrte. Da- 
für danke ich meinem Gotte; denn ed war nicht mein 
Verdienſt und Würdigkeit, fondern ein Gefchen? feiner 
freien Gnade, von diefem beften Könige fo geliebt zu 
werden. Oft focht ich an feiner Seite und tranf aus 
feiner Feldflafhe, die er mir fo freundlich mit dem 
Skool-Rufe zureihte, nach blutiger Schlaht. O Er— 
win, da hätteft Du fein Auge fehen follen, es war 
noch fehöner, als da er Dich zum Ritter fchlug, und 
mit Freya auf der Infel im Wener Dir dad Skool 
brachte. Es war fo milde und klar, wie die Schö- 
pfung nad einem warmen Sommerregen am Abend, 
wenn das Gewitter vorüberging. — Kind Gottes, 
dachte ich, wo bleibt Deine Spur auf der Erde, nad 
dem Du fie verlaflen haft? — Und fo wird ſich's er- 
füllen. « 

»An König Eriks Seite hätte ich ganz heiter wer— 
den Eönnen, denn alle Wolken des böfen Geiftes lagen 
unter unferm Fuße. Doch eben bier in der vollfom= 
menften Sicherheit traf mich das größefte Unglüd. Mein 
väterlicher Obheim, ein Haupt der wilden Folfunger, 
welcher mich länaft fihon ald einen Abenteurer um bie 
Gunft des guten Königs beneidete, und, obwohl ich 
feinen Namen führte, mich als nicht ebenbürtig. von 
meiner Mutter her verachtete, fuchte Gelegenheit, mich 
zu demüthigen. Er fand fie bei einem Siegesmahle 
nach der Schlacht bei Sparrfätra; und da der Wein 
ihn erhißt hatte, warf er mir mit höhnenden Worten 
meine unechte Geburt vor. Noch ertrug ich das mit 


458 


Ruhe, indem ich meines Vaters gegen ihn gedachte, 
und daß diefer fein leiblicher Bruder fey. Da er aber 
endlich auch gegen meine verklärte Mutter Läfterreden 
ausftieß, und fie eine griechifche Buhlerin nannte, die 
der Ehe eines ſchwediſchen Sarld nicht werth gewefen 
fey, und mit ihrem eignen Sohne Blutfchande getrie= 
ben habe, der deshalb auch nach dem heiligen Grabe 
gewallfahrtet, und noch immer nicht gefühnt fey; da 
er diefen teuflifchen Spott noch ‚mit einer lauten Lache 
begleitete, fo ſchlug das Bornfeuer plößlich wie eine 
hohe Lohe in mir auf. Sch war meiner felbft nicht 
mehr mächtig; ich fprang auf von der Tafel, und riß 
das Schwert von meiner Seite, indem ich ihn zum 
Zweifampfe auf Leben und Tod heraudforderte. Der 
König hatte ſich ſchon entfernt. Die Ritter ftellten 
fi) zwifhen und, um mich zu befänftigen; aber ver- 
gebend. Sch warf Alle bei Seite, und flürzte mich auf 
meinen Oheim los, welcher auch fchon gezogen hatte; 
doch war er in der Trunkenheit nicht fähig, ſich ge— 
gen mich zu vertheidigen. Sch ſtieß wie ein Rafen- 
der ihm dad Schwert bis and Heft durch die Bruft, 
und er ſank, in feinem Blute röchelnd, zu meinen Fü- 
gen hin. Ein flarrender Schreden ergriff alle anwe— 
fenden Ritter, und ed entftand eine Zodtenftille; da 
erft Fam mir die Befinnung zurüd. Ic fah den Ent- 
feelten auf dem Boden, und der Wein aud den um: 
geftürzten Krügen vermifchte fi) graufig mit feinem 
Blute. Die ungeheure That warb mir offenbar, und 
machte mich eifig kalt. Auch der gute König war auf 
dad Getümmel herbeigeeilt, doch zu fpät. Er ad 


459 


tete den Erfchlagnen ald einen tapfern Kriegsmann. 
Ernft blidte er mih an, und ließ fich die Sache er- 
zählen. Dann fpradh er Recht: Der Erfchlagne habe 
durch böfe Verleumdung zwar den Zod verdient, und 
eö ſey feinem Ritter zu verargen, mit dem Schwerte 
feine Ehre zu löfen; doch weil die That im Jähzorn, 
an einem betrunfnen Oheim, und in den Föniglichen 
Gemaͤchern geſchehen fen: fo folle der Thaͤter feines 
Dienftes entlaffen, und vor feinem Angefichte auf im- 
mer verbannt feyn. Mit einer Thräne im Auge 
wandte er fih von mir ab, und ich verließ feinen 
Hof und. fein Königreih, fo wie alle Gemeinſchaft 
mit den Menfchen, indem ich dad Gelübde that, zur 
Büßung meiner großen Sünden, nahe am Nordpol 
mein Leben als Einfiedler zu befchließen, und niemals 
in die Welt zurüdzufehren. So lebe ich bier denn in 
Betrachtungen der Wunderwerfe Gottes, die dort 
oben in den Sternen find, wie im tiefen Herzens: 
grunde. Die Thiere find meine Freunde und Ge: 
fellfchafter geworden, wie Ihr. fehbt. Der Sarkophag 
mit‘ den theuren Reften folgte mir in die Einöde nach, 
und obgleich der gute König mich öfter zuruͤck ent- 
bot an feinen Hof, und meinen Rath fih einholte, 
fo ift mein Entfchluß mir doch nicht leid geworben. 
Durch die Welt bin ich in mein Herz zurüdgefehrt, 
und durch mein Herz in Gott. Sein Lebensbrot ift 
meine Speife, feine Gedankenfülle ift mein Trank ge: 
worben. So lebe ich hier ernfle Tage, bis Gott mich 
heimruft zu feiner Höhe, wo ich die Mutter bei mei: 
nem Erlöfer wiederfehen werde, und ohne Schuld fie 


460 


umarmen darf, zu feinen Knieen niebergebeugt. Dann 
werden fich alle Räthfel mir löfen, und er felbft wird 
mir den Schlüffel darreichen, um manche noch fehr 
dunkle Stelle in dem Bude meines Lebend entzif- 
fern zu Eönnen. Ich werde erfahren, warum bie 
hohe Mutter meine erfte und meine letzte Liebe ward, 
und was mich fo wunderbar an fie gefeflelt hielt, daß 
ih darum einfam auf dieſer Erde blieb, daß ich mit 
unnatürlicher Rache darum meinen Vaterbruder ermors 
den mußte, und daß mein ganzes Leben eine fo ftrenge 
Geftalt gewann. « 

Der Einfiedler fhwieg, und trodnete eine bittere 
Thräne aus feinen Augen; die Freunde blieben eine 
lange Zeit ſprachlos neben ihm fißen, einen fo tiefen 
und fchauervollen Eindrud hatte es auf Alle gemadht. 
Am tiefften aber wirkte e8 auf Erwin, welder end: 
lich das Wort nahm, und fpradh: 

» Gewiß hat der himmlifhe Water etwas ganz 
Befondres mit Eud) im Sinne, weil er Euch fo ſcharf 
geprüft hat. Die Sünde erfcheint in Eurem bedeu— 
tenden Leben mit einem fo großartigen Zieffinn, und 
das Verbrechen in einer fo erhabnen Geftalt, daß 
Euch diefe Schidfale über alle Gefühle der gemöhn- 
lihen Menfchheit hinwegheben, und zu ber ftilliten 
Einkehr, wie zu der gründlichften Selbfterfenntniß füh- 
ren mußten. Sch möchte fagen, Ihr feyd auf den 
Grund des Lebens gefommen, und fteht am Nordpol, 
unbemweglich, wie ein tieffinniges Beichen der geiftigen 
Magnetkraft, welche durch die Are der Menfchheit hin= 
durchdringt.. So koͤnntet Ihr und denn mit Euren 


461 


Erfahrungen ein richtiger Kompaß für die Erdenwall- 
fahrt feyn. Der tiefe Kampf mit Eudy felbft hat Euch 
heiter gemacht und über alle Wolken des Irrthums 
erhoben. Eure Ruhe kann durch nichts mehr ge- 
flört werden. Der ftile Blick führt in die Weite, 
fo feyd Ihr ein Seher ded Nordens geworden, der 
unfre Verhängniffe deuten koͤnnte. Führet und an 
den Sarkophag, zeiget und das heilige Mutterbild, und 
gebet und dann Euren weitfchauenden Gegen zur 
Richtfehnur mit auf den Weg! Denn heiliger ift gewiß 
feine Gabe, ald die des geprüften Herzens für. die noch 
irrenden Brüber! « | 

Der edle Einfiedler nidte ihm Bejahung zu, und 
mahnte dann zum Schlafengehn, indem e3 über allen 
diefen Erzählungen fehr fpät geworben war. 


462 


Zehntes Kapitel. 


Unfer Freund und feine Gefährten waren mit dem al- 
ten Einfiedler viel vertrauter geworden, nachdem er ih- 
nen feinen Lebenslauf fo offenherzig erzählt hatte. Sie 
fragten ihn, wie einen Vater, über alles Wichtige um 
Rath, und er mußte einem Jeden das zu fagen, mas 
ihm am heilfamften war. So ermahnte er öfters Hu = 
bert, fi) weniger auf dad breite Xeben einzulaflen, 
und mehr dem Zuge feined Innern zu folgen, welcher 
mit dem Glauben in Verbindung ftehe; denn dadurch 
würde erft fein Weſen verfühnt und feine Kunft ver- 
herrliht werden. Dagegen rieth er dem Kaspar, 
mehr auf die Menfchen einzugehn, und ja nicht Den na= 
türlihen Bufammenhang des Wirklichen zu zerreißen, 
damit er in feinem Tiefſinn verftändlich bleibe, und 
das wahrhaft Göttliche, welches feine Seele erfülle, 
auch eben fo überfchwänglich in der Landfchaftsmalerei 
darſtellen möchte. Den lebhaften Bonnevil dagegen 
mahnte er öfterd mit ſcherzendem Ernft an das Eine, 
was noth fey, und bat recht väterlich, fich nicht mit fo 
Bielen allerlei zu fchaffen zu machen, damit ſein ſchoͤ— 
ned Zalent zum Einfachften und Hoͤchſten fich erhe— 
ben fönne. Den Prinzen Erik ftelte er öfter zwifchen 
feine Kniee und lehrte ihn die Sternbilder und ihren 


463 


Lauf. Dann erklärte er ihm wieder die fehmwedifchen 
Gefege und ihren heiligen Urfprung, indem er ihn zur 
Gerechtigkeit ermahnte und das Vorbild im Heilande 
zeigte. Zuletzt erzählte er ihm, zum Lohne feiner Auf- 
merffamkeit, nordifhe Mährchen, ald von Balder’s 
Tod und Thor's Reifen im Riefenland, wovon der 
Knabe nicht genug befommen konnte, fo ergößten fie 
ihn. Mit Bielke redete er nur von vergangnen Ta— 
gen, oder trieb humoriftifche Scherze über das Irdiſche 
und feine Gebrechen. Waren die beiden Alten aber al- 
lein, fo arbeiteten fie angeftrengt in den Gefchäften ei- 
ned großen Bundes, welcher zur Ausbreitung des Chri— 
ftenthbums im Norden von Salmar geftiftet war; Denn 
er behauptete, daß fich auch die reinfte Religion natio= 
naliſiren und Elimatifiren müffe, um alö eine le— 
bendige die Mafle des Volks zu durchdringen, und für 
alle Begebenheiten und VBerhängnifje bei ihnen auszu— 
reihen. Das morgenländifche Kleid derfelben fey den 
Normannen zum Schaden, und das römifche Prunfge= 
wand, mit feinen Sabungen und. Legenden, ſey ihm 
ganz und gar verberblich; denn feine Einbildungsfraft 
müffe nicht genährt werben, weil fie gleich ind Unge: 
beure und Formlofe verfale. Darum fey ihm eine 
Religion des Verftandes noth, welche, mit Nordlandö- 
fitte verbunden, fein Gewiſſen fchärfen und feinen Wil- 
len leiten könne. In diefer Berftandesform, durch Furze 
Sprüchwörter und geiftreiche Räthfel, fo wie durch al= 
Verlei Parabeln und Sleichnifje aus dem Zagesleben, fuchte 
er, durch Boten und Schrift, den Sinn unter dem ſchwe⸗ 
difhen Volke mehr und mehr auszubilden, und ihm im- 


464 


mer die Richtung zur Mannhaftigkeit und Tapferkeit zu 
geben, welche urfprünglih in des Normanns Natur 
liege. Darüber warb viel geredet und dieſe Sache von 
allen Seiten gepruͤft und betrachtet. 

Mit Erwin ließ der Einſiedler fig) am tiefſten ein, 
und gab ihm auch mehrere Abfchnitte feiner reichen Le— 
bensbefchreibung zu lefen, infonderheit was von der Bau 
kunſt, der Kirche und der Liebe darin handelte. % Dann 
redete er zu ihm darüber, und zeigte den feften Zuſam— 
menhang und die große Harmonie zwifchen dem Intern 
und Aeußern, welche zwar nie von dem Verſtande er- 
gründet werden koͤnnen, aber doch auf mefbare Linien 
und fefte Verhaͤltniſſe zurückgeführt, die im Thurm und 
Kreuzgewölbe ein heilige Geheimniß offenbarten; ebett, 
wie im Worte der Glaube und die Liebe thun. Diefes 
Geheimniß ſey auch die Wurzel unferd Lebens, auf mel 
cher die flolze Krone ftehe, und erfülle und eben deshalb 
mit fo tiefen Schauern, wenn ed vom Geifte enthüllt 
würde. Der Einfiedler aber warnte auch tinfern Freund, 
ja feinen tiefen Empfindungen einen Raum zu geben, 
und feinen wunderbaren Träumen nicht nachzuhängen, 
wenn fie in Feine verftändige Form zu bringen wären; 
dern das Formloſe fen auch das Böfe, daher die Per: 
fönlichkeit des Teufels durchaus nicht zu begreifen fey; 
fo wie hingegen die höchfte und reinfte Perfönlichkeit 
Gottes und im Heilande offenbar geworden. Alfo müffe 
Chriftus für alles Leben und Thun der geiftige Mittel- 
punkt bleiben, von dem die formende und bilderide Kraft 
über alle Werke ver Menfchen fich ausbreiten folle. Das 
ganze Leben werde ohne Ihn zum Gefpenft, und der 


465 


höchfte Lebensgenuß fey nur in feiner begeifternden Liebe. 
Sie allein könne allen Zauber und alle Zäufchung der 
Leidenfchaften tigen, und den Erdenfohn zum Kinde Gote 
tes und Sohn der Wahrheit machen. Erwin fog feine 
Lehren und | rmahnungen um fo begieriger ein, da fie, 
wie Lichtfunfen, neue Erkenntniß in feiner Seele zünde- 
ten und, als die innerſte Wahrheit, einen unausfprechlis 
chen rieden über fein Herz und Gemüth auögoffen. 
Die Fragmente aus der Lebensgefchichte des Einfiedlers, 
welche er ihm zu lefen gab, fchienen mit feinen Erfah: 
rungen an mehreren Enden zufammenzulaufen, und bil- 
beten an andern Punkten wiederzeinen bedeutenden Ge- 
genfaß, welcher ihn zur fchärfften Selbftprüfung in fein 
Inneres zurüdtrieb. So lernte er viel von dem Greife 
in furzer Zeit, und das heilige Buch auf der Sonnsn- 
infel diente ihm zur weitern Erklärung. 

Der arme Joͤns allein ging bei diefen —— 
gen leer aus, und beſchaͤftigte ſich unterdeſſen mit den 
Vögeln, Hunden und Rennthieren, indem er fie Kunft- 
ftüdfe machen und allerlei Aufgaben loͤſen ließ, was zu 
feiner nicht geringen Belufligung diente. Er hatte vor 
dem Einfiedler eine befondre Scheu und Ehrfurcht, und 
verficherte oͤfters, daß es der einzige Erbenmenfch fey, 
welcher Feine Narrheit an ſich habe, und aus feiner reis 
nen Vernunft ihn doch verftehen Fönne. 

Unterdeffen nahte die Zeit des Abfchieds, da des 
Prinzen Urlaub vom Water abgelaufen war, und aud) 
Bielke zu feinem Herrn zurüdeilen mußte, ber auf Rei: 
fen feiner bedurfte. Niemand in der Gefellfehaft aber 
mochte an die Scheideftunde denken, und fie duͤnkte ih: 

Erwin von Steinbach, II. 30 


1. 


466 


nen wie ein bittrer Tod; fo wohl war Allen bei dem 
guten Einfiedler geworben, fo reichlihe Sundgruben des 
inwendigen Xebens hatten fich durch feine belehrenden 
Sefpräche, wie durch fein ftilles Dafeyn, in ihnen auf- 
gethan. Selbft der Narr hatte Feine Luft, in die Welt 
zurüdzugehn, und bat öfter den Weifen, fich feiner armen 
Seele zu erbarmen und ihn ald Knecht anzunehmen. 
Jalmar beantwortete es gewöhnlich mit einem Kopf: 
fchütteln, oder fagte: »Joͤns, wenn Du Stand halten 
tönnteft; aber mit mir allein fehlt Dir alle Nahrung für 
Deine Thorheit, und in den erften Wochen entläufft Du 
mir wieder in die Einöde. Dann wuͤrdeſt Du erfrieren 
oder von den Bären zerriffen werben, und ich hätte Die 
Berantwortung.« Der Narr aber verficherte, daß er ihm 
ewig treu bleiben wolle, und nichts weiter begehre, als 
fein Knecht zu ſeyn. »Seht,« ſprach er an einem. der 
letzten Tage, »ich habe weder Vater noch Mutter, we— 
der Brüder noch Schweftern, und Feine Seele hat mich 
fieb, al3 jener deutfche Bugvogel, der Erwin; ber aber 
reift davon und kann mich nicht mitnehmen, auch wird 
er zu Haufe im heiligen Eheftande bald fo vernünftig 
werden, daß er feinen Narren mehr braucht. Bleibe ich 
aber an Birgers Hofe, fo fomme ich unter die Füße 
und werde ein Kinderfpott. Ihr aber fünnt mich bef- 
fern und mir den Narrenrod ausziehen. Ich will Euch 
dienen, wie eure gelehrigen Thiere thun, bis ich das 
Eleine Ding, den Berftand, wiedergefunden habe; dann 
laßt mich Euern Freund feyn und mit Euch hier leben 
und fterben. Die treuen und Eugen Hunde werben 
mich begraben, wenn ich Euch überleben follte; über 


467 


lebt Shr aber mich, fo koͤnnt Ihr für mich beten.« 

»Du redeſt fehön, armer Joͤns,« verfehte der Ein- 
ſiedler lächelnd, und rieb fich eine hervorquellende Thräne 
aus den Augen, »doch das Heil hängt nicht an fehönen 
Morten!« — 

»Doch am freuen Herzen,« rief ber Narr und Fßte 
ihm die Hand. 

»Menn Narren bei Euch Berftand befommen, « 
forah Hubert, »fo habt ihr den Sieg über bie Welt 
errungen, das iſt gewißlich wahr.« 

Bielke ruͤſtete unterdeſſen im Stillen ſchon zur Ab- 
reiſe und hatte die Rennthiere aufs beſte gefuͤttert, um 
die erſte weite Tagereiſe zu den naͤchſten bewohnten Huͤt— 
ten zu machen. Auch verſorgte ihn der Einſiedler mit 
einem Schlitten voll Heu, zum Futter fuͤr die Renner, 
und ſetzte in einen Korb Speiſen fuͤr ſeine Gaͤſte hinein, 
mit einem Schlauche voll guten Weins. Nachdem das 
Alles vorbereitet war und fertig ſtand, erzählte Salmar 
noch fpät bei der gaftlichen Flamme feinen Gäften von 
feinem Leben im Morgenlande unter den arabifchen Se— 
bern und Helden fo viel Merfwürdiges und Wunderfa- 
med, daß fie nicht zu Bette finden Fonnten, und er 
felbft fie zur\lesten Nachtruhe unter feinem Dache er- 
mahnen mußte; denn ed war ihnen, als wenn er eine 
verborgene Kammer noch geöffnet hätte, wo unermeßli- 
che Schäge geiftlicher Kleinodien aufgefchlittet lägen, wel: 
che in vielfacher Erfahrung gefammelt und georbnet 
waren. 

Ein füßer Schlaf hatte Alte erquickt, da der Ein: 
fiedler am Morgen fie wedte und mit in feine Betftube 

30* 


468 


nahm. Heute redete er befonderd Fräftig im Kreiſe fei- 
ner Thiere, und flehete befonderd freudig den Schöpfer 
Himmels und der Erde und des Meerd und der Waſ— 
ferbrunnen an, daß. er feine fcheidenden Gaftfreunde mit 
dem Schatten feiner rechten Hand bedecken und gnädig- 
lich einen jeden in feine Heimath zurücgeleiten möge. 
Dann löfte er, wie gewöhnlich, den Kreis feiner Haus- 
thiere auf und bewirthete feine Gäfte mit der Frühkoft. 
Nachdem Alle fi) daran zur weitern Tagesreiſe erquickt 
und geftärft hatten, fprach Salmar zu Erwin, indem 
er ihn bei der Hand nahm: 

»Nun zuleßt muß ich doch noch Deine Bitte erfül- 
len, die Du fo freundlich an mich thateft und mir nicht 
vergeffen iſt. Ich will Euch in mein SHeiligthum füh- 
ren, folgt Ale mir nach!« — Mit diefen Worten winfte 
er feinen Gäften und ging mit Erwin voran, indem er 
fie auf vielen fleinernen Stufen in das Kellergefchoß fei- 
nes Hauſes führte, welches mit Lampen erleuchtet war. 
Hier öffnete er eine eiferne Thür, und ein langes Ge- 
wölbe that fich vor ihnen auf, welches, fehwach erleuch- 
tet, in den Hügel, an. dem dad Haus lag, hineinzu⸗ 
führen fchien. In Nifchen ruhten hier viele Pergament: 
rollen und. fanden manche Marmorbüften berühmter 
Männer des Alterthums. 

» Diefes ift meine Hausbibliothef,« fprach der Eine 
fiedfer, »ich habe fie auf meinen Reifen gefammelt, und 
wenn Ihr länger beimir geblieben wäret, fo hättet Ihr fie 
benußen koͤnnen, und fie würde und manchen Stoff zur 
Unterhaltung gegeben. haben. Nun aber fehlte die Zeit, 
und ich ließ Euch alfo nur aus dem Leben fehöpfen. Mit 


469 


Bielke habe ich früher hier viel ‚gearbeitet. _Nach mei: 
nem Tode kommt fie, ald Gefchent, in die große Buͤ— 
cherfammlung zu Upfala, zum gemeinen Nutzen bes 
ſchwediſchen Volks; fo wie es ſich auch an dieſen Buͤ— 
ſten des Alterthums dort einſt belehren und erfreuen moͤge. 
Doch laßt uns hier nicht verweilen!« — Mit dieſen 
Worten fuͤhrte er ſie ſchnell durch die hochgewoͤlbte Halle, 
und oͤffnete am Ende derſelben eine zweite Thuͤr von 
ehernem Guſſe und mit ſchoͤner, getriebner Arbeit bedeckt, 
welche aus der heiligen Geſchichte entlehnt war. 

Die Kuͤnſtler konnten ſie nur ſehr fluͤchtig betrach— 
ten; denn ein kreisfoͤrmiger Dom mit Rundgewoͤlben that 
ſich vor ihnen auf, und er nannte ihn ein Ueberbleibſel 
der alten Bauwerke. Das Licht fiel durch eine Kuppel 
von oben ein und ward in der langen Nacht durch eine 
herabhaͤngende Kryſtallkrone erſetzt. Der Altar lag nach 
Oſten, und beſtand aus einer einfach geſchliffenen Por— 
phyrplatte, welche von vier eiſernen Sphinxen getragen 
wurde. Inmitten des Doms unter der Kuppel ſtand 
auf einem Fußboden von Moſaik, in blendender Farben⸗ 
pracht, ein weißer marmorner Sarkophag, mit Flachbil⸗ 
dern aus der. fehönften griechifchen Kunftzeit geſchmuͤckt. 
Kinder fpielten hier mit Löwen und Amoretten, ritten 
auf blumenbefränzten Leoparden; Gentauren verfolgten 
bier feuerfpeiende Drachen und fällten fie mit feharfen 
Speeren; Hirten hüteten dort ruhig ihre Schafe auf blü- 
benden Wiefen; Kriegögetümmel umringte hier eine: be- 
lagerte Stadt, und dort fah man Braut und Bräuti- 
gam mit einer ‚hochzeitlichen Schaar fingend in den Zem= 
pel einziehen. Reiche Afanthusblätter umkränzten anmu⸗ 


470 


thig diefe Lebenöbilder, umd Alles war von meifterlicher 
Arbeit. 

Eben wollte Hubert voll Bewunderung über die— 
fen neuen, unerwarteten Kunftfchag den Mund öffnen, 
doch der Einfiebler legte den Finger auf die Lippen und 
verwies Alle damit zum Schweigen. Er drüdte an ei- 
ner Stahlfeder, und der Dedel des Sarges ſchob fich 
an einem Gewinde von felbft fehr leiſe zurüd. Ein 
zweiter Drud feiner Hand, und es erhob fich aus der 
Tiefe des Marmor ein andrer Sarg von fchwarzem 
Ebenholze, und in demfelben ruhte, auf Eöftlichen Pur— 
purfifien, im weißen Griechengewanbe, eine Sanftfchla- 
fende, hingeſtreckt wie in füßen Träumen. — Die eine 
Wange war noch zart geröthet, und der Bufen fchien fich 
unter dem Gemwande zu heben. Die holdefte Jugend 
war mit dem Ernft reiferer Sahre in ihrem Antlitz ge- 
paart. Eine heilige Stille, ein hehrer Friede umfloß die 
ganze Seftalt. Das Licht der Kerzen wirkte höchft an= 
genehm und belebend auf die edlen Gefichtszüge, indem 
eö die Kunft des Meifterd in Natur zu verwandeln ſchien. 
Ale in der Gefellfchaft hatten unwilltührlich ihre Hände 
gefaltet und ihre Kniee gebeugt; ihre Gedanken waren 
wie ein Gebet vor dieſem Bilde fo firenger und erhab- 
ner Schönheit. | 

Nach einer Pauſe ſprach Jalmar mit leifer, beben- 
der Stimme: »Das war meine Mutter!« 

»O mein Gott,« rief Erwin aus, »fo herrlich habe 
ich fie mir nicht gedacht! « 

»Und doch,« verfehte Salmar, »ift diefes Bild nur 
ein leichter Schatten ihres Lebens und eine ſchwache Er: 


471 


innerung ihrer himmlifchen Schönheit. Die Kunft Hat 
gethan, was moͤglich war; aber wer fie felbft gekannt 
hat, dem bleibt hier noch Vieles zu wünfchen übrig. Nie 
fah ich ihres Gleichen, und nun, Ihr Freunde, werdet 
Ihr mic verftiehen, und auch mir verzeihen, wie Gott 
verziehen hat alle meine Sünden. «— Die Künftler reich: 
ten ihm fchweigend die Hände, und Thraͤnen ftürzten 
aus ihren Augen. Hubert fchien am tiefften ergriffen, 
und betrachtete mit ftarren Blicken den ſchoͤnen Leich- 
nam. »O Menfchenhand,« rief er endlich aus, »was 
kannſt du doch Alles bewahren! Ohne dich wäre diefes 
MWunderbild des Schöpferd längft in Staub zerfallen. 
Nun bleibt es und ein Zeuge des Meifterd aller Schön- 
heit, des allmächtigen Gottes! « 

Prinz Erik fland am Fuße des Sarkophags und 
bliefte mit unausfprechlicher Freundlichkeit auf die ruhende 
Frau hin, als müßte er fich auf etwas befinnen, was 
vergangen fey. Die Züge Famen ihm fo befannt vor, 
er wußte aber die Aehnlichkeit nicht zu enträthfeln und 
forfchte bei fich felbft, wohin er fie bringen follte. Ende 
lich fprah er: »Sie gleichet ganz ber ſchoͤnen Syf⸗ 
hilda und ihrer. Mutter Nacht, wie fie mir im Trau— 
me erfchienen find. Das Muütterliche hat fie von ber 
Nacht, das Wunderbare von ber Syf.« Der Einfiede 
ler, wie ernft er geſtimmt war, mußte doch darüber laͤ— 
heln, und fagte: »Es mag wohl fo feyn, mein Prinz; 
denn als ich Euch das Maährchen erzählte, habe ich wohl 
bei der verjungten Syf und ihrer Mutter Nacht Vie— 
led von diefen Zügen entlehnt, welches der Traum noch 
weiter ausbilbete.» — » Ganz richtig,« verſetzte der Knabe, 


472 


»Deine Erzählung ſtimmt ganz mit dieſem Bilde über: 
ein! Darum machte fie mir auch fo viel Freude, weil Du 
fo etwas gefehn hatteft; denn das kann man nicht erfin- 
den und fich aufdenfen. « 

Kaspar hatte bisher gefchwiegen, wie in tiefe 
Gedanken verfenkt; nun aber rief er freudig: »Ihr habt 
Recht, mein Prinz, fo etwas kann man fich nicht auf- 
denken, denn ed hat Gott gemacht.« Der alte Biel: 
fe, welcher diefed Frauenbild fchon üfter gefehen hatte, 
lächelte lakoniſch-trocken, wie über befannte Dinge, die 
auch früher auf uns einen ähnlichen Eindrud gemacht 
haben, aber nun zu unferm gewohnten Xebensfreife ge= 
hören. Der Narr, welcher jede Rührung fcheute und 
feine Thräne fehen Eonnte, hatte ſich weggefchlichen. 
Bonnevil ſprach in kurzen, gewichtigen Erflamationen ; 
unferm Freunde aber fehlten durchaus die Worte für 
feine Empfindung, es war eine neue Welt an diefem 
Sarge in ihm aufgegangen und er mußte unmillführ- 
lich des Traums gedenken, da er in dem Dome das 
große Wort von Serenius aus dem XAltare hörte, 
und in das unendlich lange Kirchenfchiff voll immer flei- 
gender Pracht und Herrlichkeit hinaufgeleitet wurde. Es 
war ihm, als wenn fein Herz bier zerfpringen müffe, 
und er fehnte fich nach jener Kindeshand, welche ihn 
durch eine verborgne Thür in die Familienflube nach 
Straßburg und zu Hildegard heimführte. Das 
Leben felbft erfchien ihm an dieſem Sarkophag wie ein 
Traum, und jener Traum wieder wie dad Leben. Er 
betaftete den Ealten Marmor mit den reichen Flachbil- 

dern, um fich zu überzeugen, daß Died Alles wirklich 


473 


wahr ſey. Der Einfiedler war nad in den Altar 
getreten und ſprach zu der Berfammlung alfo: 

»An diefem würdigen Orte, geliebte Gaftfreunde, 
laßt und von einander fcheiden, und nehmt meinen Se— 
gen mit auf den Weg. Ich danke Euch für alle Liebe 
und Freundlichkeit, und für das unbedingte Vertrauen, 
das Ihr mir gefchenkt habt. Im irdifchen Xeibe wer— 
den wir und nicht wiederfehen; aber meine Augen find 
geöffnet: O Hubert, du Eunftgerechte Hand, wirft vor 
Könige und Kaifer treten, und Deine Werke werden ihre 
Kirchen und Paläfte ſchmuͤcken, und Deine glänzenden 
Schildereien werden auf ihre fpäteften Urenfel hinabrei- 
chen, und Deinen Namen groß machen in der Welt! 
Aber huͤte Dich vor ihrer falzigen Fluth, daß fie nicht 
mit unaufhörlichem Anfpülen Dein freundliches Herz 
anfreffe, und in Deinen weichen Sinn eindringe 
und Deine Kraft Dir mürbe mache; denn Dir ift ein 
hohes Ziel geftedt, Du folft die Gottesfurcht Deines 
Bolkes der Nachwelt in Bildern predigen und mit dem 
Munde der Farben Hallelujah fingen! Gürte Dich wie 
ein Mann! Sey wader und bete, daß Du würdig wer: 
deft, vor Deinem göttlichen Meifter zu ftehen! — Sonft 
fage ih Dir, Du wirft fallen und einen fehr tiefen Fall 
thun, bis daß. Du nicht wieder aufftehen Fannft!« 

»Kaspar, Du tiefinnige Blüthe Teutoniens, un: 
gebrochner Arm Deines flarfen Volks! Du wirft Wun- 
der thun mit Deinem Pinfel, der in Deiner Hand ein 
Stab Mofis wurde. Du wirft Unbegreifliches ans Licht 
ftellen, und im Dämmerfcheine Deiner Seele den Kin- 
dern biefer Welt das Werk Seiner Hände, das Werk der 


474 


ſechs Lage offenbaren. Du wirft fleigen in bie Jahr— 
hunderte mit Deinem Ruhm, und wenn diefe Zeit mit 
ihrem engen Herzen Dich nicht aufnehmen kann, wirft 
Du dagegen von der Nachwelt Blüthe hoch gepriefen feyn. 
Du wirft jedoch arm bleiben auf diefer Erdfcholle, Damit 
Du reich werdeft in Gott. Aber hüte Di vor Dir 
felbft, vergöttre nicht die Natur und gieb der frommen 
Liebe Raum! Dir ift ein großes Pfund anvertraut, gra= 
be es nicht in die Erde, fondern fey verftändig und ge: 
brauche es für Deinen Nächten! Laß es wuchern in 
der Gemeine! Ach, daß fie Dein würde, welche Dein 
Arm errettete, welche Dein Herz begehrt! Aber, ich fage 
Dir, gliedere Dich, und hide Dich in die Zeit, denn 
es ift böfe Zeit; fonft wird der Brunnen Deiner Tiefe 
aufbrechen und ihre Waffer werden Dich bald überfchüt- 
ten, und Deine Kraft wird von Dir genommen werben; 
denn Du bift ohne Liebe wie ein dürrer Aft, der keinen 
Saft hat!« Ä 
»Bonnevil, Du Rofe des Frankenlandes, feft 
fiehet Dein Bau, und hoch ragt Dein Thurm. Freund— 
fchaft ift Deine Sonne und fröhlicher Bund Dein Le— 
ben. Treue den Brüdern hielt Dein Herz feſt, Demuth 
dem Unbekannten fchmüdte Deine Seele; Treue vwoirft 
Du finden und Ehre wirft Du ernten; Könige werben 
in Deinen &empelhallen gekrönt, und Dein Name wird 
nicht welfen in Norblands Gefchichten. Setze nur auf 
Deine Thürme die Spike und mache dad Einfache nicht 
fraus! Mo nicht, fo wirft Du ein Ende wohl, aber kei— 
nen Schluß finden, und die todten Satungen der Zunft 
werben Deinen Namen überfchütten. Ich fage Dir, ent- 


475 


leide Di von dem Prunk Deines Volks und zeige 
ihnen die nadten Glieder der ewigen Kunft! Dann wirft 
Du flark bleiben im Herrn, und feft in der Macht feiner 
Stärke. « 

»Jung Erif, Eönigliches Blut, Seele ohne Falſch, 
lieben muß Dich Jedermann, wie einen füßen Saft des 
Herzens, wie eine duftende Blüthe der Anmuth. — 
Erif, Dein großer Ahn, der gute König Erik, fey 
Dein Vorbild zum geraden Wege! Deine Brüder wer: 
den herrfchen und fallen, kriegen und befiegt werben! 
"Dir ift vom Himmel ein befcheidned 2008 gefunfen; fey 
der Freund Deined Volks, fey ein König in Deinem 
Herzen, pflege Gerechtigkeit, übe Menfchlichkeit! Werde 
ein Mann gegen die Uebelthäter und bleibe immer ein 
Kind.vor Deinem bimmlifchen Vater, fo wirds Dir wohl: 
gehen und Du wirft lange leben auf Erden. Aus Dei: 
nem Samen wird ein großer Baum aufwachien, welcher 
ganz Swithiod überfchattet, das ift Dein Ruhm; 
verliere ihn nicht in fehnöder Sinnenluft und fchütte 
Dein Kleinod nicht vor die Hunde! Höre mid, Kind!« 

»Und Bielke, alter Freund meiner Jugend, wir 
pilgerten viel im Morgen- und Abendlande, wir fuchten, 
was wir nicht fanden, und wir fanden, was wir nicht 
fuchten. Der heilige Wächter war doch über uns, und 
nahm erft fpat die Binde von unfern Augen ab. Du 
magft irren, forach er, daß Du die Wahrheit lieben Ier- 
neſt; Du magft fallen, rief er, daß Dein Herz feft wer: 
de! Wohlen, er hat und aufgeholfen und wir werben 
ihn fehen, wie er ift. — Beharre nur bid and Ende, 
gründe Dich in Gott, und wir werden und wieberfehn, 


476 


wo feine Thränen fließen und alle Binden geldfet find. « 
»Erwin, Du Lebter, bift doch nicht der Letzte in 
meinem Herzen. Deine Bauhütte zu Straßburg grün 
det fich auf die heilige Drei und ragt über der Könige 
Haufe. Jachin und Boaz, dad Säulenpahr mit fei- 
nen Schlangenfnoten, Tnüpft das Geheimniß der Zahl 
und des Maßes, und trägt Dein Himmelögewölbe in 
Stärke, Weisheit und Schönheit empor. Du haft einen 
tiefen Trunk gethan aus Urdarbrunnen und bift ein Kind 
geblieben; Du wirft der Meifter aller Meifter heißen; 
denn ein fehr hoher Geift geleitet Di, und Deinen 
Thurm überbietet Keiner. — Er fteiget in die Wolfen 
und redet aus den Luͤften des Himmeld: das ift Geift 
Gottes, in die Steine gebildet; Sterblicher, bete fie an! 
Viel taufend Vögel in den Fugen fingen Dir einft ihr 
frühes Morgenlied, und der vorübergehende, ftaunende 
Wandrer fpricht: »Wer hat das gemacht?« — Deß freut 
fih Deine verflärte Seele, wenn Dein befcheidner Staub 
längft fchon ruht unter dem einfachen Steine, mit der 
erlöfchenden Schrift: »Erwin von Steinbad.« Eile 
bald zurüd! Freya gedenket Dein und Schön-Hil- 
degard wird Dich einft in ihre Arme fchließen,; da wird 
die Blume in Deinem Herzen aufbrechen, welche ihre 
Riefenglieder in den Himmel auöftredt, und dem Herrn 
Herrn duftet zum füßen Geruche! Ihre Blätter. bedeckt 
unendliche Bildfraft, und jeder Stein trägt die Spur des 
fröhlichen Meißels. Selig bift Du, weil Deine Seele 
gearbeitet hat mehr als alle, Du wirft ausbrechen und 
Deine Luft fehn an dem Wert Deiner Hände. Der 
Herr fegne Dich! Er ſey mit Dir! Amen! Amen!« 


477 


Der Einfiedler trat aud dem Altar und ſchloß un- 
fern Freund väterlich in feine Arme. Erwin fchluchzte 
an feiner Bruft und rief — »Es ift zu viel, ich habe 
e8 nicht verdient.« Prinz Erik ſchlang fich um ihn, in- 
dem beide von dem Einfiedler umfaßt und gefegnet wur: 
den. Dann eilte der Greis auch zu den andern Freun— 
den, und füßte und fegnete fi. Sie fanden um den 
offnen Sarkophag, und das heilige Mutterbild, in feiner 
hehren Ruhe, drüdte die Worte des Sohnes noch tiefer 
in ihre Herzen ein. Die Kerzen ftrahlten wunderbar auf 
die herrliche Geftalt, und ed mahnte fie, daß auch ihr 
Leben eine Geftalt gewinnen müfle. Salmar, nachdem 
er den Sarg wieder gefchloffen hatte, öffnete eine Sei- 
tenthür und führte fehweigend fie.aus dem Hügel in die 
freie Luft, wo die befpannten Schlitten ihrer fchon war— 
teten. Stark leuchtete der Nordfchein, und Fnifternde 
Flammen zogen bis über den Scheitel des Himmels. 
- Nur matt blinkten die Sterne hindurch, und eine eifige 
Luft wehte ihnen vom Pole entgegen. 


»Wo ift Joͤns?« fragte Erwin. »Da bin ich,« 
rief er, und umfaßte ihn von hinten. »Ich habe ihm er- 
laubt, bei mir zu bleiben,« fagte der Einfiebler, »und will 
einen Verſuch machen, ob die arme Seele zu heilen fey. 
Es fcheint ihm ein Ernft, und feine Liebe zu mir giebt 
Hoffnung. « 


»Ja, ich will Dein Knecht fenn,« rief der Narr, 
weder Erwin, noch Prinz Erik, können mid; beher- 
bergen; Du aber bift gut, und ich will ewig bei Dir 
bleiben. Wenn ich dann vernünftig werde, reifen wir 


478 


nach Deutfchland zum Meifter von Steinbach in 
Straßburg, und bleiben ba. 

»Nun denn, mein lieber Joͤns,« forah Erwin, 
bewegt ihn umarmend, »fo leb wohl und komm mit dem 
Weifen, Ihr follt beide bei mir gut Quartier finden. « 
Auh Erik umarmte ihn lebhaft und innig, und ber 
Narr fchlich ſchluchzend bei Seite. Noch einmal ſchuͤt— 
telten ſie dem edlen Jalmar, fuͤr alle Gaſtfreundſchaft 
ihm dankend, die Haͤnde, und beſtiegen eiligſt dann ihre 
Schlitten, mit Baͤrenfellen bedeckt, in Wolfspelze ſich 
huͤllend, indem ſie die Rennthiere zum ſchnellſten Laufe 
antrieben. Bielke war mit dem Heuſchlitten wieder ihr 
Wegweiſer, und in wenigen Minuten verſchwand die Ein— 
ſiedelei aus ihren Augen. 


Eilftes Kapitel. 


— — — 


Die Ruͤckreiſe der Geſellſchaft war unter Bielke“s 
Führung ſchnell und gluͤcklich, doch auf dem kuͤrzeſter. 
Wege und ohne merkwuͤrdige Ereigniſſe. Ein Jeder 
war, nach Allem, was man geſehen und gehoͤrt hatte, 
ſtill und in ſich gekehrt. Ein Jeder wuͤnſchte ſich an ſei— 
nen Ort, um durch gewohnte Thaͤtigkeit mit der Au— 
ßenwelt und dem alltaͤglichen Leben ſich wieder auszu— 
gleichen. Alle fühlten durch dad Zuruͤckbleiben des Nar- 


479 


ren eine Art von Luͤcke, da fie ſich ſchon an ihn fo ge— 
wöhnt hatten, und feine hbumoriftifchen Einfälle, wie ein 
Sauerteig im Brote, fie anregte und vereinigte. Nie— 
mand mochte fi preisgeben, als er allein, Niemand 
ſich auslachen laffen, und fo ward Sedem auf feine 
Weiſe die abgefchloßne Vernunft zur Laſt. Man fühlte 
deutlich, durch die Entfernung des armen Joͤns be- 
lehrt, wie das menſchliche Leben neben. dem reinen 
Facit aus einer irrationalen Größe beftehe, welche eben 
nur ausgefprochen werben müffe, um die Rechnung fort: 
zufegen und, wenn's Glüd gut wäre, durch andre wis 
gige Irrationalitäten wieder aufzuheben fey. Offenbar 
war er unter ihnen der Geiftreichfte, wenn er auch kei— 
nen Berftand befaß, und Bonnevil erflärte laut, daß 
feither Keiner einen Spaß zu machen verftehe. Prinz 
Erik klagte über Langeweile, und Erwin entbehrte 
die reine Zheilnahme an feinem Innern, welche ihm 
in dem Grade Niemand, ald der weile Salmar, aus 
Ger dem armen Joͤns gegeben hatte. So grenzt der 
höchfte Verftand an den Unverftand, und Erwin ſprach 
in halbem Scherze: »Ic bin nun der verlaffenfte und 
bedürftigfte Menfch geworden ; denn meine beiden be- 
ften Freunde wohnen am Nordpol, und find für mid) 
todf. « | 

Der alte Bielke, nachdem er die Reifegefährten 
bis zu befannten Gegenden durchgelootfet hatte, begab 
fih nun nach Upfala zu Serenius, feinem Herrn, 
zurüd, und ihm folgte Prinz Erik, der zu feinem Ba- 
ter dort an den Hof mußte, und ſich fhon über feinen 
Urlaub verfpätet hatte. Auh Bonnevil, Hubert 


480 


und Kaspar begleiteten ihn, weil Erfterer den Dom- 
bau leiten mußte, und Xebtere bort beftellte Gemälde 
anzufertigen hatten. Alle wollten auh Erwin bere- 
den, ihnen dahin zu folgen, und bis zur Hochzeit der 
Prinzefjin dort zu bleiben. Bonnevil ließ mit Bit: 
ten nicht nach, indem er ihm die Nothwendigkeit feiner 
Gegenwart. bei dem Dombau dazu noch in die Wage 
legte. Auch der alte Bielke befhmwur ihn,, feinem 
Erzbifhof Serenius die Freude zu machen, da der- 
felbe ihn fo gern um ſich habe, und nach Verdienft ihn 
ehren würde. Erwin blieb aber feft bei feinem Vor— 
faße, nicht nach Upfala zu gehen; denn er fürchtete 
das Aufbrehen alter Wunden, die faum noch ver= 
harrſcht waren, und hatte auch die erlittene Kraͤnkung 
von Birger-Jarl noch nicht ganz verfehmerzt. Prinz 
Erik ward bei feiner Weigerung am Ende ftille und 
nachdenklich, ald wenn er das Hinderniß fühle, und 
fiel ihm um den Hals, indem er ausrief: »Ja, ich 
kann e8 Dir nicht verdenken, fie haben Dir in Bielbo 
zu viel Leides gethan, und Schwefter Freya muß fich 
ihren treuen Marfhall aus dem Kopfe fchlagen, denn 
fie fol und muß Königin werden. Ziehe nur fürs erfte 
nach Deinen guten Mönchen bei Chennefulle, und 
bete dort für und Alle; auch grüße mir fchönftens den 
wadern Müller, dem ich Brüderfchaft anbieten. laſſe; 
denn er hat ein Fönigliches Herz, und größer, ald mein 
Bruder Waldemar. Bei der Hochzeit aber: darfft 
Du uns nicht fehlen, hörft Du!« 

»Ach, ich koͤnnte gern mwegbleiben, « verfeßte Er⸗ 
win, »wenn ich es nur nicht verſprochen haͤtte.« 


481 


»Meinſt Du, Süßer,« rief der Prinz, »und woll⸗ 
teft der Schwefter nicht den letzten Dienſt thun? Wie 
follte fie ohne Did in den Steigbügel fommen, und 
die Straße nach Norwegen reiten? Nein, fo undankbar 
wirft Du nicht feyn, ich kenne Dich zu wohl, mein ed⸗ 
ler Baumeiſter.« — 

Erwin laͤchelte ſchmerzlich, und da ſie eben zu⸗ 
ſammen wieder auf dem koͤniglichen Jagdhauſe am 
Maͤlar-See waren, und vor dem hohen Portale ſtan— 
den, um abzureiſen, ſo blickte er nach ſeinem Flach— 
bilde hinauf, wo die hinſinkende Schoͤne ihn nur zu 
lebhaft an das Vergangne erinnerte, und ſein ent— 
ſchwundnes Gluͤck ihm ſchmerzlichſt in die Seele druͤckte. 
Thraͤnen fuͤllten ſeine Augen, er nahm ſich zuſammen, 
und beſtieg, nach kurzem Abſchiede von den Freunden, 
ſeinen Schlitten, indem er dem Fuhrmann gebot, zur 
Seite von Upſala auf die Straße nach Broſoͤ von 
Weſtergoͤthland zu fahren. 

So war unſer Freund denn wieder ganz allein, 
und langte nach einigen Tagereiſen bei dem Karmeli— 
terkloſter an, welches am Fuße Chennekulle's liegt, 
und mit dem immergruͤnen Kranze dunkler Fichtenwäl- 
der umfchloffen ift; da ward ihm erft wohler und freier, 
und ald er dad neue Gebäude ſchon aus der Ferne 
hervorfteigen fah, welches fich im Abendlichte glänzend 
gegen die dunkeln Wälder abfeßte, und feinen Riß 
ihm fchön verwirklichte, fo fuhr er gemüthlich wie ei: 
nem alten Bekannten zu, der ihn längft fehnlichft er- 
wartet hatte. 

Der Abt Thiodolph und feine Klofterbrüder 

Erwin von Steinbach. II. 31 


482 

nahmen ihn mit offnen Armen auf, und führten ihn 
frohlodend in ihre neue Kirche, welche ſchon fertig und 
zum otteödienfte eingeweiht war, wenn gleich bie 
Flügel des Kloftergebäudes noch unvollendet fanden. 
Er ward von der einfahen Größe der Berhältniffe 
und von der klaren Zufammenftimmung der Bauglieder 
felbft überrafht, und lobte die Arbeit der Steinmeßen, 
welche dort gegenwärtig waren, und fchon in Bielbo 
unter ihm gedient hatten. Sie freueten ſich fehr fei- 
ned Beifalls, welchen er nie ohne Grund außtheilte, 
und ſprachen: »Das haben wir allein Euch zu dan— 
fen, Obermeifter, der und den Steinfchnitt gelehrt 
bat. « 

Die Abendhora nahm eben ihren Anfang; der Abt 
lad eine Meffe, und der Chorgefang erfüllte das Schiff 
der Klofterficche mit ernfterhebendem Wohllaut. Er: 
win hatte fih neben einigen Steinmeßen auf einer 
Bank niedergelaffen, und die Bauglieder der Pfeiler 
und Kreuzgewölbe fchienen ſich im Chorgefange wie 
vor feinen Augen zu befeelen und zu bewegen. Er 
hatte lange dieſes Genuffes entbehrt, und neu ergriffen 
ihn daher diefe Melodieen mit aller Gewalt religiöfer 
Begeifterung. Er fühlte wieder, was der gefellige 
Gottesdienft in einer Gemeine fey, die fich allein dem 
Himmel gewidmet habe, und nicht weiter auf diefer 
Erde will, als ihre Seele löfen. Er wuͤnſchte ein Glied 
in ihrer Mitte zu feyn, und war bemüht, Alles hinter 
fi) zu werfen, was einen unruhigen Wellenfhlag noch 
in feinem Herzen verurfachte. »Ach, daß ih fo arm 
wäre, wie Ihr,« fprach er zu dem freundlichen Abte 


483 


beim Hinausgehen; »denn nun erft verftehe ich, was 
es heißt: Selig, die geifllic arm find, denn das Him- 
melreich ift ihr.« — Der Abt Flopfte ihm Yächelnd die 
Wange, und führte ihn in dad neue Refeftorium, wo 
ein wohlſchmeckendes Abendeflen aufgetragen war, wel- 
ches noch mehr mit altem Weine gewürzt wurde. Da 
Ermin es fich, nach der Falten Reife, unter den Mön- 
hen wohlfhmeden ließ, und feine Zunge bei dem gu: 
ten Weine beredeter wurde, ſprach der Abt Thio— 
dolph: »Nicht wahr, mein Sohn, auch hier ift Wohl— 
feyn, darum denke ich: das Eine thun, und dad Andre 
nicht laſſen! Dem Reinen ift ja Alles rein, und felbft 
der Apoftel Paulus empfiehlt dem jungen Zimo- 
theus öfters um feines ſchwachen Magens willen ein 
Glas Wein zu trinken. So halten wir es, unbe- 
ſchadet unfrer geiftlichen Armuth und heiligen Regel, 
wenn wir einem Gaftfreunde davon mittheilen Finnen. « 

Erwin war nach einigen Tagen ſchon unter den 
frommen Mönchen wie einheimifch geworden, und lei— 
tete den Neubau des Kloſters mit raftlofer Thätigkeit. 
— Es ging Alles unter feiner Auffiht auch noch ein- 
mal fo rafh von Statten. Die jungen Steinmeßen 
fuchten fich unter einander zu übertreffen, um feinen 
Beifall zu gewinnen. Was die heiligen Wäter mit 
allen Ermahnungen und Verſprechungen nicht hatten 
erreichen koͤnnen, das wirkte fein leiſes Meifter - Wort, 
und die Mauern der Flügel fliegen zufehends, wie von 
einem Bauberfchlage, empor. 

In die große Steinmebzunft war wieder wie eine 
neue Geele gedrungen, und da die Maurer erfuhren, 

31* 


484 


daß der Meifter Erwin da fey, fo ftrömten fie ſchaa— 
renweife herbei, um ihre Dienfte ihm anzubieten, und 
unter ihm am Karmeliterflofter zu arbeiten. Denn 
Alle, die in Bielbo gewefen waren, liebten ihn wie 
einen Vater, und ein Ieder fühlte fich geehrt, feine 
Befehle zu empfangen. Die freundlichen Mönche fonn- 
ten fie lange nicht Alle unterbringen, und mußten Biele 
wieder gehen laflen. Es war, ald wenn ein Eleines 
Heer mit Steinart und Hammer das ftille Klofter um- 
lagert hätte, und ded Hauens und Klopfend war von 
früh Morgens bis fpät Abends Fein Ende. Wort, 
Zeichen und Handſchenk liefen fröhlich in die Runde, 
und eine große Brüderfchaft trat wie auf einen Wink 
zufammen. Der Abt betrachtete diefes neue Leben mit 
Mohlgefallen, und ſprach lächelnd zu Erwin: »Mei- 
fter, es ift faft, ald wenn Ihr ein König wäret; denn 
Euer Volk ift zahlreich und getreu, auch fehlt es ihm 
nicht an fcharfen Waffen, welche auf Euer Gebot mu— 
thig gefhwungen werden, und Eure Loſung kann Nie- 
mand lernen, ald der zu den Eurigen gehört.«e Er: 
win erwiederte: „Biel fehlte nicht, fo würde ih von 
Neuem darum ded Hochverraths angeklagt, und als 
ein Verbrecher ind Burgverließ geworfen, ja, müßte 
meinen Kopf auf dem Schaffot verlieren; denn die 
großen Herren begreifen nicht, was die brüberliche Liebe 
will. Gleich wittern fie nur Aufruhr, wo ein Haufen 
Menfchen in fröhlicher Arbeit einträchtig zufammentritt 
und einer verftändigen Führung fich rühmt. Davor aber 
follten fie fich nicht fürchten; denn die Bruderliebe ift, 
gleich wie bei diefem Klofter, in allen ihren Thaten 





485 


immer aufbauend und orbnend! Dagegen find die heu— 
cheinden und fhwänzelnden Hoffchranzen deſto mehr 
zu fürdhten, weil fie nur das Gute untergraben, nie- 
derreißen und verwirren, um babei im XZrüben zu 
filchen. « 

»Ich Fann es Euch nicht verdenken,« ermieberte 
der Abt, »daß Ihr von dem Vorgange zu Bielbo 
eine bittere Empfindung zurüdbehalten habt; doc) dient 
ed zu unferm Beften, daß einmal durch Euch die gute 
Sache fiegte, und der fchwebifche Stolz gebrochen 
wurde. Es hat Eure Rechtfertigung auf alle redlichen 
Männer einen tiefen Eindruck gemacht, und fürd Erfte 
wird die Lügenbrut wohl nicht wieder ihr Haupt erhe⸗ 
ben fünnen. So laßt Euch das dargebrachte Opfer 
zur gemeinen Wohlfahrt nicht gereuen!« 

»Das ift Alles wahr,« verfegte Erwin; » Doch 
giebt es Dinge, welche Feine rauhe Berührung er: 
tragen koͤnnen, fondern gefchont werden müflen, wenn 
fie nicht auf immer zerbrochen werden follen. « 

Der Abt nidte beifällig mit dem Haupte, und es 
war nicht weiter die Rede Davon; doch fuchten die gu— 
ten Klofterbrüber alle fehmerzlihe Erinnerungen bei 
unferm Freunde, welder num erft zum ruhigen Nach— 
denken über dad Gefchehene Fam, durch das Liebreichfte 
Zuvorfommen und die forgfältigfte Herzenöpflege zu 
verwifchen. E5 gelang ihnen auch damit fo wohl, daß 
er gegen die größere Welt völlig frei wurde, und das 
Erlittene mit feiner Eigenthümlichkeit fo weit wieder 
ausgleichen Fonnte, um offen darüber zu reden. Doch 
blieb ein Weh in feinem tiefften Herzen zurüd, wel⸗ 


486 


ches er nur feinem Schöpfer Flagen, und davon er auf 
Ihwedifhen Boden nicht geheilt werden Fonnte. So 
gewiß ift die Eitelkeit aller irdifchen Dinge, und fo 
thöricht ift das Menfchenherz, das einen unbedingten 
Werth auf das fichtbare Schöne legt! 

Die Kunftthätigkeit Erwins ward nun wieder 
vielfach in Anſpruch genommen, ſo daß er von dem 
Kloſter aus manche Reiſen in die Umgegend machen 
mußte, theils um die begonnenen Bauten nachzuſehen, 
theils um an Ort und Stelle zu Schloͤſſern und Ka— 
pellen neue Riſſe anzufertigen. Er war durch den 
vollendeten Schloßbau zu Bielbo gewiſſermaßen in 
die Mode gekommen, ohne es zu wuͤnſchen; ſo daß je— 
der Graf und Ritter in Weſtergoͤthland, der etwas 
zu bauen hatte, keinen andern Meiſter haben wollte, 
als ihn. Seine wiederholte Entſchuldigung, daß er 
mit dem neuen Karmeliterkloſter genug zu ſchaffen habe, 
und ohnehin dieſe Provinz naͤchſtens ganz verlaſſen 
wuͤrde, um zu ſeinem Kirchenbau nach Lund zuruͤck— 
zukehren, wollte nichts fruchten. Man drang von al: 
len Seiten fo lange in ihn, bis er verſprach, wenig: 
ſtens den Hauptplan anzufertigen; und felbft der freund: 
liche Abt Thiodolph bot dazu die Hand, indem er 
fi) feiner feltenern Gegenwart befchied, und für Die 
Nachbarn ihn zu gewinnen fuchte. 

So ging die Ruhe, welhe Erwin bei den Klo— 
flerbrüdern fi) ausgerechnet hatte, um feine Seele zu 
flilen, fehr in die Brüche, und ein zerftreuungsvolles 
Leben trat ungebeten an die Stelle. Er war plößlic) 
wieder mitten in der Welt befangen, und zwar in ei- 


487 


ner flachen, alltäglichen Welt, welche feinem Herzen 
feine Freude, und feinem Geifte Feine Nahrung geben 
konnte. Man rebete zu ihm öfter über die Vorfälle in 
Bielbo, man pries bald feine Standhaftigfeit und 
Unerfchrodenheit, bald die Weisheit des Erzbifchofs von 
Lund, bald die zuruͤckkehrende Gerechtigkeit des Her: 
309: Regenten, und feinen Edelmuth, um alles Ber- 
Iegende wieder gut zu machen, nachdem die Verlaͤum⸗ 
ber ihre Strafe empfangen hätten. Die ganze Sache 
ward ihm bald dadurch fo abgedrofchen, daß er nichts 
mehr davon hören mochte; und alle fehmerzlihen Ein- 
drüde jener Zeit hatten fi gewiflermaßen abgeftumpft 
und bei ihm verwifcht, da er hiedurch eine hiftorifche 
Derfon geworden war, und in den großen, verworrenen 
Gang des politifchen Lebens mit verwebt wurde. So 
konnte er bald über ſich felbft, wie über einen Dritten 
reden, der ihm wenig oder nichtö mehr angehe; ba= 
durch that ihm die Welt einen unbewußten und un: 
erwarteten Dienft, welchen die frommen SKarmeliter: 
mönde mit al’ ihrer Seelforge ihm nicht leiften 
fonnten. 

Auf feinen Audflügen in die Umgegend befuchte 
er denn auch öfter Chennefulle, und befah fich das 
im Winterfroft flarrende Land und die weiße Fläche 
des Weners, indem er unter Reifgehängen den Gipfel 
des Berges beftieg, und babei vergangner, fo feliger 
Stunden gedachte. Die zerbrochne Birke auf der Höhe, 
welche durch den Sprung feines Roffes gefnidt wurde, 
ald er mit Freya fich durd die Feinde ſchlug und 
verwundet heimkehrte, war ihm fo lieb und bedeutend 


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geworden, wie ein Markitein feines Lebens, und er 
gedachte lebhaft der heitern und trüben VBerhängniffe, 
welche fich daran reihten. Auf der Felfenplatte, wo fie 
faß, da er ihr Hildegards Brief lad, pflegte auch 
er jest unwilltührlich auszuruhen, wenn er den Berg 
hinabſtieg, um in feinen Zräumereien ſich zu vertiefen, 
bis die Sonne hinter der Eiöfläche des Sees hinab: 
ſank; alfo eilte er einft, überfchüttet durch Die Reifger 
hänge der Bäume, nah Brofd hinunter, wo er fei- 
nen Schlitten ftehen ließ, und ging im Abenpdlichte 
durch dad uralte Thor mit den Edda-Bildern, und 
gedahte wehmüthig dort des erften Eintritt3, als 
Freya, an feiner Seite reitend, ihm jene merfwürdi- 
gen Flachbilder erklärte. Der Burghof war feit König 
Eriks Tode faft wüfte geworben, langes Gras wuchs 
zwifchen den Pflafterfteinen dur den Schnee auf, und 
nur der alte Gärtner fam ihm aus dem verfallnen 
ZTreibhaufe entgegen, und begrüßte ihn mit Thränen. 

„Es ift Alles anders geworden,« fagte Erwin. 
»Ja wohl,« verfeßte der Gärtner, »die luſtigen Gelage 
haben hier ein Ende, die armen Leute haben ihren 
Freund verloren, dad Volk feinen Vater, die Gewaͤchſe 
ihren Pfleger; der alte, gute König hat feinen Frie— 
den mit binaufgenommen, und wir Alle ftehen hier 
verwaif’t. Auch Ihr, Herr Ritter und Obermeifter, 
jeyd hart angefochten, gottlob, daß die Wahrheit an 
den Tag Fam, und Ihr den Sieg davontrugt.« «. 

Erwin drüdte dem Alten die Hand, und ließ ſich 
von ihm in das Schloß führen. Die Säle. ftanden of: 
fen, ald wenn Jemand eben auögezogen fey; bas Schlaf: 


489 


— — — — 


gemach des alten Koͤnigs, wo Erwin ihn zuletzt in 
ſuͤßer Ruhe noch geſehen, und einen Kuß auf ſeine 
ehrwuͤrdige Hand gedruͤckt hatte, ſtand leer und ver: 
oͤdet. Ein alter, roftiger Säbel hing nody an der 
Wand, und einige zerbrocdhne Schilde lagen im Winkel; 
denn die brauchbaren Waffenftüde hatte man nach 
Bielbo gebracht. 

Das heißt: »Es hat ein Ende,« ſprach Erwin, 
und eilte, von mannichfaltigen Empfindungen bewegt, 
aus dem Schloffe und aus der Burg: hinweg, nachdem 
er dem alten Gärtner, ber fehr beduͤrftig "fchien, ein 
Stud Geld in die Hand gebrüdt hatte. Von den 
Segnungen ded Alten begleitet, fuhr er im ſchnellſten 
Trabe auf der geglätteten Bahn zu dem MWaffermüller, 
feinem Freunde, welchen er zu befuchen bisher noch 
feine Muße gefunden hatte. Won fern febon hörte er 
dad erfreuliche Klappern der MWafferräder, und da er 
in dad Muͤhlthal hinabfuhr, fah er, ftatt der alten 
Wohnung, ein neues Gebäude aufgerichtet, welches 
ihm feft und heiter entgegenblidte, und daran das 
Mühlrad ging. Sogleich erkannte er darin feinen Riß 
wieder, und ward froh, daß Alles ſchon vollendet fey. 
Die Familie war mit dem Müller eben beim Mahlen 
befchäftigt, und erblidte ihn erft, als er in die Stube 
trat. Es gab einen großen Subel, ihren Baumeifter 
wieder zu fehen. Der wadre Müllermeifter umarmte 
ihn zuerft und kuͤßte ihn herzlih. Frau und Kinder 
Schlangen fih um fie ber, und ein Jedes wollte gern 
an ihm einen Theil haben, als fey ein alter Freund 
und Gönner nad) langen Jahren zu ihnen heimgekehrt. 


490 





„Mie geht Eure Mühle?« fragte Erwin nad den 
erften Begrüßungen. 

»Da feht die vollen Säde,« verfeßte lachend der 
Müller; »fie fchafft noch einmal fo viel, als die alte, 
und das Werk Iobt den Meifterr. Das Mehl ift das 
feinfte in der ganzen Umgegend, und die Zahl der 
Kunden hat fi um das dreifache, feit fie fchafft, ver— 
mehrt. Ihr habt den Segen über mein Haus ge: 
bracht, und Seder will nun von der Erwind: Mühle 
fein Mehl haben. Das giebt nun zwar Brotneid, 
doch find Schon manche Zunftgenoffen hier gewefen, um 
fih das Modell zu nehmen, und darnad ihr Getriebe 
zu verbeflern, was ich ihnen benn auch nicht wehre, 
und fo werden fie bald wieder meine guten Freunde 
feyn; Euch aber bleibe ich für mein Leben verfchuldet.« 

»Niht doch,« rief Erwin, »ich bleibe in der 
Schuld der Eurige, und Ihr müßt nit fo ſtolz in 
Eurer Demuth feyn, um diefes von Euch abzumeifen. 
Shr habt mir dad Leben gerettet und die Ehre wieder 
bergeftellt, was doch mehr gilt, ald ein Muͤhlenriß. 
Was fol ich Euch dafür bieten, al$ mein Herz und 
meine unwandelbare Brüderfchaft.e — »Ich nehme fie 
an,« verfeßte der Müller, und fchlug in feine Hand 
ein. »Der Schag, Euer Bruder zu feyn, ift nicht 
mit Silber und Gold zu bezahlen, und fo wollen 
wir nicht mit einander rechnen über das Mehr und 
Minder. « 

„Ja,« ſprach die Müllerfrau, »Ihr ſeyd unfer 
Wohlthaͤter geworden, und was noch mehr ſagt, unſer 
Freund; ſo bleibet eine Zeit bei uns, und laßt es Euch 


491 


gefallen in umfrer Enge! Denn mein Mann hat faft 
alle Tage von Euch geredet, und ift des Ruhmes der 
Deutfchen voll, die, wie er fagt, eben fo treu ald ge: 
fhidt find. Ein rechtes Verlangen hatte er nad) Euch; 
nun gewährt ihm Eure Gefellfhaft, fo lange Ihr könnt 
und mögt!« 

Erwin fühlte fih wie zu Haufe, und mußte fi) 
fogleih mit ihnen an den Tiſch feßen, da das Abend: 
effen fohon aufgetragen war. Die Kinder thaten an 
ihn hundert Fragen, welche er nur halb beantworten 
fonnte, und der Müllermeifter trank ihm zu aus dem 
beften Starkbier im filbernen Becher, welches, ölicht 
und Far wie Wein, feine geiftigen Kräfte an unferm 
Freunde bewährte. Er ward fehr fröhlich unter diefen 
fhuldlofen Menfhen, und erzählte viel von feiner Hei- 
math, wie von feinen alten Eltern, welches fie mit der 
berzlichften Theilnahme anhörten, und immer mehr da- 
von wiflen wollten. Das Herz lag ihm heute auf der 
Zunge, und was er ihnen von dem treuen Konrad 
und ihrem Jugendleben fagte, rührte fie ganz befon- 
derd. Alle bedauerten, daß er ihn nicht habe nad) 
Schweden begleiten koͤnnen, und auch noch immer 
zu Haufe nicht verheirathet fey. 

»Den müßt Ihe warm halten,« fprach die Frau; 
„denn ein folcher Freund ift ein großer Schaß, und wer 
Gott fürchtet, wie Ihr, der erlangt einen folhen Schaß, 
und bewahrt ihn auch. « 

»Mo find denn Eure Freunde, die Maler, geblie: 
ben?« fragte der Müller. »Das waren auch wadre 
Leute, ihre fhönen Bilder und Gaſtgeſchenke erinnern 


492 


— — 





uns noch taͤglich an ſie, und wenn ſie uns auch kein 
Brot ins Haus ſchafften, wie Ihr, ſo machen ſie doch 
oft unfre Augen hell. Der Eriks-Kopf und der 
Mafjerfall werden von allen Leuten bewundert und ges 
priefen. « 


Erwin erzählte, wie er mit ihnen nach dem Norb- 
pol zu dem Einfiedler gereift fen, was fie dort alles 
gefehen und gehört, und wie fie auf dem Wege nad) 
Upfala von ihm fich getrennt hätten, um einiges Be— 
ftellte zu malen, und dann in Bielbo wieder mitihm 
zufammenzutreffen. Der Müller fchüttelte den Kopf 
und fprah: »Ihr Künftler ſeyd doch ein unrubiges 
Voͤlkchen und wie die Zugvögel, welche allenthalben 
fommen und nippen, und dann wieder weiter fliegen; 
doch habe ich es in meiner Jugend nicht beffer gemadht. 
Nun rühme ich mir den eignen Heerd, und bedanfe 
mich ſchoͤn für die Reife nach dem Nordpol, wie weife 
auch der Jalmar feyn mag; denn ich entfinne mid) 
feiner aus meiner Kindheit, als eines ftattlichen und 
friegserfahrnen Herrn an König Eriks Hofe. Alle 
bedauerten fein großes Unglüd, da er feinen Vater: 
bruder erflach, denn er war nichts Beſſeres werth. So 
viel iſt's, Ihr koͤnnt viel zu Haufe erzählen, und das 
macht beliebt bei den Menfchen. Doc das Feinfte 
und Befte ift doch immer unter Weib und Kindern, 
wo Furcht Gottes im Haufe wohnt. Darum fchlagt 
Euch alle fchöne Pringeffinnen aus dem Sinne, wie 
hoch auch fie Euch ehrten, und nehmt Euch bald eine 
gute bürgerlihe Frau, wenn Ihr nah Straßburg 


493 


heimfehrt! Dann werdet Ihr noch oft an den Rath 
des fchwedifchen Waffermüllers denken. « 

Erwin blieb bei diefen einfachen Leuten mehrere 
Tage, und ließ ſich's wohl feyn unter ihnen. Der 
Müller erzählte ihm viel von dem ſchwediſchen Volks— 
leben, woraus er zum erften Mal deutlich erkannte, 
daß der ffandinavifhe Stamm ein Bruder des deut— 
fchen fey, da gleiche Tugenden der Biederfeit,. Fröm: 
migfeit und- Mannhaftigkeit fie fhmüden, und gleiche 
Treue für König und Waterland ihres Lebens Puls ift. 
Nun Eonnte er es fih auch erklären, was ihn fo mäch- 
tig nach diefem Lande hinzog; denn ed war der Zug 
wie zu einem älteren Bruder hin, und der hohe Nor: 
den hatte ihm die Aehnlichkeit feiner Familienzüge durch 
den geftählten Geift nur noch anziehender und bedeu— 
tender gemacht. Was in Deutfchland vermorren durch 
einander braufte und, mit welfcher Sitte vermifcht, in 
ein lügenhaftes Wefen entartete, ftand bier noch im 
Volke rein, vol urfprüngliher Wahrheit in den ewi- 
gen Geberden, und erinnerte an eine frühere, heilige 
Zeit, da auch beide Sprachen noch fo eins waren, daß 
fie auf ihren Kriegsfahrten von ihren Schiffen herab, 
mit gleicher Zunge brüderlich zu einander reden Fonn= 
ten. 

Unterdeffen hatten fich die guten Moͤnche des Kar: 
meliterflofterd um Erwin fehr beunruhigt, und Boten 
nach allen Seiten ausgefandt, da Niemand wußte, wo 
er geblieben war, und fein langes Verweilen auf ein 
Unglüf zu deuten fihien; er pflegte ftet3 Abends von 
feinen Baureiſen zu ihnen zurüdzufehren, oder hoͤch— 


494 


ſtens eine Nacht auszubleiben; fo dachten fie an Bä- 
ten und Wölfe, die ihn zerfleifcht, oder Räuber, die 
ihn mit fi weggefchleppt und in die Hände feiner 
Feinde geliefert hätten; denn der Anhang des Nitters 
Hugh war mächtig, und die Erbitterung gegen Er— 
win groß. Als fich demnach zwei Klofterbrüder enb- 
lich bei dem Waffermüller einfanden, um fich bei ihm 
nach feiner Spur zu erkundigen, fo wurden fie aufs 
Angenehmfte überrafcht, da fie Erwin gemüthlich hin- 
ter dem Tiſche fißen fahen, und diefer ihnen freundlich 
entgegeneilte. Sie machten ihm liebreihe Vorwürfe, 
daß er, bei feinem längern Ausbleiben, Feine Kunde 
von fi) gegeben habe, und erzählten, daß unterdeffen 
ein Brief mit herzoglichem Siegel an ihn von Upfala 
angelangt fey. Der Ueberbringer habe denfelben durch— 
aus in feine eignen Hände liefern wollen, da aber Nies 
mand feinen Aufenthalt gewußt, dringend gebeten, ihn 
aufzufuchen, und fofort ihm das Schreiben des Der: 
zog-Regenten zu übergeben, da ed wichtige Dinge 
enthalte. 

Erwin, welcher ſich über fein Schweigen ent— 
fhuldigte, ward durch diefe Nachricht einigermaßen 
beunruhigt, und eilte am andern Morgen mit den gu— 
ten Mönchen zurüd in ihr Klofter, indem er von dem 
Müllermeifter und feiner Familie einen fehr innigen 
Abfhied nahm. »Ob ih Euch auf Erden wiebderfehen 
werde,« ſprach er gerührt zum Müller, »das liegt in 
Gottes Hand; aber will einer Eurer Söhne die Baus 
Funft erlernen, fo fendet ihn mir nah Straßburg, 
ih will ihn in mein Haus nehmen, er fol Alles frei 


495 


bei mir haben, und, ich hoffe, er foll ein tüchtiger Mei- 
fter der edlen Steinmeszunft werden. Dann fende ich 
ihn Euch ausgelernt und ausgeſchenkt zurüd, wenn: 
Ihr ihn nicht felbft von mir abholen wollt. Das 
fol mein Brudergruß und mein Danf an Euch feyn.« 

Der Müllermeifter ſchloß ihn feft an feine Bruſt 
und rief: »Das muß wahr werden, wenn Gott will 
und wir leben, denn mein Swen,« auf den älteften 
Knaben deutend, »denkt, feit Shr hier gewefen feyd, 
an nichts, ald an Baukunſt, und redet immer von der 
Gtüdfeligkeit, eine Kirche errichten zu koͤnnen, wie Ihr 
zu Zund.« 

»MWohlan,« rief Erwin, der den achtjährigen 
Knaben, welcher ihn unverwandt mit glänzenden Au— 
gen angeblickt hatte, zu fich aufhob und Füßte, »wohlan, 
mein Swen, lerne erft Dein Chriftenthum, und dann 
fomme zu mir, ich will felbft Dein Lehrmeifter und 
Pflegevater feyn, es fol Dir an nichts mangeln bei 
mir, ald« — er fah die Mutter an — »ja, das Fann 
ich Dir nicht geben; aber Du wirft es hier wieder- 
finden, wenn Du fromm bleibft.« — »Doch,« fagte die 
Müllerin in Thränen, »Ihr werdet Euch eine Frau 
nehmen, und die wolle ihm Mutter feyn, wenn er 
fromm bleibt! « 

»Das will ich,» verfehte Swen feft, »und zu Dir 
fomme ich gewiß, nachdem ich die Sahre habe und ge- 
firmelt bin.«e Die Familie weinte, dem Müller glänzte 
eine fchöne, männlihe Thraͤne in feinen großen, hell: 
blauen Augen, welche aber nicht zum Herabfinten Fam. 
Die Eleinften Kinder klammerten fih Erwin an, als 


496 





wenn fie ihn nicht laſſen wollten; er riß fich fchmerzlich 
von ihnen los, und eilte mit den Mönchen zu dem 
Schlitten, welcher fie in dad Klofter zurüdbringen follte. 
Sie fuhren eiligft ab, indem Lie Kinder ihnen noch eine 
gute Strede nachliefen. Die ſchwediſchen Renner leg— 
ten in kurzer Zeit den langen Weg zurüd, und gegen 
Abend trafen fie bei dem Abte ein, der unfern Freund 
frohlodend begrüßte, indem er wirklich um ihn in gro= 
Ber Sorge gewefen war. Nach den erfien Bewill— 
fommungen überreichte der Abt ihm den herzoglichen 
Brief. Erwin entfiegelte ihn zögernd, und las, wie 
folgt: 
„Mein geliebter, ehrenmwerther Marfchall. « 


»Die Zeit ift gefommen, da ih Euch zum Hoch— 
zeitöfefte lade, fo wie Ihr es meiner Tochter verfpro- 
chen habt. Sie wünfht e$ von meiner Hand, um 
Euch ficher zu haben an ihrem Ehrentage, und fo er- 
fülle ich gern ihre befcheidne Bitte, da auch mir daran 
gelegen ift, daß Ihr zuletzt noch das Marfchallamt bei 
ihre verwaltet, und unter und fröhlich feyd. Der König 
Haͤkan fendet Euch feinen Gruß, und wuͤnſcht fehr, 
daß Ihr zum Traualtare feine Braut geleitet, um die 
Ihr unſchuldig fo viel gelitten und Euer Leben Preis 
gegeben habt. Er möchte Euch feinen Freund nen 
nen, und verlangt Eure Begleitung bis Drontheim, 
oder mwenigftens bid zu Schwedens Grenze. Möchte 
es und gelingen, in diefer Hochzeit alle bittern und 
ſchmerzlichen Eindrüde bei Euch auszuldfhen! Meine 
Tochter hofft es, und grüßt Euch von ganzem Herzen. 


497 


Sp auh meine Ingeborg und jung Erif, Euer 
findliher Freund. Waldemar, der König, und 
Magnus find noch abweſend, darum kann ich von 
ihnen nichts an Euch beftellen. Serenius dagegen 
trägt mir einen warmen väterlichen Gruß an Euch auf, 
und heißt Euch zum voraus willlommen in unferm 
Kreife. So gewähret dem befonnenen Seelforger und 
geiftlichen Vater, was Ihr dem allzurafchen Herzoge 
und feinem Haufe vielleicht verfagen dürftet, und kommt 
bald nah Bielbo! Um acht age foll dort die Hoch: 
zeit gefeiert werden. « 

»Bis dahin Gott befohlen von Eurem wohlge— 
neigten | Birger-Iarl.« 


Erwin fchlug mit einem Seufzer den Brief zu, 
und erfuhr von dem freundlichen Abte, nachdem bdiefer 
den Inhalt gelefen hatte, daß fchon auf den Stationen 
berzogliche Pferde für ihn beftelt wären, um ihn, fo- 
bald er anlangte, zu Schlitten nah Bielbo zu fühs 
ren, um in einem Tage die Reife zu machen. 

»Gern behielten wir Euch noch eine Zeitlang bei 
und, mein Sohn, doch die Bitte eines Herzog-Regenten 
ift fo gut als Befehl,« fprach der Abt; »fo reifet mors 
gen in aller Frühe mit Gott, und fommt wieder, wenn 
Ihr Eönnt! Immer werdet Ihr treue Freunde und dank⸗ 
bare Seelen in diefem Klofter vorfinden, und niemals 
werden wir Eure freundlichen Gefinnungen und die gros 
Ben Dienfte gegen uns vergeflen, für welche Ihr feinen 
Geldeslohn annehmen wollt. Erlaubt und aber, daß wir 
den armen Steinmegen in Eurem Namen geben, was 

Erwin von Steinbach. TI. 323 


- 


498 


wir Euch zugedacht hatten. Ihre Familien werden 


Gott fuͤr Euch anflehen, und der wird Euch einen wuͤr— 
digeren Lohn geben, wie Ihr ihn verdient.« 

Erwin war damit zufrieden, doch bat er den Abt, 
nicht mehr von Lohn zu reden, da er ed mit Freuden 
gethban, und fo viele geiftlihe Gaben von unſchaͤtzba— 
rem Werthe in ihrem Kreife empfangen habe. 

Der Abt umarmte ihn zärtlih, und die Mönche 
führten ihn nun in ihre neue Kapelle zur Abendhora, 
wo mehrere Sängerchöre ihn ſchon melodifch empfingen, 
und in fanften, fehönen Gantaten feine Seele über alles 
Srdifche hinweghoben, fo daß er wie im reinen Licht: 
äther die Weihnachtächöre der himmliſchen Heerfchaaren 
zu hören vermeinte, und ein tiefer Triebe in fein Herz 


ſank. Der Abt that noch zulegt für ihn ein lautes, 


brünftiged Gebet, und die Gemeine der Brüder ftimmte 
darauf einen ftarfen Choral, mit Inftrumenten begleitet, 
an, welcher ihm, wie ein geiftlicher Abfchied und Handfchlag, 
fräftigend und auferbauend, durch Mark und Bein ging. 

Als fie mit einem wiederholten, langverhallenden 
Amen aus der Kapelle gingen, ſprach Erwin zum Abte, 
welcher ihn führte: „Und Ihr wüßtet nicht zu lohnen? 
— Wahrlih, ih habe noch nie für alle meine Arbeit 
einen fo hohen und herrlichen Kohn empfangen, als heute 
Abend von Euch, Ihr frommen Klofterbrüder! — Denn 
Niemand lebt davon, daß er viel Güter hat, aber Ihr 
habt mich reich in Gott gemacht. Betet nur für mich, 
dag die Melt mich nicht wieder arm mache. « 

Der. Abt und die Mönche gelobten ed, und fo 
fchieden fie von ihm mit ftilem Händedrud, da er am 


499 


andern Morgen fehr früh abreifen follte, um Bielbo 
bei guter Zeit zu erreichen. | 


Zwölftes Kapitel. 





Da Erwin fih nad) Sonnenuntergang dem Schloſſe 
Bielbo näherte, blibten ihm von fern fchon aus Dem 
neuen Gebäude zahllofe Lichter entgegen und warfen 
ringsum auf die bereiften Baumgruppen einen magi- 
fhen Schein. Er hieß feinen Fuhrmann Tangfamer 
fahren, denn gewaltfam pochte ihm das Herz. Als er 
näher Fam, hörte er ein verworrenes Getöfe, welches 
auf eine große Menfchenmafle deutete; dazwifchen wie: 
herten Roſſe und bellten Hunde. Es warb ihm im— 
mer beflommner, und ba der Zhürmer, bei Nennung 
feines Namens, die Zugbrüde fallen ließ und dad Thor 
auffchloß, war ed ihm, als wenn er wieder umfehren 
müßte, weil es über feine Kräfte gehe. Doch fuhr 
der Schlitten fehon durch das dunkle Thorgewoͤlbe auf 
den hellerleuchteten Burghof, wo viele Reuter und Wa— 
gen hielten, ald wenn eine hohe Perfon fo eben ange- 
langt fey. Wirklich war ed der König Häfan mit 
feinem zahlreichen und glänzenden Gefolge, welcher kurz 
zuvor feine Auffahrt ind Schloß gehalten hatte, und 
mit Birger-Jarl von einer Bärenjagd heimgefehrt 
war. Um ihn hatten fih die Grafen und höchften 
Kronbeamten im NRitterfale verfammelt. Niemand be- 
achtete alfo unfern Freund, da er aus dem Schlitten 
32* 


500 


flieg, und er wäre vielleicht noch lange im Gebränge 
des Burghofes ſtehen geblieben, wenn nicht Prinz 
Erik ihn ermartet hätte und von der Schloßtreppe 
ihm entgegen gefprungen ware. »Da bift Duja, mein 
füßer Baumeifter, Ritter und Marfhall,« rief er ihm 
iubelnd entgegen, indem er in feine Arme flog und 
wiederholt ihn kuͤßte. »Nun will ich Dich zuerft auf 
Dein Zimmer führen, aber nit mehr im Thurme. 
Nachdem Du Dich dort ein wenig erwärmt haft, mußt 
Du gleich vor die hohen Herrſchaften treten, die ſchon 
nah Dir gefragt haben, namentlicy mein geftrenger 
Bater und der König Häfan. Dann folft Du Deine 
Freunde und Gönner begrüßen, unter denen ber weife 
Erzbifchof Serenius an der Spige ſteht; meine gute 
Schwefter aber ift heute bisher noch nicht fichtbar ge= 
worden, obgleich der Abendftern fhon aufgegangen ift. 
Vielleicht aber geht auch fie noch heute am Fürften- 
himmel auf, wenn der Bräutigam da ift, und da— 
zu ihr lieber Marfchall gemeldet wird.« Mit diefen 
Morten hatte der junge Prinz ihn die Schloßtreppe 
hinauf und in fein Schlafgemacd geführt, welches im 
britten Stod des linken Flügels nach dem Garten zu 
gelegen war. Eine helle Flamme brannte im großen 
Kamin, und Erwins Bauriffe und Waffenftüde waren 
geſchmackvoll an den Wänden geordnet. König Erifs 
Geſchenke, der Schild und dad Schwert, hingen über 
feinem Lager, und der föftliche Becher ftand mit Wein 
angefüllt, nebft einigen Schüffeln mit Speifen, auf dem 
Tiſche. 

»Siehſt Du, mein Freund, Du biſt erwartet,«“ 


501 


rief der Prinz; »ich habe Alles für Dich bereit gehal⸗ 
ten, und nun wollen wir fröhlich feyn. Länger Eonnte 
ich es nicht ohne Dich aushalten; denn ich habe uns 
erhörte lange Weile gehabt, feit Du weg warft und 
auch der Narr am Nordpol zurüdblieb. Nichts als 
Paradeaufzüge, Kleiveranlagen, ftolzirende Grimaffen 
und auswendig gelernte Reden fah und hörte ich um 
mich her. Immer wußte ich fchon bei Allem zum 
voraus, was da kommen würde, und all’ das herzlofe 
Zeug bat mid ganz fraurig gemadht. Wohlan, nun 
laß uns wieder einen Spaß machen, damit die ernſt— 
haften Dochzeitögefichter nicht alle einfrieren! « 

Erwin verfegte: »Zum Scherzen, mein theurer 
Prinz, bin ich jetzt vieleicht am wenigften fähig, da ich 
bald von Euch fcheiden fol. Doc erheitert mich Eure 
harmlofe Fröhlichkeit und ich will gern mitmachen, fo 
viel ich Fann, da Gott mir in Euch einen fo warmen 
und treuen Freund gefchenkt hat. « 

Unterdeflen waren auhb Kaspar, Hubert und 
Emund, weldbe Erwins Ankunft vernahmen, ber: 
heigeeilt, und freuten fich herzlich feined Wiederfehns. 
Nach den erſten Begrüßungen - erzählten fie ihm von 
ihren Wandmalereien auf dem Schloffe, welche fie wäh 
rend ber leßten Wochen hier befchäftigt hatten, und bie 
eben erft zum nahen Hochzeitöfefte vollendet wären. 
Beſonders befchrieben fie den Ritterfaal und die Prunf- 
gemaͤcher von ihrer eignen Hand entworfen, nachdem 
Ihwedifche Maler zuvor die Gründe angelegt und, nad 
ihren Kartonen, die übrigen Zimmer früher fchon aus— 
geführt hätten. Prinz Erik aber unterbrach dieſes 


302 


lebhafte Kunftgeforäh mit der Mahnung an Erwin, 
feinen Augenbli länger zu faumen, fondern von ihm 
fih dem Herzoge und den hohen Gäften zugleich vor- 
ftellen zu laffen. »Man weiß, daß Du angelangt bift, « 
forah er, »und mein Bater würde es übelnehmen 
fönnen, wenn Du Did) nicht fogleich zu ihm begiebft 
und bei ihm meldeft. « 

Mit diefen Worten nahm er Erwin, welcer fich 
in deutfche, ſchwarze Tracht umgefleidet hatte, unter 
den Arm, und führte ihn durch den langen Gorridor in 
das Hauptgebäude zu den Prunfgemächern, welche von 
den Zrabanten ihnen geöffnet wurden und ſtark er— 
leuchtet waren. Viele Männer waren bier verfammelt, 
von denen Erwin einige Fannte, die ihn freundlich zu 
begrüßen kamen; doch zog der Prinz ihn weiter fort, 
indem er ihm zum Reden feine Zeit ließ, und führte 
ihn durch das zweite und dritte Gemach, wo Birger- 
Jarl mit König Häfan und dem Erzbifhofe Sere— 
nius fich befanden und in ernften Gefprächen begrif- 
fen waren. | 

»Da bringe ich den Flüchtling,« rief der Prinz, 
„den ausbündigen Baumeifter, den treuen Freund, den 
mannhaften Ritter, den ehrenwerthben Marfhall, den 
Sarmeliter-Novizen, und weiß der Himmel, was noch 
Alles aus ihm werden mag. Er ift wieder da, und 
ich ftelle ihn Euch vor, mein gnädiger Herr Vater 
und Dir, Norwegs Majeftät, ald Erwin von Stein= 
bad. « 

Ermwin erröthete bei diefer fpaßhaften Introduk— 
tion, und der Herzog lächelte, indem er ihm gütig die 


503 


Hand bot: »Seyd uns fehr willlommen, Herr Mar: 
ſchall,« ſprach er, »und laßt Euch nicht ftören durch 
den Muthwillen meines Eindifchen Prinzen, der Euch 
fo lieb hat, daß er nicht weiß, was er fagt. Sch danfe 
Euch, daß Ihr meine Bitte erfüllt Habt; denn Ihr durf— 
tet zum fehönen Fefte nicht fehlen, da Ihr meiner Zoch: 
ter, wie und Allen, fo lieb geworden feyd.« 

Erwin verneigte fih, und der König Haͤkan 
trat auf ihn zu, indem er ihm die Hand bot, und 
ſprach: »Mein Wunfch ift erfüllt, da ich einen fo ed— 
len und befcheidnen Mann, ald Marfchall meiner Braut, 
in Euch Fennen lerne, und wenn ich Euch ihr Leben 
zwiefach danfen muß, fo ift es nur eine erhebende 
Empfindung ; denn wir bleiben immer Schuldner in 
der Liebe. So ift meine Freude rein, Euch, lieber 
Ritter, an unferm Hochzeitötage ihr zur Seite zu fes 
hen! « 

Die zarte Weife, wie der König diefes fagte, hatte 
Erwins Herz fogleich für ihn eingenommen, und feine 
Yange, hagre Geftalt, mit den edlen Gefichtözügen und 
ftilen blauen Augen, machten ihm den Gedanken erträg- 
licher, daß Freya feine Gemahlin werben follte. Er 
fah fie fhon im Geifte ald ein edles Königspaar, auf 
dem Fein Makel ruht, und weldes, wenn auch felbft 
nicht ganz beglüdt, doch die Unterthanen beglüden 
werde. Er neigte fi und antwortete: 

»Die lebte Ehre, welche mir wird, ift die größefte 
von allen, und ich bitte Gott nur, daß ich fie in De: 
muth empfangen möge, um Eurer Erwartungen von 
mir, edler König, nicht ganz unmwerth zu feyn.- 


504 


Serenius, der ihn fcharf beobachtet hatte, trat 
nun auf ihn zu und umarmte ihn. »Willlommen vom 
Nordpole.« fprach er heiter. »Man merkt, mein Sohn, 
daß Du bei dem weifen Salmar wareft, und fo bift 
Du und in diefem Kreife doppelt willfommen. Deine 
Gegenwart kann uns Allen in diefen Tagen nur er- 
freulich feyn.« 

Erwin verfegte wehmüthig: „Ein Fremdling bin 
ich gewefen und bald werde ih Euch wieder fremd 
feyn; doch die Dankbarkeit für Gottes Prüfungen und 
Begnadigungen fol Niemand von mir nehmen; denn 
fie find in dieſem Haufe mir fichtlich erfchienen. « 

»Nun,« rief Erik ungeduldig, »Du mußt Doch 
auch die Braut fehen,« und riß mit dieſen Worten die 
eibenen Flügelthüren des Geitengemahes auf. Der 
Herzog ſah den Knaben mit einem firengen verweiſen— 
den Blide an und ſprach, indem er Erwin bei der 
Hand nahm: » Kommt denn zu meiner Gemahlin und 
zu meiner Zochter! Sie werden fehon von Eurer An— 
funft gehört haben.«e — Mit diefen Worten führte er 
ihn in das Gemach, wo Freya mit gefenften Augen 
neben ihrer Mutter faß, und aus einer Schnur ein 
Gewebe machte. Da er eintrat, erröthete fie hoch, 
doch blicte fie ihn offen an. »Willkommen,« ſprach 
die Herzogin Ingeborg, und beide Frauen boten 
ihm traulih und freundlich die Hände; doc Fonnte 
Freya zuerft feine Worte finden. König Haͤkan 
ftand neben ihr und lächelte milde dazu, ald wenn er 
ihr zum Reden Muth machen wollte, und fchon ihre 
Empfindungen errathen babe. Endlich fagte fie ſtolz 


505 


und frei, indem fie den Kopf in die Höhe warf: »Shr 
habt viel um mic gelitten, mein theurer Marfchall, 
und Großes ift geichehen, feit wir uns nicht fahen. 
Doch der Allliebende, der die blutenden Herzen alle 
verbindet, der wird auch diefe Wunden heilen, ich hoffe 
es feftiglich; fo bitte ich Euch, morgen an meinem Eh— 
rentage mich zur Kirche zu geleiten, und dann mit uns 
froh zu feyn.« — »Ja, wenn Gott will,« verfegte Er— 
win, »denn Alles liegt in feiner Hand.« 

Der Erzbiihof Sereniud bat nun die Gefell- 
fhaft, in die Kapelle zu fommen, damit fie vor dem 
morgenden Zage noch geweihet würde, weil in berfel= 
ben bisher Fein Gottesdienft gehalten fey, und ihm der 
Erzbifhof von Linkoͤping die Weihe übertragen habe. 
Die Geſellſchaft war es fehr zufrieden, und König 
Hakan führte feine Braut, Birger-Jarl feine Ge: 
mahlin, Serenius aber faßte Erwin bei der Hand 
‚und fprad: »So moͤchte ih Di, mein Sohn, durchs 
Leben führen; doch der höhere Führer wird Dir nicht 
fehlen; fey getroffl« Prinz Erik fchmiegte fih an 
Erwins Seite und faßte feine linfe Hand. »So bin 
ich gut verforgt,« verfeßte Erwin dankbar lächelnd, 
»und der und Alle behütet, ift ja mitten unter und. « 

Die Kapelle hatte fich bereit mit Männern und 
Frauen angefüllt, welche auf den Bifchof und die fürft« 
lihen Perfonen warteten. Eine große Lichterfrone hing 
aus dem Schlußfteine der ſpitzgewoͤlbten Dede herab 
und erleuchtete hinlanglih den ganzen Raum. Die 
ſchoͤnen Berhältniffe deffelben wurden durch das ange: 
nehme Dammerlicht nur noch erhöht, und das Ge 


506 


woͤlbe fchien viel größer, ald am Tage. Erwin hatte 
daran feine ftille Freude und blieb unter den Künft- 
lern und Steinmetzen am Eingange fliehen. Der Her— 
zog nahm Plab mit feiner Yamilie dem Altare gegen 
über, in einem kunſtvoll gefchnigten Geftühl, und Koͤ— 
nig Haͤkan febte fich neben die Braut. 

Die Ritter fchloffen fich ihnen rechtd, die Damen 
links an. Die Söhne des Herzogs, Waldemar und 
Magnus, waren eben von Upfala angelangt, und 
ſchritten ſtolz durch die Verfammlung auf Birger- 
Jarl und Häfan zu, begrüßten fie, und nahmen 
dann neben ihnen ihre Plaͤtze. » Das ift die neue Zeit, « 
fprrab Emund zu Erwin troden, dem doch etwas 
wehe dabei wurde. „Sch gehöre noch zu der alten, « 
flüfterte Prinz Erik und ftellte ſich unter die Künftler. 

Sanfte und einfache Ghoräle, eigends für die 
Pſalmen gefest, begannen den Gotteödienft und fpra= 
chen gleihfam den innern Geift des Gebäudes aus; 
Allen ward unausfprehlih wohl; Erwin erftaunte 
über die zwedmäßige Wahl; fie war von Serenius, 
welcher an des Meifters Ueberrafchung fein Wohlgefal« 
len hatte, denn nun erft verfiand Erwin fein Werk, 
welches wie ein liebliches Echo feine Gedanken verfinn- 
licht zuruͤcktoͤnte. 

Nachdem einige Werfe gefungen waren, und Das 
Orgelfpiel nun melodifch nachtönte, fchloß damit der 
Gefang, und Serenius trat aus dem bifchöflichen 
Stuhle vor den einfachen Altartifch, indem er folgende 
Worte Sprach: 

» Sriede fey diefem Tempel und Allen, die darin 


507 


wohnen! Friede den Eingehenden und Ausgehenden! 
Halleluja.« 
Dann falbte er den Altar mit heiligem Dele an 
allen vier Eden und ſprach: »Ich falbe dich, Tiſch 
Gottes, wie Jakob den Stein feiner Ruhe, wo er den 
Himmel offen fah im Zraume und die Engel auf der 
Leiter auf= und niederfteigen! Mögen alfo die Engel 
vom Himmel auch zu dieſem Tiſche herniederfteigen 
und den Hungrigen dad Brot ded ewigen Lebens brin- 
gen, daß fie fatt werden! Mögen fie den Durftigen 
aus der lebendigen Quelle vom Water fehöpfen, der zu 
oberft, wie in Jakobs Zraume, auf der Himmelölei- 
fer thront, und es ihnen darbieten ald Blut des Soh— 
nes, daß fie nicht verfchmachten auf dem Wege !« 
Dazu fang das Chor der Knaben ein vielftimmi- 
ges »Amen,« weldes wie ein lebendiger Donner, oft 
wiederfehrend, in einander rollte. Darnach fchritt der. 
Erzbifchof, in Begleitung der anweſenden Priefter, 
durch die Kapelle und befprengte aus einer filbernen 
Schale vol Weihwaſſers den ganzen Fußboden, fo wie 
die Säulen, Wände und endlich den Predigtftuhl, in- 
dem er wiederholt fprach: »Ich weihe dich, Haus Got- 
ted, zum Dienfte des Allerhöchften und zu feinen ſchoͤ— 
nen Öotteödienften!« und das, Chor der Jungfrauen 
antwortete jedesmal mit dem » Halleluja !« — Nadh: 
dem dieſes gefchehen war, fiel die ganze Gemeine mit 
einem: » Derr Gott, dich loben wir!« ein, welches mit 
allen Inſtrumenten in voller Kraft begleitet wurde, fo 
daß es dieg efammteu Anmwefenden tief erfchütterte, und 
Freya ihren Thraͤnen vollen Lauf ließ. — Unterbeffen 


508 


hatte Serenius die Kanzel beftiegen und redete herz= 
lich die wenigen Worte folgendermaßen: 

»Das Haus Gottes, Brüder und Schweftern, ift 
aus gehauenen Steinen mit Funftfertigen Händen voll- 
endet, und wir loben den Meifter, der es vollendete ; 
denn die Säulen und Gewölbe ſprechen deutlih: Es 
ift ein Heiligthum, darin heiliget Euch, weil Gott hei— 
lig if! Doch was Shr fehet, ift nur ein Bild und 
Gleichniß der wahren Kirche, die nicht aus Stein und 
Mörtel erbauet wird; fie ift ein lebendiger Bau und 
ein unfichtbarer Dom. Eure eignen Seelen find ihre 
Steine, worin das ftile Halleluja wehet, ihr Edftein 
ift Chriſtus, unfer Herr, bauet fie und fchließet fie auf 
Ihn zum Gewölbe im rechten, einigen Glauben. Der 
Sclußftein ift die Herrlichkeit Gottes, aber ihre Pfei— 
ler find Demuth, Hoffnung und Liebe des Nächften. 
Liebet Euch unter einander und bleibet in feiner Liebe! 
Amen. 

Darauf fprach der Erzbifhof den Segen über die 
Berfammlung, und indem er zu den Prieftern in fei- 
nen Stuhl zurüdfehrte, befchloß der ganze Chor mit 
“ »einem kurzen Lobliede den Gottesdienft und die Feier 
der Kirchweihe. 

E3 war Allen diefe erhebende Stunde wie wenige 
Minuten verfloffen, und hatte, als ein häusliches Feft, 
jede Seele erheitert, geftärft, und mit fich felbft, wie 
mit ihrem Schidfale, ausgeföhnt. 

Die Verfammlung begab fih nun in eben der 
Ordnung, wie fie gefommen war, in die Prunfgemä- 
her zurid, und Freya hing an Haͤkans Arm wie 


509 


eine ſchlank aufgewachf’ne Lilie, ruhig, bleich, blendend,. 
mit einer Thauperle im dunfelblauen Auge. Sere— 
nius mußte bei den Prieftern bleiben, Erif bei fei= 
nen ältern Brüdern, und Erwin folgte mit den Künfts 
lern nach und verlor fih unter der Menge. Sein: 
Herz war fo vol in Wonne und Wehmuth, er Fonnte 
ed Niemand ausfprechen; denn Freya war wie durch 
Länder und Meere von ihm gettennt. Das vollendete 
Merk in feiner heiligen Weihe hatte ihn tief erfreut, 
und fo ganz fi durch den Gotteödienft von ihm abs 
gelöft, daß er es, wie ein fremdes, ſtill bewundern 
Fonnte. Die wenigen Worte des Serenius, mit den 
rührenden Liedern, gaben ihm die Schlüffel zu fich felbft ; 
Doch wenn er das Herz auffchloß, fo war ed öde und 
leer darin, denn der Engel des Bundes, welcher feinen 
Bau geleitet hatte, wandte fih nun in andre Bahnen, 
wohin er ihm, wie e3 fihien, nicht folgen durfte Er 
wußte nicht, was er von fich felbft denken follte; denn 
der fchon einmal fehmerzlih durchgefämpfte Kampf 
ſchien fih in ihm wie von Anfang erneuern zu wollen, 
und er Fonnte es nicht begreifen, wie Freya auf im: 
mer von ihm lodgeriffen und eines andern Mannes 
Gattin würde. 

Sn den Prunfgemächern mit der Gefellfchaft an: 
gelangt, redete ihn Serenius freundlich) an, und fprach 
mit Einfiht und Lob über die Verhältniffe der fehönen 
Kapelle. Birger-Jarl und König Haͤkan traten 
hinzu, und dankten zuerft dem Erzbifchof für die wuͤr— 
dige Weihung, und dann Erwin für den trefflichen 
Bau der Kapelle. Ihre herzlihen Worte hätten ihm 


510 


wohlthun können, doch er hörte fie nur halb, wie im 
Zraume, und antwortete darauf, ſich verneigend, me— 
hanifh und ohne Nachdenken. Dann mifchte er fich 
unter die Männer im anftoßenden Zimmer und verlor 
fi) in der Menge der Fremden, bis zur Tafel gebla- 
fen wurde. Ein langer Zifh war im neuen Sitter- 
faale gedeckt, und ein Jeder febte fich, wo er zufam, 
nachdem die fürftlichen Perfonen um den König Hä- 
fan, und die hohe Geiftlichfeit um den Erzbifchof von 
Lund ihre angewieſ'nen Plaͤtze eingenommen hatten. 
Erwin fand feinen Plab bei Emund und einem jun- 
gen Iuftigen Ritter, mit denen er eine gar verfchiedene 
Unterhaltung führen mußte. Was der Eine zu nach— 
druͤcklich ſprach, das wifchte der Andre leichtfinnig in 
einander, und was Diefer nur ganz flüchtig berührte, 
das zog Jener mit trodner Gründlichkeit in die Breite. 
So diente dieſes Gefpräch eben nicht zu feiner Erhei- 
terung, fondern legte gleichfam noch einen neuen Stein 
auf feine Bruſt. Nach vielen Speifen ward ein Eöftli- 
ches Zrinfgelag aufgetragen, und ald der Wein anfing 
zu flrömen und die Ritter lauter wurden, zogen ſich 
die Frauen im ihre Gemächer zurüd, um fich zum Lanze 
zu bereiten. Wider Gewohnheit Fürzte heute Abend 
der Herzog die Zafelrunde ab, da König Haͤkan es 
fo wünfchte, und mancher trinkluftiger Ritter ward im 
beften Genuffe geftürt. Man begab fi) bald darauf 
in den Zanzfaal, wo eine raufchende Muſik ihnen ent— 
gegentönte, und König Haͤkan eröffnete mit Freya 
den Reigen; doc) verließ ihn fein nachdenklicher Ernfi 
nicht, und nach einigen langfamen Wendungen überließ 


511 


er die Braut dem Bruder Waldemar, welcher meh- 
rere lebhafte und prunfende Taͤnze mit ihr aufführte. 
Dann famen die Jarle und Grafen, welche nach der 
Ordnung mit ihr tanzten und im Range fich folgten. 
Ermwin fand mit Hubert und Kadpar unter der 
Menge der Zufchauer, und war zufrieden, nicht be- 
merft zu werden. Er ließ dad Ganze wie, ein beweg- 
tes Gemälde an ſich vorübergehn, und theilte fich hin 
und wieder nur feinen Freunden mit, unter denen Hu— 
bert am beften ihn zu verftehen ſchien, und das Halb» 
bezeichnete treulich ergänzte. 

Endlich fuchte ihn König Haͤkan felbft auf und 
ſprach: »Ich muß Euh doh an Euren Marfchalldienft 
erinnern, befter Ritter! Kommt und tanzt mit der 
Prinzefiin, wie ſich's gebührt, denn gewiß hat fie es 
ſchon längft erwartet und ift böfe, daß Ihr ausbleibt. « 
Mitdiefen verbindlichen Worten führte er ihn zu Freya, 
welche ihm freundlich zum Reigen die Hand bot und fcher- 
zend feine Saͤumniß ihm vorwarf. Birger- Jarl 
lachte laut, und pried den artigen Bräutigam und des 
Norwegs Sitten. Neues Leben kam in die Gefell- 
fchaft, obgleich es ſchon fpat war, und man lobte fehr 
die Gewandtheit des Marfhalld an Freya's Geite, 
indem ein Jeder dad Seine dabei Dachte, jedoch war 
eine wohlmollende Stimmung gegen ihn vorherrfchend 
geworden. Prinz Erif befonderd freuete ſich feines 
wadern Freundes, und mifchte fih nur in diefen Rei— 
gen, um ihm öfterd die Hand zu bieten und ihm ins 
Auge zu fehen. 

Nach einigen Figuren endete die Prinzeflin den 


912 


Tanz, und entfernte fich mit einigen älteren Damen 
in fihtbarer Bewegung, während der raufchende Rei— 
gen unter der Jugend noch lange fortdauerte. Erwin 
ftand noch eine Zeitlang da, und fchauete in die wo- 
genden Gruppen, aus denen der Lichtpunft ihm ver— 
Ihwunden war; doch erfchien unter Männern und 
Frauen manche edle Geftalt, die ihm auffiel, ind wor: 
über Hubert die treffendften Bemerkungen machte. 
Der Herzog und König Häfan hatten fich wieder 
mit den älteren Männern zum Schenftifche begeben, 
und Erwin, ber fi plößlich ganz einfam fühlte, ent- 
fernte fih nun aus dem Saale in die angrenzenden 
Zimmer, wo er, wie in Gedanfen, die Malereien be= 
trachtete, während Hubert und Kaspar im Tanz 
noch begriffen waren. So fchlenderte er weiter und 
weiter, wie ein Nachtwandler, bis auf die Flur des 
hoͤchſten Stods, und Fam endlich an die Bogenthür, 
welche hinaus auf das flahe Dach führte. Sie ftand 
halb geöffnet. E3 war ihm im Bufen fo wehe, und 
fo bange dad Herz, er fehnte ſich ind Freie und trat 
hinaus. Die Geftirne des nächtlihen Himmels be— 
grüßten ihn, wie alte Bekannte, und goffen ihr Fühles, 
funfelndes Licht tröftend in feine Seele. Wie eine 
Hoffnung aus beffern Welten erfüllten ihre fanften 
Strahlen fein wundes Herz, und der alte, wohlbefannte 
Nordfchein aus dem dunfeln Kerne grüßte ihn von 
Salmar am Pole. Er trat näher an das Gelände 
des Dachs, und blidte tief hinab in den bereiften Gar: 
ten und auf den gefrornen See mit feinen umringen= 
den Waldungen. — Die Luft war ftill, und der Ju— 


513 


piter funfelte bei reiner Kälte in feiner ganzen Kraft, 
als der Fürft der Planeten. 

So ftand er in Träumen verfenkt, — es miſchte 
ſich Vergangenheit mit Zukunft, und die Gegenwart 
verſchwand vor ſeinen Augen. Da hoͤrte er ein leiſes 
Rauſchen, wie das eines Gewandes; er blickte dahin. Es 
war eine weibliche Geſtalt, welche im Mantel verhuͤllt 
an dem Gelaͤnde niederknieete, und mit emporgehobnem 
Haupte und gefalteten Haͤnden leiſe betete. Ihre 
Worte waren wie ein Hauch; dech konnte er manche 
derſelben verſtehen. Er trauete ſeinen Ohren kaum, 
denn er meinte Freya's Stimme zu hoͤren. „Ah 
mein Gott,« ſprach fie am Schluffe des Gebetd, »gieb 
mir Stärke, die Stärke aud dem Kreuz Deines Soh— 
nes, und Beugung in feinem Opfertode, um Alles, Als 
les zu überwinden! Iſt es Dein Wille, fo gefchehe Dein 
Mille! « 

Nachdem fie fo mit tiefer Inbrunſt gefleht hatte, 
richtete fie ſich auf, und erblidte Erwin an der andern 
Seite des Geländes. Langfam näherte fie ſich ihm, 
und fchien zu zögern. Da fie ihm ganz nahe war, 
rief fie: »Seyd Ihr's, lieber Marſchall, ach, ich kannte 
Euch nicht!« Es war Freya, und er Enieete zu ihren 
Füßen. Sie zitterte, doch faßte fie fih fchnel und 
ſprach: »Wohlan, ich habe mit meinem Vater im Him— 
mel geredet, fo darf ih auch wohl mit Euch nun reden, 
denn Ihr feyd ja treu und fromm. Unter feinem freien, 
reinen Dimmel und unter feinen ewigen Sternen 
ſchaͤme ich mich meiner Liebe zu Euch nicht. Ihr habt 
fie verdient, edler Mann, und immer werdet Ihr in 

Erwin von Steinbach. IT. j 33 


514 


meiner Seele leben. Was Ihr mir waret, kann Nie: 
mand mir werden; Haͤkan weiß es, und ehrt mich 
darin. Wäre er hier, fo würde er und Beide fehügend 
umfaflen, denn er hat ein Pönigliches Herz. Nun aber 
laßt und binabfteigen, und ein Jeder an feinen Ort 
gehen, damit Fein Unberufner uns treffe!« — Sie 
machte eine rafhe Wendung, Erwin hatte fi aufge: 
richtet, und fah den Jupiter, in ihren Augen bligen. 
»O Gott,« rief er aus, »es ift Das lebte Mal vor Eu: 
rer Dochzeit, daß ih Euch allein fehe, vielleicht das 
legte Mal in meinem ganzen Leben! Soll id) Dich denn 
immer nur wie die Geftirne verehren, und Dein himm- 
lifches Leben niemald an meine Bruft fchließen! Tau— 
fend Tode möchte ich für Dich fterben, und immer muß 
ih Dir nur ein Fremder bleiben?« — 

Sie fah ihn mit einem unausfprechlichen Blick an, 
ihre Arme oͤffneten ſich ſanft; ſie neigte ſich zart zu 
ihm hinuͤber, er eilte ihr entgegen, preßte ſie an ſeine 
Bruſt, ihre Lippen beruͤhrten ſich, und die Welt 
verging ihm. 

Sie wand ſich mild von ihm los, und ſprach mit 
Hoheit: »Biſt Du nun geheilt, mein treuer Freund? 
— Sieh, ich bin Dir nicht mehr ein glaͤnzender Stern, 
ſondern Deines Gleichen in herzlicher Liebe geworden; 
aber ich bin die Braut eines edlen Koͤnigs, und werde 
ihm morgen getrauet. — So ſey dieſe erſte Umar— 
mung auch die letzte, denn Haͤkan ſoll Alles wiſſen.« 

»Gottlob, er weiß es,« fprach hinter ihnen eine 
freundlihe Männerflimme, und König Haͤkan, wel: 
cher gekommen war, um Freya aufzufuchen, umſchloß 


515 


fie Beide fell. »Es weiß Fein Andrer noch, als ich,« 
feßte er mildiglich hinzu. „Ja, ih bin Dein Freund, 
Erwin, und ich verftand Dich gleih; fo ift Alles 
wohl. Nun gute Naht! und morgen, Herr Marfchall, 
auf Euern Poften. Ihr müßt meine edle Braut zum 
Altare führen, und aud bis zu Norwegs Grenzen fie 
geleiten.«. 

»Das will ich,« rief Erwin, der tief erfchüttert 
nun erft den verhängnißvollen Knoten gelöft fühlte. 
»Ich bin ewig Euer Schuldner geworden, edler König!« 
— „Nicht wahr,« fprah Hakan, der die Braut lächelnd 
am Arme nahm, »das Mädchen wußte Euch zu lohnen, 
und ihr Kuß ift mehr .ald Silber und Gold? Das, 
Nitter, laßt Euch genügen, und mich der Dritte Eures 
Bundes feyn! Wir find Menfchen gewefen; aber alles 
Menfhliche ift darum nicht fündlih. Nur muß die 
Melt es nicht unter ihre Füße treten. « 

Mit diefen Worten führte er Freya die Marmor: 
treppen hinunter, und Erwin begab ſich wie ein Zrunf- 
ner in fein Schlafgemach, wo er feine Seele ftillte vor 
Gott. 


516 


Dreizehntes Kapitel. 


— — — 


Es war ein ſtiller, klarer Wintermorgen, als der hoch— 
zeitliche Tag auf dem Schloſſe Bielbo anbrach. Ein 
roͤthlicher Nebelduft lag auf den Bergen, und der Schnee 
knirrte in der großen Kaͤlte. Die Truppen verſammelten 
ſich bei Sonnenaufgang auf dem Burghofe, und para= 
bieten zu Roß und zu Fuß in blanken Rüftungen, wäh: 
tend mehrere Chöre eine freudige Kriegsmuſik anftimm- 
ten. Die erften röthlichen Strahlen der Sonne vergol: 
deten ihre leuchtenden Helme und blißenden Lanzen, 
dann auch ihre Panzer und Schilde, zuletzt Roſſe und 
Männer vom Haupt bis zur Sohle, und fehimmerten, 
bei den wechfelnden Schwenfungen, wie Lichtfäulen in 
die Zimmer des Schloffes hinein. 

Erwin war fchon gekleidet, und hatte eben fein 
Morgengebet gefprochen, als die Kriegsmufif anhob und 
Chöre von Waldhörnern und Hautboien mit Trommeln 
und Klarinetten abwechfelten. Die feiernde, feinem Her: 
zen fo wohlthuende Stille war damit verfcehwunden, und 
er befand fich wieder mitten in der Welt, welche bald 
reizt, bald gereizt feyn will. Alfo blidte er auf die Be: 
wegungen der Truppen, welche durch ihren architeftoni- 
ſchen Charakter ihm Vergnügen machten, und allerlei 


517 


geometrifche Figuren, nach ihren geheimen Gefeßen von 
Maß und Zahl, in feine Erinnerung riefen. Er be: 
merkte genau, wie ein Dreieck zum Fuͤnfeck und Sieben- 
ed, und ein Dreied zum Sechseck und Achteck fich 
wandle, und wie viel dDadurh an Raum und inhalt 
gewonnen oder verloren werde. Der verfchiedene Takt 
der Muſik ſchien ihm dafür einen neuen Schlüffel zu 
geben, und er wäre fo bei al? jenem Getöfe in ftille 
Traͤumereien verfunfen, wenn niht Waldemar und 
Magnus plögli aus dem Portale ded Schlofjes un- 
ter die Schaaren getreten wären, um vor ihrem Vater 
und König Haͤkan die Parade aufzuziehen, und vor 
ihnen einige neue, kuͤnſtliche Schwenfungen mit ihren 
Schaaren auszuführen. Waldemar beftieg ein brau= 
ſendes Streitroß und fehte fi) an die Spitze ber Reiter: 
colonne, ftolz und gebieterifh. Magnus dagegen ftellte 
fi an die Fronte des Fußvolks, und führte es leicht, 
genau umd ficher, wie gegen den Feind, an. 

König Hakan, welcher mit Birger-Jarl auf 
den Balkon des Nitterfaald hinausgetreten war, bemerkte 
fogleih, wie Magnus fi in den Vortheil werfe, und 
äußerte gegen den Herzog mit offener Theilnahme die 
Beforgniß, daß der jüngere Bruder dem älteren, wie 
jett diefes MWaffenfpiel, fo einft die Krone im Ernft ab- 
gewinnen möchte. Da der Herzog dem, ald unmöglich, 
widerfprach, und die Eintracht der Brüder, wie Wal- 
demars überwiegende Tapferkeit, pries, fo fehüttelte der 
Norweg den Kopf und fprach: »Alled Euch zugegeben, 
Herzogs Vater, fo ift doch der Elare Verftand auf des 
Magnus Seite, und feine kühle Befonnenheit wird ihn 


518 


immer gegen Waldemar in Bortheil ftellen, welches 
er einft, fobald die Gelegenheit fich darbietet, zu be— 
nuben nicht unterlaffen wird. Denn, verzeibt, ich halte 
dafür, fein Ehrgeiz ift ftärfer ald feine Bruderliebe. « 

»Wie, Fennt Ihr ihn fhon fo genau, Bruder Nor- 
weg?« fragte Birger-Jarl etwas empfindlid; »habt 
Shr Beide doch erft feit Kurzem gefehen, und nicht, 
wie ich, in der Feldfchlacht beobachten Fünnen !« 

»Zwar nicht in der Feldfchlacht,« verfeßte Haͤkan 
troden, »doch im täglichen Leben und Umgange, wo das 
Echte bald oder gar nicht erfcheint. Hätte Magnus 
fo viel Herz ald Verftand, fo würde er ein großer 
Nordlandskoͤnig werden. Doch auch fo, wie er iſt, mag 
er die Schwedenvölfer regieren und in Orbnung halten, 
was ich von dem tapfern, aber jähzornigen König Wal- 
demar, ohne Eure leitende Vaterhand, nicht verfpre- 
chen Fönnte. « 

»Ihr mögt wohl Recht haben,« erwiederte der Her: 
z0g nach einigem Stillfchweigen, indem er nachzudenken 
fhien; »doch laßt uns den heiten Hochzeittag - nicht 
durch dergleichen entfernte Zweifel trüben! Noch lebe 
ich ja, und halte das Heft des Reichs. « 

»Und Shr werdet, fo Gott will, noch lange leben 
und Euer Schwedenvolk beglüden,« verſetzte König Haͤ— 
fan milde. »Nur erkennt Eure Leute nach ihrem Geiſt 
und Gemüth, und nicht blos nach ihren großen Thaten; 
fonft wird e8 Euch doch fchwer fallen, das Unrecht im— 
mer zu meiden, wie an dem trefflichen beutfchen Bau— 
meifter ein Erempel zu fehen war.« 

»Was ich ald ein ehrlicher Mann wieder gut ges 


519 


macht habe,« rief Birger lächelnd, »wiewohl diefem 
Fremdlinge ohne Rang faſt zu viel Auszeichnung hier 
wiberfahren ift. « 

» Immerhin,« fprah Haͤkan; »er verdient unfere 
Achtung und Liebe, denn feine Seele ift vom höchften 
Range; und fo geht ed nicht, mit ihm zu verfahren, wie 
mit unfern Söldnern und Hofleuten, die nur Figu: 
ren find. « 

»Er ift ein Paradiesoogel,« verfegte Birger fcher- 
zend, »aber Atlantis ift ſchon langft in den Wellen ver- 
ſunken; fo findet er Feine bleibende Stätte hier, wie fehr 
wir ihn erhoben, um unfere Schlöffer und Paläfte zu 
bauen; denn das verfteht er aud dem Grunde. « 

Haͤkan erwiederte fehr ernft und faft ſchmerzlich: 
»„Müffet Ihr denn immer, mein Herzog-Vater, die Men- 
fchen erft gebrauchen, um fie werth zu fchäßen? Sch 
möchte ihn zu meinem Freunde machen, und hätte ge- 
nug Daran. « u 

»Die That ziert den Mann,« rief Birger- Sarl, 
»und an den Früchten fol man den. Baum erkennen. 
Doch, mein Föniglicher Sohn, laßt und zu den Frauen 
gehen, die und gewiß ſchon längft erwartet haben!« 

Mährend dieſes ernften Gefprächd der Fürften auf 
dem Balkone hatte der lebhafte und, erfinderifche Hu= 
bert, nach früher ſchon getroffenen Vorbereitungen, mit 
mehreren jungen Rittern, Hofbeamten und Künftlern fich 
verabredet, zur Abendunterhaltung der zahlreichen Gäfte 
eine Mummerei zu veranftalten, welche nichtd weniger, 
ald die ganze Götterwelt der Edda darftellen, und, 
wie ein abenteuerliches Mährchen, in den Ernſt der 


520 


Wirklichkeit hineinleuchten ſollte. Denn ,« fprach er, »das 
Trinken und Tanzen wird ed nicht allein thun können. 
So etwas Großes, als eine Fönigliche Hochzeit, nament- 
lich des edlen Haͤkan mit der fehönen Freya, muß 
durch irgend ein allegorifches Bildwerk dem Gedaͤchtniß 
ſich einprägen, und auf Kindeskinder noch fich fortpflan- 
zen. Was aber könnte in dem noch halb heidnifchen 
Schwedenlande eindringlicher feyn, als die alten Götter, 
Thor, Odin und Lode, mit ihren Frauen und gan- 
zem fabelhaften Hofftaate? Wohlan, laßt und ans 
Werk fchreiten, um den hohen Herrfchaften etwas zum 
Lachen zu geben; denn ohne ein lautes Gelächter ift 
keine Hochzeit vollftändig.« 

Ale ließen fich zu dieſem Vorſchlage bereit finden, 
und mehrere Hofdamen und Pagen wurden in dad Ge- 
heimniß gezogen, theild, um bie weiblichen Rollen zu 
übernehmen, theild, um hülfteiche Hand zu Ieiften. 

Mit Erlaubnig des Haushofmeifterd war fchon 
mehrere Tage zuvor die Dienerfchaft in Bewegung ge— 
ſetzt, um aus der alten herzoglichen Garderobe eine 
Mafle Kleidungsſtuͤcke des vorigen Jahrhunderts herbei 
zu ſchaffen, fo wie aus der Rüft- und Rumpelkammer 
des alten Schloffes allerlei feltfame Waffenſtuͤcke auszu- 
lefen, welche von Schneidermeiftern und Waffenfchmieben, 
nah Huberts Anweifung, zugeftußt wurden, um das 
Koſtuͤm der Götterfchaar zu vollenden, fo daß es einem 
jeden Mitfpielenden angepaßt und die Rollen zum Abend 
eingeübt werben Fonnten. Hubert war unerfchöpflich 
an humoriftifchen Einfällen in Ernft und Scherz, und 
theilte einem Jeden die von ihm gefchriebenen Rollen 


‚s21 


aus, indem noch am Hochzeitmorgen im alten wüften 
Schloſſe die legten Proben mit vollem Koſtuͤm gemacht 
wurden. Sein gebildeter Gefchmad und malerifcher 
Sinn kamen ihm dabei fehr zu Hülfe, fo daß alle Mit: 
fpielenden gern auf feine Vorfchläge eingingen, feine 
Winke fich merkten und von feinen Ideen begeiftert wur: 
den. Selbſt der trodne Emund und der ernfte Kas— 
par mußten eine Rolle mit übernehmen, und Prinz 
Erik erbot ſich zu mehreren nach einander, wenn er 
nur Zeit zum Umkleiden gewinnen Eönne. | 

Der größte Theil des Morgend ging damit hin, in- 
dem ed einen gefelligen Mittelpunkt unter der zahlreich 
verfammelten edlen Jugend bildete und Alle in die hei- 
terfte Stimmung verfeßte. Kaum behielt man fo viel 
Zeit, fi zur Trauungsfeierlichkeit anzukleiden, und fchon 
läutete die .Schloßglode im Thurm der Kapelle zur hei- 
ligen Handlung, als noch manche junge Ritter und Da— 
men mit ihrem Putze nicht fertig waren. 

Die älteren Ehrenperfonen aber erfuhren von allen 
diefen Anftalten nichts, und felbft Erwin hatte nur das 
von aus der Ferne etwas vernommen, indem Hubert 
durchaus dagegen war, ihn in. biefen Mummenfchanz 
mit herein zu ziehen, wie manche Stimme ihn aud in 
Vorschlag brachte. »Der ift uns viel zu ernft,« ſprach 
er, »unb koͤnnte und den ganzen Spaß verderben!« Er 
dachte aber, den Freund zu fehonen, und fühlte treu und 
zart für ihn das Gewicht dieſes Tages. So hüllt fich 
das tiefere Herz der Liebe oft in ein leichtes abweiſendes 
Wort ein. 

Unterbeffen hatte die feierliche Stunde gefchlagen, 


522 


ald die hochzeitliche Schaar fich in den unteren Sälen 
des neuen Schloffes verfammelte, um nach feftgeftellter 
Drdnung in die Kapelle einzuziehen. Erwin begab ſich 
fchweren Herzens in feiner Marfchallötracht zum hohen 
Brautpaare, wo er die fürftliche Familie mit ihren Mar- 
fchällen fehon verfammelt fand. Freya grüßte ihn hold 
und hieß ihn an ihrer Seite fich halten. Die älteften 
Grafen und höchften Kronbeamten traten darauf herein 
und ftellten fih um König Haͤkan und Birger-Jarl, 
indem die Prinzen Waldemar und Magnus fich ih- 
nen anfchloffen. Prinz Erik Dagegen flellte fi) mit 
Erwin an Freya's Seite, denn fo hatte fie es aus— 
drüdlich verlangt. Sie reichte ihrem jüngften Bruder 
die Hand, welche er gar zärtlich kuͤßte und ſprach: »Ach 
Schwefter, wie ſchoͤn bift Du heute!« 

Silberhell erflang das letzte Zeichen vom Thurme 
des Schloffes aus einer neuen, großen Glode, aus die— 
fem edlen Metall gegoffen, welche heute ihre erfte Stimme 
gab, und Alle fühlten den frohen hochzeitlichen Ruf. 

Der Zug der Männer ſetzte fich zuerft in Bewe— 
gung, und flieg von der rechtöführenden Marmortreppe 
in das untere Gefchoß hinab, wo auf der großen Flur 
die Ritter, Kronbeamten und Künftler ihrer ſchon war— 
teten und fich ihnen anfchloffen. Der Zug der Frauen 
hingegen begab ſich von der linksfuͤhrenden Marmor- 
treppe hinab in einen Saal des Erdgefchoffes, wo die 
Frauen von geringerem Range ihrer harrten und ihnen 
nachfolgten. So gingen die Männer und Frauen durch 
entgegengefegte Thüren in die Kapelle ein, wo fchon ein 
feierlicher Chorgefang fie empfing. Zugleich öffnete fich 


523 


in der Kapelle eine dritte Thür, und herein traten ver 
Erzbifchof Serenius mit den Upfalafchen und Linkö- 
pingſchen Erzbifchöfen, Sarlerus und Lars, in ihrem 
feftlichen Ornate, gefolgt von vielen Bifchöfen, Aebten 
und Prieftern der fchwedifchen und normwegifchen Lande. 
Der König Haͤkan ging zwifchen: Waldemar und 
Magnus; Birger-Jarl zwifchen dem Reichsmarſchall 
und Reichsdroſt. Woran traten mit weißen Stäben bie 
Föniglichen Marfchäle, und dem Herzoge folgten alle 
fchwedifhen Grafen, Barone und Kitter, nach ihrem 
Amte und Range. Die Steinmesen und Malerzünfte 
befchloffen den Zug. Die Fönigliche Braut dagegen ging 
zwifchen Erwin und Prinz Erik. Ihr folgte die Ober- 
hofmeifterin neben der SHerzogin- Mutter. Dann alle 
Damen des Hofes und der Kandfchaft, nach dem Range. 
Voran fehritten mit blauen Stäben die herzoglichen Mar: 
fhälle, und öffneten den Frauen die Stühle zu ihren 
Sitzen, links des Altard. Eben fo thaten die Marfchälle 
des Männerzugd, und wiefen fie auf die Sitze rechts 
des Altard hin. Erwin trat zu den Marfchällen und 
Erik zu den fürftlichen Brüdern, bis das Loblied der 
fi) antwortenden Chöre geendet hatte. Nun begab fich 
Serenius aus dem bifchöflichen Stuhle mit dem Erz- 
bifhofe Sarlerus und dem Erzbifchofe Lars in ben 
Altar, und Letzterer überließ mit einem Handſchlage dem 
Erzbifchofe von Lund das Amt der Trauung, fo wie es 
das hohe Brautpaar gewünfcht hatte, und trat mit dem 
Erzbifhofe von Upfala wieder in das Geftühl zurüd. 
Die Wechfelchöre der Männer und Frauen, welche im 
großen Geift der Pfalmen die Freuden ‚der Eintracht und 


524 





Liebe gepriefen hatten, verhallten nun, und ed entfland 
eine große, feierliche Stille. 

Der Eönigliche Bräutigam trat mit Waldemar 
und Magnus recht3 an den Altar; die Prinzeffin Braut 
mit Erik und Erwin links deflelben ihm gegenüber. 
Der Erzbifchof von Lund, welcher heute, in feinem prie= 
fterlichen Prunfgewande, mit den Begabungen des heili- 
gen Stuhl gefhmüdt, etwas fehr Ehrfurchtgebietendes 
in feiner Miene und ganzen Haltung offenbarte, begann 

die Traurede mit einem inbrünftigen Gebete für das 
Wohl des hohen Brautpaard und der ganzen Verſamm— 
lung. Alle fahen auf den König Haͤkan und die Prin- 
zeffin Sreya, und Alle freuten fich herzlich bes edlen 
Daared. 

Haͤkan ftand in feiner Föniglichen Normannd-Tradht, 
mit Krone und Purpurmantel gefehmüdt, ernft und 
bleich. Seine hohe, ſchlanke Geftalt, faft hager, fchon 
an der Grenze männlicher Blüthe, gewann einen frem- 
den Adel, der etwas Kührendes hatte. Sein großes, 
files, blaues Auge ruhte zuverfichtlich und feft auf Se— 
reniud. Seine gelben Loden fanfen, an der Stirn 
gefcheitelt, über die einfache Kraufe auf das Oberkleid 
von grünem Goldſtoffe bis auf die Schultern herab, in= 
dem diefes zum Theil den Koller und die Beinkleider 
von weißem Rehleder bedeckte, und faft auf die hohen, 
fteifen Stiefel niederhing, die weit über dad Knie mit 
ihren Stülpen reichten, und mit goldnen Sporen ge= 
fhmudt waren. Ein menfchenfreundlicher Zug um die 


Winkel ded vollen Munded verfchönte fein bärtiges, 


männliches Antlitz. Die Normannen freuten fich ihres 


525 


ritterlichen Königs, und die Schweden ftellten mit ihm 
und König Waldemar Bergleichungen an, welche nicht 
zum Vortheil des Lebtern, wie fehön er auch war, aus- 
zufallen fohienen; denn der Bug der Frömmigkeit und 
Leutfeligkeit, welcher Haͤkans ftarke Geſichtszuͤge fo an— 
genehm machte, fehlte ihm ganz. 

Dagegen erfhien die Prinzeffin Freya hier wie 
eine Wunderblume der Nordlande, und alle Anmwefenden 
verficherten, fie noch nie fo fehön gefehen zu haben. Ein 
filberhelles Gewand, kuͤnſtlich gewirkt aus weißer Seide 
und Silberfäden, mit eingewirkter Kante von weißen 
Nofen, umfing ungepaufcht ihren zarten und edlen Leib, 
und rollte in reichen Falten zu ihren Füßen nieder, 
welche in Schuhe von gleichem Stoffe knapp gehullt 
waren. Den berrlihen Hal und Bufen trug fie frei, 
nach der Derzogin- Mutter Wunſche, nur mit Perlen⸗ 
ſchnuͤren umfchlumgen , welche ein leichtes Flohr zufam- 
menbielten, unter welchem der reinfte Schnee zarter jung: 
fräulicher WBallungen bebte. Im feinen, dunklen Haare 
ruhte auf dem Lichtglanze der Loden ein frifcher, voller 
Mirtenkranz mit röthlichen Blüthenktnospen, und ein fehr 
großer, tiefbligender Diamant, gefaßt in vielen. Rubinen, 
Smaragden und Sapphiren, prangte, wie eine Lichtblume, 
über dem Kranze im hohen Föniglichen Diademe. Doc) 
viel ſchoͤner noch war das Licht ührer Augen, welches, 
wenn hervorquellende Thraͤnen es nicht verſchluckten, un⸗ 
ter den langen geſenkten Wimpern hervorſtrahlte, und 
vol Güte und Vertrauen dem Gemahle ihres Herzens 
einen Himmel auf Erden verhieß. Ein fammetner Man- 
tel vom reinften Himmelblau, mit Perlen und Diamanten 


526 


in Sternenbildern beſetzt, mit Hermelin gefüttert und 
mit Bobel verbrämt, hing zurüdgefchlagen von ihren 
Schultern herab, und bildete eine lange Schleppe, welche auf 
dem Wege zur Kapelle von Hofdamen getragen wurde. 
Ihre fchlanke Geftalt hob fich dadurch, ohne zu fehr ver- 
hüllt zu feyn, nur noch zarter und majeftätifcher hervor, 
und ließ die höchften Erwartungen der Maler hinter fich 
weit zurüd. 

Hubert war ganz davon begeiftert, und entwarf 
in Gedanken ſchon mehrere Heiligenbilder nach dieſem 
Muſter. Auf ale Männerherzen aber machte fie einen 
fehr ftarfen religiöfen Eindruck, wie es faft immer durch 
den firengen Charakter der wahren Schönheit zu gefche- 
ben pflegt, weil fie eben das Unendliche verkörpert uns 
darftellt. 

Der Erzbifhof Sereniud redete zuerft von dem 
Saframent der Ehe und ihrer großen Heiligkeit, indem 
fie ein Vorbild der Kirche ſey und eine vollfommene 
Bereinigung von Mann und Weib zum Dienſte des 
Heren bezwede, Alled darin auch für Seele und Leib 
durch Die ewige, unverbrüchliche Liebe vollbracht werden 
müffe. Deshalb fey die Ehe ein Stand, der mit feinem 
andern verglichen werben Eönne, und fchon um feines 
höchften Ranges willen von den Ehegatten eine befon- 
dere Ehrerbietung und völlige Hingebung erheifche. Man 
dürfe eher einen König und Kaifer beleidigen, als ben 
Ehegemahl. Darum fey es nicht genug, daß man fich 
menfchlich lieb habe; man muͤſſe der Liebe auch durch 
heilige Ehrfurcht in diefem Stande fletd einen würdigen 
Ausdrud leihen, weil Gott ihn eingefeßt am Anfange, 


527 


und als Grundftein aller Staaten und Gefellfchaften ge: 
heiligt habe. Alle Geiftesbildung fange mit der Ehe an, 
und alle Segnungen des Menfchengefchlecht3 gehen durch 
Familienbande von ihr mit dem Worte aud. Was 
ein ganzes Volk im Großen beglüde, dad habe ſchon 
ein chriftlicher Hausftand vorbereitet und in dad Men- 
fchenherz auögeftreut. Der König fey nur der erfte 
Hausvater, fo wie die Königin die erfte Hausmutter 
unter ihrem Wolke, und wenn fie das im wahren Sinne 
wären, fo hätten fie auch ein vaͤterlich und mütterlich 
Herz für alle ihre Unterthanen. Der Aermfte und Ge- 
ringfte Fonne von ihrer Gnade Zeugniffe aufweifen, da= 
durch denn der Staat eine ungerftörbare Kraft gewinne. 

Serenius verbreitete fih nun weiter über bie 
Hflichten und Zugenden der Ehe, welche alle von der 
- befonderen Art wären, daß fie nicht getrennt, fondern 
nur vereinigt, durch den ungetheilten Willen der beiden 
Ehegatten, erfüllt werden könnten, und fo denn wirklich 
etwas viel Hoͤheres, als die menfchliche Perfönlichkeit, 
enthielten. Man werde in biefem ungetheilten Ehemen⸗ 
chen an den paradiefifchen Zuftand lebhaft erinnert, wo 
der erſte Menfch noch ohne Sünde und ein Ebenbild 
Gotted war. Da habe fih in ihm Mann und Weib 
noch nicht gefchieden, und er die Jungfrau in fich felber- 
bewahrt, und in ihr daS Leben. Im erftien Schlafe 
wäre erft eine Scheidung der Gefchlechter entftanden, 
und bald darauf habe dad weibliche zur Lüfternheit das 
männliche verführt, und dadurch das göttliche Naturgefeg 
der Menfchheit gebrochen, welches ewiges Leben fey. 
Der Tod wäre die böfe Frucht gewefen, und feither 


528 


fuchten fi) Mann und Weib wieder mit einander zu 
vereinigen burch einen gemeinfchaftlichen Geift und Wil: 
len, um den Stachel ded Todes, die Sünde, zu brechen. 
Diefe Vereinigung fey aber nur möglic in dem Jung— 
frauen-Sohne, welcher, al3 Menfh vom Himmel, Mann 
und Weib wieder mit einander verbunden habe, und als 
der geiftliche Adam uns erlöfe in feiner ſchuldloſen Natur. 
Durch den Glauben an ihn koͤnne nur Die Piebe ge— 
wirft werden, welche unter Ehegatten das Männliche 
mit dem Weiblichen zufammenfchmelze, und bie burch 
Sünde gebrochene Jungfrau wiederherftelle. Der Mann 
fönne nicht des Weibes entbehren, und dad Weib nicht 
des Mannes, weil ihre heiligfte Beftimmung ſey, ein 
Ebenbild Gottes, wie am Anfange, zu werden. Daher 
ſey es auch ein hochheiliges Ringen der natürlichen Liebe, 
im erhabenen Ernfte der Hingebung zwifchen Mann und 
Weib, die himmlifche Jungfrau im Fleifche zu gewinnen, 
und Durch fie das ewige Leben. Diefed Streben aber 
fönne nur durd die Kette der Nachkommen hier in Er: 
füllung gehen, indem dadurch auch das Leben der Eltern 
auf Erden unendlich würde, und in ihrem Gefchlechte 
ſich fortpflanze; fo wie aus Abraham ein ganzes Wolf 
fich bauete, welches bleiben wirb bis and Ende, wenn 
gleich der fündliche Leib wieder zur Erde werden müffe, 
davon er genommen ift. Nur Chriftus, der Menſch vom 
Himmel, gezeuget vom heiligen Geifte, habe die Verwe— 
fung nicht gefehen, fondern fey, durch den Todesſchlaf 
verflärt, mit allen Sinnen zum Himmel aufgefahren, 
um freue Gatten, in fich verbindend, im Geifte und 
Sleifche zu heiligen; und als ein Herz und eine Seele 


529 


zu fich zu ziehen, indem er feine Diener des Worts aus- 
fondere, nach feinem Bilde auf Erden zu wandeln und 
Ehen im feinem Namen einzufegnen. 

Die letzten Worte der Traurede waren: »Chriftus 
Sefus, diefer flarfe Sungfrauenfohn, bleibe der Mittler 
Eures heiligen Bundes! So wie er heute Eure Hände 
zufammenfügt, vereinige er auf immer Eure Herzen zur 
frommen Liebe und feften Treue. Eure Wunden wolle 
er gnädig verbinden, Eure Schwachheit geduldig tragen, 
und Euch flärfen in der Macht feiner Stärke! Er baue 
Euer koͤniglich Haus auf den Felfen des Glaubens, und 
die Pforten der Hölle werden es nicht erfchüttern. So 
ſeyd Einer in Chrifto; ſeyd Ihr aber Chrifti, fo ſeyd 
Shr auch Gottes Kinder und Erben feiner Verheißung. 
Amen, Amen, Amen!« 

Das Chor der Jünglinge und Jungfrauen wieder: 
holte das dreimalige Amen melodifch, wie einen vielfach 
verfchlungenen Kanon, und da. der Gefang ſchwieg, trat 
Serenius aus dem Altare, und fragte erft den Bräu- 
tigam., dann die Braut, nach altem, Eräftigen Formu⸗ 
lare, ob fie vor Gottes Angeficht einander Treue halten 
ynd bis in den Tod bei einander bleiben wollten, wie 
das Saframent ed gebiete. 

Häfan antwortete mit einem ftarken, feften » Ia.« 

Freya fprach es leife, Doch vertrauendvol. Nun 
war der Augenblick gefommen, da Erwin fein Verfpre: 
hen erfüllen follte. Er faßte ihre Hand mit zarter Be— 
rührung, und führte fie ehrerbietig, wie ein Diener‘ feine 
Königin, zum heiligen Traualtar. Doch zitterte: feine 
Hand und Thränen fülten feine Augen. Sie ſah ihn 

Erwin von Steinbach. II, 34 


530 


fo freundlich an, als wolle fie ihm Muth geben, und 
die zartefte Dankbarkeit gegen ihn lag in allen ihren 
Mienen. Er ließ fie los und trat zurüd, wo Prinz 
Erik ftand. Daffelbe that Waldemar, indem er Hä- 
fan zum Altare führte, und dann zu Magnus zus 
ruͤcktrat. 


Da ſtand das koͤnigliche Brautpaar nun allein am 
Altare, und beugte ſich tief vor ſeinem Herrn und Gott. 
— Dann zog Serenius die Ringe von ihren Fingern, 
und wechfelte fie mit ficherer Hand. Dann fnieten Hä- 
fan und Freya auf die Polfter des Altard, und beug— 
ten tiefer noch dad Haupt, und der Erzbifchof legte bie 
Hand auf ihre Scheitel, und fprach über fie des Herrn 
Gebet und fegnete fie zum Ehebunde ein. Stille Thrä- 
nen rannen aus Freya’s Augen über ihre gefreuzten 
Finger, und fielen auf die Falten Marmorfteine hinab. 
Haͤkan dagegen blieb feft und unbewegt, und richtete, 
auf des Bifchofs Wink, fich empor, indem er auch feine 
Gemahlin unterftüßte. Beide traten langfam zu ihren 
Führern zurüd, und der lebte Vers eines großartigen 
und uralten Dankliedes in lateinifcher Sprache, welches 
mehrftimmig von den vereinigten Chören gefungen wurde, 
befchloß die erhabene Feier. 


Die Berfammlung begab fich in gleicher Ordnung, 
wie fie Fam, aus der Kapelle in den Ritterfaal zurüd, 
wo Throne für Birger-Iarl, König Haͤkan und 
König Waldemar aufgerichtet waren, fo wie für 
Freya und Ingeborg. Das junge Königöpaar ward. 
von allen Anmefenden mit Gluͤckwuͤnſchen überhäuft. 


531 


Zuleßt trat auch Erwin heran, und fprach zu ihnen 
mit Befcheidenbheit: 


»Der Zag, da mir die Ehre ward, Eure Gemahlin, 
großer König, zum Altare zu geleiten, wird mir heilig 
und unvergeßlich bleiben. Meine Wünfche und Gebete 
für Euch und Eures erhabenen Haufes Wohlfahrt weiß 
nur der Herzensfündiger. Möge Euer Königshaus auf 
dem Fundamente der Gottesfurht in die Wolfen fteigen, 
und, feft gegen die Stürme der Welt, mit feinenzleuch- 
tenden Glaubenszinnen den himmlifchen Frieden berüh- 
ren! Bleibe das Loth in Eurem Haufe die Liebe, und 
der Steinfchnitt die Gerechtigkeit! Gott helfe Euch!« 


»Gott helfe Euch!« riefen alle Steinmeßen, die im 
Saale verfammelt waren. »Gott helfe Euch!« riefen 
draußen Maurermeifter und Gefellen, wie aud einem 
Munde, ald wenn ihr Obermeifter die Lofung gegeben 
hätte, und fofort begann eine rührende Blasmuſik unten 
auf dem Schloßhofe, wo fi) eine große Schaar ver 
Zunftgenofjen verfammelt hatte, und nur auf dieſes Zei— 
chen zu warten ſchien. Nachdem die Melodie. einmal 
fanft durchgefpielt war, erhob fich von unten ein ftarker 
Chorgefang, wie von taufend Stimmen, und folgenden 


Inhalts: 


Es glänzt die Burg, es fteht das Baus, 
Gefüllt mit frohen Gäften, 
Wir fhlugen an, Gott führt’ es aus, 
Und wohnt jest in Paläften, 
Wie bei dem armen Hüttenmann, 
Der ohne ihn nicht fchaffen Tann, 
Anfhlägt er Loth und Waage. 


34* 


532 


Da fteigen Mauern hoch, und feft, 
Mit fharfen Giebelzinnen, 
Doc was ung bünkt das Allerbeft?, 
Der Frieden wohnt darinnen: 
Ein Friede, den Vernunft nicht giebt, 
Der dem nur wird, wer Chriftum liebt, 
In feinen Stapfen wandelt: 


Hier. hauten wir manch koͤſtlich Bild, 
In harten Marmelfteinen, 
Biel fchöner ift Frau Kön’gin mild, 
Mit ihrem, füßen Weinen. 
Herr. König, laß fie; fefte ftahn, 
Und mad’ ihr, eine ebne Bahn, 
Die Bater-Gott Dir fchenkte. 


Nun ziehet hin gen Noremeg, 
und nehmt- ein gut Geleite, 
Here Chrift fen Euch der. Weg: und, Steg, 
Zu fiegen in bem Streite, 
Den Teufel, Welt und Fleiſch anbeut; 
O, ehret alle wack'ren Leut', 
Und. baut die: Himmelshütte! 


Sie fteht in Stein und Klammern nicht, 
Auch nicht in hohen Zhaten ; 
Der Herr iſt felbfb ihre’ Sonn’ und Licht, 
und kann am, befien vathen, 
Fein⸗liebliches ift ihr Gebäu, 
O, bleibet Euch fein lieb und freu, 
So wird Fein Sturm fie brechen! 


Gedenkt denn. an. die. Steinmetzzunft 
Und ihren Obermeifter, 
Der baute, ſtark und: mit. Vernunft, 
Aus Pappen nicht und Kleifter;- 
Er fah eö ab dem Herren Chriſt, 
Der Aller Obermeifter. ift; 
Bleibt Ihm und und. gewogen! 


533 


— — — 


Birger-Jarl war ſehr uͤberraſcht. Koͤnig Haͤ— 
kan und die junge Koͤnigin freuten ſich herzlich. Die 
ganze Geſellſchaft ward lebhaft bewegt, denn es kam 
wie eine Stimme des Volks, die laut zum Throne 
dringt. 

Hubert hatte das Lied gedichtet, und mit Geneh— 
meigung des Erzbifchofs es unter den Steinmetzen ein- 
geübt; Niemand anders, felbft Erwin nicht, hatte da— 
von erfahren. Er gerieth daher in einige Verlegenheit, 
da man fein Mitwiffen vermuthen Tonnte, und feiner 
rühmend darin gebacht war. Es fchien ihm fehr unpaf- 
fend, daß an diefem feierlichen Tage auf ihn und fein 
Merk die Aufmerffamkeit gerichtet wide. Eben wollte 
er dem Herzog einige entfchuldigende Worte über bie 
Dreiftigkeit feiner Zunftgenoflen fagen, ald Serenius, 
ihn errathend, fchon in die Rede fiel und ſprach: 

» Theurer Herzog, laßt Euch diefe laute Stimme 
Eures fo wadern und kunſtfertigen Volks wohlgefullen' 
denn fie brachten es mit Liebe und Treue. Ich habe «8 
mit befötvett, doch blieb es deni Meifter von Stein: 
Bach verborgen, der es nach feinet beſcheidenen Weife 
nicht zugeläffen hätte. « 

»Nun,« verfebte der Herzog heiter, »es uͤberraſchte 
mich allerdings, doch, was aus Eurer geiſtlichen Hand 
kommt, das kann nichts Anderes, als Friede und Fteude 
bringen. So hat der kraͤftige Geſang unſerer Maurer 
mich in Wahrheit erfreuft.« 

Prinz Erik kam herbeigeſprungen, kuͤßte Erwin, 
und lief vann auf bie junge Koͤnigin zu, indem er aud- 
tief: »Gluͤck auf, fühe Schwefter, meine Königin! War 


534 


dad nicht recht herrlich, wie fie fangen? Nicht wahr, 
Du bleibft dem guten Meifter Erwin hold, und läßt 
Dir auch ein fold) Haus von feiner Zunft einft bauen ?« 
Bei diefen Worten Füßte er fie lebhaft, und gab dem 
König Haͤkan die Hand, der fein inniges Wohlgefallen 
an dem freuherzigen und lieblichen Knaben hatte. 

Freya bejahte es dem Bruder lächelnd, und Haͤ— 
fan verfprach ihm, in Sahresfrift ven Bau eines Pala- 
fied zu beginnen, wenn Erwin dazu den Ri machen 
würde. | 

Dann wandte ſich der König zu unferm Freunde 
und fprah: »Xheurer Marfchall, ich bin Euch, durch 
den ſchoͤnen Gefang unterbrochen, meinen Dank für Eu- 
ven Gluͤckwunſch ſchuldig geblieben. Er war fo vielfa- 
gend, daß er mich in mich felbft zurückführte, und dann 
fehlt der Zunge dad Wort. Bleibt unfer Freund und 
bauet noch einft für und Schloß und Kirche. Bietet 
und auch zu allen nüßlichen Schritten die Hand, wie 
heute zum Altare. Ihr habt uns einen rechten Dienft 
gethan, und Freya muß Euch niemals fremd werben. « 

»Niemald,« fagte die junge Königin, und reichte 
ihm ihre zarte Hand, indem fie ihn mit vollem Ver— 
trauen anblicte. 

Nun begann die Zafelmufit mit einem raufchenden 
Marche, und die ganze Gefelfchaft begab fich in die an- 
grenzenden Speifefäle zu den reichbefesten Zifchen, wo 
Erwin fich feine Stelle zwifchen Hubert und Kaspar er- 
bat, wiewohl ihm, ald Marfchall und Brautführer, eine viel 
höhere zugedacht war. Der gütige Herzog gewährte es 
ihm, und fo befand er fich wieder unter den alten 


935 


— — — —— nn 


Freunden, mit denen er deutſch reden konnte, — und ſie 
gedachten des Vaterlandes. 


— nn — — — 


Vierzehntes Kapitel. 





Aufgehoben war die hochzeitliche Tafel. Die Gaͤſte 
hatten an mehreren Tiſchen die koͤſtlichſten Speiſen und 
Getränke in Fuͤlle genoſſen. Auch die wackern Stein- 
meben auf dem Schloßhofe waren nicht vergeflen wor— 
den, fondern im Erdgefchoß reichlich bewirthet. Die 
Skalden hatten vor dem hohen Königspaare ihre preifen- 
den Lieder auf Häkans und Birgers Heldenflamm 
zu den Harfen gefungen. Die Trinffprüche waren von 
den fürftlichen Marfchällen mit Jubel ausgebracht, nad) 
Stand und Herlommen, und Trompeten hatten es mit 
eherner Zunge allem Volke über Burg, Wald und See 
zugerufen, daß es dem jungen Königdpaare gelte. Auch 
die Armen in ganz Weftergöthland waren auf 
Freya's Begehren heute reichlich gefpeifet, und allen 
- Kranken hatte man in ihrem Namen ein Labfal darge- 
boten, mit dem Wunfche, für ihre Prinzeffin- Braut zu 
beten. So fegnete mancher Elende fie auf feinem ein- 
famen Lager und mancher Arme in feiner engen Hütte, 
und wir meinen, ed war nicht dad Wenigſte zur Ver— 
herrlichung diefer königlichen Hochzeit. 


336 


Der Erzbifchof Serenius hatte am Anfange und 
Schluſſe des Mahls ein Danfgebet gefprochen, und nun⸗ 
mehr begaben ſich Alle in den Tanzſaal, wo der König 
Häfan mit feiner Gemahlin den erften Reigen begann, 
und dadurch die Lofung für Prinzen, Grafen und Her- 
ren gab, fo wie für jeden Gaft, der tanzluftig und tanz- 
fähig war; denn Mancher hatte fich bei Seite gefchli- 
chen, um feinen Raufch auszufchlafen, oder unter den 
Alten durch Brettfpiel ſich zu ergößen, wie in den an- 
grenzenden Sälen die Anftalten getroffen waren. Er- 
win fah ſtill dem Tanze zu, bi8 Serenius zu ihm 
trat und von feiner Anfcharkicche ihm zu erzählen be— 
gann. Jaͤrnſtrong habe ihm gefhrieben, fagte er, 
daß nothwendig der Dbermeifter nun felbft kommen 
müffe, um. bie durchbrochnen Arbeiten zu leiten und dag 
hohe Zhurmdach zu konſtruiren, indem er ſich bei dem 
beſten Willen damit nicht befaflen koͤnne. Alles werde 
in Stoden gerathen, wenn er noch länger ausbleibe, 
und die Freudigkeit der Maurer nehme fchon merklich ab, 
weil fie eiferfüchtig auf den Schloßbau zu Bielbo ge- 
worden wären. Sey doch, fprächen fie, eine Kirche viel 
mehr, ald ein Palaft, und das Erfibegonnene müffe voll: 
endet werben, ehe man ein Zweites anfange. Viele der 
Steinmetzen wollten eheſtens abziehen, und unterbeffen 
andere Bauten übernehmen, big ber Obermeifter der 
Hütte erſchiene. Uebrigens ſey bereits das Kreuzgewoͤlbe 
des hohen Chors geſchloſſen, und das Gewoͤlbe des 
Schiffs zur Hälfte ſchon vollendet. Das Bauwerk finde 
einen allgemeinen Beifall, und er felbft müfle geftehen, 
daß er fich die Wirkung des Ganzen nicht fo großartig 


537 


vorgeftellt habe. Die Steine wären trefflich behauen, 
und die Flächen der Umfangömauern wie ein eherner 
Guß. Darum, duͤnke ihm, wenn der Deutfche auch er: 
finderifcher wäre, fo fen der Schwede doch tüchtiger und 
meifterlicher in der Ausführung ; Beides aber vereinigt, 
koͤnne eine feltene Vollendung berverbringen. 

»Ihr müßt,« Schloß der Biſchof, »meinem Jaͤrn⸗ 
firong feine Bemerkungen, welche ich fo offen Euch er- 
zählte, zu gute halten; benn er meint es bieder im 
Geiſte feined Volks, und ift eine Durchaus treue Seele.« 

»Ich erfenne ganz, was er ift,« verfeßte Erwin 
nachdenklich; »und fo wird ed denn, Eminenz, auf alle 
Wege Zeit, daß ich nach Lund zurüdfehre, um meine 
übernommenen Verpflichtungen zu erfüllen. Auch bindet 
mich hier nicht8 mehr, da der verhängnißvolle Knoten 
ſich fo glüdlich für mich löste, und ich num in Frieden 
zu Euch heimkehren kann. Freilich) habe ich dad Meifte 
. Euch dabei zu danken, nächft Gott, und kann es Euch 
niemals vergelten.« 

Serenius Hopfte freundlich ihm auf die Schulter 
und erwieberte: »Ihr habt es fchon vergolten, werther 
Meifter. Eure Liebe und Folgfamkeit find das befte 
Zeugniß des göttlichen Segens, welchen Ihr mit in bie 
Heimath nehmt, und Eure Werke werden davon in lan— 
gen Sahrhunderten noch zu der Nachwelt reden. Es iſt 
eine Schrift, die fo bald nicht verlifcht.« 

Unterdeflen hatte fih Birger-Iarl zu ihnen gefellt, 
und bezeugte mit großer Heiterkeit, wie glüdlich die 
junge Königin an der Hand ihres Gemahls erfcheine, 
und wie alle Wolfen der Schwermuth von ihrer Stirn 


538 


weggewilcht wären. König Haͤkan dagegen fey ganz 
in ihrem Anfchauen verfunten, und habe ihm wiederholt 
werfichert, daß er der Seligſte unter allen Menfchen 
wäre, feit er fühle, daß fie ihn liebe und mit ihrem 
Looſe zufrieden fey. 

Der Erzbifchof verfeßte bedeutſam: »Dafür, mein 
Herzogs Regent, ift allein Gott zu danken; denn nicht 
durch Euer Wollen und Laufen, fondern nur durch fein 
Erbarmen ift folches erfüllt; wie denn überhaupt alles 
Gute nur von Ihm, und nicht von und zu Stande ge= 
bracht wird. « 

»Doch dürfen wir wohl,« fiel Birger ein, »auch 
Euh, Eminenz, ein Theilchen davon beimeffen, indem 
Ihr die Herzen Ienktet, wie die Waflerbäche, und fie 
ftillen Eönnt, wie der Herr an den Meereöwogen im 
Sturm einft that. « 

Der Erzbifchof erwiederte mit Nahdrud: »Wir 
ſchwachen Menfchentinder alle, infonderheit aber wir 
Knechte Chrifti, find berufen zum Dienen. Wenn wir 
und aber unter einander brüderlich dienen und aufhelfen, 
ein Seder mit der Gabe, die er empfangen bat, fo 
fommt der Segen des Herrn über und, und fillt die 
Herzen, wie die Stürme. Der hat auch diefe Hochzeit 
fo heiter gemacht, und gebe und Allen ein fröhliches 
Ende. « 

Der Herzog drüdte dem Erzbifchofe die Hand, und 
mahnte, daß Erwin, als Marfchall, mit der jungen 
Königin tanzen möge. Er felbft führte fehr gnädig ihn 
zu ihr hin, und Erwin begann mit Freya ben Reis 
gen, indem Birger zu Serenius zurüdtrat. 


539 


Unferm Freunde war wunderbar zu Muthe, denn 
ed war nicht mehr diefelbe Freya, ald am norigen 
Abend, und doch blieb fie in ihrer alten Freundlichkeit 
und Güte gegen ihn, ja redete zu ihm manches trauliche 
Wort in den Paufen des Tanzes. Er fühlte deutlich, 
daß eine große Verwandlung mit ihr vorgegangen fey, 
weil fie das Eigenthbum eined edlen Mannes wurde, 
Shre Umarmung unter dem Sternenhimmel Fam ihm 
nun wie ein Mährchen oder Traum vor. Sie hatte dem 
angetraueten Gemahle ihr Herz gefchenkt, und ein eigener 
klarer Verftand leuchtete ihm aus ihren fehönen Augen 
entgegen, welcher ihn ſtill und ernft in fich felber zurüd- 
wies, wie fehr fie auch feine Freundin blieb. Duͤnkte 
ihm einft ſchon die Kluft durch ihre hohe Geburt uns 
überfteiglich groß, fo erfchien ihm diefe durch den heili= 
gen Stand unendlich, und alles Sehnen verfant von 
nun an wie in einen bodenlofen Abgrund. Sie hatte 
ihn völlig frei gemacht, und mit dem erften und legten 
Kuffe fich felbft zurückgegeben. 

König Häkan, der dem Tanze zugefehen und fie 
aufmerffam beobachtet hatte, trat fehr heiter zu ihnen 
und lobte Erwins deutſche Zanzweife, welche zwar 
weniger Glanz und Kühnbheit, aber viel mehr Einfachheit 
und Natürlichkeit, als die nordifche, offenbare. »Auch 
Freya,« fehte er fcherzend hinzu, »hat fic) Manches 
von Euch) angenommen, was mir wohl gefällt.« 

»Wie könnte es auch anders feyn,« fagte die Kö- 
nigin, »da mein guter Marfchall mir fo lieb und werth 
if, und man unwillkuͤrlich dann Manches von ein- 
ander anzunehmen pflegt. Möchte ed mir. nur micht 


540 


wieder verloren gehen, nachdem er uns verlaflen hat.« 

Unterdefien öffneten fich die Flügelthüren, und eine 
Menge Masken traten herein, welche zum allgemeinen 
Auffehen, da eben eine Paufe des Tanzes eingetreten 
war, mitten durd den Saal zögen, ald wenn fie die 
Herren des Feſtes wären. 

»Platz da,« rief Hermoder, der Sötterbote, » denn 
ed find Perfonen vom höchften Range bier, mit denen 
fich nicht fpaßen läßt. Dpdin, mit feinem ganzen MWal- 
halla⸗Himmel, kommt zum Hochzeitfefte, und alle Götter 
wollen die Braut fehen. « 

Man erkannte fogleich die Stimme unter der Maöfe 
ald Prinz Eriks, und Jeder machte fich mit dem Tieb- 
lichen Boten etwas zu fchaffen, Jeder wollte ihm Rebe 
abgewinnen. Alle Götter aber folgten ihm auf dem 
Fuße nah, und er ließ fich nicht aus feiner Rolle 
bringen. 

Odin und Frigga kamen in alter Nordlands- 
tracht, und grüßten Braut und Bräutigam mit Maje- 
ftät. Odin, das Rabenpaar auf feinen Schultern, 
fprach zum Bräutigam: »Heil Dir, Norwegs König! 
Nimm hin Verſtand und Vorbedacht, und laß fie flie- 
‚gen, wie meine weißen Naben, durch die ganze Welt. « 
Frigga dagegen, den Zauberftab in der Rechten, fprach 
zur Braut, indem fie fanft ihr Haupt Damit berührte: 
» Heil Dir, Königin: Braut! Nimm hin unverwelfliche 
Schönheit, Deinem Gemahl zur Wonne, fo lange Du 
lebſt!« Worüber sogen fie auf hohem Kothurn, und ih- 
nen folgte Thor. mit dem Hammer und Balder mit 
dem Schwerte. Thor fprach zum Bräutigam: 


541 


»Heil Dir, Königd= Held! Zermalme Deine Feinde, 
wie ich mit dem Hammer. « 

Balder fprah zur Braut: »Es Leuchte Deine 
Unſchuld ſtets, wie dieſes Götterfchwert, was keinen 
Roſt annimmt!« 

Voruͤber zogen fie fehnell, und ihnen folgten Braga 
mit der Leyer und Iduna mit den goldenen Xepfeln. 

Braga fprach zu Hakan: »Heil Dir, guter Koͤ— 
nig! Die Leyer Deines Herzens tüne, wie diefe, ftets 
reinen Klang, und Deine Lippen follen überfließen von 
MWohlredenheit!« 

Iduna fprach dagegen zur Braut: »Heil Dir, 
füße Königin! Nimm diefen. Apfel. aus Asgard, und 
beige, ihn. an,. wenn. dad Alter Dich befchleichen will, 
Dann wirft Du ewig. jung bleiben und blühend zu den 
Göttern gehen.« Mit diefen Morten legte fie einen. 
goldgelben Apfel in. ihre Hand, und Beide gingen fchnell 
vorüber, Ihnen folgten Frey, der Gott des Lichts, 
und Freya, die Göttin. der Liebe, Frey trug: ein Füll- 
horn, voll Garben, und, fprach zum Bräutigam: »Heil 
Dir, gerechter, König! Nimm. hin. Regen, und Sonnen- 
fchein. aus meiner Hand! Fruchtbar fey Dein Land und. 
fruchtbar, Dein Bette, wie diefes Fulhorn! Friede und 
gute, Zeit ſollen Deine, Regierung begleiten.« 

Die Göttin, Frey a trug: ein goldenes Netz und 
ſprach zur Braut: »Heilı Dir, Königin, und Schwefter: 
Sp. wie dieſes Gewebe, webe die Tage Deines: Mannes 
zufammen,,, golden: und. licht! Umftride ihn mit- Deiner 
Liebe, wie: dieſes Netz Dein Haupt, Damit feim Herz 


542 


frifch bleibe! Denn nicht umfonft habe ich Dir die bezau- 
bernde Schönheit verliehen. « 

Borüber eilten diefe, und auf dem Fuße folgten ih- 
nen Heimdal, der heilige Wächter mit der Pofaune, 
und Gnd3, die Göttin der Anmuth. | 

Heimdal fprah zum Bräutigam: »Heil Dir, 
König! Wache über Dich felbft und wache über Dein 
Volk! Laufhe auf des Grafes Wuchs und auf der 
Mole Spriegen, wenn Du unter Feinden bift; damit 
mein Giallarhborn Dich nicht erfchrede am Tage 
Ragnaroͤckr. Denn der Tag wird fommen, ba alle 
Melten im Feuer zerfchmelzen und das Recht erfchallt. « 

Gnoͤs dagegen fprach zur Braut, indem fie ihr 
einen goldgewirkten Gürtel überreichte: „Heil Dir, Kö- 
nigin und Gefpielin! Gürte Dich, neige Dich, beuge 
Di vor Deinem Manne, dem Herrn, daß Du ihn bin- 
deft mit Banden ber Anmuth, und er Dein Freund 
bleibe !« 

Auch dieſes Paar 309 fehnell vorüber, und ihnen 
folgten die drei Nornen: Urd, die Vergangenheit; 
Maranda, die Gegenwart, und Skuld, die Zukunft. 
Wie Schweitern hielten fie fi) an der Hand, und wa— 
ren auch gleich gekleidet. Urd trug ein abgelaufenes 
Stundenglad und ſprach zum Bräutigam: »Heil Dir, 
König! Kerne aus den Gefchichten Deiner Väter, was 
Du heute thun folft!« Waranda trug ein gefülltes 
Stundenglas, und ſprach zur Braut: » Heil Dir, Köni- 
gin! Saͤe heute, wad Du morgen ernten will. Heute 
blüht Dein Glüd!« Skuld trug ein Ei und ſprach 
zum Bräutigam: » Heil Dir, Königsfohn! Frage meine 


543 


Schweftern, wer ich ſey, und lerne von dem Ei, was 
Du werden folft!« Alle drei Schiefalöfchweftern fan- 
gen nun mit lieblicher Stimme folgende Worte, indem 
fie um dad Brautpaar einen Ringelreigen tanzten: 


Wir Schweſtern drei vom Urdbarbrunn’, 
Aus hohem Stamm entfproffen, 

Am Eſchenbaume Igdraſyl 

Iſt uns die Seel' erſchloſſen, 

Zu rathen Euch am Lebenspfad, 

Zu theilen die blinkenden Looſe, 

Zu wandeln mit Euch fruͤh und ſpat, 
Zu lauſchen dem ſuͤßen Gekoſe; 

Zu Öffnen Euch Walhalla’s Thor, 
Wenn einſt Allfader gerufen: 
»Steigt, Lieblinge, zum hoͤheren Chor, 
Auf meinen erhabenen Stufen!« 


Alle Götter fielen in die letzten Verſe, als Cho- 
rus, ein, und bildeten mit den Nornen, um dad Braut: 


paar tanzend, einen großen Kreis, die Worte wieder: 
holend: | 


»Steigt, Lieblinge, zum höheren Chor, 
Auf meinen erhabenen Stufen!« 


Das Fönigliche Paar und die fürftlichen Perfonen 
bezeugten über dieſe Darftellungen ein lebhafte MWohl- 
gefallen, und Freya, welche fogleich ihre Freundinnen 
unter der Maske der Nornen erkannt hatte, reichte ihnen 
die Hände und dankte ihnen herzlich für die Liebliche Be- 
reitung ihres Schickſals. Man meinte, die, Mummerei 
babe nun ein Ende, und wollte ſich wieder zum Tanze 
wenden; aber Hermoder rief mit lauter Stimme: 
»Es ift noch nicht aller Tage Abend gelommen!« Zu: 


544 


gleich ftellte fich die ganze Götterfchaar "oben im Saale 
auf, und indem fie einen Reigen begann, fo öffneten ſich 
die Flügelthüren der Unterwelt, und herein traten aller- 
lei fcheußliche Mißgeftalten, welche von einem hageren 
und fpisbübifchen Alten,. vem böfen Gott Lokke, ange- 
führt wurden. Ihm folgte die große Midgards- 
fchlange in buntglühenden Ringen, und ver fchredliche 
Senriswolf mit ungeheurem, weit aufgefperrten Ra- 
chen. Sie zogen fcehweigend, mit. feltfamen: Büdlingen, 
an dem Königdpaare vorüber, und herein trat die furcht- 
bare Hela, die Göttin ded Todes, mit einer weißen 
und einer fehwarzen Hälfte vom Geficht bis zur Sohle. 
Ein langer grauer Flohrfchleier wallte zurüdgefchlagen 
weit hinter ihr ber, und ihr folgte nach ein ganzer blei= 
cher Hofflaat der Abgefchiedenen, in dunfelgraue Flohre 
gehüllt, wie eben aus einer dumpfen Behaufung ent- 
laſſen. Hela neigte fih ſtumm und tief vor dem jun= 
gen Königöpaare, und fo that ihr ganzes Gefolge, fchnell 
vorüber eilend, indem fie zu Lokke's Schaar fich düfter 
gefellten. . 
Noch einmal öffneten fich die Flügelthüren des 
Saals, und herein traten die Riefen mit ihren Weibern, 
angeführt von Thiaffe, der‘, im Geftalt eines ungeheu⸗ 
ven Adlers, heftig mit den Flügeln fihlug, fo daß: im 
Saale ein flarfer Wind: entfland.. Vor: dem hohen 
Brautpanre' legte er: feine Flügel: zufammen: unb: 
ſprach: Meine Kälte: ifb nicht für Euch, frommes 
koͤnigliches Blut, fondern nur für die Vorwitzigen und 
Böfen: « 

VBorüber zog er mit feiner Riefenbrut, und ihnen 


545 


folgte alsbald ein Heer mißgeftalteter Zwerge, angeführt 
von einem Zwergenfönige, allerlei goldene Ketten, Span- 
gen und Kleinodien, Schwerter und Helme in glänzen: 
den Wappenfchilden tragend, welches fie dem Könige 
und der Königin, ald Tribut der Bergwerke und Ham: 
merfchmieben, unter fraßenhaften Kredenzungen barbrach- 
ten. Mit rußigen Gefichtern, führten Einige noch Ham: 
mer und Zange, als wenn fie fo eben aus der Eſſe 
fämen. Endlich) nahm der Zwergkoͤnig dad Wort und 
fprach zu Hakan: | 

»Heil Dir, großer Herrfcher von Noreweg! Wir 
bringen, nad altem Braude, Euch die Morgengabe, 
damit Du und kleine Leute unter Deinen Füßen gnaͤ— 
dig wohnen laffeft und und vor den ungefügen Riefen 
befhügeft, auf daß wir ruhig die Kunftarbeit anfertigen 
und Zauberrunen fchmieden Fünnen. — Doch Du haft 
bereit an Frau Königin den hoͤchſten Zauber, womit 
Du alle Drachen, Rieſen und $enriswölfe vertreiben 
magft. Allfader erhalte fie Dir, und möge unfer 
Hämmern unter Deinem Palafte Eure füße Nachtruhe 
nicht flören !« 

Ale lachten über die Worte und nedifchen Reveren: 
zen des Zwergkoͤnigs, und da er fich wieder unter fein 
Volk zurüdzog, rief Birger-Iarl: »Mie ähnlich 
macht er es doch unferm Narren nach, und wie gleicht 
ihm fo ganz die Geftalt, ald wenn ich meinen armen 
Joͤns wieder vor mir fähe. Selbft die Maske ift fo 
täufchend, daß man fie von der wirklichen Haut nicht 
unterfcheiden kann.« 

» Das glaube ich wohl,« verſetzte raſch der Zwerg⸗ 

Erwin von Steinbach. H. 55 


546 





fönig; »denn ich bin's felbft und leibhaftig, und noch 
Niemand hat dem armen Sons die Maske abgezogen. « 

»Was?« rief der Herzog erftaunt und fröhlich, »Du 
bift Joͤns vom Nordpol, und ich habe meinen guten 
enttlaufenen Leibnarren wieder? Wo fommft Du denn 
ber in aller Welt?« 


»Aus aller Welt,« verfeßte der Narr; »gerades 
Wegs vom Falten Nordpol; denn ich mußte durchaus 
die Sungfer Braut fehen und Euer Hochzeitfeft mit mei= - 
ner Gegenwart verherrlichen. Sch mußte auch meine 
Vettern, Erik und Erwin, noch einmal im Narren- 
thum kuͤſſen, ehe denn ich weife werden kann. Der 
Fuge Heilige hat ed mir denn endlich auf mein Flehen 
erlaubt, da es Doch nicht anders feyn Fonnte, und ich 
bin fo eben mit feinem SHundefchlitten hier angelangt, 
um morgen in aller Frühe wieder abzufahren, wenn 
Ihr, mein geftrenger Herr, es anders erlauben wollt, 
baß ich vernünftig werde; denn ohne Eure Einwilligung 
bleibe ich ein Narr bis in den Tod.« 

Der Herzog lachte und rief: »Von Herzen gern, 
mein armer Joͤns; werde vernünftig bei Salmar am 
Nordpol, und heute fey und noch einmal närrifch will- 
fommen zur Hochzeit! « 

Die ganze Gefellfchaft ergößte fich fehr an dieſer 
Entdekung, und Prinz Erik fam nun aud ald Her- 
moder gefprungen, riß feine Maske ab und Füßte den 
Narren fo heftig, daß diefer taumelte. 

» Köftlicher Narr,« rief er aus, » das war prächtig, 
daß Du Famft, und Du haft und Alle mit Deiner Laune 


‚ 547 


übertroffen! Wenn fo ſchoͤn die Weisheit bei Dir an- 
hebt, wie herrlich muß fie. enden! « 

»Sachte, fachte, mein Prinz, « rief bebenklich vage: 
gen der Narr. »Ich taumle von dem Becher Eurer 
Freundichaft, und bin ganz beraufcht von Euren jugend- 
lichen Entzüdungen. Das muß der weile Jalmar 
nicht erfahren, wenn er mich wieder annehmen foll. 
Aber wo ift Better Erwin, der Dritte unferd edlen 
Bundes? Ich fürchte bei ihm jeßt eine hohe Vernunft, 
und dann habe ich ihn ewig verloren. « 

»Mit nichten,« verfegte Erwin, indem er zu ihm 
trat und ihm die Hand fchüttelte; »ich freue mich fehr, 
mein lieber, treuer Joͤns, Dich noch einmal wiederzu- 
fehen. Ich habe oft Deine Schwäne entbehrt, und 
Dich fogleich in der Rolle erkannt. « 

»Nun, das klingt ja gut,« fagte der Narr, »fo bin 
ich nicht vergebens gereist. Doc, Vetter, ich muß wie: 
der zu meinem Volke, um das Reich zu regieren; ‚denn 
Hubert bat mid, noch halb erftarrt, fofort zu ihrem 
Könige ausgerufen. Die Pflicht gebeut; bis dahin Valet!« 

Mit diefen Worten eilte er kredenzend wieder zu 
den Zwergen und ordnete fie unten im Saale behend zu 
. einem Reigen, während die Niefenwelt und Hela mit 
ihrem Schattengefolge in.der Mitte des Raumes fich 
aufftellte, und Odin mit feiner Götterfehaar den obern 
Theil deflelben einnahmen. 

Heimdal, der heilige Wächter, gab mit der Pofaune 
dad Signal, und die Mufifanten fpielten einen von Hubert 
componirten Marfch, nach welchem ſich die Masken gruppen 
mweifein Bewegung festen, indem jede fich zu benibrigen bielt, 

35 * 


548 


Die Ungeheuer aber, Midgardsfchlange, Fenris— 
wolf und Garm, ber Höllenhund, waren bei Seite ge: 
treten und lagerten am Orcheſter, oder umzogen lang= 
fam und geheimnißvoll den großen Ring der Tanzen— 
den. Die Tänze waren von Hubert, nach der Eigen- 
thuͤmlichkeit einer jeden Gruppe, finnreich erfunden, und 
alle nach gleichem Takte geordnet. Die Götter bemweg- 
ten fich in fanften Bogen und Kreifen, welche bald, an= 
muthig durchſchnitten, einzelne Pleinere Ronden bildeten, 
dann wieder in einigen großen Ringen konzentriſch um 
Ddin und Frigga fich drehten. Die Riefen. und Set- 
ten dagegen, mit ihren Bauberweibern,, von denen einige 
auf Wölfen ritten und in Händen Schlangen hielten, 
bewegten fich Feilfürmig gegen und durch einander, und 
bildeten um den Adler Thiaſſe, ald Mittelpunkt, ihre 
fpigen Polygone. Anderd wiederum reihten fich die Geifter 
des Abgrundes um ihre bleiche Göttin, indem fie, wie 
Gewittermolfen, an einander fehlugen oder von einander 
abprallten, und endlich nebelhaft in einander fich mifch- 
ten. Zuletzt erfchienen die Zwerge in allerlei fünftlichen 
Figuren und Verfchlingungen, indem fie mit ihren Haͤm— 
mern an die Schilde ſchlugen und um ihren König 
Sons die poffirlichften. Komplimente fehnitten. Der 
Narr zeigte hier feine ganze Kunft, und ahmte öfters 
mit dem Munde alle-Laute der Thiere nad), worin er, 
wie wir wiffen, fehr geübt war. 

Nachdem die Gefellihaft eine Zeit lang an dieſen 
funftoollen Charaftertängen fich ergößt hatte, vereinigten 
fih die verfchiedenen Gruppen, und ftellten fi) einan- 
der, wie zu einem großen Kampfe, gegenüber. Heimdal 


549 


ftieß von Neuem in die Pofaune, und die Mufit nahm 
einen feierlichen und Triegerifchen Zaft an. Die Riefen, 
die unterirdifchen Geifter der Hela und die Ungeheuer 
ftelten fich in einem Phalanr auf der einen Seite des 
Saald um den böfen Gott Lokke. Die liftigen Zwerge 
dagegen fchlichen jich unter ihnen durch und gefellten fich 
zur Götterfchaar, welche fich in einem gleichen Phalanr 
auf der andern Seite um Odin verfammelt hatte und 
zum Kampfe zu bereiten fchien. Prinz Erif, der un 
terdeffen die Maske gemwechfelt hatte, und nun als ber 
feuerfpeiende Surtur erfchien, rief laut: »Ragnarddr 
beginnt!« — Aldbald rüdten die Götter aud mit glän- 
zenden Waffen, und voran trat Odin im goldenen Helm 
und filbernen Panzer, und fehwang feinen Spieß Gug— 
nir dem gräulihen Fenriswolf in den aufgefperr- 
ten Rachen. Ihm zunähft trat Thor mit dem Ham: 
mer der Midgardöfchlange entgegen. Frey, der 
Gott des Lichts, Doch ohne Schwert, und nur mil einem 
kurzen Wurffpiege gerüftet, ließ fi) mit dem feurigen 
Surtur in Zweikampf ein. Heimdal rüdt auf den 
böfen Lokke los, und fo alle Götter gegen die zerftö- 
renden Mächte. Auh Frigga bietet der Hel’ bie 
Spite, und fo alle Göttinnen den Riefinnen und Zau⸗ 
berweibern. Die Götterfchlacht beginnt nach einem ra= 
fcheren Takte und wird mit abwechfeldem Glüde geführt. 
Die Zwerge kommen den Göttern mit ihren Liften zu 
Hülfe, indem fie, ald Kappen, ihnen ſtatt der zerbrod)- 
nen Waffen neue Darreichen, auch Zauberfetten um bie 
Niefenwelt zu fpannen fuchen. Der Sieg bleibt eine 
Weile unentſchieden. Bald weicht die eine Partei, bald 


550 





— 


die andere; bald ſtreifen ſie einander voruͤber, ſo daß 
Goͤtter, Rieſen und Zwerge zu bedeutſamen Tanzfiguren 
verbunden werden, welches vielen Beifall fand. End— 
lich aber werden die Ungeheuer uͤbermaͤchtig Odin 
wird leider von dem Fenriswolf gefällt, diefer aber von 
Widar erlegt. Thor erfchlägt die Midgardöfchlange 
mit dem Hammer, ſinkt aber felbft, von ihrem Gifte 
überfchüttet, Ieblos zu Boden. Frey wird von dem 
flammenden Surtur überwunden, und Heimdal und 
Lokke erfchlagen fich gegenfeitig. Frigga erliegt ber 
Hela, und Freya einem BZauberweibe mit Schlangen- 
baaren. Nun verbteitet Surtur durch MWeihrauh, in 
eine Fackel geblafen, den allgemeinen Weltbrand der 
Edda. Die Muſik wird immer großartiger und raus 
fchender. In den Rauchwolfen verfchwinden die alten 
Götter, zugleich aber auch die Ungeheuer, Riefen und 
Zwerge. Nachdem die Wolfen ſich verzogen haben, ift 
ihre Spur im Saale nicht mehr zu finden. Eine fanfte 
Muſik beginnt; welche zu einem neuen fchuldlofen Leben 
auf Erden einzuladen ſcheint. Es tritt herein ein länd- 
liche Paar in fchwedifcher Volkstracht, von Hermo— 
der gemeldet, ald Liv und Livtrafer; doch iſt's fein 
anderes, als der wackere Waffermüller und feine Frau, 
welche ohne Maske und in ihrer Sonntagstracht dem 
hohen Brautpaare Gefchenfe darzureichen gefommen find. 
Nachdem fie fich genähert haben, ſchweigt die fanfte 
Mufif. Der Müller bot dem Könige ein Füllhorn mit 
Garben, darin ein ſchwerer, großer, filberner Becher 
lag, und fprach zu ihm: » Das fendet Dir, edler König, 
des Meftergöthlandes Männervolf mit dem Gluͤckwunſch: 


551 


So fey unter Deinem chriftlichen Scepter Dein Volk 
gefegnet! Fürchte Gott, bleib ein Freund Deines Volks 
und gebenfe unfer bei diefem Becher!« Die Müllerin 
bot darauf der Königin einen Korb voll fchönen Obftes, 
darin eine goldene Spindel mit purpurrother Wolle lag, 
und fprach zu ihr tiefgebeugt: »Dies fenden Dir, edle 
Königin, die Frauen von Weftergöthlands Volke mit dem 
Gluͤckwunſch: Wie diefe reifen Baumfruͤchte, fo fey 
Dein hohes Haus gefegnet von Gotted Hand! Bleibe 
eine Mutter der Armen, liebe Jeſum Chrift, und gedenke 
unfer bei diefer Spindel, wenn Deine fleißigen Dee 
den rothen Faden Deines Gluͤckes fpinnen!« 

Haͤkan und Freya waren fehr gerührt; der 
König umarmte den wadern Waffermüller und die Ko: 
nigin die fittige Miüllerfrau, indem Beide dem guten 
weftergöthifchen Volke durch fie herzlich für ihre Gaben 
und Wünfche danken ließen. Auf einen Wink des Waf- 
ſermuͤllers erfchallte unten auf dem Schloßhofe von einer 
zahllofen Volksmenge dem edlen Königspaare ein lautes 
»Lebehoch!« und Zaufende von Lampen erleuchteten 
plößlich, wie mit einem Zauberfchlage, die ganze Umge— 
gend Bielbo’3 im Garten und am See, nach fliller 
Verabredung der Lanbleute. 

Birger-Jarl war freudig gerührt, und da ber 
Müller ihre Dreiftigkeit entfchuldigen wollte, ſchloß er 
ihn an feine Bruft, wie die Herzogin die Müllerfrau, 
und fprach darauf: »Das bringt meinem fo wadern, 
getreuen Volke; denn fo, wie Euch, möchte ich heute 
fie alle an meine Bruft fchließen. Zum Zeichen meiner 
Gnade nehmt aber Eure Waffermühle mit dem dazu 


552 


gehörigen Kronader ald Freigut, und mahlt fortan alles - 
Mehl für mein Schloß Bielbo.« 

Der Müllermeifter dankte dem Herzoge aufs herz⸗ 
lichſte, und entfernte ſich mit der Muͤllerin, welche vor 
Thraͤnen nicht reden konnte. 

Wie aber Erwin ſich freute, der noch einmal ſo 
unerwartet ſeinen Gaſtfreund wiederſah und an der 
Thuͤr dem Treuen die Haͤnde ſchuͤttelte, uͤberlaſſen wir 
dem Leſer, ihm nachzufuͤhlen, da es Worte nicht ſagen 
koͤnnen. Die ganze Hochzeitgeſellſchaft war von dieſem 
einfachen und ruͤhrenden Schluſſe der faſt zu phantaſti— 
ſchen Darſtellungen hoͤchſt befriedigt, und da Hubert, 
der den Heimdal geſpielt hatte, in feiner gewöhnlichen 
Kleidung wieder eintrat, fo tberhäuften ihn Alle mit 
Lobeserhebungen. Der Herzog aber dankte ihm befon- 
derd herzlich mit wenigen Worten, und ftedte ihm einen 
foftbaren Ring an den Finger, indem er ihn bat, den— 
ſelben zu feinem Angedenken zu tragen. Auch Sere— 
nius, der von jenen Darftellungen überrafcht und er- 
heitert war, konnte den Geſchmack Huberts nicht ge= 
nug rühmen. Selbft Kaspar, der ald Gott Thor 
wieber lebendig geworden, machte fröhlich mehrere Rei: 
gentänze mit, da die Muſik mit neuer Lebhaftigkeit be— 
gann. Prinz Erik aber fprang mehr, ald er ging, vor 
Freuden, und hing fich oft an Erwins Arm, ald wenn 
er ihn bier fefthalten wollte. Der Narr übertraf heute 
jich felbft an witzigen Einfällen und Schwaͤnken, und 
erregte oft ein unauslöfchliches Gelächter, fo daß der 
Herzog verficherte, es werde ihm ſchwer, das gegebene 
Berfprechen zu halten und ihn reifen zu laflen. 


553 

Erwin hielt fi bei Allem, was gefchah, heiter 
und ruhig, und freute fich wohl, doch fo ergeben und in- 
nerlich, ald wenn er fich nicht. freute. Prinz Erik aber, 
da der- Morgen nahte, ging zu feiner Schwefter und 
fprah: »Süße Freya, liebe Schwefter: Königin, das 
war doch eine rechte Hochzeit!« 

Sie nidte freundlich mit dem Kopfe, nahm dann 
den grünen Mirtenkranz aus ihrem Haar und fchenkte 
ihn mit einem Kuffe dem jungen Erik, der entzüdt an 
ihrem Halſe hing. 

Bald darauf entfernte fi unbemerft der junge 
König mit feiner Tieblichen Gemahlin, und gleich darauf 
begab fich der Erzbifhof Seren ius auc hinweg. Er- 
win aber ging in feine Schlaffammer und flehte Gott 
mit heißen Thränen an: Er wolle ihn ſtark machen 
in der Macht feiner Stärke. 

Da trat Sereniud unerwartet zu ihm herein, 
reichte ihm ſtumm und liebend die Hand, und ließ ihn 
dann allein mit dem treuen Oberhirten und Bifchof der 
Seelen, der und Alle fo gnädig behütet, und auch in 
diefer Nacht bei unferm Freunde war. 


554 


Funfzehntes Kapitel. 


Um andern Morgen traten Lido und Graf Jertha 
in Erwins Zimmer, und luden ihn, im Namen des 
Königs Haͤkan und feiner Gemahlin, zu einer Eber— 
jagd ein, welche mit zahlreicher Begleitung im nächiten 
Malde gehalten werden follte. Die junge Königin, 
hieß es, wünfche den Marfchall an ihrer Seite. 

Wie wenig nun auch unfer Freund zu einem ſol— 
chen Vergnügen geftimmt war, fo warf er fich doch als- 
bald in feine Sagdfleidung, ergriff die nöthigen Waffen, 
und begab fich zu der Sagdgefellfchaft, welche fih ſchon 
in den Sälen des Erdgeſchoſſes mit den gefoppelten 
Hunden verfammelt hatte. Auch Bonnevil, welcher 
auf der Hochzeit fehlte, da ein Baugefchaft zu Upfala 
ihn zurüdhielt, hatte fidy eingefunden, und eilte ihm mit 
Kaspar und Hubert freudig entgegen, indem er fich 
Gluͤck wünfhte, no eine Jagd mit ihm zu maden, 
wie zu König Erifs Zeiten. »Es ift nicht fo gar 
lange,« ſprach er, »feit wir bei Upfala den Bären 
jagten, und e3 duͤnkt mir ein Menfchenleben. Da war’t 
Ihr unbefannt unfer Meifter; heute wollen wir Euch 
fennen lernen. « 

Bonnevil erzählte nun den Jaͤgern die ganze 
Jagdgeſchichte von dem Bären und dem Becher Eriks 


‚355 


mit allen Umftänden, und unferm Freunde Flopfte das 
Herz; doc gedachte jener nicht der Prinzeflin, und er— 
fparte ihm die Verlegenheit, darauf zu erwiedern, indem 
er zu ähnlichen Gefchichten überging, welche der ganzen 
Geſellſchaft bei dem tüchtigen Frühftüde eine geiftige 
Würze gaben. Noch waren mandhe Waidmänner da— 
mit nicht fertig, als fhon zum Auffißen geblafen wurde, 
da es hieß, daß der König und die Königin aus ihren 
Zimmern kaͤmen, um abzureiten. Die herzoglichen Jaͤ— 
ger mit den Koppeln der Hunde zogen vorauf, die 
Grafen und Ritter ſetzten fih zu Pferde, um die fürft- 
lichen Herrfchaften zu empfangen, und Erwin eilte 
hinaus, der Königin den Gteigbügel zu halten. Er 
ftellte fi neben ihren Zelter, der mit Eöftlichen Pur— 
purdeden bekleidet war, und fie trat am Arme des Koͤ— 
nigs aus dem Portale, welcher fie bis zu ihrem Roſſe 
führte, und Erwin freundlich) begrüßte. »Wohl, daß 
Ihr gekommen feyd,« fprach er; »denn ohne Euch 
wollte die Königin heute nicht reiten, und doch ift die 
Jagd ald gute Bewegung nad) einem fo außerordent: 


*. lichen Tage zu empfehlen, da fie Alles wieder ins Glei— 


che bringt. « 

Nun grüßte die Königin ihren Marfhall und 
fprah: „ Diesmal habt Ihr nicht, wie einft, auf Euch 
warten laffen, denn das Schloß ift fertig; aber meinen 
Befhüser und Freund kann ich noch immer nicht ent: 
behren.«e Erwin verneigte fih und blidte fie an, in- 
dem er Shr den Bügel hielt. Sie war Far und blaß 
wie eine Lilie, und hatte eine neue Art von Schönheit 
gewonnen. Beim Auffteigen unterftüßte er fie mit der 


556 


rechten Hand, und es fchien, ald wenn fie fich gern auf 
feinen Arm verließ. 

Nun ſaß auch König Haͤkan auf, der Her— 
309 mit feinen Söhnen, die Ritter und Edelfrauen fchlof- 
fen fich ihnen an, und der fröhliche Jagdzug feste fich 
zum Walde hin in Bewegung, indem die Waldhörner 
anmuthig erflangen. Erwin hatte fich auch nach lan= 
ger Zeit zum erften Mal wieder auf fein Roß geſchwun— 
gen, und das edle hier machte unter feinem alten 
Herrn, den ed wiebererfannte, große Säße vor Freu- 
den. König Haͤkan ritt neben feiner Gemahlin, und 
tief ihm zu, daß er fih ihr zur andern Geite halten 
möge. »Kommt dann ein Bär oder Eber,« fagte er 
lachend, »fo hat fie zwei Paladine, welche fie befchügen 
fönnen, auf daß er mit feinem Zahne nicht meine Ko: 
nigin treffe. « | 

»Den Bären,« verfebte fie, »hat der Marfchall 
getödtet; tödtet Ihr, mein König, den Eber!« 

Der Weg, welcher mit dem Schneepflug für die 
Damen geebnet war, führte in ein dickes Gränen- und 
Kiefernholz, deffen dunkfelgrüne Zweige, mit loderem 
Schnee fchwerbelaftet, zur Erde hingen, und in der 
winterlichen Dede eine fehr malerifhe Wirfung mach 
ten. Ein blauröthlicher Nebel bedeckte die Ferne jen- 
feitö des Sees, und die dunfeln Wipfel der Kiefern 
fpieiten in der reinften Morgenluft. Die Hunde fchlu= 
gen ſchon auf das Wild an, deflen Spur man im Schnee 
bemerkte, und wie ihr Lauten durch den Froft erflang, 
fo durchdrang auch alle Schüßen eine ausnehmende 
Jagdluſt. Bald zog ſich das gellende Laͤuten in die 


557 

Ferne, dann wieder Fam e8 ganz nahe, und alle Jäger 
waren auf ihrem Poften bereit, den Eber zu empfan- 
gen. Prinz Erik mußte an ded Herzogs Geite rei- 
ten, doch fprengte er bald hier, bald dort hin, und war 
auf feinem leichten Klepper in der lebhafteften Bewe— 
gung, indem er Alles fehen wollte. Hubert ritt mit 
- Lido und Bonnevil, unter denen 2ebterer fehr er: 
fahren über die Waidmannskunſt redete, bis fie an ih— 
ren Poften gefommen waren, und zur Stille fi mahn- 
ten. Kadpar machte an Emunds Geite feine ma= 
lerifchen Betrachtungen über die Wirkungen des reinen 
Morgenlichtd auf den Schneemaffen der Bäume, und 
ihrem zarten bläulihen und grünlihen Wiederfcheine. 
Noch nie, verficherte er, fo heiter gewefen zu feyn, ala 
heute. Zu Erwin fprach die junge Königin: »Was 
ift doch ein Flarer Morgen, und welchen Balfam bietet 
er uns dar! Alle trüben Bilder der Seele werden von 
ihm audgelöfcht wie die Schuldrehnung mit einem 
Schmwamme von der Zafel.« 

»Es ift ein neuer Lebensanfang, « verſetzte Erwin, 
»alle Qualgeiſter muͤſſen vor ihm weichen, weil Gottes 
Friede und Freudigfeit ihm vorangehen. Mir dünkt, 
er ruft und das Wort mit feinen erfrifchenden Lüften 
zu: Deiliget euch, weil Gott heilig ift!« 

»Und wenn,« fprach König Hakan, »das reine, 
jugendliche Herz im flarrenden Winterfrofte fo warm im 
Bufen fihlägt, daß es ein Sieger über den Tod in der 
Natur wird, fo ift es doch das Lieblichfte und Herrlichfte 
für den beglüdten Befiger und Freund! « 

»Meit herrlicher und liebliher noch,« erwicberte 


955 


die Königin, »ift das Herz, das ohne Wandel bleibt, 
und die erfte Liebe nicht verläßt. Denn Jugend und 
Schönheit find wie eine Wiefenblume ; aber mit fanftem 
und ftillem Geifte unverrudt vor Gott ftehen, das ift 
der Baum ded Lebens. « 

» Davon wir die Früchte brechen wollen,« verfeßte 
der König milde. | | 

»MWenn fie erft reif find,« fprach leife die Königin 
und blidte nah Erwin hin. 

Sn dem Augenblide fchlugen die Pader heftig an, 
und Prinz Erif ritt heran, um ihnen zu melden, daß 
der Eber ſich geftellt habe. Der König fprengte mit 
dem Herzoge vor, und rief Erwin zu, bei der Königin 
zu bleiben, damit fie nicht gefährdet würde. Birger 
warf den erften Spieß, welcher aber dem Eber nur das 
Ohr ftreifte, und über ihn wegfaufte; das Thier ſchlug 
mwüthend die Hunde ab, und machte fih Bahn. Da 
that König Hakan den zweiten Wurf, und traf das 
Wild im VBorderbug fo ficher und mächtig, daß ber 
Jagdſpieß ihm das Herz durchbohrte, und es zappelnd 
zu Boden fanf. 

»Brav, Bruder Norweg,« rief der Herzog, und 
alle Normannen freueten fich ihres jagdfertigen Königs, 
welcher allgemeines Lob einerndtete. Die Prinzen und 
alle Herren und Frauen eilten herbei, um daS. unge- 
heure hier zu fehen, welches grauenvoll in feinen 
fhwarzen Borften, mit Farbe übergoffen, vor ihnen 
lag. Freya fam zulest mit ihrem Marfhal beran- 
und fprach lächelnd: »Mein König, Ihr habt Wort ge, 
halten ; und fo wären denn Bar und Eber von meinen 


559 


Beſchuͤtzern erlegt! Möge es Euch, mein Gemahl, mit 
alten Ungethümen auf Eurem Wege alfo gelingen, daß 
fie auf den erften Wurf fallen! « 

Der Herzog und alle. Jäger riefen ihr freudigen 
Beifall zu, und der erlegte Eber ward auf einen Schlitz 
ten geladen, indem man die Jagd weiter fortfebte. 
Bald auch fchlugen die Hunde von Neuem an, und die 
Jagd führte tief in den Wald hinein. Erwin blieb 
mit dem Könige an Freya's Seite, und Häfan 
lenfte dad Gefpräcd auf die deutfche Baufunft, um un 
ferm Meifter Gelegenheit zu geben, feine Lieblingsge- 
danken zu entwideln. 
| »Was unterfcheidet denn Eure deutſche Baufunft, « 

fragte er zuleßt, »von jeder andern?« Erwin ver: 
feste befcheiden: » Daß fie auch unfre Religion ift, und 
das Innerſte unfers Geiftes ausfpriht. Man kann die 
franzöfifhe Kunft prächtiger, die römifche gediegener, 
die nordifche folider nennen, aber die deutfche ift froͤm— 
mer und tieffinniger in ihrer ganzen Art. Daher ift 
mit unfrer freien Maurerei die reine Sitte fo genau 
verbunden, und ein Steinmeß mit befledtem Wandel 
ann, wie hochgelahrt und werffundig er fey, niemals 
Dbermeifter bei uns werden; er müßte ſich denn großen 
Sühnungen unterworfen haben. « 

»Das ift recht brav,« ſprach der König; » doc 
wäre er in feiner freien Kunft der Züchtigfte unter Euch, 
fo würde dadurch ihr Fortfchritt doch zurüdgehalten 
werden. « 

» Mit nichten,«- verfegte Erwin, »denn unfre 
Tuͤchtigkeit hanat von unfrer Sittlichfeit ab. Ein un: 


560 


reiner Sinn kann die einfache Konftruftion und Wan- 
delung der Figur niemals fallen, und daher auch nicht 
den wahren Reichthum der Formen aus der nothmen: 
digen Armuth entwideln. Der befledte Geift ift auch 
immer ein verdüfterter, und überladet mit Zufälligfei: 
ten, oder wird mager und eintönig. An der Zufammen- 
feßung der Bauglieder koͤnnen wir fehen, ob unfer 
Steinmes ein guted Gewiffen habe. « 

„Ihr fprecht da einen feltfamen, doch anziehenden 
Gedanken aus,« ermwiederte der König. »VBerftehe ic) 
Euch recht, fo foll die Meßkunſt auch eine Richtfchnur 
für alle Sitte feyn, und da hätten wir denn das Ge— 
heimniß Eurer freien Maurerei, dad Niemand ausre— 
den darf, weil er es nicht Ffann.« 


»Und,« verfeßte Erwin, »das Niemand lernen 
fann, wenn er nicht fromm und keuſch ift.« 


Die Königin blidte ihn Lächelnd an und ſprach: 
„Nun weiß ich, warum ich Euch fo lieb hatte; es 
war dad Geheimnig Eurer Kunft, was Ihr eben ver: 
rathen habt. « 

Erwin errötbete; ver König Haͤkan aber rief fehr 
heiter: » Das Wort ift einer Königin werth! Gott gebe, 
daß ſich alle Geheimniffe unfers Lebens fo rein auflö- 
fen, als diefes, und der Fundige Baumeifter und ein 
lieber Freund bleibe!« Diefes fagend, reichte er ihm 
die Hand, welhe Erwin mit Dankbarkeit faßte, in— 
dem er fprach: »Ich werde Eure Gemogenheit, großer 
König und edle Königin, ald eine Schnur auf meine 
Bruft binden, und fireben, ob ich fie einft verdienen 


561 


möchte! Für den Augenblid aber macht es mich fehr 
glüdlich. « 

Die Jagd hatte fich unterdeffen mit ihrem Geläute 
genähert, und der Nebel war gefunfen. Man fah von 
einer Anhöhe die Kernen mit ihren Schneefeldern im 
reinften Sonnenlichte glänzen, und neue Hoffnung, 
neuer Lebensmuth durchſtrahlte auch der jungen Kö: 
nigin Herz. Der König Haͤkan fprengte rafcher vor, 
um dem Wilde in die Flanke zu fommen, und fie folgte 
ihm mit ihrem Marfchall, geſtreckten Laufs, doch war 
ihr Roß ſo leicht und der Sattel fo bequem, daß fie. 
wie in einer Wiege faß, und die Schnelligkeit der Be— 
wegung nur an ihren zurüdwehenden Locken zu ver: 
fpüren war. Diesmal war das gejagte Wild ein Hirfch- 
bock, welcher über die Höhen und durch die Thaͤler 
ftreifte, indem er fich bald ihren Bliden entzog, bald 
wieder aud dem Didicht hervortauchte. Endlich hatten 
die Jäger ihn in einem tiefen Thale umzingelt, und 
hielten auf den Höhen in einem doppelten Kreife, um 
ihre Beute gewiß zu nehmen. Erwin bielt dort un- 
ten neben dem Könige und der Königin mit ben nor- 
männifchen Rittern; höher hielten die Schweden, unter 
diefen am hoͤchſten und im dritten Ringe die weſtgo— 
thifchen Jäger aus dem Gefchleht der Folkunger. 
Der Herzog Birger, welcher mit feinen Söhnen im 
erften Ringe tiefer unten dem Könige gegenüber hielt, 
ermahnte mit lauter Stimme ale Waidmänner zur 
firengften Borfiht, um mit den Jagdſpießen ſich nicht 
unter einander zu verleßen, und ſtatt des Hirſchbocks 
nicht einen Gefährten zu treffen. Alle gelobten. es 

Erwin von Steinbach. II. 36 


562 


auch, und nun begann dad Werfen der Spieße nad 
einer beftimmten Ordnung. Der Hirſch machte in dem 
engen Bergfeflel große Sprünge, da die Hunde ihn 
verfolgten, und er aller Orten auf Jaͤger ſtieß. Meb: 
rere Wurffpieße hatten ihn leicht geftreift, doch Feiner 
haftete, und er fuchte fi wild durch die Ringe eine 
Bahn zu brechen, ward aber immer wieder zurüdge- 
trieben. Der König und der Herzog mit feinen Soͤh— 
nen hatten fehl geworfen, da die Spieße uͤberwegflo— 
gen. Endlich warfen Erwin und Bonnepil; erfte- 
rer zerbrach ihm mehrere Enden des Gemeihes, leßterer 
aber traf ihm dad Kreuz, fo daß der Spieß tief ein- 
drang. Ein Freudengefchrei der Jäger ertönte, doch 
ftürzte das Wild noch nicht, fondern fprang nur hefti= 
ger zwifchen den Bäumen, indem das haftende Ge: 
fhoß an dem Rüden bebte. Freya fprah zu Er— 
win fcherzend: »Meiget Euch vor dem Franken und 
Freunde!« Ermwin neigte ſich wirklich, wie anerfennend 
die höhere Kunft Bonnevild, und in demfelben Au— 
genblicke fauften mehrere Wurffpieße von oben über 
feinen Kopf weg, fo dicht ihn berührend, das die Fe— 
bern feines Baretts abgefchnitten wurden, und flogen 
dann, weit ab vom Hirfche, bebend in die Erde. „Was 
war dad?« riefen Bonnevil und Hubert. »Feige 

Verrätherei,« ſprach König Hakan Ealt, lenkte fein 
Roß um, und fhauete zu den Folkungern hinauf, 
welche aus des Ritters Hugh Verwandtſchaft waren. 
Ermin war blaß geworden, doc) faßte er fich fogleich, 
und fprach zur Königin: »Euch allein habe ih mein 
Leben zu verdanken, indem ich. mich neigte. « ’ 


365 





Der Herzog bebte vor Zorn, und obgleich die Rit— 
fer, welche geworfen hatten, fich aufs befte zu ent 
fhuldigen wußten, und für ihre Unvorfichtigfeit um 
Berzeihung baten: fo verwies er fie doch alsbald aus 
der Gefellfchaft und von feinem Hofe, indem er alle 
Fürbitten der Erften dieſes Gefchlecht3 mit Beratung 
von ſich ſtieß. »Weicht vor meinem Angefichte,« ſprach 
er zu den Verbannten, bitter fpottend, » weicht, da= 
mit Eure Unvorfichtigkeit nicht ein noch höheres Ziel 
fih flede, und unfer Ruf im Auslande noch mehr be- 
fleckt werde. « | 

Sie entfernten fih flumm und befhämt. Der 
Hirfhbod war von Huberts Wurf endlich gefunfen, 
König Haͤkan entfernte fich verdrießlich mit der Koͤni— 
gin und feinem Gefolge, indem Erwin an feiner Seite 
reiten mußte, und der Herzog mit der ganzen Sagdge- 
felfchaft folgten ihm nad. 

Auf dem Schloffe angelangt, ward von diefem 
Vorfalle nicht weiter geredet, doch blieb der König den 
ganzen Abend ernſt und einfplbig, wie fehr man ihn 
auch durch Bankett, Sfaldenlieder und Tanz zu erhei⸗ 
tern fih bemühte. Zu Erwin aber ſprach er beim 
Weggehen: »Ihr thut wohl, Marfchall, daß Shr mor: 
gen mit uns abreifet; denn die Luft ift bier fchlecht, 
und das Land vulfanifh. Unter meinen Normannen 
würde ich einen folchen Vorfall mit dem Leben geftraft 
haben; bier aber fcheint Meuchelmord Feine fo unge: 
wohnte Sache zu feyn.« 

Am andern Morgen war Alles zur Abreife des 
hohen Paares bereitet, wie fehr auch der Herzog⸗ Re⸗ 

36 * 


564 


gent den König gebeten hatte, noch einige Tage mit 
der Zochter bei ihm zu verweilen, und wie viel auch 
die Herzogin mit ihrer milden Ueberredungskunſt dazu 
beitrug, ihre geliebte Freya noch länger bei ſich zu 
behalten. Der König verficherte, daß man ihn ſchon 
längft unter feinem Volke in Drontheim erwarte, 
und von den Abgefandten der Stände alle Anftalten 
getroffen wären, um ihre Königin würdig zu empfan= 
gen. So ziehe auch das Herz ihn zu ben Seinen zu= 
rüd, welche ihn fehnlichft erwarteten, und jede Stunde 
längeren Ausbleiben mit vermehrter Unruhe zählten. « 
Auch Freya verficherte, daß fie, ungeachtet der ſchwe— 
ren Zrennung von ihren geliebten Eltern, doch an dem 
Orte ihrer Beftimmung zu feyn wünfche, und unter 
Haͤkans Volke, welches nun auch das ihrige fey, erft 
ruhig und heiter werden Fünne. 

Gegen diefe Gründe war nichts einzuwenden, und 
fo hatte ſich die ernfte Scheideftunde ftill herbeigefchli- 
chen. Bor dem hohen Portale hielten fehon die präch- 
tig gefchmüdten Zelter und die mit Rennern befpann- 
ten koͤniglichen Schlitten. Auh Serenius mit ven 
Bifhöfen wollte fie bi8 Upfala begleiten, wo ver 
Keichdtag feiner in Kirchenfachen bedurfte, und dann 
gedachte er mit Erwin und deſſen Freunden gen 
Lund heimzufehren, wo viele Gefchäfte auf ihn war: 


teten. 


Der Herzog mit feinen Söhnen, Waldemar und 
Magnus, waren bereit, ihnen das Ehrengeleite zu ge- 
ben, und wenigftens bis an Weſtergoͤthlands 
Grenzen dad Königspaar zu bringen; dann aber woll- 


565 


ten fie gen Tawaſtland zu dem Heere ziehn, indem 
neue Unruhen ausgebrochen waren, welche mit ver: 
ftärfter Macht niedergefchlagen werben mußten. Prinz 
Erik hatte die Erlaubniß vom Vater empfangen, mit 
der Königin Schwefter und ihrem Gemahle nah Dront= 
heim zu reifen, und bis nach Freya's Krönung ſich 
dort bei ihnen aufzuhalten. Darüber war der Knabe 
um fo froher, weil Erwins Trennung ihm nahe be— 
vorſtand, und der Narr bereit nad) dem Nordpol zu- 
rüdgefehrt war. So blieb allein. die Herzogin von 
der fürftlichen Familie in Bielbo zuruͤck, wo fie bis 
zu Birgers Wiederkehr aus Tamwaftland ftille ver: 
weilen wollte, um dem Andenken ihres hochfeligen Bru— 
ders, dem fie noch manche Thräne weinte, fo wie ihrer 
entfernten Tochter, ungeftört zu leben. 

Es war ein dunkler, nebliger Morgen. Sie 
ruhte auf ihrem Seffel mit frommer Entfagung. Der 
Hofkaplan hatte ihr die Meffe gelefen, und fie betete 
mit Inbrunſt für das Wohl ihrer fcheidenden Kinder 
und ‚ihres norwegifchen Königshaufes. Da Lffneten 
fih die Thüren des Gemachs, und Häfan trat in 
Keifekleidern mit Freya herein, indem fie fich vor 
ihr niederfenkten, und bewegt um ihren mütterlichen 
Segen baten. »Gebt und den Segen König Erifs, 
Schwefter feined Bluts!« fprah Hakan fanft: »Segne 
und mit Deinem Frieden, liebe Mutter!« ſprach Freya 
in ftilen Thraͤnen. Ingeborg ſtreckte die Arme über 
ihre Kinder, und legte die Hände auf ihr Haupt. Ei- 
nige Augenblide war fie fprachlos. Sie fchauete em— 
por, dann blidte fie auf fie nieder. »Biehet hin,« rief 


366 


fie mit dem mildeften Tone, ganz ähnlich ihrem Bru⸗ 
der, »ziehet hin in Frieden, gürtet Euh mit Furcht 
Gottes, bleibet in der Liebe! und der Herr fegne Euch 
bis in die Zaufende, daß Euer Name ein Segen werde 
auf Erden! Amen. — Mit diefen Worten fhloß fie 
den König und die Tochter in ihre Arme, weinte über 
fie füß und ftile, und winkte ihnen dann, fi zu ent- 
fernen. Sie eilten hinaus. Die treuen Diener Biel: 
bo's umringten fi. Häfan und Freya gaben Al: 
len die Hand; fie füßten ihre Kleider. Der alte 
Emund ward noch von der jungen Königin befonders 
liebreich entlaffen und beſchenkt, indem fie ihn bat, 
nah Drontheim zu fommen, um die Kirche der hei- 
ligen Katharina nah Steinbahs Riſſe zu bauen. 

Unten auf dem Scloßhofe fland Erwin neben 
dem Zelter, und hielt Freya den Bügel, wie er ver: 
forochen hatte. Sie lächelte mit einer Thräne ihn 
an, und ſchwang fi) dann in den Sattel, Der Kö: 
nig bielt ſchon auf hohem Roſſe, denn fie wollten, 
um des Volks willen, erft jenfeit5 des Waldes die 
Schlitten benugen. Auh Erwin ſchwang fih auf 
feinen Tartaren. Der Herzog mit den Söhnen folgte 
ihnen zu Pferde mit einem langen Zuge von Rittern 
und Knappen, und eine große Menge Volks ftrömte 
herbei, um ihre liebe, leutfelige Prinzeflin noch einmal 
zu fehen und zu grüßen, und die Hände und Kleider 
zum langen Lebewohl ihr zu Füffen. 

Der König Hakan fprach zu ihr, da fie e tief be— 
wegt ward: ⸗Freya, Du verläffeft ein liebendes 
Bolt, aber wirft ein getreued wiederfinden. Ihre 


567 


Schwefter warft Du bier, dort wirft Du ihre Mutter 
feyn. « 

„Mas ich fenn werde, weiß ich nicht,« verfeßte 
fie, »aber daß meine Liebe für diefe Geringen bleiben 
wird, ift gewiß, denn fie hat mich oft fehr reich ge- 
macht. « 

An der Waldesede blidte fie fich noch einmal nad 
Bielbo um, da verfihwanden ihr Schloß und Garten 
hinter den hohen dunfelgrünen Fichten; dann blieb auch 
die Volksmenge zurüd, indem die Mütter ihre Eleinen 
Kinder noch hoch emporhielten, um fie zulegt noch 
zu fehen; ihr Abfchievsruf verhallte wie ein fanftes, 
Flagended Echo an einem hohen Wale, und Freya 
hüllte fih in ihren Mantel, indem fie damit die her- 
vorquellenden Thränen abtrodnete. Schweigend reichte 
fie dem Könige die Hand. Erwin ritt an der andern 
Seite, und ihr Blick, der ihm ftill begegnete, that fei- 
nem Innerften unausfprechlich wohl. 


— — — — —— — 


368 


Sechzehntes Kapitel. 





Auf der Grenze Wefigöthlands fchied Freya mit 
heißen Thraͤnen von ihrem Vater und ihren Brüdern, 
Waldemar und Magnus. Birger-Sarl drüdte 
fie feft und lange an feine Bruft und Eonnte fi) kaum 
von ihr losreißen, denn fie war feine Liebe und fein 
Stolz. Das Beſte von fich fah er in der Tochter ver— 
Härt, doch fie theilte feinen feiner Fehler. Es war 
ihm, als wenn er mit ihr den Glauben an fich felbft 
nun binweggebe und nur dad Gröbere und Irdiſche 
zurüdbehalte. Haͤkan verfprach, im folgenden Sommer 
fie zu ihm zu führen. Der Herzog umarmte den Kö: 
nig lebhaft, fo auch die Söhne, und ſchwang ſich 
dann auf fein Streitroß, indem er fchnell mit feinem 
Gefolge hinwegfprengte. 

Freya blieb ftile an ihres Gemahls Seite, in- 
dem fie der großen Veränderung ihres Lebens gedachte 
und in ihre frühefte Kindheit fich zurüdträumte. Bald 
fuhren fie in Upfala ein, wo Glodengeläute und ein 
unendlicher Zulauf des Volks das junge Königspaar 
empfingen. Nur eine Nacht weilten fie dort mit ih— 
rem Gefolge im alten Schloffe, und die junge Köni- 
gin befuchte mit dem Gemahle noch einmal dad Zim— 
mer, wo ihr guter Oheim jüngft in ihren Armen ver- 
fhhieden war. Da faß fie mit Haͤkan auf den Pol- 


569 


ſtern, wo er ruhte und farb. Prinz Erik und Er- 
win fanden neben ihr und fie erzählte von feiner Güte 
und von feiner Gebuld, fo daß der junge Prinz viel 
weinen mußte. Die alten Räthe des verftorbenen Herr: 
fcherd wurden ihr vorgeftellt, und fie unterhielt fich 
lange mit ihnen, infonderheit mit dem Reichsmar— 
[hal Ifwar Bloo, welcher aus feiner Einfamkeit 
herbeigeeilt war, um die junge Königin, welche allem 
Bolfe durch die liebevolle Pflege ihres Oheims fo 
werth geworden, noch einmal zu fehen. Bei ihrer Ab— 
reife wurden fie von den Großen des Reichs, wie von 
den Abgefandten der Stände, bis aus dem Thore be— 
gleitet, und ein Zrupp der Süngeren geleitete zu Pfer- 
de das Föniglihe Paar noch mehrere Meilen hinter 
Upfala. Bis dahin folgte ihnen auch eine Friegeri- 
fhe Mufit, und nun ging es flille den norwegifchen 
Grenzen zu, welche nach und nach ſich wie ein dunkel— 
blaues und ausgezadtes Gewoͤlk, durch hohe Fiällen- 
Berge lange zuvor am Horizonte bezeichneten. » Das 
ift Deine Heimath?« fragte Freya den König. Haͤ— 
kan verfegte: » Mein Vaterland und mein Reich, wo 
wir ficher gegen alle Feinde Wohnung machen Eön- 
nen; denn wie jene Berge, fo find die Herzen meiner 
Normannen, eine hohe Mauer gegen allen Berrath und 
Veberfall, — Die Königin feufzte, und es entſank eine 
Thräne ihren Augen; denn es that ihr weh, daß ihre 
Landsleute fih gegen Erwin mit Berrath befledt hat- 
ten und die Norweger Zeugen davon gewefen waren. 
Erwin und Prinz Erik mußten fih nun zu ihnen 
in den Schlitten feßen, und Erfterer von Deutſchland 


570 


und feinen Eltern, von Meifter Dieterih und Hil— 
degard ihnen ausführlich erzählen, felbft von dem treuen 
Konrad wollte die junge Königin noch viel! wiffen 
und frhien allen Stolz ihres Standes abgelegt zu ha= 
ben, fo wie fie den Grenzen Norwegens fich näherten. 
Sie war gegen Erwin wie eine Schwefter, melde 
von alten Kindergefchichten mit ihm redete, und jede 
fleine Begebenheit mit lebhafter Zheilnahme fich wie- 
derholen ließ, um ein frifhes Bild im Gedaͤchtniſſe zu 
bewahren. Der König Haͤkan lächelte fanft dazu, 
weil er ihr ganzes Herz durchfchaute, daraus fie ihm 
auch Fein Geheimniß machte. Denn daß fie Erwin 
noch immer liebte, bezeugte fie mit entfchiedenem Stolze 
in jeder Geberde, fo wie in dem unbedingten Vertrauen, 
das fie ihm bei jeder Gelegenheit gab, und das ſich 
feit ihrer Ehe noch verftärkt zu haben fchien. 

Sp waren fie unvermerft bis zum erſten Grenz- 
orte Norwegs gelangt, welcher neben einem Strome 
an einem hohen Gebirge lag. Ueber die reißenden 
Maffer führte eine lange fhwimmende Brüde, welche 
aus zufammengelegten Baumftämmen beftand, die mit 
Ketten unter einander und am Ufer befefligt waren. 
Senfeitd derfelben erwartete fie eine norwegifche Kriegs: 
ſchaar aus vielen Edlen des Königreihd, welche fich 
in einer langen Zeile aufgeftellt hatten. 

König Häkan ließ auf einer Felfenplatte, nabe 
dem Strome, die Roffe und Zelter herbeiführen, auf 
welchen er und feine Gemahlin, fo wie Prinz Erik, 
hinüberreiten follten, um von den Normannen an dem 
beimifhen Ufer empfangen zu werden. Aub Ermwins 


571 


Roß ftand neben denfelben, und ward von einem her= 
zoglichen Stallfnecht geführt. Es war wieder derfelbe, 
welcher ihn zuerft nah Bielbo brachte, und feltfam 
genug ſchloß fich in feiner Seele das Vergangne dem 
Gegenwärtigen beim Anblicke diefes alten Dieners an. 
Es dünfte ihm um fo verhängnißvoller diefes Furze 
Nun der Gegenwart, weldes fchon nad) einigen Mi- 
nuten auf immer vergangen feyn follte. 

Der König trat mit feiner Gemahlin aus dem 
Schlitten und führte fie auf die entblößte Felfenplatte, 
wo Erwin und Prinz Erik fchon flanden und ſich die 
Hände geboten hatten. 

Ein hohes Felfengebirg verdedte die Ausficht nach 
dem Strome und dem jenfeitigen Ufer, fo daß fie we— 
der von ihrem Gefolge, das fchon unten an der Brüde 
hielt, noch von den Normännern an der andern Seite 
bemerft werden Eonnten. Diefed hatte abfichtlih der 
König angeordnet, weil er Feine Zeugen des Abfchieds 
haben wollte und feiner Gemahlin völlige Freiheit 
gönnte. »Mein lieber Erwin von Steinbad,« 
fprad) er mit dem mildeften Zone, »das Ziel ift gekom— 
men, und hier müffen wir von einander fcheiden, wenn 
She nicht bis Drontheim uns geleiten wollt.« 

»Diefe Grenze der beiden Königreiche,« verfeßte 
Erwin, »foll auch meine Grenze feyn, und der rei: 
fende Strom mahne mic) an mein reißendes Verhäng- 
niß, welches zu mir ſpricht: Kehre um! So lebt denn 
glüdlich, großer König und edler Mann! Erfreut Euch 
lange des koͤſtlichen Beſitzes einer reinen, weiblichen 
Seele, die das Größefte zu faflen fähig ift und ftets 


372 


das Befte will! Möge eine herrliche Nachkommenſchaft 
Eurem Bunde entfprießen, und ber Nachwelt es ver: 
fündigen, wie fchön er war! Gedenkt aber noch mein 
im fernen Lande, und macht mir einft die Freude, Euch 
dienen zu dürfen mit meiner Kunft, um nah und nad) 
von der großen Schuld etwas abtragen zu koͤnnen.« 

» Das Abtragen,« ermwiederte der König, »ift auf 
unfrer Seite; bedürfen werden wir Euch oft und ver- 
geffen werden wir Euch niemals, vielgetreher Mann! 
Gott fchenfe Euch eine liebe Ehefrau und ein ftilles 
Familienglüd, denn Silber und Gold genügt nicht Eu— 
rem edlen Herzen; die Liebe ift das Einzige, was Euch 
bezahlen mag.« Mit diefen Worten fchloß er ihn in feine 
Arme und drüdte ihn warm an fein fürftliches Herz. 

Dann gab er ihm den jungen Erif, der fich hin- 
andrängte und mit Heftigfeit unter vielen Liebkoſun— 
gen ihn umarmte. »Du Fommft doch wieder, lieber 
Baumeifter,« rief der bewegte Knabe, »ja, Du mußt 
wiederfommen, und mir ein Haus bauen, darin ich 
gern wohnen möge, fonft fterbe ich bald und folge mei- 
nem guten Oheim nah. Schreib’ mir auch oft, hörft 
Du? von Konrad befonders, und wenn Du Hochzeit 
hältft, fo bitte mich zum Zrauführer! ich komme ge— 
wiß zu Dir nad) Straßburg.« 

» Das fol gefihehn,« verfegte Erwin mit verhalt- 
ner Rührung, » behaltet mich nur lieb, mein lieben3- 
würdiger Prinz; denn ich verdanfe Euch die harmlofe- 
ſten Freuden meines Lebens, welche Rofen ohne Dor— 
nen waren! Der Segen Eures großen Oheims ruhe 
auch auf Euch und Eurem Namen!« 


375 


- Der Knabe wandte fich weinend von ihm ab und 
feste fih rafch auf fein Feines Pferd, indem er die 
Thränen abtrodnete und es lebhaft anfpornte. 

»Ritterliched Blut!« fagte Erwin, ihm ftill nach: 
blickend, und wandte fi zur jungen Königin bin, 
welche neben ihrem Gemahle ftand. Sie näherte fich 
und Fam ihm einige Schritte entgegen. Er trat zu 
ihr hin und wollte reden, die Zunge aber verfagte den 
Dienft. Sie reichte ihm die Hand, melde er inbrün: 
ſtig kuͤßte. »Sey ſtark, Erwin,« ſprach fie, » wir wer- 
den und immer wiederfehn, denn die Erftlinge des 
ewigen Lebens haben wir ſchon gebrochen. Schreib’ 
uns nur oft von Dir, fo wird's uns leichter werden, 
- und wenn die frohe Stunde Deiner Hochzeit einft 
fommt, fo laß es mich willen! Mein Geift wird bei 
Dir feyn, und meine Gebete für Dich auffteigen zum 
ewigen Throne der Gnaden.« Gie neigte fi zu ihm 
hin, er kuͤßte nochmals ihre Hand und Fonnte fich nicht 
von ihr losreißen. 

»Mein theurer Freund und Befchüßer, fo leb' 
wohl!« rief fie mit dem füßeften Wohllaut der Stim- 
me, als wolle fie es ihm dadurch erleichtern. »Laͤnder 
. und Meere werden und von einander trennen, aber 
unfre Herzen bleiben ewig verbunden, wie fie es von 
Anbeginn waren. Diefer fehöne Glaube fol mich ſtaͤr— 
fen heute und noch in der le&ten Stunde. « 

Sie hatte ſich aufgerichtet, er hielt noch ihre Hand 
feft, und fprach tief erfchüttert, doch ruhig: » Königliche 
Frau, wenn ich meinen Münfter zu Straßburg baue, 
fo fol Eure Stärke mein Vorbild feyn, und was ich 


574 





in feine Gemwölbe und wolfenragenden Thuͤrme Iege, 
wird ein Sahrtaufend feft fiehen. Das mein Danf 
für Eure Huld! Gott fey mit Euch und Eurem Koͤ— 
nigshaufe! « | 

Mit diefen Worten hob er die Königin zum Ieß- 
ten Mal auf ihren Zelter und ſchwang fih auf fein 
Pferd. Der König ſaß ſchon im Sattel, daS Ge: 
folge der Ritter eilte herbei, fie waren nicht mehr al- 
lein. Ä 
»Shr reitet doch noch mit uns über die Brüde, 
befter Marfchall!« ſprach die Königin zu Erwin; 
„denn jenfeits erft ift mein Land. « 

Erwin verftand fie und begleitete Freya über 
die lange Brüde bi$ an Norwegs Ufer, indem die 
Wellen hoch über die Bretter wegſchlugen. Dann 
ſchwenkte er fich fehnell um, während am Geftade die 
norwegifchen Waldhörner einen rafchen Marfch ertünen 
ließen. 

Der leichte, fcharfbefchlagene Zartar trug ihn in 
großen Sprüngen über die glattbeeifte Floß = Brüde 
and ſchwediſche Geftade zuruͤck, und er ritt geftredten 
Laufs eine gute Strede, bis er wieder feinen Schlit- 
ten beftieg und die einfame Reife nach Upfala fort: 
feßte. 


— —— — —— — * 


Siebenzehntes Kapitel. 


Serenius nahm unfern Freund zu Upfala freundlich 
entgegen und Iodte fein Herz auf die Zunge, bis er ihm 
Alles erzählt, und ihm feine Empfindungen, wie einem 
Bater, ausgefprochen hatte. Das that unferm Freunde 
ausnehmend wohl, und gab ihm das flärkende Bewußt— 
ſeyn, daß er noch von andern Menfchen hier, als von 
Freya, in der Tiefe verftanden und geliebt ſey. Er 
fühlte mit fleigender Bewunderung in den Worten und 
im Umgange des Biſchofs den Balfam der mahren 
Seelforge, wie noch nie zuvor, und redete mit ihm über 
feine Lebenswege, wie mit einem höheren Selbft, wel- 
ches ihm über die Natur feiner Neigungen die Elarften 
Auffchlüffe gab. | 

Noc einmal ging der Bifchof Alles mit ihm durch, 
was er feit der Abreife von Skenninge erlebt hatte, 
und zeigte ihm an mancder Wendung feines Schidfals 
dad Schroffe und MWeberfpringende feines Charakters, 
welcher mehr in die Höhe, als in die Breite gehe, und 
daher die entfernteren Verbindungspunkte ded Lebens zu 
fnüpfen verfäumt habe. Nun erftaunte Erwin über 
die Größe der Gefahr, die ihn in Bielbo bevroht hatte, 
ſo wie über die größere Gnade des unfichtbaren Fuͤh— 


576 


verd, welcher alles Uebel von ihm abwandte, und felbft 
feine Berirrungen zum Beften Eehrte. 

Der Erzbifchof ward durch Angelegenheiten der 
nordifchen Kirche noch in Upfala zurüdgehalten, fo daß 
er nicht fo fchnell, wie er gehofft hatte, nah Lund 
heimfehren Eonnte. Demnach gab er Erwin Briefe an 
feine Schwefter und feinen Kanzler mit, damit alle Ge- 
fchäfte dort im gehörigen Gange blieben. Einige Tage 
weilte Erwin noch bei den Freunden in Upfala, und 
war befonders viel mit Bonnevil, indem fie ſich auf 
lange Zeit trennen follten, und er den wadern Franken 
liebgewonnen hatte. Manches fprachen fie noch durch 
über den neuen Dombau, und Erwin nahm denfelben 
aufs forgfältigfte in Augenfchein, indem er Einiges daran 
auszuftellen hatte, was Bonnevil mit Dank erkannte. 
Auch zu dem Erzbifchofe Sarlerus ging er mit dem 
Freunde, und ward von ihm noch über andere Baus 
werke zu Rathe gezogen. Derfelbe gab ihm für feine 
Dienfte eine angemefjene Belohnung und viele prunfende 
Worte. Auch die Männer des nordifchen Bundes, de— 
nen er Dank ſchuldig war, fuchte er zu Alt-Upfala 
auf, und brachte einen feltfamen Abend in dem Kellerge- 
fchoffe der Ruinen unter ihnen zu. Da fie ihn aber 
für ihren Orden nicht gewinnen konnten, weil alles 
Heimliche ihm zuwider war, fo gaben fie ihm Aufträge 
an die Brüder in Deutfchland, feiner Verfchwiegenheit 
verfrauend, mit einem Sendfchreiben in Chiffern an den 
Hochmeifter der heiligen Behm. Erwin war froh, als 
er wieder an die frifche Luft trat, und begab fich zu 
Serenius, bei dem er mit Hubert und Kaspar 


577 


noch eine heitere Stunde verweilte, und von ihm dann 
bis auf baldiges Wiederfehen fich beurlaubte. Andern 
Morgens geleiteten ihn feine Freunde noc eine gute 
Strede aus der Stadt, und dann kehrte er einfam mit 
dem alten Jäger nach) Bielbo zurüd, um dort von 
dem Herzoge und feiner —— den legten Abfchied 
zu nehmen. 

Einige Tage reifte er, in Gedanken und Träume 
verfunfen. Es war ein trüber, fehneeflodiger Abend, als 
er in Bielbo anlangte. Der Herzog und die Herzogin 
nahmen ihn freundlich auf, indem Ingeborg nach der 
Reife ihrer Tochter fich genauer erfundigte, und ihm 
herzlich dankte, daß er fie bis an Norwegs Ufer geleitet 
habe. Waldemar und Magnus aber behandelten ihn 
ftolz, und fchienen mißvergnügt, daß ihm vom Könige 
Häkan fo viel Ehre widerfahren fy. Erwin fühlte, 
daß er bier fchon ein ganz Fremder geworden, und bei 
Erik und Freya nur feine Heimath gemwefen fey. Lido 
und Emund bewiefen ihm jedoch die alte Freundfchaft, 
und Graf Sertha fehüttelte ihm bieder die Nechte, in- 
dem er zu allem Bollbrachten ihm herzlich Gluͤck wünfchte. 
» Euch ift e8 gelungen,« ſprach er, »was felten einem 
Ausländer bier zu Lande gelingen dürfte Ihr habt 
Eure Neider befhamt und Euer Werk vollbracht; deß 
ſeyd froh!« 

»Was mehr iſt,« verſetzte Erwin, »ich habe hier 
edle Freunde und Goͤnner gefunden, unter denen ich 
Euch, edler Graf, als den erſten und zuverlaͤſſigſten 
rechnen darf.« 

»Wie ihr ed verdientet,« erwiederte Jertha, » und 

Erwin von Steinbach. II. | 37 


578 


wie es noth that, damit Ihr die Schweden nicht ver- 
kennen möchtet; denn fie find im Ganzen ein aufrichti- 
ges und braves Volk. « 

Lido redete jetzt wieder mit Erwin Manches über 
den chriftlichen Glauben, fo wie er am Anfange ihrer 
Bekanntfchaft gethan hatte, und fchien mit erneuertem 
Vertrauen feine Anfichten aufzunehmen. Go waren fie 
auch am letzten Abende feines Aufenthalt zu Bielbo 
im engern Kreife bei der Herzogin verfammelt, und das 
Gefpräch rollte auf religiöfe Gegenftande. Der Herzog 
war mit feinen Söhnen bhinausgeritten, um das Heer 
bei der Burg zu muftern, und ward erft fpät zurüd- 
erwartet. Daher blieb ihnen gute Muße, und Inge 
borg ließ fich, offner wie gewöhnlich, alfo vernehmen: 

»Seit dem erften Abende, da Ihr, lieber Meifter, 
bei uns eintratet,« ſprach fie, zu Erwin gewendet, »hat 
fich fo Vieles ereignet, was unfere Blide wohl zum 
Himmel richten konnte. Das Gewitter im alten Schloffe 
und die nachfolgende Frifhe in der Natur, als wir auf 
den Balkon binaustraten und meinen Gemahl mit fei= 
nen Kindern jenfeit$ des Sees herankommen fahen, er= 
fcheint mir nun wie eine Vorbedeutung aller der wichti= 
gen Schickſale, die uns feither getroffen haben. Das 
Drohende und Berderbliche ift und gnaͤdig vorübergegan- 
gen. Gott hat uns und Euch aus großen Gefahren er- 
vettet, welche durch Menfchen und Umftände herbeige- 
führt wurden. Mein theurer Bruder ift unterdeffen in 
der Fülle feiner Sahre ftil und fanft von uns hinweg— 
gefchieden, ald wenn er und dort die Stätte bereiten 
wollte, und wer koͤnnte hier mit einiger Aufmerkſamkeit 


579 


die leitende Hand eined Waters verkennen, ver Das 
Kleinfte wie das Größte in unfern Verhängniffen nad) 
feinem Wohlgefallen lenkt! Wie fehön ift es alfo hier 
beftätigt, was fein Gefandter fagte, daß er alle Haare 
unſers Hauptes zählt, und Fein Voͤglein vom Dache 
fällt ohne feinen Willen! Sch habe bittere Thraͤnen 
geweint um meine Bruderd Tod, fo auh um Freya 
und um Euch, lieber Marſchall; Gott hat fie aber fanft 
und ftill abgetrodnet. Sie ift eines guten Königs Frau 
geworden, und Ihr geht mit einem Schaße von Erfahrun- 
gen im befreiten Herzen zu Euren Freunden nach 
Deutfchland zurüd, und mein Bruder ift bei dem barm- 
herzigen Gott. So ftärkt fich der Glaube, welcher, da 
Shr Famt, in verworrenen Weltmeinungen faft erlofchen 
war, und meine Seele ift wieder heiter geworden, wie 
in den Tagen meiner Kindheit. Davon verdanfe ich 
Euch) einen großen Theil, und was Ihr unter und ges 
lebt und gelitten habt, es waren heilige Wege des un 
fichtbaren Führers. « 

Erwin verfeßte nach einigem Stillſchweigen: » Gott 
macht und Alle reich, wenn wir und nur von ihm zie— 
hen laſſen wollen, und kann auch wohl den Größten 
und Herrlichften durch einen armen Fremdling, wie ic) in 
Euer Haus trat, bereichern. Was mir hier begegnet ift, 
zu Wohl und Wehe, find unauslöfchliche Spuren feiner 
heiligen Fußflapfen, und wenn er mic) Schwachen zu 
feinem Werkzeuge erwählte, um den Rath vieler Herzen 
offenbar zu machen, wenn ich in meinem fünbdlichen 
Fleiſche gewürdigt wurde, um feines Namens willen zu 
leiden, fo finde ich darin ein Zeugniß mehr feiner 


580 


größten Barmherzigkeit, welches mich nur zur Demuth 
und Dankbarkeit gegen ihn und gegen meine hiefigen 
MWohlthäter des erlauchten Fürftenhaufes lebenslaͤnglich 
verpflichtet. Denn durch kleine Glüdsfälle Fanrı der 
furzfichtige Menfch leicht zum Uebermuthe verführt wer— 
den, große Gnaden Gottes aber treiben ihn immer in 
fein Innerftes zuruͤck, und erwecken ihn zur Selbfterfennt- 
niß, wie zur ftillen Anbetung. Diefes unausfprechliche 
Gluͤck verdanke ich größtentheild® Euch, erhabne Fürftin, 
und Eurer koͤniglichen Tochter. « 

Die Herzogin reichte ihm die Hand mit der ihr ei- 
genthümlichen huldvollen Güte und ſprach: »Wir Beide 
alfo wollen e3 dem guten Hirten danken, der fein Leben 
ließ für feine Schafe!« 

Lido war bewegt, und tiefer, al3 damald am Ge- 
witterabend. Er rief aus: »Ach, nun erfenne ich erft 
meinen großen Irrthum und die gefährlichen Schlingen, 
welche der Berftand meinem Herzen gelegt hatte ; denn 
ich glaubte nur an eine ewige Natur, aber nicht an ei— 
nen ewigen und heiligen Gott. Nunmehr habe ich ihn 
erkannt in feinem väterlichen Walten unter und; feine 
göttliche Menfchheit auf Erden ift mir in den Glauben- 
den und ihren Scidfalen offenbar geworden; jo kann 
ich von nun an mit Euch, Meifter Erwin, findlich 
beten: Abba, lieber Vater! Und was wollen wir mehr? 
Da habt ihr meine Bruderhand!« — Erwin nahm 
feine Hand, drüdte fie feft in die feinige und ſprach: 
»Euch, treuer Freund, hat mir Gott gegeben, und ich 
laffe Euch nun und nimmermehr. An diefe file Stunde 
knuͤpft fich ein unauflösliches Band !« 


581 


»So fey es,« verſetzte Lido, »ich habe Euch 
gleich geliebt, nun liebe ich Euch mit einer höheren 
Liebe. Der Vater dort oben mache unfre Herzen fell « 

Emund, der Alles aufmerkfam mit angehört hatte, 
feßte troden hinzu: »Als Ihr kamt, war ich der Erfte, 
welcher Euer Freund wurde, laßt denn heute mich den 
Letzten ſeyn, welcher Euh Treue gelobt, und mit einem 
ſchwediſchen Handfhlag den Bund verfiegelt.«: Mit 
diefen Worten fhlug er wader in Erwind Hand, 
und diefer umarmte den treuen Genoffen. 

»Ja,« fprah Emund läcelnd, »wir haben zufam- 
men das Schloß gebaut, und find einig geblieben bis 
auf den legten Stein; das war die Freundlichkeit des 
Herrn, unſers Obermeifterö, gewißlich, welcher es ein- 
mal fo in feiner Art hat, daß er unter uns alles Zwie- 
fältige vereinigt. Alfo- laßt uns nun auch zufammen 
das Lebenshaus erbauen, und in feinem Geifte einig 
bleiben bis auf die legte Stunde!« 

»Gewiß,« verfeßte Erwin, »hat fein guter Geift 
und fo feft verbunden, und den Steinfchnitt zum: Ge- 
wölbe fo richtig gemacht, daß feine Gemalt den Tem: 
pel unſers Bundes zerftören Fann. « 

So redeten die Freunde im engeren Kreife, ſtill 
um die Herzogin verfammelt, welche daran ein inniges 
Mohlgefallen hatte, und zulegt ihnen noch mehreres 
Erfreuliche aus König Er iks Jugendgefchichte erzählte, 
bis die Stunde fam, um zur Ruhe zu gehen. 

Lido und Emund geleiteten unfern Freund auf 
fein Zimmer, wo er fihon alle feine Sachen durch 
Emunds Beforgung aufs forgfältigfte gepadt fand, 


582 


— 


und auch von ihm nun erfuhr, daß fruͤh am andern 
Morgen ein Schlitten bereit ſeyn werde, um ſie nach— 
zubringen, wenn er etwa zu Pferde einen Theil des 
Weges zuruͤcklegen wolle, wie der Herzog voraus— 
feste. | 

Erwin fchlief fanft die letzte Nacht im neuen 
Schloſſe, nahdem er fein gewohntes Abendgebet mit 
vieler Inbrunſt und dankbarer Erhebung geiprochen 
hatte. Seine Seele war wie ausgeweint, fein Herz 
geftilt in Gott. Der bevedte ihn auch mit feiner 
rechten Hand, daß er fich Fräftig und munter am Mor 
gen erhob, und wie zu einer neuen Lebensbahn Gott 
den Herrn um feinen Beiftand anflehte. Da bradte 
ihm der alte Diener zum lebten Mal dad Frühftud, 
und zeigte ihm an, daß die beftimmte Stunde gekom— 
men fey, und Alles zur Abfahrt bereit ftehe. Bald fan- 
ben fihb auch Emund und Lido bei ihm ein, zulebt 
Graf Sertha, und waren mit wenig Worten doch in- 
nig ihm nahe, bis der Herzog ihn zum Abfchiede vor 
fi laden ließ. — Die Freunde begleiteten ihn, und 
Birger-Jarl kam ihm aus feinem Wohnzimmer mit 
der Gemahlin Ingeborg freundlich entgegen, indem 
ihm die beiden Prinzen folgten, doch fern ftehen blie= 
ben. Erwin neigte fih vor dem Derzoge, und fprach 
mit verhaltner Bewegung: 

»Nehmt meinen letzten Dank zum Abfchiede, durch— 
lauchtigfter Herr! Ihr habt mich Eöniglich, und weit 
über das Verdienſt, für meine geringen Arbeiten belohnt ; 
der König aller Könige möge ed Euch und Eurem ho— 
ben Haufe vergelten! Was die Zunge nicht auöfpre- 


583 


chen kann, bleibt tief al3 eine Schuld in meiner Bruſt 
zurüd, welche ich aber ftet3 abzutragen mit meiner 
Kunft bereit bin. Mein vorzüglichfter Gewinn aber ift, 
daß ih in Euch einen großen Herrfcher kennen gelernt 
habe; das werde ich den Deutfchen erzählen. « 

Der Herzog erwiederte freundlich: » Sch danke Euch 
für Eure fhönen Werke. Eure Perfon war mir ſtets 
lieb. Verzeiht mir, daß ih Euh im Irrthume wehe 
that. Meine Achtung nehmt mit Euch, und was Euch 
geworden ift, habt Ihr ehrlich verdient. Gott fegne 
Euh nah Eurem treuen Herzen. Eure ERANTERBE 
Hand behalte ich mir vor.« 

Er umarmte ihn mit diefen Morten, und auch die 
Herzogin bot ihm die Hand zum Kuffe, indem fie mit 
Haltung fprach: » Gedentt unfrer, theurer Meifter, 
und betet für uns im fernen Lande, to bleiben wir uns 
ftetö nahe in Geifte!« 

»Das gebe Gott!« verfegte Erwin tief gerührt 
und entfernte ſich ſtumm, -indem er fich vor den Soͤh— 
nen des Herzogs verneigte, die nun ſich ihm zu naͤ— 
bern fchienen. 

Der Schlitten mit feinen Sachen war voraufge- 
fahren, wie Emund es angeordnet hatte. Sein fchnel: 
les Pferd ftand ſchon gefattelt, und von dem alten 
Reitknecht geführt, wiehernd vor dem Portale. - Er= 
win nahm von den Kammerherren und Hofleuten ei= 
nen kurzen Abfchied; da trat Graf Jertha aus fei- 
nem Zimmer, und fchloß ihn feft in feine Arme, ins 
dem er fich ſchnell zurüdwandte. Lido und Emund 
begleiteten ihn zu feinem Roffe, und nahmen ihn warn 


584 


an ihre Bruft. » Keine Worte mehr,« ſprach Lido, 
»wir bleiben Deine Freunde, wir haben uns gefun— 
den.«e Emund fügte hinzu: »Um uns nie wieder zu 
verlieren. « Ä 

Erwin ſchwang fih aufs Pferd, und fprengte 
rafch über den Burghof durch das offne Thor hin, in- 
dem er fich noch einmal nad) feinen Freunden und dem 
neuen Scloßgebäude umfah, welches ihm im erften 
Morgenlichte mit glühenden Fenfterfheiben herrlich ent— 
gegenfchien. — Es that ihm wohl, als dad Werk fei- 
ner Hände, und Graf Sertha nidte ihm nod einen 
freundlichen Abſchied aus dem Ritterfaale zu. 

Der alte Reitknecht begleitete ihn zu Pferde auf 
des Herzogs Befehl bis Lund, um ihm auf der Reife 
in Allem behülflih zu feyn, und fein Roß ihm fachte 
nachzufuͤhren, wo er zu Schlitten fahren wollte, auch 
Vorboten zu beftellen, damit er nirgends aufgehalten 
würde. Des Alten Gegenwart war ihm lieb, als des 
Erften und Lesten von Bielbo's Schloffe. 

Da Erwin ind Freie fam, und nun wieder über 
die lange Arkadenbrüde wegritt, mit eben dem Roſſe, 
welches ihn einft deflelben Weges hierher getragen hatte, 
fo gedachte er lebhaft feiner erften Empfindungen an 
diefer Stelle, und mußte lächeln, daß feine Ahnungen 
und Selbſtgeſpraͤche fo volllommen eingetroffen wären. 
Hildegards Bild trat von Neuem mit, aller Schön 
beit und Anmuth vor feine Seele. Es ward nit 
mehr verdunfelt durch die Erinnerung an Freya. Die 
Unbekannte war ihm befannt geworden, und die be= 
kannte Hildegard Eleidete fi nun in den: Zauber 


‚585 


des Unbekannten, und erwedte in ihm alle Sehnfudht 
der erften ahnungdvollen Liebe. 

Auf der Brüde langfam wegreitend, und über bie 
gefrornen Seen hinſchauend, ſprach er zu fih felbft: 
»Was war ich, und was bin ich geworden? Ein dunk— 
ler Trieb nah dem Fremden und MWunderfamen er- 
füllte meinen Bufen. Er ift geftillt durch frohe und 
bittre Erfahrung, und ich fehre in die alte Heimath 
meines Herzens zurüd, wie der Pilgrim aus dem Mor: 
genlande in fein väterliches Haus kehrt. Die Sonne 
bat ihm wohl das Geficht verbrannt, und die Fußſoh— 
len find wund geworden, allein da drinnen kam der 
füße Friede, welchen er zu Haufe nicht finden Eonnte. 
Sch habe geliebt und gelebt, wenn aucd gemeint und 
gefehlt. Die Höhen und Tiefen des menſchlichen Gei— 
fies find mir in taufend Freuden und Schmerzen Fund 
geworden. Eine große Seele hat mid in der Liebe 
erkannt und aufgenommen, und durch herrliche Theil— 
nahme von meinem trüben Selbft mich befreit. Das 
will ich in die Steine hauen, und das in die Lüfte 
bauen. Ich Fann wieder froh meiner erften Liebe le— 
ben, wenn Gott fie mir in Hildegard erhalten hätte, 
und ich will nun mit den gereiften Kräften meiner Bas 
terftabt dienen. Das war alfo doch fein Traum, wie 
der gute Konrad mir glauben machen wollte, und 
Vater Eberhard fol Recht behalten, daß der Baus 
meifter ein kuͤhn, frei und unverzagt Gemüth haben 
müffe, um Tempel Gottes unter den Menfchenkindern 
aufzuführen. Ach, daß ich die alten Eltern noch wies 
derfände, und Konrad mit mir theilte, und Hilde— 


586 


gard mich anerkennen und lieben möchte, wie ich bin! 
— Dann wäre mir geholfen auf immerdar. « 

Mit diefem Selbftgefpräch, veffen abgebrochnen In— 
halt wir nur Furz dem Lefer mitgetheilt haben, war 
Erwin über die lange Brüde und in den Wald ge- 
fommen, ber fich bis an das nächte Städtchen hinzog, 
und mit den dunfelgrünen Kiefernmaffen den ftillen 
Ernft feiner Seele noch vermehrte. Da hielt num der 
alte Neitknecht an einem Gafthofe, und bat Erwin, 
"bier ein wenig einzutreten, indem die Pferde verfehnaus 
fen müßten. Es war unferm Freunde nicht ganz recht, 
Schon wieder unter Menſchen zu fommen, doch faß er 
ab, und trat mechanifch in die Gaftftube. Da eilten 
ihm zwei Männer entgegen, und warfen fi) in feine 
Arme. E5 waren Lido und Emund. Gie waren 
auf einem näheren Wege über den See zu Schlitten 
nach diefem Städtchen gefahren, um ihn hier noch ein= 
mal zu überrafchen, und mit einem Eleinen Abſchieds— 
mahle zu bewirthen. Erwin freuete ſich ausnehmend 
des Wiederſehens, und rafch zogen fie ihn in ein Sei— 
tenzimmer, wo auch Graf Sertha, der gute Müller: 
meifter und andre Freunde Der Umgegend Bielbo’s 
verfammelt waren. Alle eilten ihm frohlodend entge= 
gen, und da es unterdeffen Mittag geworden, fo feßte 
man fich zu einer wohlbereiteten Zafel, wo infonder= 
heit des guten Weind nicht gefpart wurde. 

Erwin ward heitrer ald jemald, und ed wurden 
die alten Abenteuer, Bufälle und Gefchichten noch ein= 
mal ſcherzend Durchgegangen, indem man des armen 
Joͤns nicht weniger, ald des Königs Erik und des 


587 


liebenswürdigen jungen Prinzen feines Namens dabei 
gedachte. Man ließ die Todten, wie die Lebendigen, 
im Weine hoch leben, und Erwin fhieb nach einigen 
Stunden von Allen mit inniger Liebe und Dankfagung, 
am innigften aber von dem guten Waffermüller, indem 
er ſprach: »Willfommen fey Dein Sohn in der Bau 
hütte zu Straßburg, mwillfommen in meinem 


Hauſe!« — 








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_ Österreichische Nationalbiblliot 


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